Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Kirche und politische Partei"!! dem eigenen Klassenvorteil zusammengehen, werden sie schön hervorgeputzt. Jede Partei kann nur gewinnen, wenn sie die Verbindungslinien ihres Die Konservativen haben in ihrer Blütezeit unendlich viel Kräfte dadurch 5) Ich habe Aas in meiner ,Mozmlethik", Tübingen, I. C. B. Mohr, 1916, "u
jsiKen gesucht. Kirche und politische Partei«!! dem eigenen Klassenvorteil zusammengehen, werden sie schön hervorgeputzt. Jede Partei kann nur gewinnen, wenn sie die Verbindungslinien ihres Die Konservativen haben in ihrer Blütezeit unendlich viel Kräfte dadurch 5) Ich habe Aas in meiner ,Mozmlethik", Tübingen, I. C. B. Mohr, 1916, »u
jsiKen gesucht. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335397"/> <fw type="header" place="top"> Kirche und politische Partei«!!</fw><lb/> <p xml:id="ID_948" prev="#ID_947"> dem eigenen Klassenvorteil zusammengehen, werden sie schön hervorgeputzt.<lb/> Sobald sie aber Opfer verlangen, läßt man sie stillschweigend fallen. Eine der¬<lb/> artige Moralheuchelei wird naturgemäß bei den Parteien am schlimmsten<lb/> empfunden, die sich „christliche" nennen. Aber soll man etwa wegen dieses Mi߬<lb/> brauchs jeden.Zusammenhang der Parteiforderungen mit einer idealen Welt¬<lb/> anschauung aufgeben? Soll man die Entwicklung begünstigen und jede Partei<lb/> zu einer unverhüllten Vertretung von Standesinteressen machen, in der jede<lb/> Partei rücksichtslos für ihren Vorteil eintritt, ohne sich um das Wohl des Ganzen<lb/> zu kümmern? — Das wäre vielleicht ehrlicher und würde die widerwärtige<lb/> Moralheuchelei aufheben (die zum Beispiel jetzt gerade auf dem Pariser Friedens¬<lb/> kongreß ihre Orgien feiert). Aber damit würde zugleich der Rest wirklicher<lb/> Moral fallen, den jede Partei in sich trägt. Der nackte Egoismus würde legalisiert.<lb/> Das Anstandsgefühl, das doch immer dazu zwang, von den Parteiinteressen aus<lb/> das große Ganze hinüberzublicken, würde getötet. Daher scheint mir das<lb/> entgegengesetzte Mittel nötig: jede Partei muß ihre Ideale in einer Welt¬<lb/> anschauung begründen. Der religiöse Glaube des Christentums, der die tiefste<lb/> Weltanschauung bildende Macht in sich schließt, ist dazu notwendig. Denn über<lb/> das Zeitalter der fälschlich sogenannten „naturwissenschaftlichen Welt¬<lb/> anschauungen" sind Mir endgültig hinaus. Denn die Naturwissenschaften ver¬<lb/> mögen Wohl gewisse Beiträge zur Weltanschauung in den Begriffen Naturgesetz<lb/> und Entwicklung zu geben. Aber verarbeiten und in ihrer Bedeutung für daS<lb/> Ganze der Welt und des Lebens abzuschätzen vermag sie nur die Philosophie. Die<lb/> entscheidenden Beiträge zur Weltanschauung liefern die Tatsachen des Geistes¬<lb/> lebens, zuhöchst Sittlichkeit und Religion.</p><lb/> <p xml:id="ID_949"> Jede Partei kann nur gewinnen, wenn sie die Verbindungslinien ihres<lb/> Programms mit einem sittlich-religiösen Glauben möglichst energisch zieht. Sie<lb/> kann dies, denn der religiös-sittliche Glaube ist die tiefste und zugleich universalste<lb/> Macht im Geistesleben. Er strahlt seine Wirkungen in alle Lebensgebiete aus.')<lb/> Jedes Parteiprogramm braucht, um idealen Schwung und Überzeugungskraft<lb/> zu gewinnen, diesen Zusammenhang. Aber nicht so, daß das Christentum zur<lb/> Parteisache gemacht wird. Das war der Fehler der katholischen Zentrumspartei<lb/> und der verschiedenen auf evangelischem Boden versuchten christlich-sozialen<lb/> Parteiprogramme. Nicht soll das Christentum in den engen Rahmen eines<lb/> Parteiprogramms gespannt werden. Es darf nicht gesagt werden: jeder Christ<lb/> muß folgendes fordern. Oder gar: im Namen der Kirche verlangen wir, sei es<lb/> Schutz der Landwirtschaft oder den Achtstundentag oder eine Vermögenssteuer<lb/> von so und so viel Prozent.</p><lb/> <p xml:id="ID_950" next="#ID_951"> Die Konservativen haben in ihrer Blütezeit unendlich viel Kräfte dadurch<lb/> gewonnen, daß sie — sei es mit Recht oder mit Unrecht — die kirchlichen Kreise<lb/> in sehr großem Umfange für sich zu gewinnen wußten. Je mehr sie zu einer<lb/> e.ngen Klassenvertretung wurden, um so mehr haben sie gleichzeitig die Kirche<lb/> in anderen Kreisen diskreditiert. ' Die Kirche hat sich in den beiden letzten Jahren<lb/> vielfach um ihr Ansehen gebracht, dadurch daß zahlreiche Pfarrer — sowohl<lb/> orthodoxe wie liberale — öffentlich Politik trieben und für ihre Partei eintraten,<lb/> wodurch sie andersdenkende Gemeindeglieder vor . den Kopf stießen.<lb/> Die pazifistische Bewegung hat unendlichen Schaden dadurch erlitten, daß ihr<lb/> Führer H. A. Fried die egoistische Berechnung des Nutzeus eines allgemeinen<lb/> Weltfriedens und die Schäden, die jeder Krieg" für Sieger wie für Besiegte mit<lb/> sich bringt, sür ein ausreichendes Motiv ansieht, das schließlich zum Weltfrieden<lb/> führen müsse. Er läßt sich zwar gerne die Mitarbeit aller gefallen, die aus<lb/> tieferen christlichen Motiven heraus an der Versöhnung der Völker mitarbeiten.<lb/> Aber Fried selbst nimmt nur die Motive der seichtesten Aufklärung in Anspruch<lb/> und übersieht, daß die Erwägung des Nutzens schließlich immer zum Widerstreit<lb/> der Interessen führen und Kriege erzeugen muß. Nur ein ethisches Motiv, das</p><lb/> <note xml:id="FID_43" place="foot"> 5) Ich habe Aas in meiner ,Mozmlethik", Tübingen, I. C. B. Mohr, 1916, »u<lb/> jsiKen gesucht.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0215]
Kirche und politische Partei«!!
dem eigenen Klassenvorteil zusammengehen, werden sie schön hervorgeputzt.
Sobald sie aber Opfer verlangen, läßt man sie stillschweigend fallen. Eine der¬
artige Moralheuchelei wird naturgemäß bei den Parteien am schlimmsten
empfunden, die sich „christliche" nennen. Aber soll man etwa wegen dieses Mi߬
brauchs jeden.Zusammenhang der Parteiforderungen mit einer idealen Welt¬
anschauung aufgeben? Soll man die Entwicklung begünstigen und jede Partei
zu einer unverhüllten Vertretung von Standesinteressen machen, in der jede
Partei rücksichtslos für ihren Vorteil eintritt, ohne sich um das Wohl des Ganzen
zu kümmern? — Das wäre vielleicht ehrlicher und würde die widerwärtige
Moralheuchelei aufheben (die zum Beispiel jetzt gerade auf dem Pariser Friedens¬
kongreß ihre Orgien feiert). Aber damit würde zugleich der Rest wirklicher
Moral fallen, den jede Partei in sich trägt. Der nackte Egoismus würde legalisiert.
Das Anstandsgefühl, das doch immer dazu zwang, von den Parteiinteressen aus
das große Ganze hinüberzublicken, würde getötet. Daher scheint mir das
entgegengesetzte Mittel nötig: jede Partei muß ihre Ideale in einer Welt¬
anschauung begründen. Der religiöse Glaube des Christentums, der die tiefste
Weltanschauung bildende Macht in sich schließt, ist dazu notwendig. Denn über
das Zeitalter der fälschlich sogenannten „naturwissenschaftlichen Welt¬
anschauungen" sind Mir endgültig hinaus. Denn die Naturwissenschaften ver¬
mögen Wohl gewisse Beiträge zur Weltanschauung in den Begriffen Naturgesetz
und Entwicklung zu geben. Aber verarbeiten und in ihrer Bedeutung für daS
Ganze der Welt und des Lebens abzuschätzen vermag sie nur die Philosophie. Die
entscheidenden Beiträge zur Weltanschauung liefern die Tatsachen des Geistes¬
lebens, zuhöchst Sittlichkeit und Religion.
Jede Partei kann nur gewinnen, wenn sie die Verbindungslinien ihres
Programms mit einem sittlich-religiösen Glauben möglichst energisch zieht. Sie
kann dies, denn der religiös-sittliche Glaube ist die tiefste und zugleich universalste
Macht im Geistesleben. Er strahlt seine Wirkungen in alle Lebensgebiete aus.')
Jedes Parteiprogramm braucht, um idealen Schwung und Überzeugungskraft
zu gewinnen, diesen Zusammenhang. Aber nicht so, daß das Christentum zur
Parteisache gemacht wird. Das war der Fehler der katholischen Zentrumspartei
und der verschiedenen auf evangelischem Boden versuchten christlich-sozialen
Parteiprogramme. Nicht soll das Christentum in den engen Rahmen eines
Parteiprogramms gespannt werden. Es darf nicht gesagt werden: jeder Christ
muß folgendes fordern. Oder gar: im Namen der Kirche verlangen wir, sei es
Schutz der Landwirtschaft oder den Achtstundentag oder eine Vermögenssteuer
von so und so viel Prozent.
Die Konservativen haben in ihrer Blütezeit unendlich viel Kräfte dadurch
gewonnen, daß sie — sei es mit Recht oder mit Unrecht — die kirchlichen Kreise
in sehr großem Umfange für sich zu gewinnen wußten. Je mehr sie zu einer
e.ngen Klassenvertretung wurden, um so mehr haben sie gleichzeitig die Kirche
in anderen Kreisen diskreditiert. ' Die Kirche hat sich in den beiden letzten Jahren
vielfach um ihr Ansehen gebracht, dadurch daß zahlreiche Pfarrer — sowohl
orthodoxe wie liberale — öffentlich Politik trieben und für ihre Partei eintraten,
wodurch sie andersdenkende Gemeindeglieder vor . den Kopf stießen.
Die pazifistische Bewegung hat unendlichen Schaden dadurch erlitten, daß ihr
Führer H. A. Fried die egoistische Berechnung des Nutzeus eines allgemeinen
Weltfriedens und die Schäden, die jeder Krieg" für Sieger wie für Besiegte mit
sich bringt, sür ein ausreichendes Motiv ansieht, das schließlich zum Weltfrieden
führen müsse. Er läßt sich zwar gerne die Mitarbeit aller gefallen, die aus
tieferen christlichen Motiven heraus an der Versöhnung der Völker mitarbeiten.
Aber Fried selbst nimmt nur die Motive der seichtesten Aufklärung in Anspruch
und übersieht, daß die Erwägung des Nutzens schließlich immer zum Widerstreit
der Interessen führen und Kriege erzeugen muß. Nur ein ethisches Motiv, das
5) Ich habe Aas in meiner ,Mozmlethik", Tübingen, I. C. B. Mohr, 1916, »u
jsiKen gesucht.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |