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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Auf den -Pfaden der Sozialisierung

fiskalischen Verstaatlichungspläne war die Zeit im Kriege noch nicht reif; sie
standen in engem Zusammenhange mit der Gesamtheit der Finanzfragen, deren
Lösung vom Ausgang des Krieges abhängig war.

Als der Waffenstillstand geschlossen und die politische Umwälzung in Szene
gesetzt war, hatte die Demobilmachung vor dem Sozialisierungsthema den Vor¬
rang. Die Unterbringung der in überstürzter Hast aus dem Felde zurück¬
strömenden Truppen und Versorgung der namentlich in den Großstädten sich
ansammelnden Scharen von Arbeitslosen verursachten ernste Schwierigkeiten.
Ungleich wichtiger als die soziale Neuordnung der Wirtschaftsformen war das
Ingangsetzen der Betriebe, um dem müßigen Herumlungern der beschäftigungs¬
losen und teilweise verwilderten Elemente zu steuern. Daß das baldigst geschehe,
war zugleich eine Lebensfrage für die Allgemeinheit. Denn die Wiederaufnahme
der produktwen Arbeit war die erste und wichtigste Vorbedingung sür die Rück¬
kehr zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen. Die fast flehentlichen
Mahnungen aller amtlichen Stellen an die Arbeiter, die reichlich angebotene
Arbeitsgelegenheit anzunehmen, stießen leider gar zu häufig auf passiven Wider¬
stand bei den Arbeitsunlustigen, denen die Revolutionspsychose die Neigung zum
Faulenzen eingeflößt hatte. Das Wort des Reichspräsidenten Ebert fand wenig
Veherzigung: "Arbeit ist die Religion des Sozialismus!" Die in den Arbeiter¬
und Soldatenräten verankerte wirtschaftliche Demokratie war inzwischen zu einer
selbstherrlichen Macht emporgewachsen, die auf die politische Neichsleitung einen
neigenden Druck ausübte. In dem erbitterten Ringen der Rechtssozialisten mit
den radikalen Gruppen zu ihrer Linken stand bei letzteren die Forderung einer
unverzüglichen und durchgreifenden Sozialisierung an erster Stelle. Die
ungestümen Wirtschciftsrefvrmer der Unabhängigen hatten während der
sozialistischen Übergangszeit mit der Zusicherung sich halbwegs beruhigen lassen,
daß der durch Volkswahlen legitimierte Gesetzgebungsapparat alsbald in ihrem
"Sinne arbeiten werde. Nachdem nun die Nationalversammlung zusammen¬
getreten war, verlangten sie die restlose Einlösung des Sozialisierungsvcrsprechens.
'

Das der Naiioualoersammlm g vorgelegn Piogianun des Reichsmuunenums
nahm zur Sozialisierungsfrage in folgendem Satze Stellung: "Wirtschaftszweige,
die nach ihrer Art und ihrem Entwicklungsstände einen privat-monopolistischen
Charakter angenommen haben, sind der öffentlichen Kontrolle zu unterstellen.
Soweit sie sich zur einheitlichen Regelung durch die Gesamtheit eignen, insbe¬
sondere Bergwerke und Erzeugung von Energie, und dadurch zur einheitlichen
Regelung durch die Gesamtheit iSozialisierung) reif geworden sind, sind sie in
öffentliche oder gemischt-wirtschaftliche Bewirtschaftung oder auf Reich, Staat, Ge-
meindeverbände oder Gemeinde zu übernehmen." Die Vorbehalte in dieser pro¬
grammatischen Erklärung sind leicht erkennbar. Von einer unmittelbaren Anlehnung
an das Erfurter Parteiprogramm wird abgesehen. Der Umwandlung von kapita¬
listischen Privateigentum in gesellschaftliches Eigentum werden enge Schranken
gezogen und "die einheitliche Regelung der reifg" wordenen Betriebe durch die Ge¬
samtheit" wird an die Stelle der sozialistischen Warenproduktion gesetzt. Einer
Sozialisierung, die die Ausnützung der Privatmonopole, falls die Objekte sich
dazu eignen, auf eine staatlich-organisierte Gemeinschaft überträgt, haben auch die
im Kabinett Scheidemnnn vertretenen beiden bürgerlichen Parteien znciestimmt.
Bei der vorsichtigen Abfassung dieses ministeriellen Sozialisierungszieles war
offenbar der Leitgedanke maßgebend, daß die notleidende Volkswirtschaft mit
bedenklichen Experimenten verschont werden und durch die Neuordnung allen Volks¬
klassen gedient sein müßte. Die Sozialisierung sollte im Zeichen der Gemein¬
nützigkeit, nicht zugunsten einer einzelnen Berufsklasse, also etwa der beteiligten
Arbeiterschaft, erfolgen Dieser Standpunkt trug auch den Anschauungen der
besten Theoretiker der Sozialdemokratie, wie Ed. Bernstein und Kautsky. Rechnung.
Bernstein Katte in seinen Betrachtungen über die Aussichten des SozialismuZ
schon vor 20 Jahren darauf hingewiesen, daß die Verantwortung für die Pro¬
duktion unmöglich in die Hände der Massen gelegt werden dürfe; nur die staat¬
liche Bureaukratie gemeinsam mit den demokratisierten Selbstverwaltungsorganen


Auf den -Pfaden der Sozialisierung

fiskalischen Verstaatlichungspläne war die Zeit im Kriege noch nicht reif; sie
standen in engem Zusammenhange mit der Gesamtheit der Finanzfragen, deren
Lösung vom Ausgang des Krieges abhängig war.

Als der Waffenstillstand geschlossen und die politische Umwälzung in Szene
gesetzt war, hatte die Demobilmachung vor dem Sozialisierungsthema den Vor¬
rang. Die Unterbringung der in überstürzter Hast aus dem Felde zurück¬
strömenden Truppen und Versorgung der namentlich in den Großstädten sich
ansammelnden Scharen von Arbeitslosen verursachten ernste Schwierigkeiten.
Ungleich wichtiger als die soziale Neuordnung der Wirtschaftsformen war das
Ingangsetzen der Betriebe, um dem müßigen Herumlungern der beschäftigungs¬
losen und teilweise verwilderten Elemente zu steuern. Daß das baldigst geschehe,
war zugleich eine Lebensfrage für die Allgemeinheit. Denn die Wiederaufnahme
der produktwen Arbeit war die erste und wichtigste Vorbedingung sür die Rück¬
kehr zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen. Die fast flehentlichen
Mahnungen aller amtlichen Stellen an die Arbeiter, die reichlich angebotene
Arbeitsgelegenheit anzunehmen, stießen leider gar zu häufig auf passiven Wider¬
stand bei den Arbeitsunlustigen, denen die Revolutionspsychose die Neigung zum
Faulenzen eingeflößt hatte. Das Wort des Reichspräsidenten Ebert fand wenig
Veherzigung: „Arbeit ist die Religion des Sozialismus!" Die in den Arbeiter¬
und Soldatenräten verankerte wirtschaftliche Demokratie war inzwischen zu einer
selbstherrlichen Macht emporgewachsen, die auf die politische Neichsleitung einen
neigenden Druck ausübte. In dem erbitterten Ringen der Rechtssozialisten mit
den radikalen Gruppen zu ihrer Linken stand bei letzteren die Forderung einer
unverzüglichen und durchgreifenden Sozialisierung an erster Stelle. Die
ungestümen Wirtschciftsrefvrmer der Unabhängigen hatten während der
sozialistischen Übergangszeit mit der Zusicherung sich halbwegs beruhigen lassen,
daß der durch Volkswahlen legitimierte Gesetzgebungsapparat alsbald in ihrem
«Sinne arbeiten werde. Nachdem nun die Nationalversammlung zusammen¬
getreten war, verlangten sie die restlose Einlösung des Sozialisierungsvcrsprechens.
'

Das der Naiioualoersammlm g vorgelegn Piogianun des Reichsmuunenums
nahm zur Sozialisierungsfrage in folgendem Satze Stellung: „Wirtschaftszweige,
die nach ihrer Art und ihrem Entwicklungsstände einen privat-monopolistischen
Charakter angenommen haben, sind der öffentlichen Kontrolle zu unterstellen.
Soweit sie sich zur einheitlichen Regelung durch die Gesamtheit eignen, insbe¬
sondere Bergwerke und Erzeugung von Energie, und dadurch zur einheitlichen
Regelung durch die Gesamtheit iSozialisierung) reif geworden sind, sind sie in
öffentliche oder gemischt-wirtschaftliche Bewirtschaftung oder auf Reich, Staat, Ge-
meindeverbände oder Gemeinde zu übernehmen." Die Vorbehalte in dieser pro¬
grammatischen Erklärung sind leicht erkennbar. Von einer unmittelbaren Anlehnung
an das Erfurter Parteiprogramm wird abgesehen. Der Umwandlung von kapita¬
listischen Privateigentum in gesellschaftliches Eigentum werden enge Schranken
gezogen und „die einheitliche Regelung der reifg« wordenen Betriebe durch die Ge¬
samtheit" wird an die Stelle der sozialistischen Warenproduktion gesetzt. Einer
Sozialisierung, die die Ausnützung der Privatmonopole, falls die Objekte sich
dazu eignen, auf eine staatlich-organisierte Gemeinschaft überträgt, haben auch die
im Kabinett Scheidemnnn vertretenen beiden bürgerlichen Parteien znciestimmt.
Bei der vorsichtigen Abfassung dieses ministeriellen Sozialisierungszieles war
offenbar der Leitgedanke maßgebend, daß die notleidende Volkswirtschaft mit
bedenklichen Experimenten verschont werden und durch die Neuordnung allen Volks¬
klassen gedient sein müßte. Die Sozialisierung sollte im Zeichen der Gemein¬
nützigkeit, nicht zugunsten einer einzelnen Berufsklasse, also etwa der beteiligten
Arbeiterschaft, erfolgen Dieser Standpunkt trug auch den Anschauungen der
besten Theoretiker der Sozialdemokratie, wie Ed. Bernstein und Kautsky. Rechnung.
Bernstein Katte in seinen Betrachtungen über die Aussichten des SozialismuZ
schon vor 20 Jahren darauf hingewiesen, daß die Verantwortung für die Pro¬
duktion unmöglich in die Hände der Massen gelegt werden dürfe; nur die staat¬
liche Bureaukratie gemeinsam mit den demokratisierten Selbstverwaltungsorganen


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[0021] Auf den -Pfaden der Sozialisierung fiskalischen Verstaatlichungspläne war die Zeit im Kriege noch nicht reif; sie standen in engem Zusammenhange mit der Gesamtheit der Finanzfragen, deren Lösung vom Ausgang des Krieges abhängig war. Als der Waffenstillstand geschlossen und die politische Umwälzung in Szene gesetzt war, hatte die Demobilmachung vor dem Sozialisierungsthema den Vor¬ rang. Die Unterbringung der in überstürzter Hast aus dem Felde zurück¬ strömenden Truppen und Versorgung der namentlich in den Großstädten sich ansammelnden Scharen von Arbeitslosen verursachten ernste Schwierigkeiten. Ungleich wichtiger als die soziale Neuordnung der Wirtschaftsformen war das Ingangsetzen der Betriebe, um dem müßigen Herumlungern der beschäftigungs¬ losen und teilweise verwilderten Elemente zu steuern. Daß das baldigst geschehe, war zugleich eine Lebensfrage für die Allgemeinheit. Denn die Wiederaufnahme der produktwen Arbeit war die erste und wichtigste Vorbedingung sür die Rück¬ kehr zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen. Die fast flehentlichen Mahnungen aller amtlichen Stellen an die Arbeiter, die reichlich angebotene Arbeitsgelegenheit anzunehmen, stießen leider gar zu häufig auf passiven Wider¬ stand bei den Arbeitsunlustigen, denen die Revolutionspsychose die Neigung zum Faulenzen eingeflößt hatte. Das Wort des Reichspräsidenten Ebert fand wenig Veherzigung: „Arbeit ist die Religion des Sozialismus!" Die in den Arbeiter¬ und Soldatenräten verankerte wirtschaftliche Demokratie war inzwischen zu einer selbstherrlichen Macht emporgewachsen, die auf die politische Neichsleitung einen neigenden Druck ausübte. In dem erbitterten Ringen der Rechtssozialisten mit den radikalen Gruppen zu ihrer Linken stand bei letzteren die Forderung einer unverzüglichen und durchgreifenden Sozialisierung an erster Stelle. Die ungestümen Wirtschciftsrefvrmer der Unabhängigen hatten während der sozialistischen Übergangszeit mit der Zusicherung sich halbwegs beruhigen lassen, daß der durch Volkswahlen legitimierte Gesetzgebungsapparat alsbald in ihrem «Sinne arbeiten werde. Nachdem nun die Nationalversammlung zusammen¬ getreten war, verlangten sie die restlose Einlösung des Sozialisierungsvcrsprechens. ' Das der Naiioualoersammlm g vorgelegn Piogianun des Reichsmuunenums nahm zur Sozialisierungsfrage in folgendem Satze Stellung: „Wirtschaftszweige, die nach ihrer Art und ihrem Entwicklungsstände einen privat-monopolistischen Charakter angenommen haben, sind der öffentlichen Kontrolle zu unterstellen. Soweit sie sich zur einheitlichen Regelung durch die Gesamtheit eignen, insbe¬ sondere Bergwerke und Erzeugung von Energie, und dadurch zur einheitlichen Regelung durch die Gesamtheit iSozialisierung) reif geworden sind, sind sie in öffentliche oder gemischt-wirtschaftliche Bewirtschaftung oder auf Reich, Staat, Ge- meindeverbände oder Gemeinde zu übernehmen." Die Vorbehalte in dieser pro¬ grammatischen Erklärung sind leicht erkennbar. Von einer unmittelbaren Anlehnung an das Erfurter Parteiprogramm wird abgesehen. Der Umwandlung von kapita¬ listischen Privateigentum in gesellschaftliches Eigentum werden enge Schranken gezogen und „die einheitliche Regelung der reifg« wordenen Betriebe durch die Ge¬ samtheit" wird an die Stelle der sozialistischen Warenproduktion gesetzt. Einer Sozialisierung, die die Ausnützung der Privatmonopole, falls die Objekte sich dazu eignen, auf eine staatlich-organisierte Gemeinschaft überträgt, haben auch die im Kabinett Scheidemnnn vertretenen beiden bürgerlichen Parteien znciestimmt. Bei der vorsichtigen Abfassung dieses ministeriellen Sozialisierungszieles war offenbar der Leitgedanke maßgebend, daß die notleidende Volkswirtschaft mit bedenklichen Experimenten verschont werden und durch die Neuordnung allen Volks¬ klassen gedient sein müßte. Die Sozialisierung sollte im Zeichen der Gemein¬ nützigkeit, nicht zugunsten einer einzelnen Berufsklasse, also etwa der beteiligten Arbeiterschaft, erfolgen Dieser Standpunkt trug auch den Anschauungen der besten Theoretiker der Sozialdemokratie, wie Ed. Bernstein und Kautsky. Rechnung. Bernstein Katte in seinen Betrachtungen über die Aussichten des SozialismuZ schon vor 20 Jahren darauf hingewiesen, daß die Verantwortung für die Pro¬ duktion unmöglich in die Hände der Massen gelegt werden dürfe; nur die staat¬ liche Bureaukratie gemeinsam mit den demokratisierten Selbstverwaltungsorganen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/21>, abgerufen am 09.11.2024.