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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Neue Parteiprogramme

bei der Übergangswirtschaft mit festzuhaltenden Höchstpreisen und LebenSmittel-
rationierung oder bei den Fragen des Exports und Imports, des Reedereibetrieb""
der Sicherstellung des Arbeitsmarktes u.a.in.

Der zur Verfügung stehende Raum verbietet ein Eingehen auf die einzelnen
Teile des Programms. Am meisten sozialistischen Geist atmet der dem Kampf gegen
monopolistische Wirtschaftsgebilde gewidmete Abschnitt. Soweit die wirtschaftliche
Entwicklung -- heißt es da -- bereits bestimmte Privatmonopole geschaffen hat,
sind diese unter Bedingungen, die ihre gesamte Geschäftsführung der Kontrolle
parlamentarischer Ausschüsse unterstellen, den beschäftigten Arbeitern die ihnen durch
die Gewerbeordnung wie durch die soziale Gesetzgebung eingeräumten Rechte sichern
und ihnen einen angemessenen Einfluß auf die Arbeitsbedingungen gewähren, zu
verstaatlichen. Wo die Entwicklung noch nicht bis zum Monopol entartet ist, soll
doch wenigstens zur Beaufsichtigung der Kartklle im Reichswirtschaftsamt ein be¬
sonderes Kartellamt eingerichtet werden, das die Geschäftsbücher der syndikalistischen
Verbände kontrollieren und Preistreibereien entgegentreten kann. Es ist das also
gleichsam eine "Expropriation der Expropriateure" in zweiter Instanz. Die Privat¬
wirtschaft der vereinigten Einzelbetriebe, -- wie sie durch die Kartellierungs-
bestrebungen hergestellt ist --, erlebt das Schicksal, das sie den von ihr "expropriierten"
Einzelunternehmer bereitet hat, nunmehr am eigenen Körper. Auf dem Gebiete
des Bankwesens begnügt man sich mit einer bloßen Erweiterung der Reichsanfsicht
und durch Ausbau der Reichsbank einem stärkeren Einfluß dieses staatlichen
Betriebes auf das private Bankgewerbe. Gerade von nichtsozialistischer Seite sind
da viel weitergehende Vorschläge gemacht worden, so daß sich eine bemerkenswerte
Mäßigung des Programms zeigt.

In der Handelspolitik waren weite Kreise der Sozialdemokratie vor dem
Kriege freihändlerisch orientiert. Auch der Kommissionsentwurf will "das bis¬
herige System der Absperrung des deutschen Jnlandmarktes durch hohe Lebens-
mittelzölle" aufgehoben wissen. Nun ist mit Recht gesagt worden, daß die
Alternative: Schutzzoll oder Freihandel eigentlich überhaupt keine Parteifrage,
sondern eine solche der Zweckmäßigkeit ist, überdies kann man es für ungewiß
halten, ob nach dem Kriege die alten Unterscheidungsformeln noch Geltung haben.
Die Urheber des Entwurfs reden nur von den Lebensmittelzöllen, man erkennt
also nicht, wieweit ihre freihändlerischen Sympathien gehen. In einer kritischen
Besprechung der "sozialistischen Monatshefte" bemerkt der Abgeordnete Cohen:
Ohne ein gut durchdachtes Zollsystem wird Deutschland nach dem Kriegs weniger
denn je auskommen können, und auch wir Sozialdemokraten werden uns dazu
verstehen müssen, für Zölle einzutreten, die unter weitgehender Differenzierung
allen Produktionsgebieten höchste Schassensinöglichkeit gewährleisten. Daß diese
Stimme nicht vereinzelt ist, zeigt das bekannte Buch des Genossen Lensch, Drei
Jahre Weltrevolution, w" der Schutzzoll als Revolutionär und Träger der fort-
geschrittenen Wirtschaftsform gefeiert wird.

Wie bei der Handelspolitik sa bestehen Unausgeglichenheiten und Gegen¬
sätze im sozialistischen Lager auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik., wo die
Gewerkschaften ihre Sonderwünsche haben*). Überhaupt ist die Unzufriedenheit
mit dem Werke der Würzburger Parteiweisen groß. Von allen Seiten kommen
Vorwürfe, Ausstellungen, Ergänzungen. Namentlich der Mangel eines Agrar-
Programms wird allgemein schmerzlich empfunden, um so stärker, als es sich
hier schon um einen wunden Punkt des Sozialismus (vgl. das Schicksal der
Agrarkommission) handelt. So meint der Vorwärtsredakteur Stampfer, daß der
Fehler des Erfurter Programms, zu industrieproletarisch, städtisch gedacht zu sein,
im Aktionsprogramm in verstärktem Maße wiederkehre. In Kapitel IX (Kom-
munalpolitik) lese man die schöne Forderung: "Versorgung der Bevölkerung mit
gesunden und preiswerten Nahrungsmitteln", aber diese wüchsen nicht auf dem
Rathaus, sondern aus dem Acker, und die best" kommunale Lebensmittelpolitik



-) Vgl. U"breit in Ur. 31 der .Europäischen Staats- un" Wirthes"se",eit"nz-.
Neue Parteiprogramme

bei der Übergangswirtschaft mit festzuhaltenden Höchstpreisen und LebenSmittel-
rationierung oder bei den Fragen des Exports und Imports, des Reedereibetrieb»»
der Sicherstellung des Arbeitsmarktes u.a.in.

Der zur Verfügung stehende Raum verbietet ein Eingehen auf die einzelnen
Teile des Programms. Am meisten sozialistischen Geist atmet der dem Kampf gegen
monopolistische Wirtschaftsgebilde gewidmete Abschnitt. Soweit die wirtschaftliche
Entwicklung — heißt es da — bereits bestimmte Privatmonopole geschaffen hat,
sind diese unter Bedingungen, die ihre gesamte Geschäftsführung der Kontrolle
parlamentarischer Ausschüsse unterstellen, den beschäftigten Arbeitern die ihnen durch
die Gewerbeordnung wie durch die soziale Gesetzgebung eingeräumten Rechte sichern
und ihnen einen angemessenen Einfluß auf die Arbeitsbedingungen gewähren, zu
verstaatlichen. Wo die Entwicklung noch nicht bis zum Monopol entartet ist, soll
doch wenigstens zur Beaufsichtigung der Kartklle im Reichswirtschaftsamt ein be¬
sonderes Kartellamt eingerichtet werden, das die Geschäftsbücher der syndikalistischen
Verbände kontrollieren und Preistreibereien entgegentreten kann. Es ist das also
gleichsam eine „Expropriation der Expropriateure" in zweiter Instanz. Die Privat¬
wirtschaft der vereinigten Einzelbetriebe, — wie sie durch die Kartellierungs-
bestrebungen hergestellt ist —, erlebt das Schicksal, das sie den von ihr „expropriierten"
Einzelunternehmer bereitet hat, nunmehr am eigenen Körper. Auf dem Gebiete
des Bankwesens begnügt man sich mit einer bloßen Erweiterung der Reichsanfsicht
und durch Ausbau der Reichsbank einem stärkeren Einfluß dieses staatlichen
Betriebes auf das private Bankgewerbe. Gerade von nichtsozialistischer Seite sind
da viel weitergehende Vorschläge gemacht worden, so daß sich eine bemerkenswerte
Mäßigung des Programms zeigt.

In der Handelspolitik waren weite Kreise der Sozialdemokratie vor dem
Kriege freihändlerisch orientiert. Auch der Kommissionsentwurf will „das bis¬
herige System der Absperrung des deutschen Jnlandmarktes durch hohe Lebens-
mittelzölle" aufgehoben wissen. Nun ist mit Recht gesagt worden, daß die
Alternative: Schutzzoll oder Freihandel eigentlich überhaupt keine Parteifrage,
sondern eine solche der Zweckmäßigkeit ist, überdies kann man es für ungewiß
halten, ob nach dem Kriege die alten Unterscheidungsformeln noch Geltung haben.
Die Urheber des Entwurfs reden nur von den Lebensmittelzöllen, man erkennt
also nicht, wieweit ihre freihändlerischen Sympathien gehen. In einer kritischen
Besprechung der „sozialistischen Monatshefte" bemerkt der Abgeordnete Cohen:
Ohne ein gut durchdachtes Zollsystem wird Deutschland nach dem Kriegs weniger
denn je auskommen können, und auch wir Sozialdemokraten werden uns dazu
verstehen müssen, für Zölle einzutreten, die unter weitgehender Differenzierung
allen Produktionsgebieten höchste Schassensinöglichkeit gewährleisten. Daß diese
Stimme nicht vereinzelt ist, zeigt das bekannte Buch des Genossen Lensch, Drei
Jahre Weltrevolution, w» der Schutzzoll als Revolutionär und Träger der fort-
geschrittenen Wirtschaftsform gefeiert wird.

Wie bei der Handelspolitik sa bestehen Unausgeglichenheiten und Gegen¬
sätze im sozialistischen Lager auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik., wo die
Gewerkschaften ihre Sonderwünsche haben*). Überhaupt ist die Unzufriedenheit
mit dem Werke der Würzburger Parteiweisen groß. Von allen Seiten kommen
Vorwürfe, Ausstellungen, Ergänzungen. Namentlich der Mangel eines Agrar-
Programms wird allgemein schmerzlich empfunden, um so stärker, als es sich
hier schon um einen wunden Punkt des Sozialismus (vgl. das Schicksal der
Agrarkommission) handelt. So meint der Vorwärtsredakteur Stampfer, daß der
Fehler des Erfurter Programms, zu industrieproletarisch, städtisch gedacht zu sein,
im Aktionsprogramm in verstärktem Maße wiederkehre. In Kapitel IX (Kom-
munalpolitik) lese man die schöne Forderung: „Versorgung der Bevölkerung mit
gesunden und preiswerten Nahrungsmitteln", aber diese wüchsen nicht auf dem
Rathaus, sondern aus dem Acker, und die best« kommunale Lebensmittelpolitik



-) Vgl. U«breit in Ur. 31 der .Europäischen Staats- un» Wirthes«se»,eit»nz-.
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[0037] Neue Parteiprogramme bei der Übergangswirtschaft mit festzuhaltenden Höchstpreisen und LebenSmittel- rationierung oder bei den Fragen des Exports und Imports, des Reedereibetrieb»» der Sicherstellung des Arbeitsmarktes u.a.in. Der zur Verfügung stehende Raum verbietet ein Eingehen auf die einzelnen Teile des Programms. Am meisten sozialistischen Geist atmet der dem Kampf gegen monopolistische Wirtschaftsgebilde gewidmete Abschnitt. Soweit die wirtschaftliche Entwicklung — heißt es da — bereits bestimmte Privatmonopole geschaffen hat, sind diese unter Bedingungen, die ihre gesamte Geschäftsführung der Kontrolle parlamentarischer Ausschüsse unterstellen, den beschäftigten Arbeitern die ihnen durch die Gewerbeordnung wie durch die soziale Gesetzgebung eingeräumten Rechte sichern und ihnen einen angemessenen Einfluß auf die Arbeitsbedingungen gewähren, zu verstaatlichen. Wo die Entwicklung noch nicht bis zum Monopol entartet ist, soll doch wenigstens zur Beaufsichtigung der Kartklle im Reichswirtschaftsamt ein be¬ sonderes Kartellamt eingerichtet werden, das die Geschäftsbücher der syndikalistischen Verbände kontrollieren und Preistreibereien entgegentreten kann. Es ist das also gleichsam eine „Expropriation der Expropriateure" in zweiter Instanz. Die Privat¬ wirtschaft der vereinigten Einzelbetriebe, — wie sie durch die Kartellierungs- bestrebungen hergestellt ist —, erlebt das Schicksal, das sie den von ihr „expropriierten" Einzelunternehmer bereitet hat, nunmehr am eigenen Körper. Auf dem Gebiete des Bankwesens begnügt man sich mit einer bloßen Erweiterung der Reichsanfsicht und durch Ausbau der Reichsbank einem stärkeren Einfluß dieses staatlichen Betriebes auf das private Bankgewerbe. Gerade von nichtsozialistischer Seite sind da viel weitergehende Vorschläge gemacht worden, so daß sich eine bemerkenswerte Mäßigung des Programms zeigt. In der Handelspolitik waren weite Kreise der Sozialdemokratie vor dem Kriege freihändlerisch orientiert. Auch der Kommissionsentwurf will „das bis¬ herige System der Absperrung des deutschen Jnlandmarktes durch hohe Lebens- mittelzölle" aufgehoben wissen. Nun ist mit Recht gesagt worden, daß die Alternative: Schutzzoll oder Freihandel eigentlich überhaupt keine Parteifrage, sondern eine solche der Zweckmäßigkeit ist, überdies kann man es für ungewiß halten, ob nach dem Kriege die alten Unterscheidungsformeln noch Geltung haben. Die Urheber des Entwurfs reden nur von den Lebensmittelzöllen, man erkennt also nicht, wieweit ihre freihändlerischen Sympathien gehen. In einer kritischen Besprechung der „sozialistischen Monatshefte" bemerkt der Abgeordnete Cohen: Ohne ein gut durchdachtes Zollsystem wird Deutschland nach dem Kriegs weniger denn je auskommen können, und auch wir Sozialdemokraten werden uns dazu verstehen müssen, für Zölle einzutreten, die unter weitgehender Differenzierung allen Produktionsgebieten höchste Schassensinöglichkeit gewährleisten. Daß diese Stimme nicht vereinzelt ist, zeigt das bekannte Buch des Genossen Lensch, Drei Jahre Weltrevolution, w» der Schutzzoll als Revolutionär und Träger der fort- geschrittenen Wirtschaftsform gefeiert wird. Wie bei der Handelspolitik sa bestehen Unausgeglichenheiten und Gegen¬ sätze im sozialistischen Lager auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik., wo die Gewerkschaften ihre Sonderwünsche haben*). Überhaupt ist die Unzufriedenheit mit dem Werke der Würzburger Parteiweisen groß. Von allen Seiten kommen Vorwürfe, Ausstellungen, Ergänzungen. Namentlich der Mangel eines Agrar- Programms wird allgemein schmerzlich empfunden, um so stärker, als es sich hier schon um einen wunden Punkt des Sozialismus (vgl. das Schicksal der Agrarkommission) handelt. So meint der Vorwärtsredakteur Stampfer, daß der Fehler des Erfurter Programms, zu industrieproletarisch, städtisch gedacht zu sein, im Aktionsprogramm in verstärktem Maße wiederkehre. In Kapitel IX (Kom- munalpolitik) lese man die schöne Forderung: „Versorgung der Bevölkerung mit gesunden und preiswerten Nahrungsmitteln", aber diese wüchsen nicht auf dem Rathaus, sondern aus dem Acker, und die best« kommunale Lebensmittelpolitik -) Vgl. U«breit in Ur. 31 der .Europäischen Staats- un» Wirthes«se»,eit»nz-.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/37>, abgerufen am 22.07.2024.