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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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entsprechender: Lolkswehr), zunächst durch Herabsetzung der Dienstzeit, und als
außenpolitisches Gegenstück der Abrüstung internationale Rechtsorganisationen zu
diesem Zwecke, ferner die bekannten Wünsche aus dem Gebiete des Vereinsrechtes,
der Selbstverwaltung und der Einheitsschule runden das Bild der politischen
Forderungen ab.

Eine einfache Überlegung sagt, daß der Sozialismus, trotzdem er in gewisser
Weise -- durch sein Eintreten für den vierten Stand -- der Rechtsnachfolger
des Liberalismus wurde, diesem innerlich fremd, ja feindlich gegenübersteht.
Ihre Kampfrufe Freiheit und Gleichheit, so brüderlich sie auch die Revolution
zusammenstellte, schließen einander, absolut genommen, ausi Der Liberalismus
kämpft -- zugunsten seines Freiheitsideals -- für die Emanzipation der Gesellschaft
vom Staate, der Sozialismus will gerade den Staat, "seinen" Staat, an die Stelle
der Gesellschaft setzen, um sein Ziel, die Gleichheit aller, zu erreichen. Darum wäre
es auch nach den Worten eines Sozialisten "nicht Versehen oder Zufall, sondern
ein notwendiger Bestandteil der sozialdemokratischen Auffassung", wenn sie
die parlamentarische Regierungsweise "nirgends auch nur als' vorläufigen
Fortschritt" in ihr Programm aufnehmen würde. Liegt doch deren Wesen
gerade in der Herrschaft der -- parlamentarisch vertretenen -- Gesellschaft
über den -- bureaukratisch vertretenen -- Staat, insbesondere jener sozialen
Klassen, die auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen
und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen
Ziel haben. So faßte sie das Erfurter Bekenntnis als Gegner der Arbeiterklasse
zusammen^ so unterscheiden sich auch heute die bürgerlichen Parteien als Vertreter
letzten Endes irgendwelcher kapitalistischen Interessen ("Vorwärts" vom 25. Mai
1918) von den Sozialdemokraten im Sinne des Lutherwortes "Ihr habt einen
anderen Geist als wir". Aus taktischen Gründen wird man mit ihnen, soweit sie
für die Parlamentsgewalt eintreten, hier und dort im Lager der Sozialdemokratie
zusammengehen, um nur erst einmal an der Staatsgewalt irgendwie beteiligt zu
sein; auch diese dem Parlamentarismus gewogene Strömung denkt dabei wohl,
später die fremden Aktien abzustoßen und das Unternehmen ganz auf eigene
Rechnung zu führen. Die anderen aber-können sich nicht einmal dazu verstehen;
in dem zweifellos richtigen Gefühl, daß ja doch eigentlich gar nicht der büreau¬
kratische Staat der Gegner ist, sondern die kapitalistische Gesellschaft und jener
vielmehr als Herrschaftsinstrument ein Bundesgenosse gegen diese.

Der sozialistische Zukunftsstaat mit seiner autoritativ geleiteten Gütererzeugung
und Güterverteilung ist Fleisch vom Fleische jenes "Obrigkeitsstaates", dessen Zwangs-
gewalt die Manchesterleute des 19. und 20. Jahrhunderts entrüstet und dessen
politische Bevormundung sie als einen unwürdigen Zustand empfinden. Ja er über¬
trifft seinen Vorgänger selbst in der schroffsten Form des alten "Polizeistaats",
indem er zur allgemeinen Nivellierung der "Untertanen" durch das auf die Spitze
getriebene Prinzip der Gleichheit fortschreitet, während dieser die sozialen Unterschiede
geflissentlich konserviert hatte. So kann die Abneigung gegen den Obrigkeitsstaat,
die wir auch bei Sozialisten bemerken, wenn sie nicht eine der vielen Beeinflussungen
durch den Liberalismus darstellt, sozialistisch - konsequent nur aus dem Umstände
erklärt werden, daß "die Trauben zu hoch hängen", wobei die Erbitterung durch
die Beobachtung verstärkt wird, daß sich der bestgehaßte Feind in Gestalt der groß-
agrarischen und -industriellen "Ausbeuterklassen an ihnen gütlich tut. Die Ab¬
neigung würde in das Gegenteil umschlagen, sobald ein Besitzwechsel in der Macht
eingetreten wäre; denn auch die Sozialisten sind von der Phrase überzeugt, daß
es nicht dasselbe ist, wenn zwei dasselbe tun, worin sie der naive Glaube bestärkt,
für daS Wohl des deutschen "Volkes" schlechthin. -- in Erfurt hieß es noch über-
schwänglicher: für das gesamte Menschengeschlecht -- zu kämpfen.

Diese Seelenverwandtschaft mit dem Bureaukratisch-staatlich-Obrigkeitlicher--
nicht ohne Grund sind sich Bismarck und Lassalle nahe getretenI -- offenbart sich
in den weiteren Partien des Aktionsprogramms ganz deutlich. Fast aus jedem
Absatz tönt der Ruf nach dem "ietter Staat aus den Nöten der Gesellschaft, sei eZ


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entsprechender: Lolkswehr), zunächst durch Herabsetzung der Dienstzeit, und als
außenpolitisches Gegenstück der Abrüstung internationale Rechtsorganisationen zu
diesem Zwecke, ferner die bekannten Wünsche aus dem Gebiete des Vereinsrechtes,
der Selbstverwaltung und der Einheitsschule runden das Bild der politischen
Forderungen ab.

Eine einfache Überlegung sagt, daß der Sozialismus, trotzdem er in gewisser
Weise — durch sein Eintreten für den vierten Stand — der Rechtsnachfolger
des Liberalismus wurde, diesem innerlich fremd, ja feindlich gegenübersteht.
Ihre Kampfrufe Freiheit und Gleichheit, so brüderlich sie auch die Revolution
zusammenstellte, schließen einander, absolut genommen, ausi Der Liberalismus
kämpft — zugunsten seines Freiheitsideals — für die Emanzipation der Gesellschaft
vom Staate, der Sozialismus will gerade den Staat, „seinen" Staat, an die Stelle
der Gesellschaft setzen, um sein Ziel, die Gleichheit aller, zu erreichen. Darum wäre
es auch nach den Worten eines Sozialisten „nicht Versehen oder Zufall, sondern
ein notwendiger Bestandteil der sozialdemokratischen Auffassung", wenn sie
die parlamentarische Regierungsweise „nirgends auch nur als' vorläufigen
Fortschritt" in ihr Programm aufnehmen würde. Liegt doch deren Wesen
gerade in der Herrschaft der — parlamentarisch vertretenen — Gesellschaft
über den — bureaukratisch vertretenen — Staat, insbesondere jener sozialen
Klassen, die auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen
und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen
Ziel haben. So faßte sie das Erfurter Bekenntnis als Gegner der Arbeiterklasse
zusammen^ so unterscheiden sich auch heute die bürgerlichen Parteien als Vertreter
letzten Endes irgendwelcher kapitalistischen Interessen („Vorwärts" vom 25. Mai
1918) von den Sozialdemokraten im Sinne des Lutherwortes „Ihr habt einen
anderen Geist als wir". Aus taktischen Gründen wird man mit ihnen, soweit sie
für die Parlamentsgewalt eintreten, hier und dort im Lager der Sozialdemokratie
zusammengehen, um nur erst einmal an der Staatsgewalt irgendwie beteiligt zu
sein; auch diese dem Parlamentarismus gewogene Strömung denkt dabei wohl,
später die fremden Aktien abzustoßen und das Unternehmen ganz auf eigene
Rechnung zu führen. Die anderen aber-können sich nicht einmal dazu verstehen;
in dem zweifellos richtigen Gefühl, daß ja doch eigentlich gar nicht der büreau¬
kratische Staat der Gegner ist, sondern die kapitalistische Gesellschaft und jener
vielmehr als Herrschaftsinstrument ein Bundesgenosse gegen diese.

Der sozialistische Zukunftsstaat mit seiner autoritativ geleiteten Gütererzeugung
und Güterverteilung ist Fleisch vom Fleische jenes „Obrigkeitsstaates", dessen Zwangs-
gewalt die Manchesterleute des 19. und 20. Jahrhunderts entrüstet und dessen
politische Bevormundung sie als einen unwürdigen Zustand empfinden. Ja er über¬
trifft seinen Vorgänger selbst in der schroffsten Form des alten „Polizeistaats",
indem er zur allgemeinen Nivellierung der „Untertanen" durch das auf die Spitze
getriebene Prinzip der Gleichheit fortschreitet, während dieser die sozialen Unterschiede
geflissentlich konserviert hatte. So kann die Abneigung gegen den Obrigkeitsstaat,
die wir auch bei Sozialisten bemerken, wenn sie nicht eine der vielen Beeinflussungen
durch den Liberalismus darstellt, sozialistisch - konsequent nur aus dem Umstände
erklärt werden, daß „die Trauben zu hoch hängen", wobei die Erbitterung durch
die Beobachtung verstärkt wird, daß sich der bestgehaßte Feind in Gestalt der groß-
agrarischen und -industriellen „Ausbeuterklassen an ihnen gütlich tut. Die Ab¬
neigung würde in das Gegenteil umschlagen, sobald ein Besitzwechsel in der Macht
eingetreten wäre; denn auch die Sozialisten sind von der Phrase überzeugt, daß
es nicht dasselbe ist, wenn zwei dasselbe tun, worin sie der naive Glaube bestärkt,
für daS Wohl des deutschen „Volkes" schlechthin. — in Erfurt hieß es noch über-
schwänglicher: für das gesamte Menschengeschlecht — zu kämpfen.

Diese Seelenverwandtschaft mit dem Bureaukratisch-staatlich-Obrigkeitlicher—
nicht ohne Grund sind sich Bismarck und Lassalle nahe getretenI — offenbart sich
in den weiteren Partien des Aktionsprogramms ganz deutlich. Fast aus jedem
Absatz tönt der Ruf nach dem »ietter Staat aus den Nöten der Gesellschaft, sei eZ


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[0036] Neue Parteiprogramme entsprechender: Lolkswehr), zunächst durch Herabsetzung der Dienstzeit, und als außenpolitisches Gegenstück der Abrüstung internationale Rechtsorganisationen zu diesem Zwecke, ferner die bekannten Wünsche aus dem Gebiete des Vereinsrechtes, der Selbstverwaltung und der Einheitsschule runden das Bild der politischen Forderungen ab. Eine einfache Überlegung sagt, daß der Sozialismus, trotzdem er in gewisser Weise — durch sein Eintreten für den vierten Stand — der Rechtsnachfolger des Liberalismus wurde, diesem innerlich fremd, ja feindlich gegenübersteht. Ihre Kampfrufe Freiheit und Gleichheit, so brüderlich sie auch die Revolution zusammenstellte, schließen einander, absolut genommen, ausi Der Liberalismus kämpft — zugunsten seines Freiheitsideals — für die Emanzipation der Gesellschaft vom Staate, der Sozialismus will gerade den Staat, „seinen" Staat, an die Stelle der Gesellschaft setzen, um sein Ziel, die Gleichheit aller, zu erreichen. Darum wäre es auch nach den Worten eines Sozialisten „nicht Versehen oder Zufall, sondern ein notwendiger Bestandteil der sozialdemokratischen Auffassung", wenn sie die parlamentarische Regierungsweise „nirgends auch nur als' vorläufigen Fortschritt" in ihr Programm aufnehmen würde. Liegt doch deren Wesen gerade in der Herrschaft der — parlamentarisch vertretenen — Gesellschaft über den — bureaukratisch vertretenen — Staat, insbesondere jener sozialen Klassen, die auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben. So faßte sie das Erfurter Bekenntnis als Gegner der Arbeiterklasse zusammen^ so unterscheiden sich auch heute die bürgerlichen Parteien als Vertreter letzten Endes irgendwelcher kapitalistischen Interessen („Vorwärts" vom 25. Mai 1918) von den Sozialdemokraten im Sinne des Lutherwortes „Ihr habt einen anderen Geist als wir". Aus taktischen Gründen wird man mit ihnen, soweit sie für die Parlamentsgewalt eintreten, hier und dort im Lager der Sozialdemokratie zusammengehen, um nur erst einmal an der Staatsgewalt irgendwie beteiligt zu sein; auch diese dem Parlamentarismus gewogene Strömung denkt dabei wohl, später die fremden Aktien abzustoßen und das Unternehmen ganz auf eigene Rechnung zu führen. Die anderen aber-können sich nicht einmal dazu verstehen; in dem zweifellos richtigen Gefühl, daß ja doch eigentlich gar nicht der büreau¬ kratische Staat der Gegner ist, sondern die kapitalistische Gesellschaft und jener vielmehr als Herrschaftsinstrument ein Bundesgenosse gegen diese. Der sozialistische Zukunftsstaat mit seiner autoritativ geleiteten Gütererzeugung und Güterverteilung ist Fleisch vom Fleische jenes „Obrigkeitsstaates", dessen Zwangs- gewalt die Manchesterleute des 19. und 20. Jahrhunderts entrüstet und dessen politische Bevormundung sie als einen unwürdigen Zustand empfinden. Ja er über¬ trifft seinen Vorgänger selbst in der schroffsten Form des alten „Polizeistaats", indem er zur allgemeinen Nivellierung der „Untertanen" durch das auf die Spitze getriebene Prinzip der Gleichheit fortschreitet, während dieser die sozialen Unterschiede geflissentlich konserviert hatte. So kann die Abneigung gegen den Obrigkeitsstaat, die wir auch bei Sozialisten bemerken, wenn sie nicht eine der vielen Beeinflussungen durch den Liberalismus darstellt, sozialistisch - konsequent nur aus dem Umstände erklärt werden, daß „die Trauben zu hoch hängen", wobei die Erbitterung durch die Beobachtung verstärkt wird, daß sich der bestgehaßte Feind in Gestalt der groß- agrarischen und -industriellen „Ausbeuterklassen an ihnen gütlich tut. Die Ab¬ neigung würde in das Gegenteil umschlagen, sobald ein Besitzwechsel in der Macht eingetreten wäre; denn auch die Sozialisten sind von der Phrase überzeugt, daß es nicht dasselbe ist, wenn zwei dasselbe tun, worin sie der naive Glaube bestärkt, für daS Wohl des deutschen „Volkes" schlechthin. — in Erfurt hieß es noch über- schwänglicher: für das gesamte Menschengeschlecht — zu kämpfen. Diese Seelenverwandtschaft mit dem Bureaukratisch-staatlich-Obrigkeitlicher— nicht ohne Grund sind sich Bismarck und Lassalle nahe getretenI — offenbart sich in den weiteren Partien des Aktionsprogramms ganz deutlich. Fast aus jedem Absatz tönt der Ruf nach dem »ietter Staat aus den Nöten der Gesellschaft, sei eZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/36>, abgerufen am 24.11.2024.