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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Der Todesgang unserer Volkswirtschaft

baren Stoß erhalten. Hunderttausend" meiden die Arbeit, gehen ihr geflissentlich
aus dem Wege. Im Bergbau, im Verkehrsgewerbe, in der Metallindustrie, in
der Land- und Forstwirtschaft fehlt es an Arbeitern, während in den Großstädten
die Arbeitslosigkeit einen bedrohlichen Umfang annimmt. Trotzdem in den Land¬
kreisen Normallöhne festgesetzt worden sind, trotzdem die Landwirtschaft fast
überall unbegrenzt arbeiteraufnahmefähig ist, stauen sich die Massen in den
Großstädten, um nur nicht den Genuß der ErwerbslosNüfürsorge zu verlieren.
Dies ist auch nicht verwunderlich bei den hohen Unterstützungssätzen; werden doch
beispielsweise in Berlin täglich gezahlt für männliche Arbeitslose von 14 bis
16 Jahren 3 Mark, 16 bis 18 Jahren 4 Mark, 18 bis 20 Jahren 5,50 Mark, über
20 Jahre unverheiratet 7 Mark, verheiratet 8 Mark. Für weibliche Arbeitslose
stellen sich die Sätze wie folgt: Im Alter von 14 bis 16 Jahren 2,50 Mark,
16 bis 18 Jahren 3 Mark, 18 bis 20 Jahren 4 Mark, über 20 Jahre 5 Mark.
Die Familienzuschläge betragen für die Ehefrau 1,50 Mark, für jedes Kind
1,25 Mark. Die Zahl der Arbeitslosen in Gvoß-Berlin belief sich am
14. Januar 1919 auf 168 720. Bei einem durchschnittliche" Satz von 5 Mark
hat also Groß-Berlin allein an Erwerbslosenunterstützung an diesem Tage rund
843 000 Mark aufbringen müssen. Für die Großstadtklebervi spricht noch ein
weiteres Moment. Die entlassenen Soldaten halten sich vielfach nach ihrer
Entlassung noch in den Garnisonstädten auf, zum großen Teil auf Kosten der
Militärkasse.

Hier sind die Keimzellen des Bolschewismus, der uns in den Abgrund
führt. Nicht arbeiten, produzieren, lautet die Parole, sondern Verkürzung der
Arbeitszeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Löhne, und zwar in einem Grade, der
die Vernichtung unserer 'Industrie bedeutet. Daneben geht eine Streitbewegung
durch das ganze Land in einem Moment, wo die wirtschaftliche Betätigung not¬
wendiger ist, als je zuvor. Arbeitseinstellungen, wahnsinnige Lohnforderungen,
Demonstrationen sind an der Tagesordnung. Ist das Sozialismus? Sozialismus
heißt Arbeit, so verkünden es seine Anhänger, in Wirklichkeit verlieren sie sich
aber vielfach in einer skrupelloser Wirtschaftsanarchie. In Anbetracht des
heutigen psychologischen Zustandes eines großen Teils unserer Arbeiterschaft ist
wenig Hoffnung auf eine baldige Gesundung der Geister vorhanden. "Alle
Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will"; dieser Reim wird allerwärts
in Oberschlesien, im Ruhrrevier, in Berlin ohne jeglichen Grund nach bolsche¬
wistischer Methode in die Tat umgesetzt. Auf den Zechen des Ruhrgebietes
würden Löhne von 20 Mark pro Tag und ins Uferlose steigende Gratifikationen
verlangt und die Bewilligung dieser Forderungen durch Drohungen mit der
Zerstörung der Zechenanlagen zu erzwingen versucht. Eine Lohnerhöhung von
5 Mark pro Schicht wird aber bei der Harpener Bergbau-Aktien-Gesellschaft, bei
der im Geschäftsjahr 1917 965165 Schichten Verfahren wurden, einen Betrag
von 43 Millionen Mark erfordern. Der Reingewinn betrug indes bei dieser
Gesellschaft nur 13,8 Millionen Mark. In Oberschlesien erhielten die Arbeiter
Anfang November 1918 18,40 Mark Lohn, der inzwischen weiter gestiegen ist:
aus Anlaß des .Kriegsendes ist ans Drängen der Arbeiter hin jedem einzelnen, der
aus dem Felde zurückkam, oder seit dem 1. September 1918 auf der betreffenden
Grube beschäftigt war, ein einmaliges W!eihnachtsgeschenk bewilligt worden, und
zwar 150 Mark für verheiratete männliche Arbeiter, 100 Mark für unverheiratete
männliche Arbeiter über 18 Jahre und 30 Mark für die jugendlichen Arbeiter
von 14 bis 16 Jahren und für die weiblichen Arbeiter. Die dadurch entstehenden
Ausgaben beliefen sich aus etwa 25 Millionen Mark. Über die in diesem Bezirk
im Monat Dezember 1918 gestellte > Forderung ans leine einmalige Zulage von
800 Mark pro Kopf sollte noch verhandelt werden. Ob sich trotz etwaigen Nach¬
gebens die Gemüter beruhigen werden? Die neue Forderung von 30 Mark
pro Schichtlohn und die Androhung des Generalstreiks läßt jede Hoffnung
hierauf schwinden. Der mitteldeutsche Braunkohlenbergbau hatte bis zum
Oktober 1918 eine jährliche Lohnsumme von rund 100 Millionen Mark aufzu¬
bringen. Die Werke sollen aber neue Forderungen bewilligen, die diese Summe


Der Todesgang unserer Volkswirtschaft

baren Stoß erhalten. Hunderttausend« meiden die Arbeit, gehen ihr geflissentlich
aus dem Wege. Im Bergbau, im Verkehrsgewerbe, in der Metallindustrie, in
der Land- und Forstwirtschaft fehlt es an Arbeitern, während in den Großstädten
die Arbeitslosigkeit einen bedrohlichen Umfang annimmt. Trotzdem in den Land¬
kreisen Normallöhne festgesetzt worden sind, trotzdem die Landwirtschaft fast
überall unbegrenzt arbeiteraufnahmefähig ist, stauen sich die Massen in den
Großstädten, um nur nicht den Genuß der ErwerbslosNüfürsorge zu verlieren.
Dies ist auch nicht verwunderlich bei den hohen Unterstützungssätzen; werden doch
beispielsweise in Berlin täglich gezahlt für männliche Arbeitslose von 14 bis
16 Jahren 3 Mark, 16 bis 18 Jahren 4 Mark, 18 bis 20 Jahren 5,50 Mark, über
20 Jahre unverheiratet 7 Mark, verheiratet 8 Mark. Für weibliche Arbeitslose
stellen sich die Sätze wie folgt: Im Alter von 14 bis 16 Jahren 2,50 Mark,
16 bis 18 Jahren 3 Mark, 18 bis 20 Jahren 4 Mark, über 20 Jahre 5 Mark.
Die Familienzuschläge betragen für die Ehefrau 1,50 Mark, für jedes Kind
1,25 Mark. Die Zahl der Arbeitslosen in Gvoß-Berlin belief sich am
14. Januar 1919 auf 168 720. Bei einem durchschnittliche« Satz von 5 Mark
hat also Groß-Berlin allein an Erwerbslosenunterstützung an diesem Tage rund
843 000 Mark aufbringen müssen. Für die Großstadtklebervi spricht noch ein
weiteres Moment. Die entlassenen Soldaten halten sich vielfach nach ihrer
Entlassung noch in den Garnisonstädten auf, zum großen Teil auf Kosten der
Militärkasse.

Hier sind die Keimzellen des Bolschewismus, der uns in den Abgrund
führt. Nicht arbeiten, produzieren, lautet die Parole, sondern Verkürzung der
Arbeitszeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Löhne, und zwar in einem Grade, der
die Vernichtung unserer 'Industrie bedeutet. Daneben geht eine Streitbewegung
durch das ganze Land in einem Moment, wo die wirtschaftliche Betätigung not¬
wendiger ist, als je zuvor. Arbeitseinstellungen, wahnsinnige Lohnforderungen,
Demonstrationen sind an der Tagesordnung. Ist das Sozialismus? Sozialismus
heißt Arbeit, so verkünden es seine Anhänger, in Wirklichkeit verlieren sie sich
aber vielfach in einer skrupelloser Wirtschaftsanarchie. In Anbetracht des
heutigen psychologischen Zustandes eines großen Teils unserer Arbeiterschaft ist
wenig Hoffnung auf eine baldige Gesundung der Geister vorhanden. „Alle
Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will"; dieser Reim wird allerwärts
in Oberschlesien, im Ruhrrevier, in Berlin ohne jeglichen Grund nach bolsche¬
wistischer Methode in die Tat umgesetzt. Auf den Zechen des Ruhrgebietes
würden Löhne von 20 Mark pro Tag und ins Uferlose steigende Gratifikationen
verlangt und die Bewilligung dieser Forderungen durch Drohungen mit der
Zerstörung der Zechenanlagen zu erzwingen versucht. Eine Lohnerhöhung von
5 Mark pro Schicht wird aber bei der Harpener Bergbau-Aktien-Gesellschaft, bei
der im Geschäftsjahr 1917 965165 Schichten Verfahren wurden, einen Betrag
von 43 Millionen Mark erfordern. Der Reingewinn betrug indes bei dieser
Gesellschaft nur 13,8 Millionen Mark. In Oberschlesien erhielten die Arbeiter
Anfang November 1918 18,40 Mark Lohn, der inzwischen weiter gestiegen ist:
aus Anlaß des .Kriegsendes ist ans Drängen der Arbeiter hin jedem einzelnen, der
aus dem Felde zurückkam, oder seit dem 1. September 1918 auf der betreffenden
Grube beschäftigt war, ein einmaliges W!eihnachtsgeschenk bewilligt worden, und
zwar 150 Mark für verheiratete männliche Arbeiter, 100 Mark für unverheiratete
männliche Arbeiter über 18 Jahre und 30 Mark für die jugendlichen Arbeiter
von 14 bis 16 Jahren und für die weiblichen Arbeiter. Die dadurch entstehenden
Ausgaben beliefen sich aus etwa 25 Millionen Mark. Über die in diesem Bezirk
im Monat Dezember 1918 gestellte > Forderung ans leine einmalige Zulage von
800 Mark pro Kopf sollte noch verhandelt werden. Ob sich trotz etwaigen Nach¬
gebens die Gemüter beruhigen werden? Die neue Forderung von 30 Mark
pro Schichtlohn und die Androhung des Generalstreiks läßt jede Hoffnung
hierauf schwinden. Der mitteldeutsche Braunkohlenbergbau hatte bis zum
Oktober 1918 eine jährliche Lohnsumme von rund 100 Millionen Mark aufzu¬
bringen. Die Werke sollen aber neue Forderungen bewilligen, die diese Summe


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[0080] Der Todesgang unserer Volkswirtschaft baren Stoß erhalten. Hunderttausend« meiden die Arbeit, gehen ihr geflissentlich aus dem Wege. Im Bergbau, im Verkehrsgewerbe, in der Metallindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft fehlt es an Arbeitern, während in den Großstädten die Arbeitslosigkeit einen bedrohlichen Umfang annimmt. Trotzdem in den Land¬ kreisen Normallöhne festgesetzt worden sind, trotzdem die Landwirtschaft fast überall unbegrenzt arbeiteraufnahmefähig ist, stauen sich die Massen in den Großstädten, um nur nicht den Genuß der ErwerbslosNüfürsorge zu verlieren. Dies ist auch nicht verwunderlich bei den hohen Unterstützungssätzen; werden doch beispielsweise in Berlin täglich gezahlt für männliche Arbeitslose von 14 bis 16 Jahren 3 Mark, 16 bis 18 Jahren 4 Mark, 18 bis 20 Jahren 5,50 Mark, über 20 Jahre unverheiratet 7 Mark, verheiratet 8 Mark. Für weibliche Arbeitslose stellen sich die Sätze wie folgt: Im Alter von 14 bis 16 Jahren 2,50 Mark, 16 bis 18 Jahren 3 Mark, 18 bis 20 Jahren 4 Mark, über 20 Jahre 5 Mark. Die Familienzuschläge betragen für die Ehefrau 1,50 Mark, für jedes Kind 1,25 Mark. Die Zahl der Arbeitslosen in Gvoß-Berlin belief sich am 14. Januar 1919 auf 168 720. Bei einem durchschnittliche« Satz von 5 Mark hat also Groß-Berlin allein an Erwerbslosenunterstützung an diesem Tage rund 843 000 Mark aufbringen müssen. Für die Großstadtklebervi spricht noch ein weiteres Moment. Die entlassenen Soldaten halten sich vielfach nach ihrer Entlassung noch in den Garnisonstädten auf, zum großen Teil auf Kosten der Militärkasse. Hier sind die Keimzellen des Bolschewismus, der uns in den Abgrund führt. Nicht arbeiten, produzieren, lautet die Parole, sondern Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Löhne, und zwar in einem Grade, der die Vernichtung unserer 'Industrie bedeutet. Daneben geht eine Streitbewegung durch das ganze Land in einem Moment, wo die wirtschaftliche Betätigung not¬ wendiger ist, als je zuvor. Arbeitseinstellungen, wahnsinnige Lohnforderungen, Demonstrationen sind an der Tagesordnung. Ist das Sozialismus? Sozialismus heißt Arbeit, so verkünden es seine Anhänger, in Wirklichkeit verlieren sie sich aber vielfach in einer skrupelloser Wirtschaftsanarchie. In Anbetracht des heutigen psychologischen Zustandes eines großen Teils unserer Arbeiterschaft ist wenig Hoffnung auf eine baldige Gesundung der Geister vorhanden. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will"; dieser Reim wird allerwärts in Oberschlesien, im Ruhrrevier, in Berlin ohne jeglichen Grund nach bolsche¬ wistischer Methode in die Tat umgesetzt. Auf den Zechen des Ruhrgebietes würden Löhne von 20 Mark pro Tag und ins Uferlose steigende Gratifikationen verlangt und die Bewilligung dieser Forderungen durch Drohungen mit der Zerstörung der Zechenanlagen zu erzwingen versucht. Eine Lohnerhöhung von 5 Mark pro Schicht wird aber bei der Harpener Bergbau-Aktien-Gesellschaft, bei der im Geschäftsjahr 1917 965165 Schichten Verfahren wurden, einen Betrag von 43 Millionen Mark erfordern. Der Reingewinn betrug indes bei dieser Gesellschaft nur 13,8 Millionen Mark. In Oberschlesien erhielten die Arbeiter Anfang November 1918 18,40 Mark Lohn, der inzwischen weiter gestiegen ist: aus Anlaß des .Kriegsendes ist ans Drängen der Arbeiter hin jedem einzelnen, der aus dem Felde zurückkam, oder seit dem 1. September 1918 auf der betreffenden Grube beschäftigt war, ein einmaliges W!eihnachtsgeschenk bewilligt worden, und zwar 150 Mark für verheiratete männliche Arbeiter, 100 Mark für unverheiratete männliche Arbeiter über 18 Jahre und 30 Mark für die jugendlichen Arbeiter von 14 bis 16 Jahren und für die weiblichen Arbeiter. Die dadurch entstehenden Ausgaben beliefen sich aus etwa 25 Millionen Mark. Über die in diesem Bezirk im Monat Dezember 1918 gestellte > Forderung ans leine einmalige Zulage von 800 Mark pro Kopf sollte noch verhandelt werden. Ob sich trotz etwaigen Nach¬ gebens die Gemüter beruhigen werden? Die neue Forderung von 30 Mark pro Schichtlohn und die Androhung des Generalstreiks läßt jede Hoffnung hierauf schwinden. Der mitteldeutsche Braunkohlenbergbau hatte bis zum Oktober 1918 eine jährliche Lohnsumme von rund 100 Millionen Mark aufzu¬ bringen. Die Werke sollen aber neue Forderungen bewilligen, die diese Summe

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/80>, abgerufen am 06.02.2025.