Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die neue A"in

Wir sehen, der Einbruch zuerst im Rieich, von wo er sich auf die einzelnen Maate"
fortpflanzt, wie das bei der verkoppelten Struktur unseres VerfassungSbaues
nicht nur zu erwarten, sondern geradezu notwendig ist.

ES scheinen also diejenigen recht zu bekommen, die in dem deutsche"
Gystem kein Wesen ,ni ssusri", sondern eine Übergangsform entweder zu ab¬
solutistischen oder zu. rein parlamentarischen Zuständen sehen wollten. Denn
daß es sich bei den gegenwärtigen Maßnahmen um bloße Kriegsersatzmittel han¬
deln könnte, dagegen spricht doch nicht nur das ausdrückliche Zeugnis des neuen
Kanzlers in einer der ernstesten Stunden dieses Krieges, solche Vermutung sollte
vielmehr schon aus Achtung vor den Motiven der Krone nicht laut werden.')
Zu der Tat spricht alles, waS wir in den letzten Jahren erlebt haben, für die
Annahme eines in kontinuierlichen Formen sich vollziehenden historisch-politi-
sMn Prozesses: die Vorgänge beim Rücktritt Aethmann Hollwegj". während der
tragikomischen Episode Michaelis, bei der Berufung Hertlings bedeuten
ebensoviele Wegemale einer neuen Zeit. Und wenn der letzte Kanzler persön¬
lich zu jener Ausfassung vom "Kriegsersatzmiitel"geneigt haben sollte,') so wäre
auch sie eben als Entwicklungsstufe charakteristisch, wie die noch nach alten Ge¬
wohnheiten vollzogene Ernennung von Hintzes die Rolle eines retardierenden
Moments gespielt hat. Den Zeitgenossen erscheint die jüngste Evolution als
eine höchstgedrängte Wiederholung der Jahre 1815 bis 1848 und eine Parallele
zwischen dem Übergang zum Verfassungsstaate, und seiner gegenwärtigen Fort¬
entwicklung dürfte allerdings erlaubt sein.

Auch das Verhalten der Krone zeigt in beiden Fällen eine interessante
Übereinstimmung. Wie damals der Monarch aus eigenem Willensentschluß sich
eines Teiles seiner absoluten Machtvollkommenheit zugunsten der Volksvertre¬
tung entäußerte, so wird auch diesmal an dem Gedanken der Freiwilligkeit fest¬
gehalten, die parlamentarische Regierungsweise wie früher die verfassungsmäßige
gleichsam oktroyiert, was natürlich an den Tatsachen hier so wenig wie dort
etwas zu ändern vermag.

Wenn die allgemeine Richtung unserer inneren Politik im Sinne
des Wortes von einer stetig zunehmenden Demokratisierung angedeutet wurde,
so ist damit Natürlich rin einzelnen noch nichts festgelegt/ in: besonderen die
Frage nicht beantwortet, ob wir eine reine Parlamentsherrschaft je bekommen
werden. Nichts ist doch zurzeit stärker zu betonen, als daß wir in den aller¬
ersten Anfängen der Umwandlung stehen. Drum findet sich zu übertriebenen
Freude- oder Wehegeschrei keinerlei Anlaß. D:e schon heute dem Staate
Preußen und dem Reiche Bismarcks das Grablied singen, verraten, soweit sie
damit nicht parteipolitische Zwecke verfolgen, doch wenig Vertrauen zu dieser
Überlieferung und schätzen die Hemmungen zu gering ein. Aber auch jene
anderen jubeln zu früh, die durch einen kaiserlichen Federstrich und parlamen¬
tarische Minister sich am Ziele ihrer Wünsche wähnen. Wir möchten in einem
Glerchnis sagen, was geschah. Eine Operation ward als notwendig erkannt
an unserem inneren politischen Körper. Im Augenblicke ist nichts weiter er¬
reicht, als daß diese Operation durchgeführt wurde. Ein breiter Schnitt ging
durch das Zellgewebe unseres Verfaffungslebens, alte Verbindungen trennend,
Säfte und Kräfte in neue Bahnen lenkend. Wie der Heilungsprozeß verläuft,
der bis dahin fremde Elemente zusammenzwingt und Lücken ausfüllen muß, ist
fast noch eine wichtigere Frage als der Eingriff in den Organismus und von
hundert Möglichkeiten und Zwischenfällen abhängig.

Das unglückliche Äußere der 1871er Verfassung, die ja keine volkstüm¬
liche Urkunde, sondern ein diplomatisches Aktenstück mit allen Mängeln eines
solchen darstellt, hat der Mehrzahl deutscher Staatsbürger die ohnehin schon
schwerverständliche Struktur unseres gUed- und bundesstaatlichen Neben-, liber-




') Auch der Leitartikler für auswärtige Politik bei der "Kreuz-Zeitung",
'.Otto Hoetzsch, glaubt an die Unwiderruflichkeit der Umwälzung. (9. Oktober 1918.)
'
) Vgs. Grenzboten Hest 30, S. 89.
Die neue A«in

Wir sehen, der Einbruch zuerst im Rieich, von wo er sich auf die einzelnen Maate»
fortpflanzt, wie das bei der verkoppelten Struktur unseres VerfassungSbaues
nicht nur zu erwarten, sondern geradezu notwendig ist.

ES scheinen also diejenigen recht zu bekommen, die in dem deutsche«
Gystem kein Wesen ,ni ssusri«, sondern eine Übergangsform entweder zu ab¬
solutistischen oder zu. rein parlamentarischen Zuständen sehen wollten. Denn
daß es sich bei den gegenwärtigen Maßnahmen um bloße Kriegsersatzmittel han¬
deln könnte, dagegen spricht doch nicht nur das ausdrückliche Zeugnis des neuen
Kanzlers in einer der ernstesten Stunden dieses Krieges, solche Vermutung sollte
vielmehr schon aus Achtung vor den Motiven der Krone nicht laut werden.')
Zu der Tat spricht alles, waS wir in den letzten Jahren erlebt haben, für die
Annahme eines in kontinuierlichen Formen sich vollziehenden historisch-politi-
sMn Prozesses: die Vorgänge beim Rücktritt Aethmann Hollwegj». während der
tragikomischen Episode Michaelis, bei der Berufung Hertlings bedeuten
ebensoviele Wegemale einer neuen Zeit. Und wenn der letzte Kanzler persön¬
lich zu jener Ausfassung vom „Kriegsersatzmiitel"geneigt haben sollte,') so wäre
auch sie eben als Entwicklungsstufe charakteristisch, wie die noch nach alten Ge¬
wohnheiten vollzogene Ernennung von Hintzes die Rolle eines retardierenden
Moments gespielt hat. Den Zeitgenossen erscheint die jüngste Evolution als
eine höchstgedrängte Wiederholung der Jahre 1815 bis 1848 und eine Parallele
zwischen dem Übergang zum Verfassungsstaate, und seiner gegenwärtigen Fort¬
entwicklung dürfte allerdings erlaubt sein.

Auch das Verhalten der Krone zeigt in beiden Fällen eine interessante
Übereinstimmung. Wie damals der Monarch aus eigenem Willensentschluß sich
eines Teiles seiner absoluten Machtvollkommenheit zugunsten der Volksvertre¬
tung entäußerte, so wird auch diesmal an dem Gedanken der Freiwilligkeit fest¬
gehalten, die parlamentarische Regierungsweise wie früher die verfassungsmäßige
gleichsam oktroyiert, was natürlich an den Tatsachen hier so wenig wie dort
etwas zu ändern vermag.

Wenn die allgemeine Richtung unserer inneren Politik im Sinne
des Wortes von einer stetig zunehmenden Demokratisierung angedeutet wurde,
so ist damit Natürlich rin einzelnen noch nichts festgelegt/ in: besonderen die
Frage nicht beantwortet, ob wir eine reine Parlamentsherrschaft je bekommen
werden. Nichts ist doch zurzeit stärker zu betonen, als daß wir in den aller¬
ersten Anfängen der Umwandlung stehen. Drum findet sich zu übertriebenen
Freude- oder Wehegeschrei keinerlei Anlaß. D:e schon heute dem Staate
Preußen und dem Reiche Bismarcks das Grablied singen, verraten, soweit sie
damit nicht parteipolitische Zwecke verfolgen, doch wenig Vertrauen zu dieser
Überlieferung und schätzen die Hemmungen zu gering ein. Aber auch jene
anderen jubeln zu früh, die durch einen kaiserlichen Federstrich und parlamen¬
tarische Minister sich am Ziele ihrer Wünsche wähnen. Wir möchten in einem
Glerchnis sagen, was geschah. Eine Operation ward als notwendig erkannt
an unserem inneren politischen Körper. Im Augenblicke ist nichts weiter er¬
reicht, als daß diese Operation durchgeführt wurde. Ein breiter Schnitt ging
durch das Zellgewebe unseres Verfaffungslebens, alte Verbindungen trennend,
Säfte und Kräfte in neue Bahnen lenkend. Wie der Heilungsprozeß verläuft,
der bis dahin fremde Elemente zusammenzwingt und Lücken ausfüllen muß, ist
fast noch eine wichtigere Frage als der Eingriff in den Organismus und von
hundert Möglichkeiten und Zwischenfällen abhängig.

Das unglückliche Äußere der 1871er Verfassung, die ja keine volkstüm¬
liche Urkunde, sondern ein diplomatisches Aktenstück mit allen Mängeln eines
solchen darstellt, hat der Mehrzahl deutscher Staatsbürger die ohnehin schon
schwerverständliche Struktur unseres gUed- und bundesstaatlichen Neben-, liber-




') Auch der Leitartikler für auswärtige Politik bei der „Kreuz-Zeitung",
'.Otto Hoetzsch, glaubt an die Unwiderruflichkeit der Umwälzung. (9. Oktober 1918.)
'
) Vgs. Grenzboten Hest 30, S. 89.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88320"/>
          <fw type="header" place="top"> Die neue A«in</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_311" prev="#ID_310"> Wir sehen, der Einbruch zuerst im Rieich, von wo er sich auf die einzelnen Maate»<lb/>
fortpflanzt, wie das bei der verkoppelten Struktur unseres VerfassungSbaues<lb/>
nicht nur zu erwarten, sondern geradezu notwendig ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312"> ES scheinen also diejenigen recht zu bekommen, die in dem deutsche«<lb/>
Gystem kein Wesen ,ni ssusri«, sondern eine Übergangsform entweder zu ab¬<lb/>
solutistischen oder zu. rein parlamentarischen Zuständen sehen wollten. Denn<lb/>
daß es sich bei den gegenwärtigen Maßnahmen um bloße Kriegsersatzmittel han¬<lb/>
deln könnte, dagegen spricht doch nicht nur das ausdrückliche Zeugnis des neuen<lb/>
Kanzlers in einer der ernstesten Stunden dieses Krieges, solche Vermutung sollte<lb/>
vielmehr schon aus Achtung vor den Motiven der Krone nicht laut werden.')<lb/>
Zu der Tat spricht alles, waS wir in den letzten Jahren erlebt haben, für die<lb/>
Annahme eines in kontinuierlichen Formen sich vollziehenden historisch-politi-<lb/>
sMn Prozesses: die Vorgänge beim Rücktritt Aethmann Hollwegj». während der<lb/>
tragikomischen Episode Michaelis, bei der Berufung Hertlings bedeuten<lb/>
ebensoviele Wegemale einer neuen Zeit. Und wenn der letzte Kanzler persön¬<lb/>
lich zu jener Ausfassung vom &#x201E;Kriegsersatzmiitel"geneigt haben sollte,') so wäre<lb/>
auch sie eben als Entwicklungsstufe charakteristisch, wie die noch nach alten Ge¬<lb/>
wohnheiten vollzogene Ernennung von Hintzes die Rolle eines retardierenden<lb/>
Moments gespielt hat. Den Zeitgenossen erscheint die jüngste Evolution als<lb/>
eine höchstgedrängte Wiederholung der Jahre 1815 bis 1848 und eine Parallele<lb/>
zwischen dem Übergang zum Verfassungsstaate, und seiner gegenwärtigen Fort¬<lb/>
entwicklung dürfte allerdings erlaubt sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_313"> Auch das Verhalten der Krone zeigt in beiden Fällen eine interessante<lb/>
Übereinstimmung. Wie damals der Monarch aus eigenem Willensentschluß sich<lb/>
eines Teiles seiner absoluten Machtvollkommenheit zugunsten der Volksvertre¬<lb/>
tung entäußerte, so wird auch diesmal an dem Gedanken der Freiwilligkeit fest¬<lb/>
gehalten, die parlamentarische Regierungsweise wie früher die verfassungsmäßige<lb/>
gleichsam oktroyiert, was natürlich an den Tatsachen hier so wenig wie dort<lb/>
etwas zu ändern vermag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_314"> Wenn die allgemeine Richtung unserer inneren Politik im Sinne<lb/>
des Wortes von einer stetig zunehmenden Demokratisierung angedeutet wurde,<lb/>
so ist damit Natürlich rin einzelnen noch nichts festgelegt/ in: besonderen die<lb/>
Frage nicht beantwortet, ob wir eine reine Parlamentsherrschaft je bekommen<lb/>
werden. Nichts ist doch zurzeit stärker zu betonen, als daß wir in den aller¬<lb/>
ersten Anfängen der Umwandlung stehen. Drum findet sich zu übertriebenen<lb/>
Freude- oder Wehegeschrei keinerlei Anlaß. D:e schon heute dem Staate<lb/>
Preußen und dem Reiche Bismarcks das Grablied singen, verraten, soweit sie<lb/>
damit nicht parteipolitische Zwecke verfolgen, doch wenig Vertrauen zu dieser<lb/>
Überlieferung und schätzen die Hemmungen zu gering ein. Aber auch jene<lb/>
anderen jubeln zu früh, die durch einen kaiserlichen Federstrich und parlamen¬<lb/>
tarische Minister sich am Ziele ihrer Wünsche wähnen. Wir möchten in einem<lb/>
Glerchnis sagen, was geschah. Eine Operation ward als notwendig erkannt<lb/>
an unserem inneren politischen Körper. Im Augenblicke ist nichts weiter er¬<lb/>
reicht, als daß diese Operation durchgeführt wurde. Ein breiter Schnitt ging<lb/>
durch das Zellgewebe unseres Verfaffungslebens, alte Verbindungen trennend,<lb/>
Säfte und Kräfte in neue Bahnen lenkend. Wie der Heilungsprozeß verläuft,<lb/>
der bis dahin fremde Elemente zusammenzwingt und Lücken ausfüllen muß, ist<lb/>
fast noch eine wichtigere Frage als der Eingriff in den Organismus und von<lb/>
hundert Möglichkeiten und Zwischenfällen abhängig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_315" next="#ID_316"> Das unglückliche Äußere der 1871er Verfassung, die ja keine volkstüm¬<lb/>
liche Urkunde, sondern ein diplomatisches Aktenstück mit allen Mängeln eines<lb/>
solchen darstellt, hat der Mehrzahl deutscher Staatsbürger die ohnehin schon<lb/>
schwerverständliche Struktur unseres gUed- und bundesstaatlichen Neben-, liber-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_19" place="foot"> ') Auch der Leitartikler für auswärtige Politik bei der &#x201E;Kreuz-Zeitung",<lb/>
'.Otto Hoetzsch, glaubt an die Unwiderruflichkeit der Umwälzung. (9. Oktober 1918.)<lb/>
'</note><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> ) Vgs. Grenzboten Hest 30, S. 89.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0082] Die neue A«in Wir sehen, der Einbruch zuerst im Rieich, von wo er sich auf die einzelnen Maate» fortpflanzt, wie das bei der verkoppelten Struktur unseres VerfassungSbaues nicht nur zu erwarten, sondern geradezu notwendig ist. ES scheinen also diejenigen recht zu bekommen, die in dem deutsche« Gystem kein Wesen ,ni ssusri«, sondern eine Übergangsform entweder zu ab¬ solutistischen oder zu. rein parlamentarischen Zuständen sehen wollten. Denn daß es sich bei den gegenwärtigen Maßnahmen um bloße Kriegsersatzmittel han¬ deln könnte, dagegen spricht doch nicht nur das ausdrückliche Zeugnis des neuen Kanzlers in einer der ernstesten Stunden dieses Krieges, solche Vermutung sollte vielmehr schon aus Achtung vor den Motiven der Krone nicht laut werden.') Zu der Tat spricht alles, waS wir in den letzten Jahren erlebt haben, für die Annahme eines in kontinuierlichen Formen sich vollziehenden historisch-politi- sMn Prozesses: die Vorgänge beim Rücktritt Aethmann Hollwegj». während der tragikomischen Episode Michaelis, bei der Berufung Hertlings bedeuten ebensoviele Wegemale einer neuen Zeit. Und wenn der letzte Kanzler persön¬ lich zu jener Ausfassung vom „Kriegsersatzmiitel"geneigt haben sollte,') so wäre auch sie eben als Entwicklungsstufe charakteristisch, wie die noch nach alten Ge¬ wohnheiten vollzogene Ernennung von Hintzes die Rolle eines retardierenden Moments gespielt hat. Den Zeitgenossen erscheint die jüngste Evolution als eine höchstgedrängte Wiederholung der Jahre 1815 bis 1848 und eine Parallele zwischen dem Übergang zum Verfassungsstaate, und seiner gegenwärtigen Fort¬ entwicklung dürfte allerdings erlaubt sein. Auch das Verhalten der Krone zeigt in beiden Fällen eine interessante Übereinstimmung. Wie damals der Monarch aus eigenem Willensentschluß sich eines Teiles seiner absoluten Machtvollkommenheit zugunsten der Volksvertre¬ tung entäußerte, so wird auch diesmal an dem Gedanken der Freiwilligkeit fest¬ gehalten, die parlamentarische Regierungsweise wie früher die verfassungsmäßige gleichsam oktroyiert, was natürlich an den Tatsachen hier so wenig wie dort etwas zu ändern vermag. Wenn die allgemeine Richtung unserer inneren Politik im Sinne des Wortes von einer stetig zunehmenden Demokratisierung angedeutet wurde, so ist damit Natürlich rin einzelnen noch nichts festgelegt/ in: besonderen die Frage nicht beantwortet, ob wir eine reine Parlamentsherrschaft je bekommen werden. Nichts ist doch zurzeit stärker zu betonen, als daß wir in den aller¬ ersten Anfängen der Umwandlung stehen. Drum findet sich zu übertriebenen Freude- oder Wehegeschrei keinerlei Anlaß. D:e schon heute dem Staate Preußen und dem Reiche Bismarcks das Grablied singen, verraten, soweit sie damit nicht parteipolitische Zwecke verfolgen, doch wenig Vertrauen zu dieser Überlieferung und schätzen die Hemmungen zu gering ein. Aber auch jene anderen jubeln zu früh, die durch einen kaiserlichen Federstrich und parlamen¬ tarische Minister sich am Ziele ihrer Wünsche wähnen. Wir möchten in einem Glerchnis sagen, was geschah. Eine Operation ward als notwendig erkannt an unserem inneren politischen Körper. Im Augenblicke ist nichts weiter er¬ reicht, als daß diese Operation durchgeführt wurde. Ein breiter Schnitt ging durch das Zellgewebe unseres Verfaffungslebens, alte Verbindungen trennend, Säfte und Kräfte in neue Bahnen lenkend. Wie der Heilungsprozeß verläuft, der bis dahin fremde Elemente zusammenzwingt und Lücken ausfüllen muß, ist fast noch eine wichtigere Frage als der Eingriff in den Organismus und von hundert Möglichkeiten und Zwischenfällen abhängig. Das unglückliche Äußere der 1871er Verfassung, die ja keine volkstüm¬ liche Urkunde, sondern ein diplomatisches Aktenstück mit allen Mängeln eines solchen darstellt, hat der Mehrzahl deutscher Staatsbürger die ohnehin schon schwerverständliche Struktur unseres gUed- und bundesstaatlichen Neben-, liber- ') Auch der Leitartikler für auswärtige Politik bei der „Kreuz-Zeitung", '.Otto Hoetzsch, glaubt an die Unwiderruflichkeit der Umwälzung. (9. Oktober 1918.) ' ) Vgs. Grenzboten Hest 30, S. 89.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/82
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/82>, abgerufen am 24.11.2024.