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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Das Ende und der Bankrott der deutschen Marokkopolitik

mußte das Erstaunen sein, als dieses Land plötzlich mit einer Gegen¬
aktion hervortrat, nachdem der Vertrag abgeschlossen war und die "Durchdringung"
Marokkos im Wege der bekannten französischen Methoden eingesetzt hatte. Gewiß
war diese "Penetration paeilicjue" nicht ideal, sie bedeutete praktisch den Ausschluß
aller nichlsranzösischcn Bewerber bei Vergebung von Regierungsaufträgen und
wirtschaftlichen Konzessionen, aber gegen sie mit der ganzen Machtfülle einer Gro߬
macht zu protestieren, ging nur an, wenn man entschlossen war, um der deutschen
Interessen willen das Äußerste zu wagen und auch vor einem Kriege nicht zurück¬
zuschrecken. Ob ein solcher den Einsatz gelohnt Hütte, diese Frage ist eine Frage
für sich und soll hier nicht untersucht werden. Diese Entschlossenheit fehlte aber
und so blieb die ganze Aktion in Halbheiten stecken.

Die theatralische Geste, die Deutschland für sein Auftreten wählte, nämlich
die Fahrt des Kaisers nach Tanger, die leider nach den neueren Enthüllungen
auf das Konto des Fürsten Bülow selbst zu setzen ist, trug natürlich auch nicht
dazu bei, eine ruhige Entwicklung und Auseinandersetzung zu fördern. England
und Frankreich reagierten mit leidenschaftlichen, zum Teil gehässigen Äußerungen
und schreckten selbst vor Kriegsdrohungen nicht zurück. Indessen bewahrte der
französische Ministerpräsident Rouvier kaltes Blut und ließ den hitzigen Delccissö,
nachdem dessen Unmöglichkeit sich herausgestellt hatte, fallen. Deutschland forderte
nunmehr eine Konferenz, und lud dazu sämtliche Signatarmächte des Madrider
Vertrages ein, um die marokkanische Angelegenheit international zu regeln. Diese
scharfe Betonung der internationalen Seite war ein Kardinalfehler und verhinderte
ein Sonderabkommen zwischen Frankreich und Deutschland, welches bei der
damaligen versöhnlichen Stimmung von Rouvier mit Leichtigkeit zu erreichen
gewesen wäre und den ganzen großen diplomatischen Apparat von Algeciras über¬
flüssig gemacht hätte. Rouvier nahm die Konferenz nur mit Widerstreben an.
Die einfachste Vorsicht gebot, vor dem Beginn der Verhandlungen eine Einigung
zwischen Deutschland und Frankreich über die Hauptpunkte herbeizuführen; dazu
konnte man sich im Berliner Auswärtigen Amt nicht aufraffen, und so begann
denn jener langwierige Prozeß, der uns ja wohl in den wesentlichsten Punkten
Befriedigung brachte, aber die Gegnerschaft und den Haß der halben Welt gegen
uns wachrief und vor allem das französische Mißtrauen gegen Deutschland ver¬
schärfte. Gute Kenner der französischen Volksseele behaupten, daß von jener Zeit
ab (1905/6) das Wiederaufflammen des französischen Revanchegefühls datierte,
weil die Konferenz von Algeciras in Frankreich als ein Tribunal und daher als
Demütigung empfunden wurde. Das Ergebnis mit seiner Regelung der Bank-,
Polizei- und Konzessionsfrage trug dabei keineswegs die Gewähr der Dauer in
sich. Die Generalakte vom 3. April 1906 schloß ein für Deutschland wenig er¬
freuliches Kapitel ab, in welchem es keine Lorbeeren geerntet hatte. Wohl war
der Grundsatz der offenen Tür gerettet, aber um den Preis der unversöhnlichen
und unaustilgbaren Feindschaft mit Krankreich. Niemand dankte uns unser Ein¬
treten für die internationalen Grundsätze. An dieser Vorliebe für das Internationale
ist Deutschland ja denn auch zugrunde gegangen. Der Erfolg der ganzen Aktion
konnte nicht mehr als ein Waffenstillstand sein. Er wurde es auch.

Es dauerte nicht lange, so erfolgten neue Herausforderungen durch die
französischen Agenten in Marokko. Die Verletzungen der Algeciras-Akte häuften
sich. Der Notenwechsel zwischen Berlin und Paris riß nicht ab. Der Widerstand
gegen die französischen Anmaßungen erlahmte in der Berliner Wilhelmstraße, und
so entschloß man sich, in dem Feb'iuarabkommen des Jahres 1909, um den ewigen
Streitereien ein Ende zu machen, Frankreichs politische Vorrechte in Marokko an¬
zuerkennen und selbst einige der wirtschaftlichen Vorrechte Deutschlands preiszu¬
geben. Das war ein offenkundiger Rückzug Deutschlands, das erste Loch in die
Algeciras-Akte. Scheinbar war der Frieden infolge der deutschen Nachgiebigkeit
gerettet. Aber an der Seine legte man das als deutsche Schwäche aus und ent¬
nahm daraus das Recht zu neuen Provokationen. Die deutsche Friedfertigkeit
erzielte wieder einmal das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung. Und so kam es


Das Ende und der Bankrott der deutschen Marokkopolitik

mußte das Erstaunen sein, als dieses Land plötzlich mit einer Gegen¬
aktion hervortrat, nachdem der Vertrag abgeschlossen war und die „Durchdringung"
Marokkos im Wege der bekannten französischen Methoden eingesetzt hatte. Gewiß
war diese „Penetration paeilicjue" nicht ideal, sie bedeutete praktisch den Ausschluß
aller nichlsranzösischcn Bewerber bei Vergebung von Regierungsaufträgen und
wirtschaftlichen Konzessionen, aber gegen sie mit der ganzen Machtfülle einer Gro߬
macht zu protestieren, ging nur an, wenn man entschlossen war, um der deutschen
Interessen willen das Äußerste zu wagen und auch vor einem Kriege nicht zurück¬
zuschrecken. Ob ein solcher den Einsatz gelohnt Hütte, diese Frage ist eine Frage
für sich und soll hier nicht untersucht werden. Diese Entschlossenheit fehlte aber
und so blieb die ganze Aktion in Halbheiten stecken.

Die theatralische Geste, die Deutschland für sein Auftreten wählte, nämlich
die Fahrt des Kaisers nach Tanger, die leider nach den neueren Enthüllungen
auf das Konto des Fürsten Bülow selbst zu setzen ist, trug natürlich auch nicht
dazu bei, eine ruhige Entwicklung und Auseinandersetzung zu fördern. England
und Frankreich reagierten mit leidenschaftlichen, zum Teil gehässigen Äußerungen
und schreckten selbst vor Kriegsdrohungen nicht zurück. Indessen bewahrte der
französische Ministerpräsident Rouvier kaltes Blut und ließ den hitzigen Delccissö,
nachdem dessen Unmöglichkeit sich herausgestellt hatte, fallen. Deutschland forderte
nunmehr eine Konferenz, und lud dazu sämtliche Signatarmächte des Madrider
Vertrages ein, um die marokkanische Angelegenheit international zu regeln. Diese
scharfe Betonung der internationalen Seite war ein Kardinalfehler und verhinderte
ein Sonderabkommen zwischen Frankreich und Deutschland, welches bei der
damaligen versöhnlichen Stimmung von Rouvier mit Leichtigkeit zu erreichen
gewesen wäre und den ganzen großen diplomatischen Apparat von Algeciras über¬
flüssig gemacht hätte. Rouvier nahm die Konferenz nur mit Widerstreben an.
Die einfachste Vorsicht gebot, vor dem Beginn der Verhandlungen eine Einigung
zwischen Deutschland und Frankreich über die Hauptpunkte herbeizuführen; dazu
konnte man sich im Berliner Auswärtigen Amt nicht aufraffen, und so begann
denn jener langwierige Prozeß, der uns ja wohl in den wesentlichsten Punkten
Befriedigung brachte, aber die Gegnerschaft und den Haß der halben Welt gegen
uns wachrief und vor allem das französische Mißtrauen gegen Deutschland ver¬
schärfte. Gute Kenner der französischen Volksseele behaupten, daß von jener Zeit
ab (1905/6) das Wiederaufflammen des französischen Revanchegefühls datierte,
weil die Konferenz von Algeciras in Frankreich als ein Tribunal und daher als
Demütigung empfunden wurde. Das Ergebnis mit seiner Regelung der Bank-,
Polizei- und Konzessionsfrage trug dabei keineswegs die Gewähr der Dauer in
sich. Die Generalakte vom 3. April 1906 schloß ein für Deutschland wenig er¬
freuliches Kapitel ab, in welchem es keine Lorbeeren geerntet hatte. Wohl war
der Grundsatz der offenen Tür gerettet, aber um den Preis der unversöhnlichen
und unaustilgbaren Feindschaft mit Krankreich. Niemand dankte uns unser Ein¬
treten für die internationalen Grundsätze. An dieser Vorliebe für das Internationale
ist Deutschland ja denn auch zugrunde gegangen. Der Erfolg der ganzen Aktion
konnte nicht mehr als ein Waffenstillstand sein. Er wurde es auch.

Es dauerte nicht lange, so erfolgten neue Herausforderungen durch die
französischen Agenten in Marokko. Die Verletzungen der Algeciras-Akte häuften
sich. Der Notenwechsel zwischen Berlin und Paris riß nicht ab. Der Widerstand
gegen die französischen Anmaßungen erlahmte in der Berliner Wilhelmstraße, und
so entschloß man sich, in dem Feb'iuarabkommen des Jahres 1909, um den ewigen
Streitereien ein Ende zu machen, Frankreichs politische Vorrechte in Marokko an¬
zuerkennen und selbst einige der wirtschaftlichen Vorrechte Deutschlands preiszu¬
geben. Das war ein offenkundiger Rückzug Deutschlands, das erste Loch in die
Algeciras-Akte. Scheinbar war der Frieden infolge der deutschen Nachgiebigkeit
gerettet. Aber an der Seine legte man das als deutsche Schwäche aus und ent¬
nahm daraus das Recht zu neuen Provokationen. Die deutsche Friedfertigkeit
erzielte wieder einmal das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung. Und so kam es


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[0211] Das Ende und der Bankrott der deutschen Marokkopolitik mußte das Erstaunen sein, als dieses Land plötzlich mit einer Gegen¬ aktion hervortrat, nachdem der Vertrag abgeschlossen war und die „Durchdringung" Marokkos im Wege der bekannten französischen Methoden eingesetzt hatte. Gewiß war diese „Penetration paeilicjue" nicht ideal, sie bedeutete praktisch den Ausschluß aller nichlsranzösischcn Bewerber bei Vergebung von Regierungsaufträgen und wirtschaftlichen Konzessionen, aber gegen sie mit der ganzen Machtfülle einer Gro߬ macht zu protestieren, ging nur an, wenn man entschlossen war, um der deutschen Interessen willen das Äußerste zu wagen und auch vor einem Kriege nicht zurück¬ zuschrecken. Ob ein solcher den Einsatz gelohnt Hütte, diese Frage ist eine Frage für sich und soll hier nicht untersucht werden. Diese Entschlossenheit fehlte aber und so blieb die ganze Aktion in Halbheiten stecken. Die theatralische Geste, die Deutschland für sein Auftreten wählte, nämlich die Fahrt des Kaisers nach Tanger, die leider nach den neueren Enthüllungen auf das Konto des Fürsten Bülow selbst zu setzen ist, trug natürlich auch nicht dazu bei, eine ruhige Entwicklung und Auseinandersetzung zu fördern. England und Frankreich reagierten mit leidenschaftlichen, zum Teil gehässigen Äußerungen und schreckten selbst vor Kriegsdrohungen nicht zurück. Indessen bewahrte der französische Ministerpräsident Rouvier kaltes Blut und ließ den hitzigen Delccissö, nachdem dessen Unmöglichkeit sich herausgestellt hatte, fallen. Deutschland forderte nunmehr eine Konferenz, und lud dazu sämtliche Signatarmächte des Madrider Vertrages ein, um die marokkanische Angelegenheit international zu regeln. Diese scharfe Betonung der internationalen Seite war ein Kardinalfehler und verhinderte ein Sonderabkommen zwischen Frankreich und Deutschland, welches bei der damaligen versöhnlichen Stimmung von Rouvier mit Leichtigkeit zu erreichen gewesen wäre und den ganzen großen diplomatischen Apparat von Algeciras über¬ flüssig gemacht hätte. Rouvier nahm die Konferenz nur mit Widerstreben an. Die einfachste Vorsicht gebot, vor dem Beginn der Verhandlungen eine Einigung zwischen Deutschland und Frankreich über die Hauptpunkte herbeizuführen; dazu konnte man sich im Berliner Auswärtigen Amt nicht aufraffen, und so begann denn jener langwierige Prozeß, der uns ja wohl in den wesentlichsten Punkten Befriedigung brachte, aber die Gegnerschaft und den Haß der halben Welt gegen uns wachrief und vor allem das französische Mißtrauen gegen Deutschland ver¬ schärfte. Gute Kenner der französischen Volksseele behaupten, daß von jener Zeit ab (1905/6) das Wiederaufflammen des französischen Revanchegefühls datierte, weil die Konferenz von Algeciras in Frankreich als ein Tribunal und daher als Demütigung empfunden wurde. Das Ergebnis mit seiner Regelung der Bank-, Polizei- und Konzessionsfrage trug dabei keineswegs die Gewähr der Dauer in sich. Die Generalakte vom 3. April 1906 schloß ein für Deutschland wenig er¬ freuliches Kapitel ab, in welchem es keine Lorbeeren geerntet hatte. Wohl war der Grundsatz der offenen Tür gerettet, aber um den Preis der unversöhnlichen und unaustilgbaren Feindschaft mit Krankreich. Niemand dankte uns unser Ein¬ treten für die internationalen Grundsätze. An dieser Vorliebe für das Internationale ist Deutschland ja denn auch zugrunde gegangen. Der Erfolg der ganzen Aktion konnte nicht mehr als ein Waffenstillstand sein. Er wurde es auch. Es dauerte nicht lange, so erfolgten neue Herausforderungen durch die französischen Agenten in Marokko. Die Verletzungen der Algeciras-Akte häuften sich. Der Notenwechsel zwischen Berlin und Paris riß nicht ab. Der Widerstand gegen die französischen Anmaßungen erlahmte in der Berliner Wilhelmstraße, und so entschloß man sich, in dem Feb'iuarabkommen des Jahres 1909, um den ewigen Streitereien ein Ende zu machen, Frankreichs politische Vorrechte in Marokko an¬ zuerkennen und selbst einige der wirtschaftlichen Vorrechte Deutschlands preiszu¬ geben. Das war ein offenkundiger Rückzug Deutschlands, das erste Loch in die Algeciras-Akte. Scheinbar war der Frieden infolge der deutschen Nachgiebigkeit gerettet. Aber an der Seine legte man das als deutsche Schwäche aus und ent¬ nahm daraus das Recht zu neuen Provokationen. Die deutsche Friedfertigkeit erzielte wieder einmal das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung. Und so kam es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/211>, abgerufen am 18.12.2024.