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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Das britische Indiamecrrnch

Das britische Indiameerreich
Dr. Kurt Rranse von

"Seine Handelsflotten streckt der Brite
Gierig wie Polypenarme aus,
Und das sreie Reich der Amphitrite Schiller, 1301. Will er schließen wie sein eigen Haus!"

cipid Wird die Welt englisch!" Zu keiner Zeit haben wir die Um-
dieses Leitwortes des englischen Imperialismus in die
ZiÄ deutlicher verfolgen können als gerade jetzt. Mit gespcmn-
^ Aufmerksamkeit verfolgt die Heimat die Vorgänge an der West-
front, wo sie durch die standhafte Abwehr aller mit Übermensch^
'. > lwier Kraft "nternommeuen Durchbruchsversuche und die geniale
Leitung und den zuversichtlichen Weitblick unserer Heerführer geschützt wird. Zu
sehr bleiben unsere Gedanken auf den kleinen Kontinent Europa und seine Mittel¬
staaten beschränkt. Dafür spielt sich fern im Indischen Ozean ein Schau¬
spiel ab, das, selten großartig, auch unsere Beachtung mehr verdient. Hier ist
England nahe daran, sich ein britisches Jndiameerreich zu schassen.
Einzig dastehend in der Weltgeschichte, wird es schon jetzt und noch mehr irr Zu¬
kunft alle bisher geschaffenen an Größe und Bedeutung überstrahlen. Der In¬
dische Ozean ist dabei, ein rein englisches Mittelmeer, ein "britisches Südmeer"
zu werden. Ein kurzer Blick in die Geschichte und Geographie soll uns darüber
Klarheit verschaffen.

Bei einem ersten Überblick über die englischen Besitzungen bietet das
britische Weltreich das bunteste und in sich widerspruchsvollste Bild; nichts deutet
da auf einen natürlichen inneren Zusammenhang hin. Englands früher be¬
folgte Politik der offenen Tür setzte englischem Einfluß nirgends Grenzen, die
ganze Welt war englisches Betätrgüngsfeld. Erst seit die Konkurrenz der offenen
Tür anfing groß zu werden, ging England über zum System der geschlossenen
Einflußgebiete; und hier marschiert es nun an erster Stelle.

Englands Auftreten im Indischen Ozean datiert seit dem Auftreten der bri¬
tisch-ostindischen Handelskompaguie im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts und
die Eroberung Ostindiens 1757 bis 1784 durch Lord Clive und Warren Hastings
sicherte Englands Stellung als vorherrschende See- und Kolonialmacht der dama¬
ligen Zeit. Seit der Errichtung des indischen Reiches unter britischer Ober¬
hoheit war Englands Politik immer darauf gerichtet, sichere Wege zwischen
Mutterland und Kolonie zu schaffen. Auf dem Seewege kommend, unterwarf
sich Großbritannien Indien. So ist es erklärlich, wenn dieser Seeweg zu¬
nächst ausgebaut und gesichert wird. Noch in den sechziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts führte der Weg nach Indien um das Kap der guten Hoffnung
herum, wenngleich der Weitblick englischer Staatsmänner den künftigen kürzeren
Weg nach Indien über Ägypten gehen sah. 165V schon ist Se. Helena englisch,
ein willkommener Anlegeplatz und Versorgungsstation für die Britisch-Ost¬
indische Kompagnie; 1704 wird Gibraltar durch Handstreich den Spaniern ent¬
rissen. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts kommt die Festsetzung Englands am
Kap der guten Hoffnung, 1815 werden die im südlichen Atlantischen Ozean ge¬
legenen vulkanischen Felseneilande Ascension . und Tristan da Cunha
besetzt, eigentlich nur als eine Art Hilfsstellung zu Se. Helena, lediglich zudemZweck,
Napoleon den Ersten vor der Möglichkeit jeder Entführung zu bewahren; dem
Seeweg nach Indien aber dienten sie als neue Stützen. Solange dieser noch der
einzige Weg war, die Kolonie zu erveichen, mußte auch Mauritius eine
wichtige Rolle spielen; schon 1810 kam es in englischen Besitz. Seine Bedeutung
für die britische Weltmacht und Weltwirtschaft mußte nachlassen, als der alte


Das britische Indiamecrrnch

Das britische Indiameerreich
Dr. Kurt Rranse von

„Seine Handelsflotten streckt der Brite
Gierig wie Polypenarme aus,
Und das sreie Reich der Amphitrite Schiller, 1301. Will er schließen wie sein eigen Haus!"

cipid Wird die Welt englisch!" Zu keiner Zeit haben wir die Um-
dieses Leitwortes des englischen Imperialismus in die
ZiÄ deutlicher verfolgen können als gerade jetzt. Mit gespcmn-
^ Aufmerksamkeit verfolgt die Heimat die Vorgänge an der West-
front, wo sie durch die standhafte Abwehr aller mit Übermensch^
'. > lwier Kraft «nternommeuen Durchbruchsversuche und die geniale
Leitung und den zuversichtlichen Weitblick unserer Heerführer geschützt wird. Zu
sehr bleiben unsere Gedanken auf den kleinen Kontinent Europa und seine Mittel¬
staaten beschränkt. Dafür spielt sich fern im Indischen Ozean ein Schau¬
spiel ab, das, selten großartig, auch unsere Beachtung mehr verdient. Hier ist
England nahe daran, sich ein britisches Jndiameerreich zu schassen.
Einzig dastehend in der Weltgeschichte, wird es schon jetzt und noch mehr irr Zu¬
kunft alle bisher geschaffenen an Größe und Bedeutung überstrahlen. Der In¬
dische Ozean ist dabei, ein rein englisches Mittelmeer, ein „britisches Südmeer"
zu werden. Ein kurzer Blick in die Geschichte und Geographie soll uns darüber
Klarheit verschaffen.

Bei einem ersten Überblick über die englischen Besitzungen bietet das
britische Weltreich das bunteste und in sich widerspruchsvollste Bild; nichts deutet
da auf einen natürlichen inneren Zusammenhang hin. Englands früher be¬
folgte Politik der offenen Tür setzte englischem Einfluß nirgends Grenzen, die
ganze Welt war englisches Betätrgüngsfeld. Erst seit die Konkurrenz der offenen
Tür anfing groß zu werden, ging England über zum System der geschlossenen
Einflußgebiete; und hier marschiert es nun an erster Stelle.

Englands Auftreten im Indischen Ozean datiert seit dem Auftreten der bri¬
tisch-ostindischen Handelskompaguie im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts und
die Eroberung Ostindiens 1757 bis 1784 durch Lord Clive und Warren Hastings
sicherte Englands Stellung als vorherrschende See- und Kolonialmacht der dama¬
ligen Zeit. Seit der Errichtung des indischen Reiches unter britischer Ober¬
hoheit war Englands Politik immer darauf gerichtet, sichere Wege zwischen
Mutterland und Kolonie zu schaffen. Auf dem Seewege kommend, unterwarf
sich Großbritannien Indien. So ist es erklärlich, wenn dieser Seeweg zu¬
nächst ausgebaut und gesichert wird. Noch in den sechziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts führte der Weg nach Indien um das Kap der guten Hoffnung
herum, wenngleich der Weitblick englischer Staatsmänner den künftigen kürzeren
Weg nach Indien über Ägypten gehen sah. 165V schon ist Se. Helena englisch,
ein willkommener Anlegeplatz und Versorgungsstation für die Britisch-Ost¬
indische Kompagnie; 1704 wird Gibraltar durch Handstreich den Spaniern ent¬
rissen. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts kommt die Festsetzung Englands am
Kap der guten Hoffnung, 1815 werden die im südlichen Atlantischen Ozean ge¬
legenen vulkanischen Felseneilande Ascension . und Tristan da Cunha
besetzt, eigentlich nur als eine Art Hilfsstellung zu Se. Helena, lediglich zudemZweck,
Napoleon den Ersten vor der Möglichkeit jeder Entführung zu bewahren; dem
Seeweg nach Indien aber dienten sie als neue Stützen. Solange dieser noch der
einzige Weg war, die Kolonie zu erveichen, mußte auch Mauritius eine
wichtige Rolle spielen; schon 1810 kam es in englischen Besitz. Seine Bedeutung
für die britische Weltmacht und Weltwirtschaft mußte nachlassen, als der alte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/54>, abgerufen am 24.11.2024.