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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Holstein

Irdische hinaufführenden Ewigkeitsglauben, der aber ebenso allen geistigen,
künstlerischen, wissenschaftlichen und philosophischen Bestrebungen Weihe und
Adel geben muß, wie er auch der ideale Hintergrund alles nationalen und
politischen Strebens, wie aller Versöhnung der Völker sein muß. Der
Protestantismus aber verträgt keine starre, gesetzliche Regelung des Verhältnisses
von Christentum und Kultur, also auch nicht von Kirche und politischen Parteien.
Er erwartet vielmehr, daß im Spiel der freien Kräfte und Persönlichkeiten sich
eine solche Beziehung in individuell verschiedener Weise bei aller Kulturarbeit
wie bei allen Parteien aus ihrem eigenen innersten Lebensdrange heraus
durchsetzt.




Holstein

n dieser gärenden Zeit, in der so vieles nach Klärung verlangt, rü
der überall inner- und äußerpolitische und persönliche Schuldfragen
breit erörtert werden, ist altgewohnte politische Diskretion tief im
Kurse gesunken. Allerlei bis dahin streng geheime Archiv" öffnen
sich, politische Handlungen und politische Persönlichkeiten werden
durch überraschende Mitteilungen in eine neue Beleuchtung gerückt'.

Von diesem Schicksal nachträglicher Scheinwerferbestrahlung und politischer
Rvntgendurchleuchtuug bleiben auch Persönlichkeiten nicht bewahrt, die früher
ihre ganze Tätigkeit im Verborgenen auszuüben trachteten. Selten fand sich dieser
Hang zur politischen Wirksamkeit im Verborgenen so ausgeprägt Wie bei dem
Mann, der durch lange Zeit den größten Einfluß auf die auswärtige Politik des
Teutschen Reiches zu üben vermochte: Baron Holstein, der im Auswärtigen Amt,
unter vier Kanzlern einen hervorragenden Posten bekleidet und die politischen
Fäden nach Möglichkeit durch seine Hände gelenkt hat.

Seine sich stets im Hintergründe haltende Persönlichkeit war von einer
gewissen Mystik umgeben. Für seine Scheu vor der Öffentlichkeit war es
bezeichnend, daß das dickleibige Zeitgenossen-Lexikon "Wer ist's?" unter seineu
fast 20 000 Biographien den Namen einer politisch so wichtigen Persönlichkeit
überhaupt nicht verzeichnet.

Galt Geheimrat v. Holstein früher als Sonderling, so tritt er uns nach
neueren Veröffentlichungen 'von Persönlichkeiten, die früher durch lange Zeit mit
ihm zusammen gearbeitet haben, immer mehr als eine geistige Anomalie entgegen.
In der "Deutschen Revue" hat kürzlich Prinz Alexander zu Hohenlohe, der
während der Reichskanzlerschaft seines Vaters in tägliche Berührung mit Holstein
kam, Erinnerungen aus dem Auswärtigen Amt in Berlin unter dem Titel "Eine
graue Eminenz" veröffentlicht. Sehr viel beschäftigt sich ferner mit Herrn
v. Holstein auch sein früherer Kollege Otto Hammann, der seinem ersten
ErinnerungsbanÄ "Der neue Kurs" nunmehr bei Reimar Hobbing in Berlin
Erinnerungen aus den Jahren 1897--1906 unter dem Titel "Zur Vorgeschichte
des Weltkrieges" hat folgen lasse,:. Schon im "Neuen Kurs" konnten wir
manchen Einblick tun in die geheimnisvolle Tätigkeit Holsteins im Auswärtigen
Amt. In dem neuen Bande'äußert Hammann sich über ihn noch deutlicher und
mit noch schärferer Anklage seiner Querköpfigkeit.


Holstein

Irdische hinaufführenden Ewigkeitsglauben, der aber ebenso allen geistigen,
künstlerischen, wissenschaftlichen und philosophischen Bestrebungen Weihe und
Adel geben muß, wie er auch der ideale Hintergrund alles nationalen und
politischen Strebens, wie aller Versöhnung der Völker sein muß. Der
Protestantismus aber verträgt keine starre, gesetzliche Regelung des Verhältnisses
von Christentum und Kultur, also auch nicht von Kirche und politischen Parteien.
Er erwartet vielmehr, daß im Spiel der freien Kräfte und Persönlichkeiten sich
eine solche Beziehung in individuell verschiedener Weise bei aller Kulturarbeit
wie bei allen Parteien aus ihrem eigenen innersten Lebensdrange heraus
durchsetzt.




Holstein

n dieser gärenden Zeit, in der so vieles nach Klärung verlangt, rü
der überall inner- und äußerpolitische und persönliche Schuldfragen
breit erörtert werden, ist altgewohnte politische Diskretion tief im
Kurse gesunken. Allerlei bis dahin streng geheime Archiv« öffnen
sich, politische Handlungen und politische Persönlichkeiten werden
durch überraschende Mitteilungen in eine neue Beleuchtung gerückt'.

Von diesem Schicksal nachträglicher Scheinwerferbestrahlung und politischer
Rvntgendurchleuchtuug bleiben auch Persönlichkeiten nicht bewahrt, die früher
ihre ganze Tätigkeit im Verborgenen auszuüben trachteten. Selten fand sich dieser
Hang zur politischen Wirksamkeit im Verborgenen so ausgeprägt Wie bei dem
Mann, der durch lange Zeit den größten Einfluß auf die auswärtige Politik des
Teutschen Reiches zu üben vermochte: Baron Holstein, der im Auswärtigen Amt,
unter vier Kanzlern einen hervorragenden Posten bekleidet und die politischen
Fäden nach Möglichkeit durch seine Hände gelenkt hat.

Seine sich stets im Hintergründe haltende Persönlichkeit war von einer
gewissen Mystik umgeben. Für seine Scheu vor der Öffentlichkeit war es
bezeichnend, daß das dickleibige Zeitgenossen-Lexikon „Wer ist's?" unter seineu
fast 20 000 Biographien den Namen einer politisch so wichtigen Persönlichkeit
überhaupt nicht verzeichnet.

Galt Geheimrat v. Holstein früher als Sonderling, so tritt er uns nach
neueren Veröffentlichungen 'von Persönlichkeiten, die früher durch lange Zeit mit
ihm zusammen gearbeitet haben, immer mehr als eine geistige Anomalie entgegen.
In der „Deutschen Revue" hat kürzlich Prinz Alexander zu Hohenlohe, der
während der Reichskanzlerschaft seines Vaters in tägliche Berührung mit Holstein
kam, Erinnerungen aus dem Auswärtigen Amt in Berlin unter dem Titel „Eine
graue Eminenz" veröffentlicht. Sehr viel beschäftigt sich ferner mit Herrn
v. Holstein auch sein früherer Kollege Otto Hammann, der seinem ersten
ErinnerungsbanÄ „Der neue Kurs" nunmehr bei Reimar Hobbing in Berlin
Erinnerungen aus den Jahren 1897—1906 unter dem Titel „Zur Vorgeschichte
des Weltkrieges" hat folgen lasse,:. Schon im „Neuen Kurs" konnten wir
manchen Einblick tun in die geheimnisvolle Tätigkeit Holsteins im Auswärtigen
Amt. In dem neuen Bande'äußert Hammann sich über ihn noch deutlicher und
mit noch schärferer Anklage seiner Querköpfigkeit.


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[0218] Holstein Irdische hinaufführenden Ewigkeitsglauben, der aber ebenso allen geistigen, künstlerischen, wissenschaftlichen und philosophischen Bestrebungen Weihe und Adel geben muß, wie er auch der ideale Hintergrund alles nationalen und politischen Strebens, wie aller Versöhnung der Völker sein muß. Der Protestantismus aber verträgt keine starre, gesetzliche Regelung des Verhältnisses von Christentum und Kultur, also auch nicht von Kirche und politischen Parteien. Er erwartet vielmehr, daß im Spiel der freien Kräfte und Persönlichkeiten sich eine solche Beziehung in individuell verschiedener Weise bei aller Kulturarbeit wie bei allen Parteien aus ihrem eigenen innersten Lebensdrange heraus durchsetzt. Holstein n dieser gärenden Zeit, in der so vieles nach Klärung verlangt, rü der überall inner- und äußerpolitische und persönliche Schuldfragen breit erörtert werden, ist altgewohnte politische Diskretion tief im Kurse gesunken. Allerlei bis dahin streng geheime Archiv« öffnen sich, politische Handlungen und politische Persönlichkeiten werden durch überraschende Mitteilungen in eine neue Beleuchtung gerückt'. Von diesem Schicksal nachträglicher Scheinwerferbestrahlung und politischer Rvntgendurchleuchtuug bleiben auch Persönlichkeiten nicht bewahrt, die früher ihre ganze Tätigkeit im Verborgenen auszuüben trachteten. Selten fand sich dieser Hang zur politischen Wirksamkeit im Verborgenen so ausgeprägt Wie bei dem Mann, der durch lange Zeit den größten Einfluß auf die auswärtige Politik des Teutschen Reiches zu üben vermochte: Baron Holstein, der im Auswärtigen Amt, unter vier Kanzlern einen hervorragenden Posten bekleidet und die politischen Fäden nach Möglichkeit durch seine Hände gelenkt hat. Seine sich stets im Hintergründe haltende Persönlichkeit war von einer gewissen Mystik umgeben. Für seine Scheu vor der Öffentlichkeit war es bezeichnend, daß das dickleibige Zeitgenossen-Lexikon „Wer ist's?" unter seineu fast 20 000 Biographien den Namen einer politisch so wichtigen Persönlichkeit überhaupt nicht verzeichnet. Galt Geheimrat v. Holstein früher als Sonderling, so tritt er uns nach neueren Veröffentlichungen 'von Persönlichkeiten, die früher durch lange Zeit mit ihm zusammen gearbeitet haben, immer mehr als eine geistige Anomalie entgegen. In der „Deutschen Revue" hat kürzlich Prinz Alexander zu Hohenlohe, der während der Reichskanzlerschaft seines Vaters in tägliche Berührung mit Holstein kam, Erinnerungen aus dem Auswärtigen Amt in Berlin unter dem Titel „Eine graue Eminenz" veröffentlicht. Sehr viel beschäftigt sich ferner mit Herrn v. Holstein auch sein früherer Kollege Otto Hammann, der seinem ersten ErinnerungsbanÄ „Der neue Kurs" nunmehr bei Reimar Hobbing in Berlin Erinnerungen aus den Jahren 1897—1906 unter dem Titel „Zur Vorgeschichte des Weltkrieges" hat folgen lasse,:. Schon im „Neuen Kurs" konnten wir manchen Einblick tun in die geheimnisvolle Tätigkeit Holsteins im Auswärtigen Amt. In dem neuen Bande'äußert Hammann sich über ihn noch deutlicher und mit noch schärferer Anklage seiner Querköpfigkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/218>, abgerufen am 05.02.2025.