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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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gerüttelt wird. Und letzteres geschieht durch die zwangsweise Durchführung der
Sozialisierungsthese des Parteiprogramms, ohne dem verantwortlichen Handeln
die konkreten Verhältnisse zugrunde zu legen. Wenn jemals, so muh hier do.5
Wort gelten: erst wägen, dann wagen! Es gehört nicht hierher, ein Bild von
ver grauenvollen Verelendung des deutschen Wirtschaftslebens zu entwerfen;
was wir täglich vor uns sehen und an unserem Leibe peinlichst erfahren, wirkt
als eine erschütternde Predigt, die Soziallsierungsangelegenheit nicht zu einer
verhängnisvollen wirtschaftlichen Umwälzung zuzuspitzen, weil sozialistische
Theoretiker sie zu einem Dogmensatz ausgeprägt haben. Von der Regierungs¬
bank in der Nationalversammlung zu Weimar ist das eindrucksvolle Wort vom
ruchlosen Optimismus, ins Volk hinausgerufen worden, ein Wort, dazu berufen,
den verblendeten Sozialisierungssanatikern das Gewissen zu schärfen, damit sie
nicht in trotziger Verrennung der Gegenwartsnöte nach den Sternen einer einst¬
mals vielleicht erreichbaren Zukunftsentwicklung greifen. Der Allgemeinheit
erwüchse unabsehbarer Schaden, wenn am Anfang einer verständig eingeleiteten
,Mememwirtschaft" eine Katastrophenneigung Platz griffe.

Im vorigen Artikelist bereits darauf hingewiesen worden, daß das gegen¬
wärtig im Brennpunkt der wirtschaftlichen Interessen befindliche Sozialisierungs-
problem während des Krieges vorwiegend Objekt akademischer Behandlung war.
Der bis zum Übermaß aufgebaute Kriegssozialismus fußte allerdings aus
gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen, war aber doch nur ein dünner Aufguß auf
den Sozialismus im Vergleich zu dem starken Extrakt, mit dem das sozialdemo¬
kratische Parteiprogramm die sozialistische Wirtschaft durchtränken wollte. Selbst
sie Gruppe der Genossen, die im kriegswirtschastlichen Sozialismus die
verheißungsvoller Anfänge einer grundsätzlichen Abwendung vom Individual-
rinzip begrüßte, gab zu, daß diese Spielart der Sozialisierung überwiegend
ürgerliche Prägung hatte. Denn wenngleich ein Wall von Zwangsvorschriften
die Ungebundenheit der freien Wirtschaft einengte, so behaupteten die
kapitalistischen Kräfte doch nach wie vor ihre Vorherrschaft über Produktion und
Güterumlauf. Immerhin schätzten die Genossen es als einen Fortschritt, daß
wenigstens durch den verwässerten Sozialismus "aus zahllosen Köpfen das fest¬
gefrorene Vorurteil gegen den Sozialismus weggeschmolzen würde".

Aber auch von einem ernsthaften praktischen Standpunkt konnte der
"Vergesellschaftung" nicht völlig ausgewichen werden. Je höher die Auf¬
wendungen für die Kriegführung anwuchsen, desto größer mußte die Sorge
werden, wie Staaten und Gemeinden die ungeheuern Kriegslasten in Zukunft
abzutragen imstande sein würden. Damit trat die Einführung von Neichs-
monopolen in den Kreis der Erwägungen. Aus fiskalischen Gründen mußte die
Umwandlung von privatwirtschaftlichen Betrieben in staatliche ins Auge gefaßt
werden. Daß die Sozialdemokratie früher den Staatssozialismus nicht als voll¬
wertigen Zweig vom Baume des Sozialismus, wie sie ihn auffaßte, gelten ließ,
dürfte bekannt fein. Man hat allmählich in dieser Beziehung umgelernt und die
Verstaatlichung als eine brauchbare Vorstufe für die radikale Depossedierung des
Privatkapitals willkommen geheißen. Es ist einleuchtend, daß der "Staats¬
kapitalismus" für den Sozialismus tüchtige Vorarbeit leistet, indem er die
privaten Betriebe enteignet und die staatliche Monopolwirtschaft der parlamen¬
tarischen Kontrolle unterstellt. Eine Sozialisierung in dieser Richtung erschien
daher dem sozialdemokratischen Schrifttum vor dem Kriege als eine zweckmäßige
Minenlegung, um die kapitalistische Produktionsweise abzuhauen.

Die Verstaatlichung war unverkennbar bereits ein wesentliches Stück der
allgemeinen Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Sie' wendete den
Kapitalbesitzern durch die Ablösungsrenten zwar große finanzielle Vorteile zu,
nahm ihnen aber ihre Betriebe aus der Hand. Diesen Fortschritt konnten mithin
auch übereifrige Genossen, die Willens waren, aufs ganze zu gehen, als vorläufig
allein erreichbare Abschlagszahlung sich gefallen lassen. Aber selbst für die



Heft 11 und 12 der Grenzboten.
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gerüttelt wird. Und letzteres geschieht durch die zwangsweise Durchführung der
Sozialisierungsthese des Parteiprogramms, ohne dem verantwortlichen Handeln
die konkreten Verhältnisse zugrunde zu legen. Wenn jemals, so muh hier do.5
Wort gelten: erst wägen, dann wagen! Es gehört nicht hierher, ein Bild von
ver grauenvollen Verelendung des deutschen Wirtschaftslebens zu entwerfen;
was wir täglich vor uns sehen und an unserem Leibe peinlichst erfahren, wirkt
als eine erschütternde Predigt, die Soziallsierungsangelegenheit nicht zu einer
verhängnisvollen wirtschaftlichen Umwälzung zuzuspitzen, weil sozialistische
Theoretiker sie zu einem Dogmensatz ausgeprägt haben. Von der Regierungs¬
bank in der Nationalversammlung zu Weimar ist das eindrucksvolle Wort vom
ruchlosen Optimismus, ins Volk hinausgerufen worden, ein Wort, dazu berufen,
den verblendeten Sozialisierungssanatikern das Gewissen zu schärfen, damit sie
nicht in trotziger Verrennung der Gegenwartsnöte nach den Sternen einer einst¬
mals vielleicht erreichbaren Zukunftsentwicklung greifen. Der Allgemeinheit
erwüchse unabsehbarer Schaden, wenn am Anfang einer verständig eingeleiteten
,Mememwirtschaft" eine Katastrophenneigung Platz griffe.

Im vorigen Artikelist bereits darauf hingewiesen worden, daß das gegen¬
wärtig im Brennpunkt der wirtschaftlichen Interessen befindliche Sozialisierungs-
problem während des Krieges vorwiegend Objekt akademischer Behandlung war.
Der bis zum Übermaß aufgebaute Kriegssozialismus fußte allerdings aus
gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen, war aber doch nur ein dünner Aufguß auf
den Sozialismus im Vergleich zu dem starken Extrakt, mit dem das sozialdemo¬
kratische Parteiprogramm die sozialistische Wirtschaft durchtränken wollte. Selbst
sie Gruppe der Genossen, die im kriegswirtschastlichen Sozialismus die
verheißungsvoller Anfänge einer grundsätzlichen Abwendung vom Individual-
rinzip begrüßte, gab zu, daß diese Spielart der Sozialisierung überwiegend
ürgerliche Prägung hatte. Denn wenngleich ein Wall von Zwangsvorschriften
die Ungebundenheit der freien Wirtschaft einengte, so behaupteten die
kapitalistischen Kräfte doch nach wie vor ihre Vorherrschaft über Produktion und
Güterumlauf. Immerhin schätzten die Genossen es als einen Fortschritt, daß
wenigstens durch den verwässerten Sozialismus „aus zahllosen Köpfen das fest¬
gefrorene Vorurteil gegen den Sozialismus weggeschmolzen würde".

Aber auch von einem ernsthaften praktischen Standpunkt konnte der
„Vergesellschaftung" nicht völlig ausgewichen werden. Je höher die Auf¬
wendungen für die Kriegführung anwuchsen, desto größer mußte die Sorge
werden, wie Staaten und Gemeinden die ungeheuern Kriegslasten in Zukunft
abzutragen imstande sein würden. Damit trat die Einführung von Neichs-
monopolen in den Kreis der Erwägungen. Aus fiskalischen Gründen mußte die
Umwandlung von privatwirtschaftlichen Betrieben in staatliche ins Auge gefaßt
werden. Daß die Sozialdemokratie früher den Staatssozialismus nicht als voll¬
wertigen Zweig vom Baume des Sozialismus, wie sie ihn auffaßte, gelten ließ,
dürfte bekannt fein. Man hat allmählich in dieser Beziehung umgelernt und die
Verstaatlichung als eine brauchbare Vorstufe für die radikale Depossedierung des
Privatkapitals willkommen geheißen. Es ist einleuchtend, daß der „Staats¬
kapitalismus" für den Sozialismus tüchtige Vorarbeit leistet, indem er die
privaten Betriebe enteignet und die staatliche Monopolwirtschaft der parlamen¬
tarischen Kontrolle unterstellt. Eine Sozialisierung in dieser Richtung erschien
daher dem sozialdemokratischen Schrifttum vor dem Kriege als eine zweckmäßige
Minenlegung, um die kapitalistische Produktionsweise abzuhauen.

Die Verstaatlichung war unverkennbar bereits ein wesentliches Stück der
allgemeinen Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Sie' wendete den
Kapitalbesitzern durch die Ablösungsrenten zwar große finanzielle Vorteile zu,
nahm ihnen aber ihre Betriebe aus der Hand. Diesen Fortschritt konnten mithin
auch übereifrige Genossen, die Willens waren, aufs ganze zu gehen, als vorläufig
allein erreichbare Abschlagszahlung sich gefallen lassen. Aber selbst für die



Heft 11 und 12 der Grenzboten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/20>, abgerufen am 01.09.2024.