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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Nationalversammlung und Parteien

reichend sind, um der großen Aufgabe zu genügen: ohne kleinliche Zersplitterung
aber auch ohne matte Verwaschenheit die Lösungstypen der deutschen Ver¬
fassungsfrage, die das deutsche Bürgertum vorschlägt, in entschiedenen gewichti¬
gen und geschlossenen Stimmkomplexen in die Wagschale zu werfen.

Ist diese Aufgabe klar und deutlich als die entscheidende erkannt, so müssen
sich lebhafte Zweifel regen, ob das überkommene Parteisystem ihr gewachsen ist.
Wenn Clausewitz den Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
nannte, fo könnte man die Revolution, in der wir stehen, als eine Fortsetzung
des Krieges mit anderen Mitteln bezeichnen. Nun hat schon im Kriege unsere
überkommene Parteiung versagt oder hat sich doch nur sehr notdürftig der. neuen
Problematik angepaßt. Der Revolution vollends steht sie schon deshalb noch
hilfloser gegenüber, weil sie bis auf die äußerste Linke grundsätzlich antirevolu¬
tionär war. Und nachdem sogar der "Vorwärts" noch vor ganz kurzem erklärt
hat, die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes sei überzeugt monarchistisch
gesinnt, nachdem die "Frankfurter Zeitung" und ihre Gesinnungsgenossinnen
such vier >irieasjahre sich als Snltze von Thron uno ''Iluir uns^eipl.le tMien,
nach allem wirkt es etwas komisch und nicht sehr würdig, mit welch unver¬
frorener Selbstverständlichkeit die bürgerliche Linke ihre monarchistische Livree
von gestern -- es scheint wirklich, daß es nur eine solche war -- mit dem republi¬
kanischen Sansculottenkostüm vertauscht hat: nach einer Revolution wohlverstan¬
den, die dies Bürgertum weder "gewollt" noch ins Werk gesetzt hat, bei der es
lediglich die höchst unerfreuliche Rolle des halb neugierigen^ halb ängstlichen Zu¬
schauers gespielt, höchstens sich gelegentlich heldenmütig als Claqueur. betätigt hat,
wenn die Allzuvielen gegen einen gestern umjubelten Großoktav- oder Duodez¬
dynasten "kreuziget ihn" schrien. Sollte es sich mit dem Umlernen im Novem¬
ber 1918 nicht ähnlich Verhalten wie im August 1914, wo der neunmal gescheite
Bräsig auch bald einsah, daß er zwar mit der Fixigkeit, der bedächtige Karl
Habermann aber mit der Richtigkeit vornean war. Vor Bräsig, vor allen,
die um Himmels willen nur immer auf der Höhe sein wollen, haben die
Spartakusleute keine Angst, diesen Bourgeoisthpus verachten sie gründlich und
mit Recht. Den anderen fürchten sie und wollen ihn mundtot machen, und
darum wollen wir von der Rechten dafür eintreten, daß Karl Habermann, der
eine schwere Zunge, einen geraden Sinn, einen bedächtigen gesunden Verstand
und ein treues deutsches Herz im Leibe hat, sein allzu reichlich bemessenes
Phlegma überwindet und in der Nationalversammlung ein vernehmliches Wort
spricht. Denn ohne ihn, den vielgeschmähten, von den östlicheren Literaten über¬
legen mißachteten deutschen Michel kann und soll das Haus nicht gebaut werden,
in dem der Wille des schwergeprüften deutschen Volkes feine Werkstatt, seinen
Herd und seinen Altar auftun wird.

Das Symptom des Versagens unserer Parteiung vor den Kriegsproblemen
war die Gründung eigener Kriegsparteien, der sehr zu Unrecht so genannten
Vaterlandspartei und ihres matten Widerparts, des Volksbundes für Freiheit
und Vaterland. Man rührt an den Kernpunkt ihres Gegensatzes, so wenig man
natürlich den letzteren damit ausschöpft, wenn man sie als militaristische und
pazifistische Kriegspartei einander gegenüberstellt. Und wenn es sich heute als
unser Grundfehler herausstellt, daß wir in allzu weitem Maße den Krieg als
ein traditionell-militärisches Unternehmen auffaßten, ihn zu wenig als poli¬
tischen, geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Vorgang, ihn vor allem allzu
spät als Welirevolution erkannten: dann ist eben damit die Einseitigkeit und Un¬
zulänglichkeit einer spezifisch militaristischen Kriegsauffafsung und Kriegs¬
programmatik zugegeben. Wenn also auch die Vaterlcmdspartei an diesem
Grundirrtum mit all ihren stolzen Plänen und Entwürfen gescheitert ist, geschei¬
tert wie der eine große Mann, in dem sich ihr Wesen und Wollen monumental
verkörperte: das eine Verdienst soll ihr nicht verkürzt noch geschmälert sein -- sie
hat unser gänzlich in innerpolitische Ziele vergafftes Volk, das in seiner über¬
wältigenden Mehrheit ohne Kompaß und Route in diese Weltkatastrophe hin¬
eingetaumelt ist, erstmals auf große weltpolitische Ziele eingestellt. Maßlos in


Nationalversammlung und Parteien

reichend sind, um der großen Aufgabe zu genügen: ohne kleinliche Zersplitterung
aber auch ohne matte Verwaschenheit die Lösungstypen der deutschen Ver¬
fassungsfrage, die das deutsche Bürgertum vorschlägt, in entschiedenen gewichti¬
gen und geschlossenen Stimmkomplexen in die Wagschale zu werfen.

Ist diese Aufgabe klar und deutlich als die entscheidende erkannt, so müssen
sich lebhafte Zweifel regen, ob das überkommene Parteisystem ihr gewachsen ist.
Wenn Clausewitz den Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
nannte, fo könnte man die Revolution, in der wir stehen, als eine Fortsetzung
des Krieges mit anderen Mitteln bezeichnen. Nun hat schon im Kriege unsere
überkommene Parteiung versagt oder hat sich doch nur sehr notdürftig der. neuen
Problematik angepaßt. Der Revolution vollends steht sie schon deshalb noch
hilfloser gegenüber, weil sie bis auf die äußerste Linke grundsätzlich antirevolu¬
tionär war. Und nachdem sogar der „Vorwärts" noch vor ganz kurzem erklärt
hat, die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes sei überzeugt monarchistisch
gesinnt, nachdem die „Frankfurter Zeitung" und ihre Gesinnungsgenossinnen
such vier >irieasjahre sich als Snltze von Thron uno ''Iluir uns^eipl.le tMien,
nach allem wirkt es etwas komisch und nicht sehr würdig, mit welch unver¬
frorener Selbstverständlichkeit die bürgerliche Linke ihre monarchistische Livree
von gestern — es scheint wirklich, daß es nur eine solche war — mit dem republi¬
kanischen Sansculottenkostüm vertauscht hat: nach einer Revolution wohlverstan¬
den, die dies Bürgertum weder „gewollt" noch ins Werk gesetzt hat, bei der es
lediglich die höchst unerfreuliche Rolle des halb neugierigen^ halb ängstlichen Zu¬
schauers gespielt, höchstens sich gelegentlich heldenmütig als Claqueur. betätigt hat,
wenn die Allzuvielen gegen einen gestern umjubelten Großoktav- oder Duodez¬
dynasten „kreuziget ihn" schrien. Sollte es sich mit dem Umlernen im Novem¬
ber 1918 nicht ähnlich Verhalten wie im August 1914, wo der neunmal gescheite
Bräsig auch bald einsah, daß er zwar mit der Fixigkeit, der bedächtige Karl
Habermann aber mit der Richtigkeit vornean war. Vor Bräsig, vor allen,
die um Himmels willen nur immer auf der Höhe sein wollen, haben die
Spartakusleute keine Angst, diesen Bourgeoisthpus verachten sie gründlich und
mit Recht. Den anderen fürchten sie und wollen ihn mundtot machen, und
darum wollen wir von der Rechten dafür eintreten, daß Karl Habermann, der
eine schwere Zunge, einen geraden Sinn, einen bedächtigen gesunden Verstand
und ein treues deutsches Herz im Leibe hat, sein allzu reichlich bemessenes
Phlegma überwindet und in der Nationalversammlung ein vernehmliches Wort
spricht. Denn ohne ihn, den vielgeschmähten, von den östlicheren Literaten über¬
legen mißachteten deutschen Michel kann und soll das Haus nicht gebaut werden,
in dem der Wille des schwergeprüften deutschen Volkes feine Werkstatt, seinen
Herd und seinen Altar auftun wird.

Das Symptom des Versagens unserer Parteiung vor den Kriegsproblemen
war die Gründung eigener Kriegsparteien, der sehr zu Unrecht so genannten
Vaterlandspartei und ihres matten Widerparts, des Volksbundes für Freiheit
und Vaterland. Man rührt an den Kernpunkt ihres Gegensatzes, so wenig man
natürlich den letzteren damit ausschöpft, wenn man sie als militaristische und
pazifistische Kriegspartei einander gegenüberstellt. Und wenn es sich heute als
unser Grundfehler herausstellt, daß wir in allzu weitem Maße den Krieg als
ein traditionell-militärisches Unternehmen auffaßten, ihn zu wenig als poli¬
tischen, geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Vorgang, ihn vor allem allzu
spät als Welirevolution erkannten: dann ist eben damit die Einseitigkeit und Un¬
zulänglichkeit einer spezifisch militaristischen Kriegsauffafsung und Kriegs¬
programmatik zugegeben. Wenn also auch die Vaterlcmdspartei an diesem
Grundirrtum mit all ihren stolzen Plänen und Entwürfen gescheitert ist, geschei¬
tert wie der eine große Mann, in dem sich ihr Wesen und Wollen monumental
verkörperte: das eine Verdienst soll ihr nicht verkürzt noch geschmälert sein — sie
hat unser gänzlich in innerpolitische Ziele vergafftes Volk, das in seiner über¬
wältigenden Mehrheit ohne Kompaß und Route in diese Weltkatastrophe hin¬
eingetaumelt ist, erstmals auf große weltpolitische Ziele eingestellt. Maßlos in


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[0210] Nationalversammlung und Parteien reichend sind, um der großen Aufgabe zu genügen: ohne kleinliche Zersplitterung aber auch ohne matte Verwaschenheit die Lösungstypen der deutschen Ver¬ fassungsfrage, die das deutsche Bürgertum vorschlägt, in entschiedenen gewichti¬ gen und geschlossenen Stimmkomplexen in die Wagschale zu werfen. Ist diese Aufgabe klar und deutlich als die entscheidende erkannt, so müssen sich lebhafte Zweifel regen, ob das überkommene Parteisystem ihr gewachsen ist. Wenn Clausewitz den Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln nannte, fo könnte man die Revolution, in der wir stehen, als eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bezeichnen. Nun hat schon im Kriege unsere überkommene Parteiung versagt oder hat sich doch nur sehr notdürftig der. neuen Problematik angepaßt. Der Revolution vollends steht sie schon deshalb noch hilfloser gegenüber, weil sie bis auf die äußerste Linke grundsätzlich antirevolu¬ tionär war. Und nachdem sogar der „Vorwärts" noch vor ganz kurzem erklärt hat, die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes sei überzeugt monarchistisch gesinnt, nachdem die „Frankfurter Zeitung" und ihre Gesinnungsgenossinnen such vier >irieasjahre sich als Snltze von Thron uno ''Iluir uns^eipl.le tMien, nach allem wirkt es etwas komisch und nicht sehr würdig, mit welch unver¬ frorener Selbstverständlichkeit die bürgerliche Linke ihre monarchistische Livree von gestern — es scheint wirklich, daß es nur eine solche war — mit dem republi¬ kanischen Sansculottenkostüm vertauscht hat: nach einer Revolution wohlverstan¬ den, die dies Bürgertum weder „gewollt" noch ins Werk gesetzt hat, bei der es lediglich die höchst unerfreuliche Rolle des halb neugierigen^ halb ängstlichen Zu¬ schauers gespielt, höchstens sich gelegentlich heldenmütig als Claqueur. betätigt hat, wenn die Allzuvielen gegen einen gestern umjubelten Großoktav- oder Duodez¬ dynasten „kreuziget ihn" schrien. Sollte es sich mit dem Umlernen im Novem¬ ber 1918 nicht ähnlich Verhalten wie im August 1914, wo der neunmal gescheite Bräsig auch bald einsah, daß er zwar mit der Fixigkeit, der bedächtige Karl Habermann aber mit der Richtigkeit vornean war. Vor Bräsig, vor allen, die um Himmels willen nur immer auf der Höhe sein wollen, haben die Spartakusleute keine Angst, diesen Bourgeoisthpus verachten sie gründlich und mit Recht. Den anderen fürchten sie und wollen ihn mundtot machen, und darum wollen wir von der Rechten dafür eintreten, daß Karl Habermann, der eine schwere Zunge, einen geraden Sinn, einen bedächtigen gesunden Verstand und ein treues deutsches Herz im Leibe hat, sein allzu reichlich bemessenes Phlegma überwindet und in der Nationalversammlung ein vernehmliches Wort spricht. Denn ohne ihn, den vielgeschmähten, von den östlicheren Literaten über¬ legen mißachteten deutschen Michel kann und soll das Haus nicht gebaut werden, in dem der Wille des schwergeprüften deutschen Volkes feine Werkstatt, seinen Herd und seinen Altar auftun wird. Das Symptom des Versagens unserer Parteiung vor den Kriegsproblemen war die Gründung eigener Kriegsparteien, der sehr zu Unrecht so genannten Vaterlandspartei und ihres matten Widerparts, des Volksbundes für Freiheit und Vaterland. Man rührt an den Kernpunkt ihres Gegensatzes, so wenig man natürlich den letzteren damit ausschöpft, wenn man sie als militaristische und pazifistische Kriegspartei einander gegenüberstellt. Und wenn es sich heute als unser Grundfehler herausstellt, daß wir in allzu weitem Maße den Krieg als ein traditionell-militärisches Unternehmen auffaßten, ihn zu wenig als poli¬ tischen, geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Vorgang, ihn vor allem allzu spät als Welirevolution erkannten: dann ist eben damit die Einseitigkeit und Un¬ zulänglichkeit einer spezifisch militaristischen Kriegsauffafsung und Kriegs¬ programmatik zugegeben. Wenn also auch die Vaterlcmdspartei an diesem Grundirrtum mit all ihren stolzen Plänen und Entwürfen gescheitert ist, geschei¬ tert wie der eine große Mann, in dem sich ihr Wesen und Wollen monumental verkörperte: das eine Verdienst soll ihr nicht verkürzt noch geschmälert sein — sie hat unser gänzlich in innerpolitische Ziele vergafftes Volk, das in seiner über¬ wältigenden Mehrheit ohne Kompaß und Route in diese Weltkatastrophe hin¬ eingetaumelt ist, erstmals auf große weltpolitische Ziele eingestellt. Maßlos in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/210>, abgerufen am 22.07.2024.