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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Voraussetzunzen der Demokratie

nicht den wahren Volkswillen ausführt, daß sie einen eigenen Willen betätigt,
Cliquenwirtschaft treibt und womöglich gar das Volk betrügt. Das Volk hat nur
am Wahltag ein Mitbestimmungsrecht, dessen Wert durch Korruption und Wahl-
schwindel auch noch stark beeinträchtigt wird. Sobald die Volksvertretung da ist,
hat das Volk nichts mehr zu sagen. Auf die tatsächliche Gesetzgebung und Verwaltung
hat es jedenfalls gar keinen Einfluß. Da sagt nun Gustaf Steffen im Gegensatz zu
Rousseau, es sei auch gar nicht Prinzip der Demokratie, daß sich das Volk wirklich
selber regiere. Das sei völlig unmöglich. "In einem modernen Arbeitsteilungs¬
und Großindustriestaate mit vielen Dutzend Millionen freier Einwohner ist das
Experimentieren mit unmittelbarem Regierungsdemokratismus nicht einmal
denkbar" (a. a. O. S. 80). "Demokratie" sei gar nicht Selbstregierung des
Volkes, sondern das Ums Rousseau "Volkssouveränität" nennt, d. h. das Recht
jeder Gruppe und Person im Volke zur Geltung zu kommen. Steffen definiert:
"Demokratie ist die direkte und indirekte Beteiligung aller mündigen Männer
und Frauen an aller politischen und wirtschaftlichen Machtausübung innerhalb
der Gesellschaft --- jedoch nrcht als Selbstzweck, sondern ganz und gar dem all¬
gemeinen Besten untergeordnet." (S. 87.) Die Demokratie kennt keine Regie¬
rung ohne Zustimmung der Regierten, heißt es an anderer Stelle. (S. 81.)
Mir scheint aber, als sei in den praktisch verwirklichten Demokratien der Gro߬
staaten die Beteiligung der meisten Männer und Frauen lediglich indirekt und
als sei ihr Einfluß aus die direkten Regenten oft in einem Maße geringfügig,
daß ein wahres Zerrbild der Demokratie entsteht. Der Wille der gewählten
Funktionäre ist oft sehr wenig "dem allgemeinen Besten untergeordnet", Wohl
noch viel weniger, als das schon Rousseau befürchtete. Steffen erkennt die
Schwierigkeiten Wohl und erörtert deshalb die Korrekturen, die man am Neprä-
sentativsvstem anbringen kann, um die Volksvertreter zu veranlassen, auch wirk¬
lich nach dem Willen des Volkes zu handeln. Er verwirft das imperative Man¬
dat, das Referendum und die Initiative (Recht jedes Volksgenossen, eigene Ge¬
setzesanträge zu stellen) als untauglich. Er rechnet auf ein persönliches Ver¬
trauensverhältnis zwischen Wähler und Gewähltem (das aber gerade bei der be¬
sonders demokratischen Verhältniswahl selten möglich sein wird) und empfiehlt
Nachprüfung der Gesetze durch Volkslabstimmung nach angemessener Probezeit
und einen Senat mit Aufschubrechten in der Gesetzgebung.

Zu einem ganz anderen Standpunkte gelangt demgegenüber eine Broschüre
deS Schweizers Fick, ^) die sich auch besonders mit "den technischen Voraus¬
setzungen der Demokratie befaßt. Der Verfasser läßt keineswegs das Repräsen¬
tativsystem als Form der Demokratie gelten, sondern er macht sogar einen grund¬
sätzlichen Unterschied zwischen Nepräsentativstaaten und Demokratien. Die
repräsentative Verfassung sei keine Demokratie; sie entspreche vielmehr dem, was
im bekannten Versasfungsschema des Aristoteles (Monarchie, Aristokratie, Demo¬
kratie) als Aristokratie bezeichnet werde (S. 18). Artikel 6 der schweizerischen
Bundesverfassung stellt ausdrücklich Demokratie Und Repräsentativverfassung in
Gegensatz, und Fick sagt: "Parlamentarismus ist nicht Demokratie, sondern
Gegensatz zur Demokratie" (S. 29). Das Parlament solle nur vorberaten, das
Volk entscheiden. Fick erläutert seine Lehre sehr wirkungsvoll an der Verfassung
des .Kantons Zürich und führt die Grundsätze seiner unparlamentarischen "deut¬
schen" Demokratie bis auf die Germania des Tacitus zurück. Im Gegensatz zu
Steffen sieht er das Wesen der Demokratie nicht in der bloßen Volkssouveränität,
sondern in der wirklichen Volksentscheidnng über die Gesetze, die die repräsenta¬
tive Versammlung nur vorzubereiten hat. Referendum und Initiative, die
Steffen verwirft, werden hier als unbedingt notwendig gefordert. Fick ist auch
der Meinung, daß diese Volksentscheidnng keineswegs bloß in kleinen Kantonen
möglich sei. "Heute -- zurzeit der höchsten Blüte der Verkehrstechnik, steht nichts
mehr im Wege,, den Grundsatz der reinen Demokratie auch in Groß- und Welt¬
staaten durchzuführen." (S. 26.)



t) Dr. F. Fick, Deutsche Demokratie, Verlag I. F. Lehmann, München 1918.
Pr. 1,60 M.
Voraussetzunzen der Demokratie

nicht den wahren Volkswillen ausführt, daß sie einen eigenen Willen betätigt,
Cliquenwirtschaft treibt und womöglich gar das Volk betrügt. Das Volk hat nur
am Wahltag ein Mitbestimmungsrecht, dessen Wert durch Korruption und Wahl-
schwindel auch noch stark beeinträchtigt wird. Sobald die Volksvertretung da ist,
hat das Volk nichts mehr zu sagen. Auf die tatsächliche Gesetzgebung und Verwaltung
hat es jedenfalls gar keinen Einfluß. Da sagt nun Gustaf Steffen im Gegensatz zu
Rousseau, es sei auch gar nicht Prinzip der Demokratie, daß sich das Volk wirklich
selber regiere. Das sei völlig unmöglich. „In einem modernen Arbeitsteilungs¬
und Großindustriestaate mit vielen Dutzend Millionen freier Einwohner ist das
Experimentieren mit unmittelbarem Regierungsdemokratismus nicht einmal
denkbar" (a. a. O. S. 80). „Demokratie" sei gar nicht Selbstregierung des
Volkes, sondern das Ums Rousseau „Volkssouveränität" nennt, d. h. das Recht
jeder Gruppe und Person im Volke zur Geltung zu kommen. Steffen definiert:
„Demokratie ist die direkte und indirekte Beteiligung aller mündigen Männer
und Frauen an aller politischen und wirtschaftlichen Machtausübung innerhalb
der Gesellschaft -— jedoch nrcht als Selbstzweck, sondern ganz und gar dem all¬
gemeinen Besten untergeordnet." (S. 87.) Die Demokratie kennt keine Regie¬
rung ohne Zustimmung der Regierten, heißt es an anderer Stelle. (S. 81.)
Mir scheint aber, als sei in den praktisch verwirklichten Demokratien der Gro߬
staaten die Beteiligung der meisten Männer und Frauen lediglich indirekt und
als sei ihr Einfluß aus die direkten Regenten oft in einem Maße geringfügig,
daß ein wahres Zerrbild der Demokratie entsteht. Der Wille der gewählten
Funktionäre ist oft sehr wenig „dem allgemeinen Besten untergeordnet", Wohl
noch viel weniger, als das schon Rousseau befürchtete. Steffen erkennt die
Schwierigkeiten Wohl und erörtert deshalb die Korrekturen, die man am Neprä-
sentativsvstem anbringen kann, um die Volksvertreter zu veranlassen, auch wirk¬
lich nach dem Willen des Volkes zu handeln. Er verwirft das imperative Man¬
dat, das Referendum und die Initiative (Recht jedes Volksgenossen, eigene Ge¬
setzesanträge zu stellen) als untauglich. Er rechnet auf ein persönliches Ver¬
trauensverhältnis zwischen Wähler und Gewähltem (das aber gerade bei der be¬
sonders demokratischen Verhältniswahl selten möglich sein wird) und empfiehlt
Nachprüfung der Gesetze durch Volkslabstimmung nach angemessener Probezeit
und einen Senat mit Aufschubrechten in der Gesetzgebung.

Zu einem ganz anderen Standpunkte gelangt demgegenüber eine Broschüre
deS Schweizers Fick, ^) die sich auch besonders mit "den technischen Voraus¬
setzungen der Demokratie befaßt. Der Verfasser läßt keineswegs das Repräsen¬
tativsystem als Form der Demokratie gelten, sondern er macht sogar einen grund¬
sätzlichen Unterschied zwischen Nepräsentativstaaten und Demokratien. Die
repräsentative Verfassung sei keine Demokratie; sie entspreche vielmehr dem, was
im bekannten Versasfungsschema des Aristoteles (Monarchie, Aristokratie, Demo¬
kratie) als Aristokratie bezeichnet werde (S. 18). Artikel 6 der schweizerischen
Bundesverfassung stellt ausdrücklich Demokratie Und Repräsentativverfassung in
Gegensatz, und Fick sagt: „Parlamentarismus ist nicht Demokratie, sondern
Gegensatz zur Demokratie" (S. 29). Das Parlament solle nur vorberaten, das
Volk entscheiden. Fick erläutert seine Lehre sehr wirkungsvoll an der Verfassung
des .Kantons Zürich und führt die Grundsätze seiner unparlamentarischen „deut¬
schen" Demokratie bis auf die Germania des Tacitus zurück. Im Gegensatz zu
Steffen sieht er das Wesen der Demokratie nicht in der bloßen Volkssouveränität,
sondern in der wirklichen Volksentscheidnng über die Gesetze, die die repräsenta¬
tive Versammlung nur vorzubereiten hat. Referendum und Initiative, die
Steffen verwirft, werden hier als unbedingt notwendig gefordert. Fick ist auch
der Meinung, daß diese Volksentscheidnng keineswegs bloß in kleinen Kantonen
möglich sei. „Heute — zurzeit der höchsten Blüte der Verkehrstechnik, steht nichts
mehr im Wege,, den Grundsatz der reinen Demokratie auch in Groß- und Welt¬
staaten durchzuführen." (S. 26.)



t) Dr. F. Fick, Deutsche Demokratie, Verlag I. F. Lehmann, München 1918.
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[0015] Voraussetzunzen der Demokratie nicht den wahren Volkswillen ausführt, daß sie einen eigenen Willen betätigt, Cliquenwirtschaft treibt und womöglich gar das Volk betrügt. Das Volk hat nur am Wahltag ein Mitbestimmungsrecht, dessen Wert durch Korruption und Wahl- schwindel auch noch stark beeinträchtigt wird. Sobald die Volksvertretung da ist, hat das Volk nichts mehr zu sagen. Auf die tatsächliche Gesetzgebung und Verwaltung hat es jedenfalls gar keinen Einfluß. Da sagt nun Gustaf Steffen im Gegensatz zu Rousseau, es sei auch gar nicht Prinzip der Demokratie, daß sich das Volk wirklich selber regiere. Das sei völlig unmöglich. „In einem modernen Arbeitsteilungs¬ und Großindustriestaate mit vielen Dutzend Millionen freier Einwohner ist das Experimentieren mit unmittelbarem Regierungsdemokratismus nicht einmal denkbar" (a. a. O. S. 80). „Demokratie" sei gar nicht Selbstregierung des Volkes, sondern das Ums Rousseau „Volkssouveränität" nennt, d. h. das Recht jeder Gruppe und Person im Volke zur Geltung zu kommen. Steffen definiert: „Demokratie ist die direkte und indirekte Beteiligung aller mündigen Männer und Frauen an aller politischen und wirtschaftlichen Machtausübung innerhalb der Gesellschaft -— jedoch nrcht als Selbstzweck, sondern ganz und gar dem all¬ gemeinen Besten untergeordnet." (S. 87.) Die Demokratie kennt keine Regie¬ rung ohne Zustimmung der Regierten, heißt es an anderer Stelle. (S. 81.) Mir scheint aber, als sei in den praktisch verwirklichten Demokratien der Gro߬ staaten die Beteiligung der meisten Männer und Frauen lediglich indirekt und als sei ihr Einfluß aus die direkten Regenten oft in einem Maße geringfügig, daß ein wahres Zerrbild der Demokratie entsteht. Der Wille der gewählten Funktionäre ist oft sehr wenig „dem allgemeinen Besten untergeordnet", Wohl noch viel weniger, als das schon Rousseau befürchtete. Steffen erkennt die Schwierigkeiten Wohl und erörtert deshalb die Korrekturen, die man am Neprä- sentativsvstem anbringen kann, um die Volksvertreter zu veranlassen, auch wirk¬ lich nach dem Willen des Volkes zu handeln. Er verwirft das imperative Man¬ dat, das Referendum und die Initiative (Recht jedes Volksgenossen, eigene Ge¬ setzesanträge zu stellen) als untauglich. Er rechnet auf ein persönliches Ver¬ trauensverhältnis zwischen Wähler und Gewähltem (das aber gerade bei der be¬ sonders demokratischen Verhältniswahl selten möglich sein wird) und empfiehlt Nachprüfung der Gesetze durch Volkslabstimmung nach angemessener Probezeit und einen Senat mit Aufschubrechten in der Gesetzgebung. Zu einem ganz anderen Standpunkte gelangt demgegenüber eine Broschüre deS Schweizers Fick, ^) die sich auch besonders mit "den technischen Voraus¬ setzungen der Demokratie befaßt. Der Verfasser läßt keineswegs das Repräsen¬ tativsystem als Form der Demokratie gelten, sondern er macht sogar einen grund¬ sätzlichen Unterschied zwischen Nepräsentativstaaten und Demokratien. Die repräsentative Verfassung sei keine Demokratie; sie entspreche vielmehr dem, was im bekannten Versasfungsschema des Aristoteles (Monarchie, Aristokratie, Demo¬ kratie) als Aristokratie bezeichnet werde (S. 18). Artikel 6 der schweizerischen Bundesverfassung stellt ausdrücklich Demokratie Und Repräsentativverfassung in Gegensatz, und Fick sagt: „Parlamentarismus ist nicht Demokratie, sondern Gegensatz zur Demokratie" (S. 29). Das Parlament solle nur vorberaten, das Volk entscheiden. Fick erläutert seine Lehre sehr wirkungsvoll an der Verfassung des .Kantons Zürich und führt die Grundsätze seiner unparlamentarischen „deut¬ schen" Demokratie bis auf die Germania des Tacitus zurück. Im Gegensatz zu Steffen sieht er das Wesen der Demokratie nicht in der bloßen Volkssouveränität, sondern in der wirklichen Volksentscheidnng über die Gesetze, die die repräsenta¬ tive Versammlung nur vorzubereiten hat. Referendum und Initiative, die Steffen verwirft, werden hier als unbedingt notwendig gefordert. Fick ist auch der Meinung, daß diese Volksentscheidnng keineswegs bloß in kleinen Kantonen möglich sei. „Heute — zurzeit der höchsten Blüte der Verkehrstechnik, steht nichts mehr im Wege,, den Grundsatz der reinen Demokratie auch in Groß- und Welt¬ staaten durchzuführen." (S. 26.) t) Dr. F. Fick, Deutsche Demokratie, Verlag I. F. Lehmann, München 1918. Pr. 1,60 M.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/15>, abgerufen am 06.10.2024.