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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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so geschieht es nicht um emanzipierter, frauenrechtlerischer Zielsetzungen willen,
sondern um der Emanzipation entgegenzuwirken. Die Fortbildungsschule, die
berufliche Bildung der Frau, wird auch von männlicher Seite gewünscht. Erst
kürzlich hat der während des Krieges als stellvertretender Präsident des Kriegs¬
ernährungsamtes tätige Friedrich Edler von Braun in seinen einleitenden Worten
zu dem von ihm und Professor Dr. H. Date herausgegebenen ausgezeichneten
Werk "Die Arbeitsziele der deutschen Landwirtschaft nach dem Kriege" °) betont,
daß im Kriege trotz aller bewundernswerter Leistungen der Landfrauen ihre un¬
zulängliche Vorbildung sich unliebsam bemerkbar machte. Wenn nun gewiß nicht
die Ausbildung der Frau im Hinblick auf einen möglichen Krieg erfolgen soll, so
ist doch die Bauernwirtschaft auch in Friedenszeiten so sehr auf die ständige Mit¬
arbeit der Frau, ja häusig auch auf selbständige Betriebsleitung seitens der Frau
angewiesen, daß eine berufliche Ausbildung der Frau, insbesondere auch in An¬
betracht der mißlichen Lage der Landwirtschaft nach den schweren Kriegsjahren,
durchaus zweckmäßig erscheint, v. Braun fordert dementsprechend landwirischaft-
liche Berufsschulen, deren Besuch nicht nur der männlichen, sondern auch der
weiblichen Jugend zur Pflicht gemacht werden muß. Man kann hier ferner
neben anderen bereits bestehenden Bildungsmöglichkeiten für die Jugend an eine
Vermehrung der ländlichen Volkshochschulen denken, die in Skandinavien zu hoher
Blüte gelangt sind und bei uns hier und da Eingang gefunden haben. Für die
Ehefrauen kommen kurzfristige Lchrkurse und Vorträge in Betracht. Als Grund¬
lage aller dieser Bildungsgelegenheiten wäre aber für die Kinder eine Ausge¬
staltung der Dorfschule nach Gesichtspunkten zu wünschen, die der ländlichen Um¬
gebung entnommen und geeignet sind, ihnen für die Natur und die Arbeit an ihr
die Augen zu öffnen. Aber damit sind die Forderungen für die weibliche Land¬
bevölkerung nicht erschöpft. Abgesehen davon, daß sie von schwerer, sehr ausge¬
dehnter, unsauberer Arbeit befreit werden sollte, wie dies schon in einigen Ge¬
genden Deutschlands üblich ist, ist sie, soweit sie nicht selbständig ist, in ein festes
Lehr- und Arbeitsverhältnis mit geregelter Beschäftigungszeit zu bringen und
in einer aufsteigenden Reihe von Spiel- und Sportvereinen über Jugend- und
Gehilfinnenvereine bis zu landwirtschaftlichen Hausfrauenvereinen zu organisieren,
um Verufsgesinnung zu wecken. Es liegt auf der Hand, daß ein Zusammen-
schlusz der Hausfrauen, der möglichst weite Kreise umfaßt, einen gewissen Höhe-
Punkt der Entwicklung bedeutet, wenn er in Anlehnung an die landwirtschaftlichen
Vereine erfolgt, denn von hieraus führt der Weg zum genossenschaftlichen Zu¬
sammenschluß und zur Standesvertretung, die ja heute im Nätesystem ihre
Krönung findet. Ist die kulturelle und berusständige Hebung der wewlichen
Landbewohner ein Mittel zur Überwindung der Landflucht, so ist eine psychische
Bindung an die Scholle durch Eigenbesitz ein anderes, noch wirksameres. Neben
Erziehung und Organisation muß demnach die Gelegenheit zum landwirtschaft¬
lichen Eigenbetrieb und zur Betätigung auf eigener Erde gefördert werden. Daß
schließlich auch eine gesunde Wohnungspolitik und Wohlfahrtspflege empfehlens¬
werte Maßnahmen sind, die namentlich auf reife Frauen Eindruck macheu, bedarf
kaum der Erwähnung.

Wie ersichtlich, wird das Heilmittel gegen die verbreitete Unzufriedenheit
wie bei der Jndustriearbeiteriu, so auch bei der Landnrbeiterin in einer vertieften
Auffassung von Beruf und Leben gesucht, aber die notwendige Voraussetzung ist
eine materielle und ideelle Gestaltung des Lebens, die eine freiere Entfaltung der
Persönlichkeit ermöglicht, als sie bisher für den Durchschnitt zu erreichen war.
Beseitigung der Mängel der Frauenarbeit, die im wesentlichen durch unzulängliche
Ausbildung bedingt sind, und der Hemmungen aller Art, mit denen die Frau zu
kämpfen hat, ist auch hier die Forderung, die um so schwerer ins Gewicht fallt,
als die Landwirtschaft der Frau dringend bedarf, und diese auch tatsächlich die
absolut größte Zahl der arbeitenden Frauen aufnimmt.



") Verlag von Paul Pareo, Berlin. 1913. Geb. 17 M.
Ein Bericht über Frauenbestrebungen der Gegenwart

so geschieht es nicht um emanzipierter, frauenrechtlerischer Zielsetzungen willen,
sondern um der Emanzipation entgegenzuwirken. Die Fortbildungsschule, die
berufliche Bildung der Frau, wird auch von männlicher Seite gewünscht. Erst
kürzlich hat der während des Krieges als stellvertretender Präsident des Kriegs¬
ernährungsamtes tätige Friedrich Edler von Braun in seinen einleitenden Worten
zu dem von ihm und Professor Dr. H. Date herausgegebenen ausgezeichneten
Werk „Die Arbeitsziele der deutschen Landwirtschaft nach dem Kriege" °) betont,
daß im Kriege trotz aller bewundernswerter Leistungen der Landfrauen ihre un¬
zulängliche Vorbildung sich unliebsam bemerkbar machte. Wenn nun gewiß nicht
die Ausbildung der Frau im Hinblick auf einen möglichen Krieg erfolgen soll, so
ist doch die Bauernwirtschaft auch in Friedenszeiten so sehr auf die ständige Mit¬
arbeit der Frau, ja häusig auch auf selbständige Betriebsleitung seitens der Frau
angewiesen, daß eine berufliche Ausbildung der Frau, insbesondere auch in An¬
betracht der mißlichen Lage der Landwirtschaft nach den schweren Kriegsjahren,
durchaus zweckmäßig erscheint, v. Braun fordert dementsprechend landwirischaft-
liche Berufsschulen, deren Besuch nicht nur der männlichen, sondern auch der
weiblichen Jugend zur Pflicht gemacht werden muß. Man kann hier ferner
neben anderen bereits bestehenden Bildungsmöglichkeiten für die Jugend an eine
Vermehrung der ländlichen Volkshochschulen denken, die in Skandinavien zu hoher
Blüte gelangt sind und bei uns hier und da Eingang gefunden haben. Für die
Ehefrauen kommen kurzfristige Lchrkurse und Vorträge in Betracht. Als Grund¬
lage aller dieser Bildungsgelegenheiten wäre aber für die Kinder eine Ausge¬
staltung der Dorfschule nach Gesichtspunkten zu wünschen, die der ländlichen Um¬
gebung entnommen und geeignet sind, ihnen für die Natur und die Arbeit an ihr
die Augen zu öffnen. Aber damit sind die Forderungen für die weibliche Land¬
bevölkerung nicht erschöpft. Abgesehen davon, daß sie von schwerer, sehr ausge¬
dehnter, unsauberer Arbeit befreit werden sollte, wie dies schon in einigen Ge¬
genden Deutschlands üblich ist, ist sie, soweit sie nicht selbständig ist, in ein festes
Lehr- und Arbeitsverhältnis mit geregelter Beschäftigungszeit zu bringen und
in einer aufsteigenden Reihe von Spiel- und Sportvereinen über Jugend- und
Gehilfinnenvereine bis zu landwirtschaftlichen Hausfrauenvereinen zu organisieren,
um Verufsgesinnung zu wecken. Es liegt auf der Hand, daß ein Zusammen-
schlusz der Hausfrauen, der möglichst weite Kreise umfaßt, einen gewissen Höhe-
Punkt der Entwicklung bedeutet, wenn er in Anlehnung an die landwirtschaftlichen
Vereine erfolgt, denn von hieraus führt der Weg zum genossenschaftlichen Zu¬
sammenschluß und zur Standesvertretung, die ja heute im Nätesystem ihre
Krönung findet. Ist die kulturelle und berusständige Hebung der wewlichen
Landbewohner ein Mittel zur Überwindung der Landflucht, so ist eine psychische
Bindung an die Scholle durch Eigenbesitz ein anderes, noch wirksameres. Neben
Erziehung und Organisation muß demnach die Gelegenheit zum landwirtschaft¬
lichen Eigenbetrieb und zur Betätigung auf eigener Erde gefördert werden. Daß
schließlich auch eine gesunde Wohnungspolitik und Wohlfahrtspflege empfehlens¬
werte Maßnahmen sind, die namentlich auf reife Frauen Eindruck macheu, bedarf
kaum der Erwähnung.

Wie ersichtlich, wird das Heilmittel gegen die verbreitete Unzufriedenheit
wie bei der Jndustriearbeiteriu, so auch bei der Landnrbeiterin in einer vertieften
Auffassung von Beruf und Leben gesucht, aber die notwendige Voraussetzung ist
eine materielle und ideelle Gestaltung des Lebens, die eine freiere Entfaltung der
Persönlichkeit ermöglicht, als sie bisher für den Durchschnitt zu erreichen war.
Beseitigung der Mängel der Frauenarbeit, die im wesentlichen durch unzulängliche
Ausbildung bedingt sind, und der Hemmungen aller Art, mit denen die Frau zu
kämpfen hat, ist auch hier die Forderung, die um so schwerer ins Gewicht fallt,
als die Landwirtschaft der Frau dringend bedarf, und diese auch tatsächlich die
absolut größte Zahl der arbeitenden Frauen aufnimmt.



») Verlag von Paul Pareo, Berlin. 1913. Geb. 17 M.
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[0123] Ein Bericht über Frauenbestrebungen der Gegenwart so geschieht es nicht um emanzipierter, frauenrechtlerischer Zielsetzungen willen, sondern um der Emanzipation entgegenzuwirken. Die Fortbildungsschule, die berufliche Bildung der Frau, wird auch von männlicher Seite gewünscht. Erst kürzlich hat der während des Krieges als stellvertretender Präsident des Kriegs¬ ernährungsamtes tätige Friedrich Edler von Braun in seinen einleitenden Worten zu dem von ihm und Professor Dr. H. Date herausgegebenen ausgezeichneten Werk „Die Arbeitsziele der deutschen Landwirtschaft nach dem Kriege" °) betont, daß im Kriege trotz aller bewundernswerter Leistungen der Landfrauen ihre un¬ zulängliche Vorbildung sich unliebsam bemerkbar machte. Wenn nun gewiß nicht die Ausbildung der Frau im Hinblick auf einen möglichen Krieg erfolgen soll, so ist doch die Bauernwirtschaft auch in Friedenszeiten so sehr auf die ständige Mit¬ arbeit der Frau, ja häusig auch auf selbständige Betriebsleitung seitens der Frau angewiesen, daß eine berufliche Ausbildung der Frau, insbesondere auch in An¬ betracht der mißlichen Lage der Landwirtschaft nach den schweren Kriegsjahren, durchaus zweckmäßig erscheint, v. Braun fordert dementsprechend landwirischaft- liche Berufsschulen, deren Besuch nicht nur der männlichen, sondern auch der weiblichen Jugend zur Pflicht gemacht werden muß. Man kann hier ferner neben anderen bereits bestehenden Bildungsmöglichkeiten für die Jugend an eine Vermehrung der ländlichen Volkshochschulen denken, die in Skandinavien zu hoher Blüte gelangt sind und bei uns hier und da Eingang gefunden haben. Für die Ehefrauen kommen kurzfristige Lchrkurse und Vorträge in Betracht. Als Grund¬ lage aller dieser Bildungsgelegenheiten wäre aber für die Kinder eine Ausge¬ staltung der Dorfschule nach Gesichtspunkten zu wünschen, die der ländlichen Um¬ gebung entnommen und geeignet sind, ihnen für die Natur und die Arbeit an ihr die Augen zu öffnen. Aber damit sind die Forderungen für die weibliche Land¬ bevölkerung nicht erschöpft. Abgesehen davon, daß sie von schwerer, sehr ausge¬ dehnter, unsauberer Arbeit befreit werden sollte, wie dies schon in einigen Ge¬ genden Deutschlands üblich ist, ist sie, soweit sie nicht selbständig ist, in ein festes Lehr- und Arbeitsverhältnis mit geregelter Beschäftigungszeit zu bringen und in einer aufsteigenden Reihe von Spiel- und Sportvereinen über Jugend- und Gehilfinnenvereine bis zu landwirtschaftlichen Hausfrauenvereinen zu organisieren, um Verufsgesinnung zu wecken. Es liegt auf der Hand, daß ein Zusammen- schlusz der Hausfrauen, der möglichst weite Kreise umfaßt, einen gewissen Höhe- Punkt der Entwicklung bedeutet, wenn er in Anlehnung an die landwirtschaftlichen Vereine erfolgt, denn von hieraus führt der Weg zum genossenschaftlichen Zu¬ sammenschluß und zur Standesvertretung, die ja heute im Nätesystem ihre Krönung findet. Ist die kulturelle und berusständige Hebung der wewlichen Landbewohner ein Mittel zur Überwindung der Landflucht, so ist eine psychische Bindung an die Scholle durch Eigenbesitz ein anderes, noch wirksameres. Neben Erziehung und Organisation muß demnach die Gelegenheit zum landwirtschaft¬ lichen Eigenbetrieb und zur Betätigung auf eigener Erde gefördert werden. Daß schließlich auch eine gesunde Wohnungspolitik und Wohlfahrtspflege empfehlens¬ werte Maßnahmen sind, die namentlich auf reife Frauen Eindruck macheu, bedarf kaum der Erwähnung. Wie ersichtlich, wird das Heilmittel gegen die verbreitete Unzufriedenheit wie bei der Jndustriearbeiteriu, so auch bei der Landnrbeiterin in einer vertieften Auffassung von Beruf und Leben gesucht, aber die notwendige Voraussetzung ist eine materielle und ideelle Gestaltung des Lebens, die eine freiere Entfaltung der Persönlichkeit ermöglicht, als sie bisher für den Durchschnitt zu erreichen war. Beseitigung der Mängel der Frauenarbeit, die im wesentlichen durch unzulängliche Ausbildung bedingt sind, und der Hemmungen aller Art, mit denen die Frau zu kämpfen hat, ist auch hier die Forderung, die um so schwerer ins Gewicht fallt, als die Landwirtschaft der Frau dringend bedarf, und diese auch tatsächlich die absolut größte Zahl der arbeitenden Frauen aufnimmt. ») Verlag von Paul Pareo, Berlin. 1913. Geb. 17 M.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/123>, abgerufen am 01.09.2024.