Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.demokratie der Schweiz, Greulich, Knellwolf, Engster u. a. sehen mit Schrecken, Trotzdem halte ich es für einen großen Schaden, das; in Deutschland sozial- Politisch brauchen Mir die Umwandlung der Sozialdemokratie in eine Wir leiden heute stärker als je unter einer Zerrissenheit und Zerfahrenheit -') Vgl. >z. B. die Sammlung "Christentum und Politik". l0 Predigten von
Baumgarten, Niebergcill, Violet u. a. in der Prodigt-Bibliothok, Band 15. Göttingen, Vvndenhoeck u. Ruprecht. 191". Vielleicht darf ich auch auf einen Versuch von mir hinweisen. "Der Weg Lottes mit dem deutschen Volk." Basel E. Finck, i9is, 50 Pwnnig. demokratie der Schweiz, Greulich, Knellwolf, Engster u. a. sehen mit Schrecken, Trotzdem halte ich es für einen großen Schaden, das; in Deutschland sozial- Politisch brauchen Mir die Umwandlung der Sozialdemokratie in eine Wir leiden heute stärker als je unter einer Zerrissenheit und Zerfahrenheit -') Vgl. >z. B. die Sammlung „Christentum und Politik". l0 Predigten von
Baumgarten, Niebergcill, Violet u. a. in der Prodigt-Bibliothok, Band 15. Göttingen, Vvndenhoeck u. Ruprecht. 191«. Vielleicht darf ich auch auf einen Versuch von mir hinweisen. „Der Weg Lottes mit dem deutschen Volk." Basel E. Finck, i9is, 50 Pwnnig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335399"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_954" prev="#ID_953"> demokratie der Schweiz, Greulich, Knellwolf, Engster u. a. sehen mit Schrecken,<lb/> wie ihnen die Zügel entgleiten und die radikalsten Schlagworte die größte Zug¬<lb/> kraft auf die Massen ausüben.</p><lb/> <p xml:id="ID_955"> Trotzdem halte ich es für einen großen Schaden, das; in Deutschland sozial-<lb/> demokratiscye Theologen wie Göhre, Mauvenbrecher u. a. aus dem Pfarramt und<lb/> der Kirche herausgedrängt, andere, die nur ein wenig zum Entgegenkommen<lb/> gegen berechtigte Forderungen der Sozialdemokratie mahnten, gemaßregelt<lb/> wurden. Wie ganz anders würde doch in der gegenwärtigen Krisis die Lage der<lb/> Sozialdemokratie wie der Kirche sein, wenn diese Partei eine Zahl tüchtiger<lb/> Männer hätte, die im Namen des Christentums sür die idealen Ziele der Sozial¬<lb/> reform eintreten würden! Die Kirche würde an Popularität ungemein gewonnen<lb/> haben, wenn sie sich ernstlich und ehrlich vollkommen neutral zu allen politischen<lb/> Parteien, einschließlich der Sozialdemokratie, gestellt hätte. Die Kirche hat bei<lb/> politischen Wahlen nicht die Ausgabe, eine bestimmte Partei zu empfehlen, wie<lb/> es oft römisch-katholische Pfarrer tun; aber sie kann den GemeindegUedern das<lb/> Gewissen schärfen: nicht der eigene Nutzen, nicht die Überlegung, ob das Interesse<lb/> des eignen Standes von einer Partei am schärfsten vertreten wird, soll den Aus¬<lb/> schlag geben, sondern die ernste Erwägung, welche Partei nach der persönlichen<lb/> Überzeugung des einzelnen für das Wohl des Ganzen am besten mitzuwirken<lb/> imstande ist. Ferner wird die Kirche immer wieder mahnen können und müssen,<lb/> im Politischen Gegner nicht bösartige Motive, Dummheit und Schlechtigkeit zu<lb/> sehen, sondern ehrliche Überzeugung auch in ihm zu achten. Schleiermachers<lb/> Patriotisch-Politische Predigten der Jahre 1806—1814 geben nach dieser Richtung<lb/> eine reiche Allsbeute. Seine Theorie sagt mit Recht: Das Politische gehört als<lb/> solches nicht auf die Kanzel. Ader sofern in dem Politischen zugleich ein Ethisches<lb/> steckt, gehört es auf die Kanzel. Und wer wollte verkennen, daß die politischen<lb/> Ausgaben der Gegenwart fast ausnahmslos zugleich ethische sind! Wenn nur<lb/> recht viele Prediger etwas von der Überlegenheit und dem Takte Schleiermachers<lb/> hätten, gerade und frei ihre Meinung herauszusagen und, ohne das Christentum<lb/> an eine Partei zu binden, die Zeitfragen von der Höhe der Ewigkeitsgedanken<lb/> aus zu behandeln.^)</p><lb/> <p xml:id="ID_956"> Politisch brauchen Mir die Umwandlung der Sozialdemokratie in eine<lb/> zum negiere» fähige und willige Reformpartei, die energischer als bisher sich<lb/> von. ihrem linken Flügel scheidet, mit den bürgerlichen Parteien zusammen¬<lb/> arbeitet und in dieser Ärbeltsgemeinschast mit Energie die Interessen der Arbeiter<lb/> innerhalb des Erreichbaren und Möglichen vertritt." Es Ware sehr zu wünschen,<lb/> daß Männer wie Göhre, Maurenbrecyer u. ni. innerhalb einer solchen Partei eine<lb/> führende Rolle spielen, die materialistische Weltanschauung gründlich revidieren<lb/> und die reichlich vorhandenen Ansätze eines idealistischen Glaubens an den Sieg<lb/> der Gerechtigkeit, an die Versöhnung der Stände und Völker stärker heraus¬<lb/> arbeiten würden. Einer solchen Partei gegenüber könnte und müßte die Kirche<lb/> ihre völlige Neutralität erklären. Es wäre sogar wünschenswert, wenn es in<lb/> Arbeitergemeinden Pfarrer gäbe, die mit dieser "Partei in Fühlung ständen. Die<lb/> Kirche kann nur an Popularität gewinnen, wenn sie zu allen idealen<lb/> Bestrebungen des Volkslebens hin Verbindungen unterhält.</p><lb/> <p xml:id="ID_957" next="#ID_958"> Wir leiden heute stärker als je unter einer Zerrissenheit und Zerfahrenheit<lb/> des Volkslebens. Die Einheit des Geisteslebens, die innere Sammlung unsrer<lb/> Kultur, nach der die tiefstell Geister sich hente sehnen, läßt sich weder von rein<lb/> nationalen, noch von internationalen Gedanken aus, schließlich überhaupt nicht<lb/> von einer intterweltlichen Größe aus gewinnen, sondern von einem über alles</p><lb/> <note xml:id="FID_45" place="foot"> -') Vgl. >z. B. die Sammlung „Christentum und Politik". l0 Predigten von<lb/> Baumgarten, Niebergcill, Violet u. a. in der Prodigt-Bibliothok, Band 15. Göttingen,<lb/> Vvndenhoeck u. Ruprecht. 191«. Vielleicht darf ich auch auf einen Versuch von mir<lb/> hinweisen. „Der Weg Lottes mit dem deutschen Volk." Basel E. Finck, i9is,<lb/> 50 Pwnnig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0217]
demokratie der Schweiz, Greulich, Knellwolf, Engster u. a. sehen mit Schrecken,
wie ihnen die Zügel entgleiten und die radikalsten Schlagworte die größte Zug¬
kraft auf die Massen ausüben.
Trotzdem halte ich es für einen großen Schaden, das; in Deutschland sozial-
demokratiscye Theologen wie Göhre, Mauvenbrecher u. a. aus dem Pfarramt und
der Kirche herausgedrängt, andere, die nur ein wenig zum Entgegenkommen
gegen berechtigte Forderungen der Sozialdemokratie mahnten, gemaßregelt
wurden. Wie ganz anders würde doch in der gegenwärtigen Krisis die Lage der
Sozialdemokratie wie der Kirche sein, wenn diese Partei eine Zahl tüchtiger
Männer hätte, die im Namen des Christentums sür die idealen Ziele der Sozial¬
reform eintreten würden! Die Kirche würde an Popularität ungemein gewonnen
haben, wenn sie sich ernstlich und ehrlich vollkommen neutral zu allen politischen
Parteien, einschließlich der Sozialdemokratie, gestellt hätte. Die Kirche hat bei
politischen Wahlen nicht die Ausgabe, eine bestimmte Partei zu empfehlen, wie
es oft römisch-katholische Pfarrer tun; aber sie kann den GemeindegUedern das
Gewissen schärfen: nicht der eigene Nutzen, nicht die Überlegung, ob das Interesse
des eignen Standes von einer Partei am schärfsten vertreten wird, soll den Aus¬
schlag geben, sondern die ernste Erwägung, welche Partei nach der persönlichen
Überzeugung des einzelnen für das Wohl des Ganzen am besten mitzuwirken
imstande ist. Ferner wird die Kirche immer wieder mahnen können und müssen,
im Politischen Gegner nicht bösartige Motive, Dummheit und Schlechtigkeit zu
sehen, sondern ehrliche Überzeugung auch in ihm zu achten. Schleiermachers
Patriotisch-Politische Predigten der Jahre 1806—1814 geben nach dieser Richtung
eine reiche Allsbeute. Seine Theorie sagt mit Recht: Das Politische gehört als
solches nicht auf die Kanzel. Ader sofern in dem Politischen zugleich ein Ethisches
steckt, gehört es auf die Kanzel. Und wer wollte verkennen, daß die politischen
Ausgaben der Gegenwart fast ausnahmslos zugleich ethische sind! Wenn nur
recht viele Prediger etwas von der Überlegenheit und dem Takte Schleiermachers
hätten, gerade und frei ihre Meinung herauszusagen und, ohne das Christentum
an eine Partei zu binden, die Zeitfragen von der Höhe der Ewigkeitsgedanken
aus zu behandeln.^)
Politisch brauchen Mir die Umwandlung der Sozialdemokratie in eine
zum negiere» fähige und willige Reformpartei, die energischer als bisher sich
von. ihrem linken Flügel scheidet, mit den bürgerlichen Parteien zusammen¬
arbeitet und in dieser Ärbeltsgemeinschast mit Energie die Interessen der Arbeiter
innerhalb des Erreichbaren und Möglichen vertritt." Es Ware sehr zu wünschen,
daß Männer wie Göhre, Maurenbrecyer u. ni. innerhalb einer solchen Partei eine
führende Rolle spielen, die materialistische Weltanschauung gründlich revidieren
und die reichlich vorhandenen Ansätze eines idealistischen Glaubens an den Sieg
der Gerechtigkeit, an die Versöhnung der Stände und Völker stärker heraus¬
arbeiten würden. Einer solchen Partei gegenüber könnte und müßte die Kirche
ihre völlige Neutralität erklären. Es wäre sogar wünschenswert, wenn es in
Arbeitergemeinden Pfarrer gäbe, die mit dieser "Partei in Fühlung ständen. Die
Kirche kann nur an Popularität gewinnen, wenn sie zu allen idealen
Bestrebungen des Volkslebens hin Verbindungen unterhält.
Wir leiden heute stärker als je unter einer Zerrissenheit und Zerfahrenheit
des Volkslebens. Die Einheit des Geisteslebens, die innere Sammlung unsrer
Kultur, nach der die tiefstell Geister sich hente sehnen, läßt sich weder von rein
nationalen, noch von internationalen Gedanken aus, schließlich überhaupt nicht
von einer intterweltlichen Größe aus gewinnen, sondern von einem über alles
-') Vgl. >z. B. die Sammlung „Christentum und Politik". l0 Predigten von
Baumgarten, Niebergcill, Violet u. a. in der Prodigt-Bibliothok, Band 15. Göttingen,
Vvndenhoeck u. Ruprecht. 191«. Vielleicht darf ich auch auf einen Versuch von mir
hinweisen. „Der Weg Lottes mit dem deutschen Volk." Basel E. Finck, i9is,
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