Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Der Anmarsch des Lolschewismns und der deutsche Osten Unterdrücker ihrer nationalen Selbständigkeitspläne geflohen hatten, begannen Eine besondere Verwicklung erfuhr diese Lage noch durch das Verhalten Durch Zeitungsmeldungen ist allgemein bekannt, daß englische Kriegs GrmM'ten I t9I9 ^
Der Anmarsch des Lolschewismns und der deutsche Osten Unterdrücker ihrer nationalen Selbständigkeitspläne geflohen hatten, begannen Eine besondere Verwicklung erfuhr diese Lage noch durch das Verhalten Durch Zeitungsmeldungen ist allgemein bekannt, daß englische Kriegs GrmM'ten I t9I9 ^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335239"/> <fw type="header" place="top"> Der Anmarsch des Lolschewismns und der deutsche Osten</fw><lb/> <p xml:id="ID_222" prev="#ID_221"> Unterdrücker ihrer nationalen Selbständigkeitspläne geflohen hatten, begannen<lb/> sich allmählich wieder darauf zu besinnen, baß gegenüber dem maximalistischen<lb/> Terror die oft recht drückende „-deutsche Ordnung" immer noch das kleinere Übel<lb/> sei. Den Augenblick dieser Einsicht, des Peinlichen Erwachens der allzu selbst¬<lb/> sicher gewordenen lettischen und chemischen Bourgeoisie hat August Wirrig sehr<lb/> geschickt benutzt, um eine ganze Reihe von Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.<lb/> Indem er eine aus Freiwilligen bestehende Eiserne Division schuf, in der deutsche<lb/> Truppen, Deutschbalten, Letten und Ehlen gemeinsam die Verteidigung der<lb/> baltischen Lande übernahmen, sicherte er zunächst den Rückzug der deutschen<lb/> Besatzungstruppen. Dieser an die Spitze gestellte Zweck legitimierte das ganze<lb/> Unternehmen in der öffentlichen Meinung Deutschlands, namentlich auch in den<lb/> sozialistischen Kreisen bis hart an die Grenze von «Spartakus. Ferner sollte diese<lb/> Abwehraktion uns davor bewahren, daß der Bolschewismus der Friedens¬<lb/> konferenz vorgreifend im Baltikum ein ^tit, aoooniM schaffe, das die letzten Neste<lb/> unserer Ostpolitik hinweg schwemmte. Gleichzeitig mußte eine solche Lösung im<lb/> Interesse der bürgerlichen Republiken Lettland und Estland sein, deren junger<lb/> Bestand durch den Ansturm des bolschewistischen Radikalismus tödlich bedroht<lb/> war. Auch die deutschbaltischen Interessen waren natürlich durch diese neue<lb/> „tartarische Invasion" aufs schwerste bedroht, auch für sie war Winnigs Eiserne<lb/> Diviision ein letzter Hoffnungsschimmer aus Rettung. Und schließlich hat auch<lb/> der gemäßigte Sozialismus, den Wirrig als Parteimann und als Vertreter des<lb/> gegenwärtigen deutschen Regimes gleichermaßen vertritt, alles Interesse daran,<lb/> eine außenpolitische Erstarkung der Sowjetrepublik und ein Heranrücken ihrer<lb/> Machtsphäre an die Tore von Ostpreußen,zu verhindern. Bedenkt man dazu noch<lb/> die finanztechnisch glückliche Lösung, daß diese Eiserne Division zum großen Teile<lb/> aus baltischen Landesmitteln bestritten wird, und daß die Hilfeleistung deutscher<lb/> Soldaten der keineswegs deutschfreundlichen lettischen Regierung das Zu¬<lb/> geständnis entlockt hat, den Mitkämpfern Siedelungsland und volle staatsbürger¬<lb/> liche Gleichberechtigung im neuen Lettenstaate in sichere Aussicht zu stellen, so<lb/> können wir Wirrig das Zeugnis nicht versagen, daß er in weitblickender Weise<lb/> alle Chancen genutzt hat, die der wahrhaftig nicht glückliche Augenblick der<lb/> deutschen Sache noch irgend darbot.</p><lb/> <p xml:id="ID_223"> Eine besondere Verwicklung erfuhr diese Lage noch durch das Verhalten<lb/> Englands. Worauf ich in meinen Hadubert-Artikeln an dieser Stelle des öfteren<lb/> warnend hingewiesen habe, ist nunmehr eingetreten. England benutzt die deutsche<lb/> Schwäche, um sich bestimmend in die baltische Politik einzumischen und damit der<lb/> deutschen Vorherrschaft in der Ostsee den Todesstoß zu versetzen. Immerhin ist<lb/> es nach Lage der Dinge verständlich, daß bei dem Versagen des deutschen Schutzes<lb/> nicht nur Letten und Ehlen, sondern auch die Deutsch-Ballen nach englischer Hilfe<lb/> ausschauten. Für das kühle staatsmännisck besonnene Verhalten der Engländer,<lb/> das sich in vorteilhaftester Weise von dem hysterischen Nationalismus der<lb/> Franzosen in Elsaß-Lothringen unterscheidet, ist ein Vorfall bezeichnend, der sich<lb/> nach Zeitungsmeldungen im Hafen von Libau abgespielt hat. Als ein Schiff mit<lb/> keltischer Flagge dort dem Engländer entgegenfuhr, fragte dieser erstaunt hinüber,<lb/> was das für eine seltsame Flagge sei. Auf die stolze Antwort: „Die lettische",<lb/> kam prompt die Antwort zurück: „Kennen wir nicht, herunterholen." Als sodann<lb/> auf dem englischen Schiffe eine Unterredung zwischen dem englischen Komman¬<lb/> danten und den Vertretern der stolzen lettischen Republik stattfand, die ein wenig<lb/> die Gefühle eines begossener Pudels in sich empfunden haben mögen, wurde<lb/> ihnen beim Abschied vom Engländer der väterlich-überlegene Rat erteilt, das<lb/> nächste Mal mochten sie ruhig einige Deutschbalten mitbringen, er, der Herr<lb/> Admiral, würde sehr gern auch mit Deutschbalten verhandeln. .¬</p><lb/> <p xml:id="ID_224" next="#ID_225"> Durch Zeitungsmeldungen ist allgemein bekannt, daß englische Kriegs<lb/> schiffe im Hafen von Riga das Vorgehen der Landeswehr gegen bolschewistisch<lb/> verseuchte lettische Meuterer wenigstens bis zu einem gewissen Grade unterstützt<lb/> haben und daß in dem neu entflammten Kampfe England gegen den Bolschewis¬<lb/> mus dadurch Partei ergriffen hat, daß es in recht schroffer Weise von den deutschen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> GrmM'ten I t9I9 ^</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Der Anmarsch des Lolschewismns und der deutsche Osten
Unterdrücker ihrer nationalen Selbständigkeitspläne geflohen hatten, begannen
sich allmählich wieder darauf zu besinnen, baß gegenüber dem maximalistischen
Terror die oft recht drückende „-deutsche Ordnung" immer noch das kleinere Übel
sei. Den Augenblick dieser Einsicht, des Peinlichen Erwachens der allzu selbst¬
sicher gewordenen lettischen und chemischen Bourgeoisie hat August Wirrig sehr
geschickt benutzt, um eine ganze Reihe von Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Indem er eine aus Freiwilligen bestehende Eiserne Division schuf, in der deutsche
Truppen, Deutschbalten, Letten und Ehlen gemeinsam die Verteidigung der
baltischen Lande übernahmen, sicherte er zunächst den Rückzug der deutschen
Besatzungstruppen. Dieser an die Spitze gestellte Zweck legitimierte das ganze
Unternehmen in der öffentlichen Meinung Deutschlands, namentlich auch in den
sozialistischen Kreisen bis hart an die Grenze von «Spartakus. Ferner sollte diese
Abwehraktion uns davor bewahren, daß der Bolschewismus der Friedens¬
konferenz vorgreifend im Baltikum ein ^tit, aoooniM schaffe, das die letzten Neste
unserer Ostpolitik hinweg schwemmte. Gleichzeitig mußte eine solche Lösung im
Interesse der bürgerlichen Republiken Lettland und Estland sein, deren junger
Bestand durch den Ansturm des bolschewistischen Radikalismus tödlich bedroht
war. Auch die deutschbaltischen Interessen waren natürlich durch diese neue
„tartarische Invasion" aufs schwerste bedroht, auch für sie war Winnigs Eiserne
Diviision ein letzter Hoffnungsschimmer aus Rettung. Und schließlich hat auch
der gemäßigte Sozialismus, den Wirrig als Parteimann und als Vertreter des
gegenwärtigen deutschen Regimes gleichermaßen vertritt, alles Interesse daran,
eine außenpolitische Erstarkung der Sowjetrepublik und ein Heranrücken ihrer
Machtsphäre an die Tore von Ostpreußen,zu verhindern. Bedenkt man dazu noch
die finanztechnisch glückliche Lösung, daß diese Eiserne Division zum großen Teile
aus baltischen Landesmitteln bestritten wird, und daß die Hilfeleistung deutscher
Soldaten der keineswegs deutschfreundlichen lettischen Regierung das Zu¬
geständnis entlockt hat, den Mitkämpfern Siedelungsland und volle staatsbürger¬
liche Gleichberechtigung im neuen Lettenstaate in sichere Aussicht zu stellen, so
können wir Wirrig das Zeugnis nicht versagen, daß er in weitblickender Weise
alle Chancen genutzt hat, die der wahrhaftig nicht glückliche Augenblick der
deutschen Sache noch irgend darbot.
Eine besondere Verwicklung erfuhr diese Lage noch durch das Verhalten
Englands. Worauf ich in meinen Hadubert-Artikeln an dieser Stelle des öfteren
warnend hingewiesen habe, ist nunmehr eingetreten. England benutzt die deutsche
Schwäche, um sich bestimmend in die baltische Politik einzumischen und damit der
deutschen Vorherrschaft in der Ostsee den Todesstoß zu versetzen. Immerhin ist
es nach Lage der Dinge verständlich, daß bei dem Versagen des deutschen Schutzes
nicht nur Letten und Ehlen, sondern auch die Deutsch-Ballen nach englischer Hilfe
ausschauten. Für das kühle staatsmännisck besonnene Verhalten der Engländer,
das sich in vorteilhaftester Weise von dem hysterischen Nationalismus der
Franzosen in Elsaß-Lothringen unterscheidet, ist ein Vorfall bezeichnend, der sich
nach Zeitungsmeldungen im Hafen von Libau abgespielt hat. Als ein Schiff mit
keltischer Flagge dort dem Engländer entgegenfuhr, fragte dieser erstaunt hinüber,
was das für eine seltsame Flagge sei. Auf die stolze Antwort: „Die lettische",
kam prompt die Antwort zurück: „Kennen wir nicht, herunterholen." Als sodann
auf dem englischen Schiffe eine Unterredung zwischen dem englischen Komman¬
danten und den Vertretern der stolzen lettischen Republik stattfand, die ein wenig
die Gefühle eines begossener Pudels in sich empfunden haben mögen, wurde
ihnen beim Abschied vom Engländer der väterlich-überlegene Rat erteilt, das
nächste Mal mochten sie ruhig einige Deutschbalten mitbringen, er, der Herr
Admiral, würde sehr gern auch mit Deutschbalten verhandeln. .¬
Durch Zeitungsmeldungen ist allgemein bekannt, daß englische Kriegs
schiffe im Hafen von Riga das Vorgehen der Landeswehr gegen bolschewistisch
verseuchte lettische Meuterer wenigstens bis zu einem gewissen Grade unterstützt
haben und daß in dem neu entflammten Kampfe England gegen den Bolschewis¬
mus dadurch Partei ergriffen hat, daß es in recht schroffer Weise von den deutschen
GrmM'ten I t9I9 ^
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