Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Voraussetzungen der Demokratie riesige Kapitalien nicht mehr verzichten kann, ohne den ganzen ungeheuren wirt¬ Selbst wenn es uns aber gelungen wäre, die nötige wirtschaftliche Gleich¬ Voraussetzungen der Demokratie riesige Kapitalien nicht mehr verzichten kann, ohne den ganzen ungeheuren wirt¬ Selbst wenn es uns aber gelungen wäre, die nötige wirtschaftliche Gleich¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335422"/> <fw type="header" place="top"> Voraussetzungen der Demokratie</fw><lb/> <p xml:id="ID_6" prev="#ID_5"> riesige Kapitalien nicht mehr verzichten kann, ohne den ganzen ungeheuren wirt¬<lb/> schaftlichen Fortschritt eines Jahrhunderts preiszugeben, ist die Zusammensetzung<lb/> des Volkes aus lauter gleichen kleinen Besitzern undenkbar. Läßt man aber die<lb/> Ansammlung großen überlegenen Reichtums in den Händen einzelner zu, dann<lb/> ist wieder die Demokratie eine Unmöglichkeit, da die wirtschaftliche Macht die<lb/> großen Kapialisten stets aus der lallgemeinen gleichen Masse der Bürger heraus¬<lb/> heben muß. Darum ist auf «der jetzt erreichten Stufe des Großbetriebes und der<lb/> Avbeitstcilung der Sozialismus die Konsequenz des demokratischen Gedankens.<lb/> Wenn es nicht angeht, den Kapitalbesitz annähernd gleichmäßig unter die Bürger<lb/> auszuteilen, dann muß man, wenn man am demokratischen Ideal festhält, ihn<lb/> überhaupt allen privaten Händen entziehen und die ganze Produktion des Volkes<lb/> der Gesamtheit übertragen. Dann wird jeder Bürger, der überhaupt an der<lb/> Produktion teilnimmt, auch der industrielle und kommerzielle Unternehmer oder<lb/> der Leiter eines Rittergutes Angestellter der Gesamtheit. Alle schroffen und der<lb/> demokratischen Gleichheit abträglichen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen ihm<lb/> und den übrigen Bürgern, besonders denen, die unter seiner Leitung arbeiten,<lb/> alle Möglichkeiten, politischen Gegnern die Futterkrippe höher zu hängen, können<lb/> sehr stark eingeschränkt oder verhindert werden. Die größte volkswirtschaftliche<lb/> Schattenseite der sozialistischen Wirtschaftsordnung ist der zu befürchtende Rück¬<lb/> gang der Produktion, wenn der Anreiz, reich werden zu können, wegfällt und dazu<lb/> die Bureaütratifierung der produktiven Arbeit. Aber davon soll hier nicht die Rede<lb/> sein. Man Wird soviel zugeben können, daß im Zeitalter des Großbetriebes und<lb/> der Arbeitsteilung nur der Sozialismus der wirtschaftlichen Gleichheit der ein¬<lb/> zelnen Bürger einigermaßen näher bringt, und daß ohne wirtschaftliche Gleich¬<lb/> heit auch die politische fragwürdig ist. Darum ist heute der Sozialismus die<lb/> Konsequenz des demokratischen Ideals. Bei der praktischen Ausführung kann es<lb/> natürlich dahingestellt bleiben, ob man wirklich alle Wirtschaftszweige soziali¬<lb/> sieren muß. Es kann ja ganz gut sein, daß auf einzelnen Produktionsgebieten<lb/> ein privater Klein- oder Mittelbesitz auch jetzt noch herrscht, der die demokratische<lb/> Gleichheit der Volksgenossen genügend verbürgt: zum Beispiel unter Bauern<lb/> oder Handwerkern. Der Sozialismus ist, recht verstanden, kein Selbstzweck, son¬<lb/> dern nur Mittel zum Zweck, nämlich zur Demokratie, zur Abschaffung der<lb/> schroffen Unterschiede zwischen arm und reich. Es kommt nicht darcinf an, er¬<lb/> klärt Gustaf Steffen („Das Problem der Demokratie", S. 39) gegenüber den<lb/> svzwlde^vcratischen Radikalen, daß unter allen Umständen alles sozialisiert<lb/> wird, sondern daß die Armut so gründlich wie möglich aus der Welt geschafft<lb/> wird. Steffen nennt das sozialpolitischen Radikalismus im Gegensatz zum sozia¬<lb/> listischen Radikalismus.</p><lb/> <p xml:id="ID_7" next="#ID_8"> Selbst wenn es uns aber gelungen wäre, die nötige wirtschaftliche Gleich¬<lb/> heit der Bürger als Boraussetzung der Demokratie zu "schaffen, so erhebt sich<lb/> weiter die Frage, wie es nun möglich sein soll, die Volksherrschaft technisch zu<lb/> organisieren. Der moderne Nationalstaat eines so großen Volkes, wie es unser<lb/> deutsches ist, ist ja viel zu groß, als daß es je möglich sein könnte, die Bürger<lb/> irgendwo alle zusammenzuholen und sie über die Staatsangelegenheiten ent¬<lb/> scheiden zu lassen. Rousseau hat daraus den Schluß gezogen, daß der Großstaat<lb/> eben für die Demokratie ungeeignet sei, und daß die freien Bürger sich deswegen<lb/> lieber in kleinen Kantonen politisch organisieren möchten, wie es ihm aus seiner<lb/> Heimat Genf vertraut war. Aber die Großstaaten bestehen nun einmal und haben<lb/> im Zeitalter der Weltwirtschaft und Weltpolitik und des Nationalismus keine Ver¬<lb/> anlassung, sich um der demokratischen Forderung willen in kleine Kantone aufzu¬<lb/> lösen. Darum haben schon die Demokraten der französischen Revolution -zum<lb/> Repräsentativsystem gegriffen, obwohl ihr Meister Rousseau dieses Auskunfts¬<lb/> mittel ausdrücklich ablehnt. Hier werden die Rechte des Volkes von einer Volks¬<lb/> vertretung wahrgenommen. So ist das Vorbild der demokratischen Praxis von<lb/> den großen Musterstaaten England, Amerika und Frankreich geschaffen worden,<lb/> und 'so haben es die übrigen Staaten nachgebildet. Aber die Schäden liegen auf<lb/> der Hand. In allen diesen Staaten sieht 'man, daß die Volksvertretung oft gar</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Voraussetzungen der Demokratie
riesige Kapitalien nicht mehr verzichten kann, ohne den ganzen ungeheuren wirt¬
schaftlichen Fortschritt eines Jahrhunderts preiszugeben, ist die Zusammensetzung
des Volkes aus lauter gleichen kleinen Besitzern undenkbar. Läßt man aber die
Ansammlung großen überlegenen Reichtums in den Händen einzelner zu, dann
ist wieder die Demokratie eine Unmöglichkeit, da die wirtschaftliche Macht die
großen Kapialisten stets aus der lallgemeinen gleichen Masse der Bürger heraus¬
heben muß. Darum ist auf «der jetzt erreichten Stufe des Großbetriebes und der
Avbeitstcilung der Sozialismus die Konsequenz des demokratischen Gedankens.
Wenn es nicht angeht, den Kapitalbesitz annähernd gleichmäßig unter die Bürger
auszuteilen, dann muß man, wenn man am demokratischen Ideal festhält, ihn
überhaupt allen privaten Händen entziehen und die ganze Produktion des Volkes
der Gesamtheit übertragen. Dann wird jeder Bürger, der überhaupt an der
Produktion teilnimmt, auch der industrielle und kommerzielle Unternehmer oder
der Leiter eines Rittergutes Angestellter der Gesamtheit. Alle schroffen und der
demokratischen Gleichheit abträglichen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen ihm
und den übrigen Bürgern, besonders denen, die unter seiner Leitung arbeiten,
alle Möglichkeiten, politischen Gegnern die Futterkrippe höher zu hängen, können
sehr stark eingeschränkt oder verhindert werden. Die größte volkswirtschaftliche
Schattenseite der sozialistischen Wirtschaftsordnung ist der zu befürchtende Rück¬
gang der Produktion, wenn der Anreiz, reich werden zu können, wegfällt und dazu
die Bureaütratifierung der produktiven Arbeit. Aber davon soll hier nicht die Rede
sein. Man Wird soviel zugeben können, daß im Zeitalter des Großbetriebes und
der Arbeitsteilung nur der Sozialismus der wirtschaftlichen Gleichheit der ein¬
zelnen Bürger einigermaßen näher bringt, und daß ohne wirtschaftliche Gleich¬
heit auch die politische fragwürdig ist. Darum ist heute der Sozialismus die
Konsequenz des demokratischen Ideals. Bei der praktischen Ausführung kann es
natürlich dahingestellt bleiben, ob man wirklich alle Wirtschaftszweige soziali¬
sieren muß. Es kann ja ganz gut sein, daß auf einzelnen Produktionsgebieten
ein privater Klein- oder Mittelbesitz auch jetzt noch herrscht, der die demokratische
Gleichheit der Volksgenossen genügend verbürgt: zum Beispiel unter Bauern
oder Handwerkern. Der Sozialismus ist, recht verstanden, kein Selbstzweck, son¬
dern nur Mittel zum Zweck, nämlich zur Demokratie, zur Abschaffung der
schroffen Unterschiede zwischen arm und reich. Es kommt nicht darcinf an, er¬
klärt Gustaf Steffen („Das Problem der Demokratie", S. 39) gegenüber den
svzwlde^vcratischen Radikalen, daß unter allen Umständen alles sozialisiert
wird, sondern daß die Armut so gründlich wie möglich aus der Welt geschafft
wird. Steffen nennt das sozialpolitischen Radikalismus im Gegensatz zum sozia¬
listischen Radikalismus.
Selbst wenn es uns aber gelungen wäre, die nötige wirtschaftliche Gleich¬
heit der Bürger als Boraussetzung der Demokratie zu "schaffen, so erhebt sich
weiter die Frage, wie es nun möglich sein soll, die Volksherrschaft technisch zu
organisieren. Der moderne Nationalstaat eines so großen Volkes, wie es unser
deutsches ist, ist ja viel zu groß, als daß es je möglich sein könnte, die Bürger
irgendwo alle zusammenzuholen und sie über die Staatsangelegenheiten ent¬
scheiden zu lassen. Rousseau hat daraus den Schluß gezogen, daß der Großstaat
eben für die Demokratie ungeeignet sei, und daß die freien Bürger sich deswegen
lieber in kleinen Kantonen politisch organisieren möchten, wie es ihm aus seiner
Heimat Genf vertraut war. Aber die Großstaaten bestehen nun einmal und haben
im Zeitalter der Weltwirtschaft und Weltpolitik und des Nationalismus keine Ver¬
anlassung, sich um der demokratischen Forderung willen in kleine Kantone aufzu¬
lösen. Darum haben schon die Demokraten der französischen Revolution -zum
Repräsentativsystem gegriffen, obwohl ihr Meister Rousseau dieses Auskunfts¬
mittel ausdrücklich ablehnt. Hier werden die Rechte des Volkes von einer Volks¬
vertretung wahrgenommen. So ist das Vorbild der demokratischen Praxis von
den großen Musterstaaten England, Amerika und Frankreich geschaffen worden,
und 'so haben es die übrigen Staaten nachgebildet. Aber die Schäden liegen auf
der Hand. In allen diesen Staaten sieht 'man, daß die Volksvertretung oft gar
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