Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Religion und Politik

kirchlichen Staat im Staate, eine politische Organisation der Religion innerhalb
der übrigen politischen Macht. Gewiß ist das nur eine mit gegebenen Verhält¬
nissen rechnende Zurückhaltung, denn letzten Endes kommt es auch den katholischen
Kirchenpolitikern auf mehr an. auf mehr sogar als den protestantischen, die nur
Verbindung von Staat und Kirche wollen, während die römische Kirche Über-
ordnung der Kirche heischt. -- Im Grunde ist dies Nebeneinander verschiedener
Ansichten nur die Weiterführung der wichtigsten Entwicklungsstufen der religiösen
Kultur bis in die Gegenwart hinein.




Prüfen wir das Problem historisch, so darf man nicht etwa vom Urchristen¬
tum ausgehen, wo Religion und Staat überhaupt noch nicht in Beziehung stan¬
den, wo höchstens Religion und soziale Fragen sich berührten und auch sonst
exzeptionelle Verhältnisse vorlagen: man nutz weiter zurückgehen, zu den Anfängen
der Religion überhaupt und zwar, da wir rein historisch nie an einen Anfang
gelangen, zu den kulturellen Fnihstufen, die sich abseits der großen Knliurent-
Wicklungen bei primitiven Völkern erhalten haben. Da nun finden wir fast über¬
einstimmend, daß in allen Völkern, wo eine Politik im Sinne eines festen
Stammeszusammenschlusses, der im Gegensatz zu Stammesfremdcn solidarisch
handelt, besteht, die Religion nicht etwa Privatsache ist, sondern fast identisch ist
mit Politik. Das "Totem" der Naturvölker ist ebensosehr religiöses Vcrehrungs-
objekt wie nationales Einheitssymbol, es bekommt besonders im Kriege deutlichen
Wappencharakter. Der Kampf der Stämme ist ein Kampf ihres Gottes: in
Ägypten, in Vorderasien, fast überall in Frühzeiten der Kultur finden wir, daß
dort, wo ein Volk siegt, auch sein Gott siegt, was von den Menschen mit der in
religiösen Dingen so häufigen Kausalvertauschung so gedeutet wird, daß, weil der
Gott der stärkere gewesen sei, sein Volk gewann, nicht etwa umgekehrt, daß der
Gott gesiegt habe, weil sein Volk das stärkere gewesen. Auch in der Frühzeit
Israels liegen die Verhältnisse ähnlich. Jahwe ist eine Art oberster Kriegsherr
der Hebräer, die Götter und "BaalS" der Feinde sind nicht etwa abergläubische
Vorstellungen und Irrtümer, söndnn politische Realitäten. Politik und Religion
sind eins. Priester leiten die politischen Angelegenheiten, Opfer und Gebete sind
Obliegenheiten des Staates.

Das wäre die erste Stufe der Entwicklung. Eine zweite Stufe ist dadurch
gekennzeichnet, daß Religion und Politik zwar noch eng verbunden sind, aber
doch nicht mehr eins. So war es etwa im Griechenland der früheren Zeit, wo
die Orakel zwar tief eingriffen in die Politik, aber doch nickt selber auch die aus¬
führende Macht überwachten. Diesen Zustand, daß die Religion als wichtiger
Faktor sich in das Staatswesen einfüge, will im Grunde der autoritative Prote¬
stantismus auch für unsere Zeit durchgeführt wissen.

Das Mittelalter bringt die besondere Entwicklung, daß in der Kirche ein
Staat im Staate entsteht, der seine Politik oft genug gegen die weltliche Macht
durchsetzt, zugleich aber auch selber bestrebt ist, einen theokratischer Zustand her¬
aufzuführen, der letzten Endes wieder zu der ursprünglichen Identität von Politik
und Religion zurückstrebt. Das, was der heutige Katholizismus will, ist die
Fortsetzung und Weiterentwicklung dieses Verhältnisses.

Demgegenüber vertritt der Protestantismus in seinen freieren Formen,
vor allem 'aber jede Art philosophischer Religion, daS Bestreben, die Religion
möglichst loszulösen von dem Staate. Sie machen ernst mit dem Worte Jesu,
daß man dem Kaiser geben solle, was des Kaisers sei, Gotte aber, was Gottes
sei. Indem die Religion als eine Sache der Persönlichkeit erklärt wird, muß sie
notwendig losgelöst werden von sozialen Zusammenhängen, sie kann sich so wenig
mit Politik berühren, wie etwa Farben und Klänge sich berühren können, sie er¬
scheinen so heterogen, daß eine wirkliche Vereinigung ausgeschlossen ist. Eine
solche Anschauung ist überzeugt, daß sie allein die wahre Religion zu geben
habe, gereinigt von den Schlacken irdischer Beimischung. Und so kommt es, daß
gerade' diese innerlichst religiösen Menschen sich in ihren religionspolitischen An-
schauungen mit denen treffen, die in der Religion nichts sehen, als eine schüd-


Grenzboten I 1919 12
Religion und Politik

kirchlichen Staat im Staate, eine politische Organisation der Religion innerhalb
der übrigen politischen Macht. Gewiß ist das nur eine mit gegebenen Verhält¬
nissen rechnende Zurückhaltung, denn letzten Endes kommt es auch den katholischen
Kirchenpolitikern auf mehr an. auf mehr sogar als den protestantischen, die nur
Verbindung von Staat und Kirche wollen, während die römische Kirche Über-
ordnung der Kirche heischt. — Im Grunde ist dies Nebeneinander verschiedener
Ansichten nur die Weiterführung der wichtigsten Entwicklungsstufen der religiösen
Kultur bis in die Gegenwart hinein.




Prüfen wir das Problem historisch, so darf man nicht etwa vom Urchristen¬
tum ausgehen, wo Religion und Staat überhaupt noch nicht in Beziehung stan¬
den, wo höchstens Religion und soziale Fragen sich berührten und auch sonst
exzeptionelle Verhältnisse vorlagen: man nutz weiter zurückgehen, zu den Anfängen
der Religion überhaupt und zwar, da wir rein historisch nie an einen Anfang
gelangen, zu den kulturellen Fnihstufen, die sich abseits der großen Knliurent-
Wicklungen bei primitiven Völkern erhalten haben. Da nun finden wir fast über¬
einstimmend, daß in allen Völkern, wo eine Politik im Sinne eines festen
Stammeszusammenschlusses, der im Gegensatz zu Stammesfremdcn solidarisch
handelt, besteht, die Religion nicht etwa Privatsache ist, sondern fast identisch ist
mit Politik. Das „Totem" der Naturvölker ist ebensosehr religiöses Vcrehrungs-
objekt wie nationales Einheitssymbol, es bekommt besonders im Kriege deutlichen
Wappencharakter. Der Kampf der Stämme ist ein Kampf ihres Gottes: in
Ägypten, in Vorderasien, fast überall in Frühzeiten der Kultur finden wir, daß
dort, wo ein Volk siegt, auch sein Gott siegt, was von den Menschen mit der in
religiösen Dingen so häufigen Kausalvertauschung so gedeutet wird, daß, weil der
Gott der stärkere gewesen sei, sein Volk gewann, nicht etwa umgekehrt, daß der
Gott gesiegt habe, weil sein Volk das stärkere gewesen. Auch in der Frühzeit
Israels liegen die Verhältnisse ähnlich. Jahwe ist eine Art oberster Kriegsherr
der Hebräer, die Götter und „BaalS" der Feinde sind nicht etwa abergläubische
Vorstellungen und Irrtümer, söndnn politische Realitäten. Politik und Religion
sind eins. Priester leiten die politischen Angelegenheiten, Opfer und Gebete sind
Obliegenheiten des Staates.

Das wäre die erste Stufe der Entwicklung. Eine zweite Stufe ist dadurch
gekennzeichnet, daß Religion und Politik zwar noch eng verbunden sind, aber
doch nicht mehr eins. So war es etwa im Griechenland der früheren Zeit, wo
die Orakel zwar tief eingriffen in die Politik, aber doch nickt selber auch die aus¬
führende Macht überwachten. Diesen Zustand, daß die Religion als wichtiger
Faktor sich in das Staatswesen einfüge, will im Grunde der autoritative Prote¬
stantismus auch für unsere Zeit durchgeführt wissen.

Das Mittelalter bringt die besondere Entwicklung, daß in der Kirche ein
Staat im Staate entsteht, der seine Politik oft genug gegen die weltliche Macht
durchsetzt, zugleich aber auch selber bestrebt ist, einen theokratischer Zustand her¬
aufzuführen, der letzten Endes wieder zu der ursprünglichen Identität von Politik
und Religion zurückstrebt. Das, was der heutige Katholizismus will, ist die
Fortsetzung und Weiterentwicklung dieses Verhältnisses.

Demgegenüber vertritt der Protestantismus in seinen freieren Formen,
vor allem 'aber jede Art philosophischer Religion, daS Bestreben, die Religion
möglichst loszulösen von dem Staate. Sie machen ernst mit dem Worte Jesu,
daß man dem Kaiser geben solle, was des Kaisers sei, Gotte aber, was Gottes
sei. Indem die Religion als eine Sache der Persönlichkeit erklärt wird, muß sie
notwendig losgelöst werden von sozialen Zusammenhängen, sie kann sich so wenig
mit Politik berühren, wie etwa Farben und Klänge sich berühren können, sie er¬
scheinen so heterogen, daß eine wirkliche Vereinigung ausgeschlossen ist. Eine
solche Anschauung ist überzeugt, daß sie allein die wahre Religion zu geben
habe, gereinigt von den Schlacken irdischer Beimischung. Und so kommt es, daß
gerade' diese innerlichst religiösen Menschen sich in ihren religionspolitischen An-
schauungen mit denen treffen, die in der Religion nichts sehen, als eine schüd-


Grenzboten I 1919 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335367"/>
          <fw type="header" place="top"> Religion und Politik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_844" prev="#ID_843"> kirchlichen Staat im Staate, eine politische Organisation der Religion innerhalb<lb/>
der übrigen politischen Macht. Gewiß ist das nur eine mit gegebenen Verhält¬<lb/>
nissen rechnende Zurückhaltung, denn letzten Endes kommt es auch den katholischen<lb/>
Kirchenpolitikern auf mehr an. auf mehr sogar als den protestantischen, die nur<lb/>
Verbindung von Staat und Kirche wollen, während die römische Kirche Über-<lb/>
ordnung der Kirche heischt. &#x2014; Im Grunde ist dies Nebeneinander verschiedener<lb/>
Ansichten nur die Weiterführung der wichtigsten Entwicklungsstufen der religiösen<lb/>
Kultur bis in die Gegenwart hinein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_845"> Prüfen wir das Problem historisch, so darf man nicht etwa vom Urchristen¬<lb/>
tum ausgehen, wo Religion und Staat überhaupt noch nicht in Beziehung stan¬<lb/>
den, wo höchstens Religion und soziale Fragen sich berührten und auch sonst<lb/>
exzeptionelle Verhältnisse vorlagen: man nutz weiter zurückgehen, zu den Anfängen<lb/>
der Religion überhaupt und zwar, da wir rein historisch nie an einen Anfang<lb/>
gelangen, zu den kulturellen Fnihstufen, die sich abseits der großen Knliurent-<lb/>
Wicklungen bei primitiven Völkern erhalten haben. Da nun finden wir fast über¬<lb/>
einstimmend, daß in allen Völkern, wo eine Politik im Sinne eines festen<lb/>
Stammeszusammenschlusses, der im Gegensatz zu Stammesfremdcn solidarisch<lb/>
handelt, besteht, die Religion nicht etwa Privatsache ist, sondern fast identisch ist<lb/>
mit Politik. Das &#x201E;Totem" der Naturvölker ist ebensosehr religiöses Vcrehrungs-<lb/>
objekt wie nationales Einheitssymbol, es bekommt besonders im Kriege deutlichen<lb/>
Wappencharakter. Der Kampf der Stämme ist ein Kampf ihres Gottes: in<lb/>
Ägypten, in Vorderasien, fast überall in Frühzeiten der Kultur finden wir, daß<lb/>
dort, wo ein Volk siegt, auch sein Gott siegt, was von den Menschen mit der in<lb/>
religiösen Dingen so häufigen Kausalvertauschung so gedeutet wird, daß, weil der<lb/>
Gott der stärkere gewesen sei, sein Volk gewann, nicht etwa umgekehrt, daß der<lb/>
Gott gesiegt habe, weil sein Volk das stärkere gewesen. Auch in der Frühzeit<lb/>
Israels liegen die Verhältnisse ähnlich. Jahwe ist eine Art oberster Kriegsherr<lb/>
der Hebräer, die Götter und &#x201E;BaalS" der Feinde sind nicht etwa abergläubische<lb/>
Vorstellungen und Irrtümer, söndnn politische Realitäten. Politik und Religion<lb/>
sind eins. Priester leiten die politischen Angelegenheiten, Opfer und Gebete sind<lb/>
Obliegenheiten des Staates.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_846"> Das wäre die erste Stufe der Entwicklung. Eine zweite Stufe ist dadurch<lb/>
gekennzeichnet, daß Religion und Politik zwar noch eng verbunden sind, aber<lb/>
doch nicht mehr eins. So war es etwa im Griechenland der früheren Zeit, wo<lb/>
die Orakel zwar tief eingriffen in die Politik, aber doch nickt selber auch die aus¬<lb/>
führende Macht überwachten. Diesen Zustand, daß die Religion als wichtiger<lb/>
Faktor sich in das Staatswesen einfüge, will im Grunde der autoritative Prote¬<lb/>
stantismus auch für unsere Zeit durchgeführt wissen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_847"> Das Mittelalter bringt die besondere Entwicklung, daß in der Kirche ein<lb/>
Staat im Staate entsteht, der seine Politik oft genug gegen die weltliche Macht<lb/>
durchsetzt, zugleich aber auch selber bestrebt ist, einen theokratischer Zustand her¬<lb/>
aufzuführen, der letzten Endes wieder zu der ursprünglichen Identität von Politik<lb/>
und Religion zurückstrebt. Das, was der heutige Katholizismus will, ist die<lb/>
Fortsetzung und Weiterentwicklung dieses Verhältnisses.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_848" next="#ID_849"> Demgegenüber vertritt der Protestantismus in seinen freieren Formen,<lb/>
vor allem 'aber jede Art philosophischer Religion, daS Bestreben, die Religion<lb/>
möglichst loszulösen von dem Staate. Sie machen ernst mit dem Worte Jesu,<lb/>
daß man dem Kaiser geben solle, was des Kaisers sei, Gotte aber, was Gottes<lb/>
sei. Indem die Religion als eine Sache der Persönlichkeit erklärt wird, muß sie<lb/>
notwendig losgelöst werden von sozialen Zusammenhängen, sie kann sich so wenig<lb/>
mit Politik berühren, wie etwa Farben und Klänge sich berühren können, sie er¬<lb/>
scheinen so heterogen, daß eine wirkliche Vereinigung ausgeschlossen ist. Eine<lb/>
solche Anschauung ist überzeugt, daß sie allein die wahre Religion zu geben<lb/>
habe, gereinigt von den Schlacken irdischer Beimischung. Und so kommt es, daß<lb/>
gerade' diese innerlichst religiösen Menschen sich in ihren religionspolitischen An-<lb/>
schauungen mit denen treffen, die in der Religion nichts sehen, als eine schüd-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1919 12</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] Religion und Politik kirchlichen Staat im Staate, eine politische Organisation der Religion innerhalb der übrigen politischen Macht. Gewiß ist das nur eine mit gegebenen Verhält¬ nissen rechnende Zurückhaltung, denn letzten Endes kommt es auch den katholischen Kirchenpolitikern auf mehr an. auf mehr sogar als den protestantischen, die nur Verbindung von Staat und Kirche wollen, während die römische Kirche Über- ordnung der Kirche heischt. — Im Grunde ist dies Nebeneinander verschiedener Ansichten nur die Weiterführung der wichtigsten Entwicklungsstufen der religiösen Kultur bis in die Gegenwart hinein. Prüfen wir das Problem historisch, so darf man nicht etwa vom Urchristen¬ tum ausgehen, wo Religion und Staat überhaupt noch nicht in Beziehung stan¬ den, wo höchstens Religion und soziale Fragen sich berührten und auch sonst exzeptionelle Verhältnisse vorlagen: man nutz weiter zurückgehen, zu den Anfängen der Religion überhaupt und zwar, da wir rein historisch nie an einen Anfang gelangen, zu den kulturellen Fnihstufen, die sich abseits der großen Knliurent- Wicklungen bei primitiven Völkern erhalten haben. Da nun finden wir fast über¬ einstimmend, daß in allen Völkern, wo eine Politik im Sinne eines festen Stammeszusammenschlusses, der im Gegensatz zu Stammesfremdcn solidarisch handelt, besteht, die Religion nicht etwa Privatsache ist, sondern fast identisch ist mit Politik. Das „Totem" der Naturvölker ist ebensosehr religiöses Vcrehrungs- objekt wie nationales Einheitssymbol, es bekommt besonders im Kriege deutlichen Wappencharakter. Der Kampf der Stämme ist ein Kampf ihres Gottes: in Ägypten, in Vorderasien, fast überall in Frühzeiten der Kultur finden wir, daß dort, wo ein Volk siegt, auch sein Gott siegt, was von den Menschen mit der in religiösen Dingen so häufigen Kausalvertauschung so gedeutet wird, daß, weil der Gott der stärkere gewesen sei, sein Volk gewann, nicht etwa umgekehrt, daß der Gott gesiegt habe, weil sein Volk das stärkere gewesen. Auch in der Frühzeit Israels liegen die Verhältnisse ähnlich. Jahwe ist eine Art oberster Kriegsherr der Hebräer, die Götter und „BaalS" der Feinde sind nicht etwa abergläubische Vorstellungen und Irrtümer, söndnn politische Realitäten. Politik und Religion sind eins. Priester leiten die politischen Angelegenheiten, Opfer und Gebete sind Obliegenheiten des Staates. Das wäre die erste Stufe der Entwicklung. Eine zweite Stufe ist dadurch gekennzeichnet, daß Religion und Politik zwar noch eng verbunden sind, aber doch nicht mehr eins. So war es etwa im Griechenland der früheren Zeit, wo die Orakel zwar tief eingriffen in die Politik, aber doch nickt selber auch die aus¬ führende Macht überwachten. Diesen Zustand, daß die Religion als wichtiger Faktor sich in das Staatswesen einfüge, will im Grunde der autoritative Prote¬ stantismus auch für unsere Zeit durchgeführt wissen. Das Mittelalter bringt die besondere Entwicklung, daß in der Kirche ein Staat im Staate entsteht, der seine Politik oft genug gegen die weltliche Macht durchsetzt, zugleich aber auch selber bestrebt ist, einen theokratischer Zustand her¬ aufzuführen, der letzten Endes wieder zu der ursprünglichen Identität von Politik und Religion zurückstrebt. Das, was der heutige Katholizismus will, ist die Fortsetzung und Weiterentwicklung dieses Verhältnisses. Demgegenüber vertritt der Protestantismus in seinen freieren Formen, vor allem 'aber jede Art philosophischer Religion, daS Bestreben, die Religion möglichst loszulösen von dem Staate. Sie machen ernst mit dem Worte Jesu, daß man dem Kaiser geben solle, was des Kaisers sei, Gotte aber, was Gottes sei. Indem die Religion als eine Sache der Persönlichkeit erklärt wird, muß sie notwendig losgelöst werden von sozialen Zusammenhängen, sie kann sich so wenig mit Politik berühren, wie etwa Farben und Klänge sich berühren können, sie er¬ scheinen so heterogen, daß eine wirkliche Vereinigung ausgeschlossen ist. Eine solche Anschauung ist überzeugt, daß sie allein die wahre Religion zu geben habe, gereinigt von den Schlacken irdischer Beimischung. Und so kommt es, daß gerade' diese innerlichst religiösen Menschen sich in ihren religionspolitischen An- schauungen mit denen treffen, die in der Religion nichts sehen, als eine schüd- Grenzboten I 1919 12

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/185>, abgerufen am 05.02.2025.