Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Kirche und politische Parteien um der Gerechtigkeit und Versöhnlichkeit willen Opfer zu bringen und Rechts¬ Die liberalen Parteien haben die Fehler der Vergangenheit im großen Die meisten Schwierigkeiten hat die Sozialdemokratie in ihrer Stellung ') Ein 'Beispiel dafür 'tMe ich in 'meiner "Sozmlethik", S. 166 f., angeführt.
Kirche und politische Parteien um der Gerechtigkeit und Versöhnlichkeit willen Opfer zu bringen und Rechts¬ Die liberalen Parteien haben die Fehler der Vergangenheit im großen Die meisten Schwierigkeiten hat die Sozialdemokratie in ihrer Stellung ') Ein 'Beispiel dafür 'tMe ich in 'meiner „Sozmlethik", S. 166 f., angeführt.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335398"/> <fw type="header" place="top"> Kirche und politische Parteien</fw><lb/> <p xml:id="ID_951" prev="#ID_950"> um der Gerechtigkeit und Versöhnlichkeit willen Opfer zu bringen und Rechts¬<lb/> ansprüche zurückzustellen bereit ist, kann auf dem schwierigen Wege der Völker¬<lb/> versöhnung allmählich einige Schritte weiter führen.</p><lb/> <p xml:id="ID_952"> Die liberalen Parteien haben die Fehler der Vergangenheit im großen<lb/> und ganzen eingesehen. Sie lausen heute nicht mehr Sturm gegen Christentum<lb/> und Kirche, sondern suchen mit Recht die freien Kräfte innerhalb der Kirche zu<lb/> stärken und aus dem Christentum oder einem allgemeineren idealistischen Glauben<lb/> selbst den idealen Hintergrund ihrer Forderungen zu gewinnen. So dürften<lb/> denn heute die christlichen Kreise in weitem Umfange für die liberalen Parteien<lb/> gestimmt haben. Tatsächlich hat das Christenwm'insofern mit dem Liberalis¬<lb/> mus Verwandtschaft, als es den ewigen Wert jeder Menschenseele, die<lb/> Gottebenbildlichkeit auch des Geringsten betont. Es verlangt freie Arbeit jedes<lb/> Menschen, verspricht jedem die seiner Arbeit gebührende Stelle, verlangt Schutz<lb/> für den Schwachen. Sofern der Konservatismus das Recht des historisch<lb/> gewordenen vertritt und in der gesellschaftlichen Ordnung und Abstufung eine<lb/> vernünftige Gliederung des Volkslebens erkennt, wird er gleichfalls diese<lb/> Ordnung unter eine höhere Autorität zu stellen vermögen. Konservatismus und<lb/> Liberalismus müssen sich ja stets ergänzen und befruchten. Der Konservatismus<lb/> ist gebrochen, weil er überlebte Standesvorurteile nicht rechtzeitig genug aufzu¬<lb/> geben bereit war und seine Vertreter eine Vorrangstellung, die ihnen nicht mehr<lb/> gebührte, mit allen Mitteln festzuhalten suchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_953" next="#ID_954"> Die meisten Schwierigkeiten hat die Sozialdemokratie in ihrer Stellung<lb/> zu Kirche und Christentum bereitet. In der Schweiz ist in dieser Hinsicht die<lb/> Entwicklung am weitesten gediehen. Hier gibt es sozialdemokratische Pfarrer<lb/> wie Kutter, Arbenz, Bader," Tischhauser, Liechtenhcm u. a., die in den „Neuen<lb/> Wegen" unter Redaktion des Zürcher Professors der Theologie L. Ragaz eine<lb/> große Schar jüngerer Theologen in ihre Bahnen ziehen. Ja im Kanton Zürich<lb/> gibt es Kirchgemeinden, in die nur sozialdemokratische Pfarrer und Lehrer<lb/> gewählt werden. (Denn in Überspannung des demokratischen Prinzips werden<lb/> im Kanton Zürich sogar die Lehrer durch allgemeine Volksabstimmung in den<lb/> Schulbezirken gewählt.) Diese Entwicklung hat naturgemäß zu vielen Mi߬<lb/> ständen geführt. An manchen Orten wird die Kirche von den meisten Nicht-<lb/> Sozmldemokraten gemieden. Die Sozialdemokraten aber lassen sich die Wirksam¬<lb/> keit ihrer Genossen auf der Kanzel sehr Wohl gefallen, damit ihre Partei¬<lb/> forderungen einen idealen Glanz bekommen. Sie freuen sich, wenn den andern<lb/> gehörig ihre Sünden vorgehalten werden/') Wenn aber die sozialistischen<lb/> Pfarrer und Professoren, wie dies durchaus auch geschieht, Krink an den eignen<lb/> Parteigenossen üben, so ist man mit ihnen ebenso unzufrieden, Wie mit den<lb/> sozialdemokratischen Regierungsräten, die auch nicht den sozialistischen Zukunfts-<lb/> staat herbeiführen können. So weit sind wir in Deutschland noch nicht, daß man<lb/> wie die Schweizer Religiös-Sozialen versucht, einen Bund zwischen Christentum<lb/> und Sozialdemokratie zu schließen. Auch in der Schweiz ist es nicht gelungen<lb/> und wird nie gelingen, diesen Bund zustande zu bringen. Dazu streben die<lb/> beiden Bewegungen zu sehr auseinander. Die sozialistischen Theologen haben sich<lb/> vergebens bemüht, die,idealen Momente in der Sozialdemokratie in den Mittel¬<lb/> punkt zu stellen. Die politischen Führer sind ihnen nicht gefolgt. Und gegen¬<lb/> wärtig haben die den Bolschewiften zuneigenden Extremen in der Sozial¬<lb/> demokratie, die „Jungburfchen-Vereinigungen" in der Schweiz immer mehr die<lb/> Oberhand gewonnen. Die Methoden des Generalstreiks und der Revolution<lb/> scheinen ihnen die aussichtsvollsten. Sie erstreben eine Diktatur des Proletariats,<lb/> eine unverhüllte nichts weniger als demokratische Klassenherrschaft und haben<lb/> soeben sogar die Beschickung des in Bern lagerten internationalen Sozialisten¬<lb/> kongresses abgelehnt, weil sie weniger von Völkerverständigung als von Revolu¬<lb/> tion innerhalb joden Volkes etwas erhoffen. Die gemäßigten Führer der Sozial-</p><lb/> <note xml:id="FID_44" place="foot"> ') Ein 'Beispiel dafür 'tMe ich in 'meiner „Sozmlethik", S. 166 f., angeführt.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216]
Kirche und politische Parteien
um der Gerechtigkeit und Versöhnlichkeit willen Opfer zu bringen und Rechts¬
ansprüche zurückzustellen bereit ist, kann auf dem schwierigen Wege der Völker¬
versöhnung allmählich einige Schritte weiter führen.
Die liberalen Parteien haben die Fehler der Vergangenheit im großen
und ganzen eingesehen. Sie lausen heute nicht mehr Sturm gegen Christentum
und Kirche, sondern suchen mit Recht die freien Kräfte innerhalb der Kirche zu
stärken und aus dem Christentum oder einem allgemeineren idealistischen Glauben
selbst den idealen Hintergrund ihrer Forderungen zu gewinnen. So dürften
denn heute die christlichen Kreise in weitem Umfange für die liberalen Parteien
gestimmt haben. Tatsächlich hat das Christenwm'insofern mit dem Liberalis¬
mus Verwandtschaft, als es den ewigen Wert jeder Menschenseele, die
Gottebenbildlichkeit auch des Geringsten betont. Es verlangt freie Arbeit jedes
Menschen, verspricht jedem die seiner Arbeit gebührende Stelle, verlangt Schutz
für den Schwachen. Sofern der Konservatismus das Recht des historisch
gewordenen vertritt und in der gesellschaftlichen Ordnung und Abstufung eine
vernünftige Gliederung des Volkslebens erkennt, wird er gleichfalls diese
Ordnung unter eine höhere Autorität zu stellen vermögen. Konservatismus und
Liberalismus müssen sich ja stets ergänzen und befruchten. Der Konservatismus
ist gebrochen, weil er überlebte Standesvorurteile nicht rechtzeitig genug aufzu¬
geben bereit war und seine Vertreter eine Vorrangstellung, die ihnen nicht mehr
gebührte, mit allen Mitteln festzuhalten suchten.
Die meisten Schwierigkeiten hat die Sozialdemokratie in ihrer Stellung
zu Kirche und Christentum bereitet. In der Schweiz ist in dieser Hinsicht die
Entwicklung am weitesten gediehen. Hier gibt es sozialdemokratische Pfarrer
wie Kutter, Arbenz, Bader," Tischhauser, Liechtenhcm u. a., die in den „Neuen
Wegen" unter Redaktion des Zürcher Professors der Theologie L. Ragaz eine
große Schar jüngerer Theologen in ihre Bahnen ziehen. Ja im Kanton Zürich
gibt es Kirchgemeinden, in die nur sozialdemokratische Pfarrer und Lehrer
gewählt werden. (Denn in Überspannung des demokratischen Prinzips werden
im Kanton Zürich sogar die Lehrer durch allgemeine Volksabstimmung in den
Schulbezirken gewählt.) Diese Entwicklung hat naturgemäß zu vielen Mi߬
ständen geführt. An manchen Orten wird die Kirche von den meisten Nicht-
Sozmldemokraten gemieden. Die Sozialdemokraten aber lassen sich die Wirksam¬
keit ihrer Genossen auf der Kanzel sehr Wohl gefallen, damit ihre Partei¬
forderungen einen idealen Glanz bekommen. Sie freuen sich, wenn den andern
gehörig ihre Sünden vorgehalten werden/') Wenn aber die sozialistischen
Pfarrer und Professoren, wie dies durchaus auch geschieht, Krink an den eignen
Parteigenossen üben, so ist man mit ihnen ebenso unzufrieden, Wie mit den
sozialdemokratischen Regierungsräten, die auch nicht den sozialistischen Zukunfts-
staat herbeiführen können. So weit sind wir in Deutschland noch nicht, daß man
wie die Schweizer Religiös-Sozialen versucht, einen Bund zwischen Christentum
und Sozialdemokratie zu schließen. Auch in der Schweiz ist es nicht gelungen
und wird nie gelingen, diesen Bund zustande zu bringen. Dazu streben die
beiden Bewegungen zu sehr auseinander. Die sozialistischen Theologen haben sich
vergebens bemüht, die,idealen Momente in der Sozialdemokratie in den Mittel¬
punkt zu stellen. Die politischen Führer sind ihnen nicht gefolgt. Und gegen¬
wärtig haben die den Bolschewiften zuneigenden Extremen in der Sozial¬
demokratie, die „Jungburfchen-Vereinigungen" in der Schweiz immer mehr die
Oberhand gewonnen. Die Methoden des Generalstreiks und der Revolution
scheinen ihnen die aussichtsvollsten. Sie erstreben eine Diktatur des Proletariats,
eine unverhüllte nichts weniger als demokratische Klassenherrschaft und haben
soeben sogar die Beschickung des in Bern lagerten internationalen Sozialisten¬
kongresses abgelehnt, weil sie weniger von Völkerverständigung als von Revolu¬
tion innerhalb joden Volkes etwas erhoffen. Die gemäßigten Führer der Sozial-
') Ein 'Beispiel dafür 'tMe ich in 'meiner „Sozmlethik", S. 166 f., angeführt.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |