Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.vom Aufbau der Gewalten ständigen Fühlung mit den Regierungen der Einzelstaaten oder, wie die "Frank¬ Freilich muß man auch den Warnern auf der anderen Seite Aufmerksamkeit Die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung beim Reichstag Das ist immerhin ein ganz beträchtlicher Fortschritt im Vergleich zum alten Dabei hätte man also nicht den nordamerikanischen Typus mit seiner grund- 2) Anschütz in der Zeitschrift "Deutsche Politik" 1S19, Heft 4. " °) "Frankfurter Zeitung vom 20. Februar, Abendblatt.
vom Aufbau der Gewalten ständigen Fühlung mit den Regierungen der Einzelstaaten oder, wie die „Frank¬ Freilich muß man auch den Warnern auf der anderen Seite Aufmerksamkeit Die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung beim Reichstag Das ist immerhin ein ganz beträchtlicher Fortschritt im Vergleich zum alten Dabei hätte man also nicht den nordamerikanischen Typus mit seiner grund- 2) Anschütz in der Zeitschrift „Deutsche Politik" 1S19, Heft 4. " °) „Frankfurter Zeitung vom 20. Februar, Abendblatt.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335339"/> <fw type="header" place="top"> vom Aufbau der Gewalten</fw><lb/> <p xml:id="ID_715" prev="#ID_714"> ständigen Fühlung mit den Regierungen der Einzelstaaten oder, wie die „Frank¬<lb/> furter Zeitung" diesen Satz der „Denkschrift" ausdrückt: für die organische und<lb/> organisatorische Verbindung zwischen Reich und Einzelstaaten sind die beider¬<lb/> seitigen Regierungen, und nur sie, die gegebenen Anknüpfungspunkte, Muß man<lb/> dies aber als richtig anerkennen, so ist,der Dualismus von Staatenhaus und<lb/> Reichstag eine überflüssige Umständlichkeit und in den Beratungen bei Gelegenheit<lb/> des endgültigen Entwurfs mit gutem Grunde fallen gelassen worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_716"> Freilich muß man auch den Warnern auf der anderen Seite Aufmerksamkeit<lb/> schenken. Jene Schutzimpfung gegen den Separatismus darf nicht die Lebenskraft<lb/> einer gesunden, einheitlichen Reichsregierung angreifen! Das unselige Neben¬<lb/> einander von zwei Regierungen, wie wir es früher im Reiche hatten, (Bundesrat<lb/> und die durch Kaiser, Kanzler und Staatssekretäre verkörperte „Neichsleitung")<lb/> wuß unter allen Umständen vermieden werden. Das Schwergewicht der ver¬<lb/> änderten Tatsachen wird 'hier mehr wirken als doktrinäre Bestimmungen.<lb/> Immerhin ist es wichtig, daß man von vornherein eine veränderte Anlage der<lb/> Maschinerie gewählt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_717"> Die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung beim Reichstag<lb/> bedarf zwar (nach Art. 24) der Zustimmung des Reichsrath. Kommt aber eine<lb/> Übereinstimmung zwischen den beiden Instanzen nicht zustande, so ist die Reichs¬<lb/> regierung befugt, bie Vorlage gleichwohl einzubringen. Hier ist ein Krebsschade des<lb/> alten Rechts glücklich beseitigt. Ließ sich früher eine Einigung zwischen „Bundesrat"<lb/> und Neichsleitung nicht bewerkstelligen, so war das Schicksal der Regierungs¬<lb/> vorlage besiegelt, „der Weg zum Reichstage versperrt". Ähnliche „Revisionen"<lb/> hat man in einem späteren Stadium des legislatorischen Prozesses vorgenommen.<lb/> Der Reichsrat kann gegenüber den vom Reichstage beschlossenen Gesetzen Einspruch<lb/> erheben (Art. 26). Dann muß das Parlament von neuem beraten. Kommt aber<lb/> wiederum kein Vergleich zustande, so kann (warum nicht „muß"?) der Reichs¬<lb/> präsident an das Volk (im Wege des Referendum) appellieren oder sogar schon<lb/> der Reichstag als solcher obsiegen, falls er die für Verfassungsänderungen vor¬<lb/> gesehene (Zweidrittel-) Majorität zusammenbringt. ^</p><lb/> <p xml:id="ID_718"> Das ist immerhin ein ganz beträchtlicher Fortschritt im Vergleich zum alten<lb/> Regime, wo es gegenüber einem ablehnenden Bescheid des Bundesrath keinen<lb/> Instanzenzug an eine höhere Stelle mehr gab. .Der neue Zustand, der diese<lb/> Instanz in der vox populi herstellt, versinnbildlicht deutlich den Übergang der<lb/> souveränes von den „Verbündeten Regierungen", wo sie für Bismarck ruhte,<lb/> aus die Gesamtheit der Regierten!</p><lb/> <p xml:id="ID_719" next="#ID_720"> Dabei hätte man also nicht den nordamerikanischen Typus mit seiner grund-<lb/> sätzlichen Gleichstellung der beiden Kammern, sondern etwa das australische oder<lb/> kanadische System, wo ebenso grundsätzlich das Volkshaus gegenüber dem föderativem<lb/> Organ bevorzugt ist, für Deutschland als Richtung gebend anzusehen. Der<lb/> ^undesrat — in Form des Reichsrath — verliert seine ehemalige Prärogative<lb/> der Gesetzessanktion (und „Vorsanktion"), ebenso die entscheidende Stimme bei<lb/> Verfassungsänderungen, wie sie, ihm Art. 78 R. V. gab. Er hat die gesetz¬<lb/> geberischen Entwürfe vorzuberaten und zu begutachten als eine Art „föderalistischer<lb/> Staatsrat" 2), darüber hinaus nimmt er aber (wenn auch nur mit suspensivem<lb/> ^ceo) an der Gesetzgebung beschließend teil und auch das Feld der Verwaltung<lb/> lst ihm ja keineswegs verschlossen. Hier würden ihm gerade auf dem Grenz¬<lb/> gebiet, „wo bei der Ausführung der Gesetze die Zuständigkeit des Reichs aufhört<lb/> und die der Staaten beginnt", lohnende Aufgaben winken; er würde „die ersten<lb/> Stadien der einzelstaatljchen Exekutive gewissermaßen genossenschaftlich zu zentra-<lb/> usteren und so einen Übergang zu dem weiteren Sondervorgehen der einzelnen<lb/> Regierungen darzustellen" haben.") Nur müßte sich (wie angedeutet) dieses auf<lb/> der Grenze der Verwaltungen wirkende Organ selber vor eigenmächtigen Grenz-</p><lb/> <note xml:id="FID_33" place="foot"> 2) Anschütz in der Zeitschrift „Deutsche Politik" 1S19, Heft 4.<lb/> "</note><lb/> <note xml:id="FID_34" place="foot"> °) „Frankfurter Zeitung vom 20. Februar, Abendblatt.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0157]
vom Aufbau der Gewalten
ständigen Fühlung mit den Regierungen der Einzelstaaten oder, wie die „Frank¬
furter Zeitung" diesen Satz der „Denkschrift" ausdrückt: für die organische und
organisatorische Verbindung zwischen Reich und Einzelstaaten sind die beider¬
seitigen Regierungen, und nur sie, die gegebenen Anknüpfungspunkte, Muß man
dies aber als richtig anerkennen, so ist,der Dualismus von Staatenhaus und
Reichstag eine überflüssige Umständlichkeit und in den Beratungen bei Gelegenheit
des endgültigen Entwurfs mit gutem Grunde fallen gelassen worden.
Freilich muß man auch den Warnern auf der anderen Seite Aufmerksamkeit
schenken. Jene Schutzimpfung gegen den Separatismus darf nicht die Lebenskraft
einer gesunden, einheitlichen Reichsregierung angreifen! Das unselige Neben¬
einander von zwei Regierungen, wie wir es früher im Reiche hatten, (Bundesrat
und die durch Kaiser, Kanzler und Staatssekretäre verkörperte „Neichsleitung")
wuß unter allen Umständen vermieden werden. Das Schwergewicht der ver¬
änderten Tatsachen wird 'hier mehr wirken als doktrinäre Bestimmungen.
Immerhin ist es wichtig, daß man von vornherein eine veränderte Anlage der
Maschinerie gewählt hat.
Die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung beim Reichstag
bedarf zwar (nach Art. 24) der Zustimmung des Reichsrath. Kommt aber eine
Übereinstimmung zwischen den beiden Instanzen nicht zustande, so ist die Reichs¬
regierung befugt, bie Vorlage gleichwohl einzubringen. Hier ist ein Krebsschade des
alten Rechts glücklich beseitigt. Ließ sich früher eine Einigung zwischen „Bundesrat"
und Neichsleitung nicht bewerkstelligen, so war das Schicksal der Regierungs¬
vorlage besiegelt, „der Weg zum Reichstage versperrt". Ähnliche „Revisionen"
hat man in einem späteren Stadium des legislatorischen Prozesses vorgenommen.
Der Reichsrat kann gegenüber den vom Reichstage beschlossenen Gesetzen Einspruch
erheben (Art. 26). Dann muß das Parlament von neuem beraten. Kommt aber
wiederum kein Vergleich zustande, so kann (warum nicht „muß"?) der Reichs¬
präsident an das Volk (im Wege des Referendum) appellieren oder sogar schon
der Reichstag als solcher obsiegen, falls er die für Verfassungsänderungen vor¬
gesehene (Zweidrittel-) Majorität zusammenbringt. ^
Das ist immerhin ein ganz beträchtlicher Fortschritt im Vergleich zum alten
Regime, wo es gegenüber einem ablehnenden Bescheid des Bundesrath keinen
Instanzenzug an eine höhere Stelle mehr gab. .Der neue Zustand, der diese
Instanz in der vox populi herstellt, versinnbildlicht deutlich den Übergang der
souveränes von den „Verbündeten Regierungen", wo sie für Bismarck ruhte,
aus die Gesamtheit der Regierten!
Dabei hätte man also nicht den nordamerikanischen Typus mit seiner grund-
sätzlichen Gleichstellung der beiden Kammern, sondern etwa das australische oder
kanadische System, wo ebenso grundsätzlich das Volkshaus gegenüber dem föderativem
Organ bevorzugt ist, für Deutschland als Richtung gebend anzusehen. Der
^undesrat — in Form des Reichsrath — verliert seine ehemalige Prärogative
der Gesetzessanktion (und „Vorsanktion"), ebenso die entscheidende Stimme bei
Verfassungsänderungen, wie sie, ihm Art. 78 R. V. gab. Er hat die gesetz¬
geberischen Entwürfe vorzuberaten und zu begutachten als eine Art „föderalistischer
Staatsrat" 2), darüber hinaus nimmt er aber (wenn auch nur mit suspensivem
^ceo) an der Gesetzgebung beschließend teil und auch das Feld der Verwaltung
lst ihm ja keineswegs verschlossen. Hier würden ihm gerade auf dem Grenz¬
gebiet, „wo bei der Ausführung der Gesetze die Zuständigkeit des Reichs aufhört
und die der Staaten beginnt", lohnende Aufgaben winken; er würde „die ersten
Stadien der einzelstaatljchen Exekutive gewissermaßen genossenschaftlich zu zentra-
usteren und so einen Übergang zu dem weiteren Sondervorgehen der einzelnen
Regierungen darzustellen" haben.") Nur müßte sich (wie angedeutet) dieses auf
der Grenze der Verwaltungen wirkende Organ selber vor eigenmächtigen Grenz-
2) Anschütz in der Zeitschrift „Deutsche Politik" 1S19, Heft 4.
"
°) „Frankfurter Zeitung vom 20. Februar, Abendblatt.
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