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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Der Anmarsch des Lolschewismus und der deutsche Osten

Truppen die Abwehr der Bolschewiken verlangt und Deutschland sogar für alle
Schäden verantwortlich gemacht hat, die für Leben und Eigentum der Bewohner
des Baltikums aus einem Mißlingen dieser Abwehraktiön erwachsen könnten.
Es ist freilich nicht zu verkennen, daß England hier wieder in seine altbewährte
Methode zurückverfällt, für seine eigenen Interessen anderer Leute Haut und
Knochen zu Markte zu tragen. Während ihm die Rücksicht auf seine oppositionelle
Arbeiterschaft es zu verbieten scheint, die pomphaft angekündigten Aktionen gegen
den Bolschewismus selber ins Werk zu setzen, schiebt'es uns als Prellblock vor.
Die ganze Angelegenheit ist soeben der Zuständigkeit Winnigs entzogen und in
die Hände der Waffenstillstandskommission gelegt worden. Wir wollen wenigstens
hoffen, daß mit diesem Wechsel des Sachwalters der deutschen Interessen die
deutsche Sache selber nicht Schaden leide, denn das versöhnt uns in diesem Falle
in einigem Maße mit dem englischen Borgehen, das ohne Zweifel der deutschen
Würde durch seine Form recht harte Zumutungen stellt, daß die Abwehr des
Bolschewismus eine Angelegenheit ist, in der englische und deutsche Interessen
parallel lausen."

Die "Vossische Zeitung, deren Ostpolitik ich vor einigen Monaten in den
"Grenzboten" scharf kritisiert Habe, hat das Verdienst, nunmehr am deutlichsten
von den großen deutschen Blättern die Gefahr erkannt zu haben, die die neue
Wendung im Osten gleichermaßen dem Bestände des gegenwärtigen Regimes wie
überhaupt der weltpolitischen Stellung unseres hartgetroffenen Vaterlandes
bringt. Schon zu Beginn des Krieges habe ich hier den Standpunkt vertreten,
daß die Anteilnahme" am Geschicke unserer deutschen Volksgenossen in den
baltischen Landen eine von uns schwer vernachlässigte Ehrenpflicht des deutschen
Volkes sei, deren Mir uns auch als nüchterne Weltpolitiker nicht zu schämen
brauchen. Die "Grenzboten" sind immer jenem aufgeblasenen Jnternatwnalis--
mus einer gewissen Sorte kaltschnäuziger Demokraten entgegengetreten, wie er
z. B. auch aus einer Äußerung des Ministerialdirektors von Gerlach spricht, der
sich über die Polenfrage in Posen mit einer überaus billigen Souveränität
hinwegsetzt. Zuerst, so hat sich Gerlach kürzlich geäußert, käme ihm die
Demokratie und dann erst das Deutschtum, und ein anderer "führender"
Politiker aus den Kreisen der Mosse-Wolfs-Partei hat es gegenüber einem
Anwalt der Interessen des ostmärkischen Deutschtums kühlpfeifend ausgesprochen,
man werde sich doch nicht um ein paar hunderttausend Ostmarkdeutscher willen
die großen Kreise seiner Weltpolitik stören lassen. Diesem politischen
Rationalismus gegenüber haben wir alle Zeit 'die Überzeugung vertreten, daß
die Solidarität des Blutes zu jenen politischen Grundtatsachen gehört, an denen
den Starrsinn unserer Jnternationlalliberalen um Theodor Wolfs und
Konsorten vergebens rütteln werden. Andererseits aber haben auch wir in der
baltischen Frage von vornherein anerkannt, daß die nationale Ehrenpflicht nicht
in nationalistische Gefühlspolitik .ausarten dürfe, sondern mit den gemeindeutschen
Löbensnotwendigkeiten auch unter schweren Verzichten auf Gemütsgüter in Ein¬
klang gebracht werden müsse. Keineswegs also aus jenem verwerflichen neunmal¬
gescheiten Doktrinarismus, sondern blutenden Herzens und im Bewußtsein eines
demütigender Verzichtes müssen wir heute zugestehen, daß wir für das deutsch¬
baltische Sonderinteresse kaum mehr mit nennenswertem Nachdrucke eintreten
können, da wir ja nicht einmal mehr imstande sind, den alten Bestand des
Reiches, das Werk Bismarcks, zu retten.

Wie sehr hat man uns verketzert, als wir im Eintreten für die deutsche
Machtstellung im Osten, die allerdings -- das "Berliner Tageblatt" dachte:
"leider" -- auch den baltischen Baronen zugute kam, in erster Linie reichsdeutsche
Interessen vertraten. Nicht unsere unzweifelhaften Fehler in der Ostpolitik, die
ich hier schon vor Monaten offen bekämpft habe, sondern unser militärischer
Zusammenbruch im Westen und die Revolution im Innern haben uns in die
traurige Lage versetzt, die Anglisierung des Baltikums seiner Bolschewisierung
immerhin noch vorziehen zu müssen. Denn die bolschewistische Welle bedroht
nicht nur die deutsch-baltische Kultur, deren Krisis sich mit der deutschen Nieder-


Der Anmarsch des Lolschewismus und der deutsche Osten

Truppen die Abwehr der Bolschewiken verlangt und Deutschland sogar für alle
Schäden verantwortlich gemacht hat, die für Leben und Eigentum der Bewohner
des Baltikums aus einem Mißlingen dieser Abwehraktiön erwachsen könnten.
Es ist freilich nicht zu verkennen, daß England hier wieder in seine altbewährte
Methode zurückverfällt, für seine eigenen Interessen anderer Leute Haut und
Knochen zu Markte zu tragen. Während ihm die Rücksicht auf seine oppositionelle
Arbeiterschaft es zu verbieten scheint, die pomphaft angekündigten Aktionen gegen
den Bolschewismus selber ins Werk zu setzen, schiebt'es uns als Prellblock vor.
Die ganze Angelegenheit ist soeben der Zuständigkeit Winnigs entzogen und in
die Hände der Waffenstillstandskommission gelegt worden. Wir wollen wenigstens
hoffen, daß mit diesem Wechsel des Sachwalters der deutschen Interessen die
deutsche Sache selber nicht Schaden leide, denn das versöhnt uns in diesem Falle
in einigem Maße mit dem englischen Borgehen, das ohne Zweifel der deutschen
Würde durch seine Form recht harte Zumutungen stellt, daß die Abwehr des
Bolschewismus eine Angelegenheit ist, in der englische und deutsche Interessen
parallel lausen."

Die „Vossische Zeitung, deren Ostpolitik ich vor einigen Monaten in den
„Grenzboten" scharf kritisiert Habe, hat das Verdienst, nunmehr am deutlichsten
von den großen deutschen Blättern die Gefahr erkannt zu haben, die die neue
Wendung im Osten gleichermaßen dem Bestände des gegenwärtigen Regimes wie
überhaupt der weltpolitischen Stellung unseres hartgetroffenen Vaterlandes
bringt. Schon zu Beginn des Krieges habe ich hier den Standpunkt vertreten,
daß die Anteilnahme" am Geschicke unserer deutschen Volksgenossen in den
baltischen Landen eine von uns schwer vernachlässigte Ehrenpflicht des deutschen
Volkes sei, deren Mir uns auch als nüchterne Weltpolitiker nicht zu schämen
brauchen. Die „Grenzboten" sind immer jenem aufgeblasenen Jnternatwnalis--
mus einer gewissen Sorte kaltschnäuziger Demokraten entgegengetreten, wie er
z. B. auch aus einer Äußerung des Ministerialdirektors von Gerlach spricht, der
sich über die Polenfrage in Posen mit einer überaus billigen Souveränität
hinwegsetzt. Zuerst, so hat sich Gerlach kürzlich geäußert, käme ihm die
Demokratie und dann erst das Deutschtum, und ein anderer „führender"
Politiker aus den Kreisen der Mosse-Wolfs-Partei hat es gegenüber einem
Anwalt der Interessen des ostmärkischen Deutschtums kühlpfeifend ausgesprochen,
man werde sich doch nicht um ein paar hunderttausend Ostmarkdeutscher willen
die großen Kreise seiner Weltpolitik stören lassen. Diesem politischen
Rationalismus gegenüber haben wir alle Zeit 'die Überzeugung vertreten, daß
die Solidarität des Blutes zu jenen politischen Grundtatsachen gehört, an denen
den Starrsinn unserer Jnternationlalliberalen um Theodor Wolfs und
Konsorten vergebens rütteln werden. Andererseits aber haben auch wir in der
baltischen Frage von vornherein anerkannt, daß die nationale Ehrenpflicht nicht
in nationalistische Gefühlspolitik .ausarten dürfe, sondern mit den gemeindeutschen
Löbensnotwendigkeiten auch unter schweren Verzichten auf Gemütsgüter in Ein¬
klang gebracht werden müsse. Keineswegs also aus jenem verwerflichen neunmal¬
gescheiten Doktrinarismus, sondern blutenden Herzens und im Bewußtsein eines
demütigender Verzichtes müssen wir heute zugestehen, daß wir für das deutsch¬
baltische Sonderinteresse kaum mehr mit nennenswertem Nachdrucke eintreten
können, da wir ja nicht einmal mehr imstande sind, den alten Bestand des
Reiches, das Werk Bismarcks, zu retten.

Wie sehr hat man uns verketzert, als wir im Eintreten für die deutsche
Machtstellung im Osten, die allerdings — das „Berliner Tageblatt" dachte:
„leider" — auch den baltischen Baronen zugute kam, in erster Linie reichsdeutsche
Interessen vertraten. Nicht unsere unzweifelhaften Fehler in der Ostpolitik, die
ich hier schon vor Monaten offen bekämpft habe, sondern unser militärischer
Zusammenbruch im Westen und die Revolution im Innern haben uns in die
traurige Lage versetzt, die Anglisierung des Baltikums seiner Bolschewisierung
immerhin noch vorziehen zu müssen. Denn die bolschewistische Welle bedroht
nicht nur die deutsch-baltische Kultur, deren Krisis sich mit der deutschen Nieder-


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[0058] Der Anmarsch des Lolschewismus und der deutsche Osten Truppen die Abwehr der Bolschewiken verlangt und Deutschland sogar für alle Schäden verantwortlich gemacht hat, die für Leben und Eigentum der Bewohner des Baltikums aus einem Mißlingen dieser Abwehraktiön erwachsen könnten. Es ist freilich nicht zu verkennen, daß England hier wieder in seine altbewährte Methode zurückverfällt, für seine eigenen Interessen anderer Leute Haut und Knochen zu Markte zu tragen. Während ihm die Rücksicht auf seine oppositionelle Arbeiterschaft es zu verbieten scheint, die pomphaft angekündigten Aktionen gegen den Bolschewismus selber ins Werk zu setzen, schiebt'es uns als Prellblock vor. Die ganze Angelegenheit ist soeben der Zuständigkeit Winnigs entzogen und in die Hände der Waffenstillstandskommission gelegt worden. Wir wollen wenigstens hoffen, daß mit diesem Wechsel des Sachwalters der deutschen Interessen die deutsche Sache selber nicht Schaden leide, denn das versöhnt uns in diesem Falle in einigem Maße mit dem englischen Borgehen, das ohne Zweifel der deutschen Würde durch seine Form recht harte Zumutungen stellt, daß die Abwehr des Bolschewismus eine Angelegenheit ist, in der englische und deutsche Interessen parallel lausen." Die „Vossische Zeitung, deren Ostpolitik ich vor einigen Monaten in den „Grenzboten" scharf kritisiert Habe, hat das Verdienst, nunmehr am deutlichsten von den großen deutschen Blättern die Gefahr erkannt zu haben, die die neue Wendung im Osten gleichermaßen dem Bestände des gegenwärtigen Regimes wie überhaupt der weltpolitischen Stellung unseres hartgetroffenen Vaterlandes bringt. Schon zu Beginn des Krieges habe ich hier den Standpunkt vertreten, daß die Anteilnahme" am Geschicke unserer deutschen Volksgenossen in den baltischen Landen eine von uns schwer vernachlässigte Ehrenpflicht des deutschen Volkes sei, deren Mir uns auch als nüchterne Weltpolitiker nicht zu schämen brauchen. Die „Grenzboten" sind immer jenem aufgeblasenen Jnternatwnalis-- mus einer gewissen Sorte kaltschnäuziger Demokraten entgegengetreten, wie er z. B. auch aus einer Äußerung des Ministerialdirektors von Gerlach spricht, der sich über die Polenfrage in Posen mit einer überaus billigen Souveränität hinwegsetzt. Zuerst, so hat sich Gerlach kürzlich geäußert, käme ihm die Demokratie und dann erst das Deutschtum, und ein anderer „führender" Politiker aus den Kreisen der Mosse-Wolfs-Partei hat es gegenüber einem Anwalt der Interessen des ostmärkischen Deutschtums kühlpfeifend ausgesprochen, man werde sich doch nicht um ein paar hunderttausend Ostmarkdeutscher willen die großen Kreise seiner Weltpolitik stören lassen. Diesem politischen Rationalismus gegenüber haben wir alle Zeit 'die Überzeugung vertreten, daß die Solidarität des Blutes zu jenen politischen Grundtatsachen gehört, an denen den Starrsinn unserer Jnternationlalliberalen um Theodor Wolfs und Konsorten vergebens rütteln werden. Andererseits aber haben auch wir in der baltischen Frage von vornherein anerkannt, daß die nationale Ehrenpflicht nicht in nationalistische Gefühlspolitik .ausarten dürfe, sondern mit den gemeindeutschen Löbensnotwendigkeiten auch unter schweren Verzichten auf Gemütsgüter in Ein¬ klang gebracht werden müsse. Keineswegs also aus jenem verwerflichen neunmal¬ gescheiten Doktrinarismus, sondern blutenden Herzens und im Bewußtsein eines demütigender Verzichtes müssen wir heute zugestehen, daß wir für das deutsch¬ baltische Sonderinteresse kaum mehr mit nennenswertem Nachdrucke eintreten können, da wir ja nicht einmal mehr imstande sind, den alten Bestand des Reiches, das Werk Bismarcks, zu retten. Wie sehr hat man uns verketzert, als wir im Eintreten für die deutsche Machtstellung im Osten, die allerdings — das „Berliner Tageblatt" dachte: „leider" — auch den baltischen Baronen zugute kam, in erster Linie reichsdeutsche Interessen vertraten. Nicht unsere unzweifelhaften Fehler in der Ostpolitik, die ich hier schon vor Monaten offen bekämpft habe, sondern unser militärischer Zusammenbruch im Westen und die Revolution im Innern haben uns in die traurige Lage versetzt, die Anglisierung des Baltikums seiner Bolschewisierung immerhin noch vorziehen zu müssen. Denn die bolschewistische Welle bedroht nicht nur die deutsch-baltische Kultur, deren Krisis sich mit der deutschen Nieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/58>, abgerufen am 05.02.2025.