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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Nationalversammlung und Parteien
Dr. Max Hildebert Bochen von

le große deutsche Nationalversammlung, deren Zusammentritt alle
MHZ^lT^W bürgerlichen Parteien und zugleich auch die Mehrheit der Sozia"
iisdem fordern, wird die weltgeschichtliche Probe auf das Exempel
l der deutschen Revolution von 1818 zu liefern haben. Denn in
erst wird sich entscheiden, ob das deutsche Volk diejenige
politische Reife tatsächlich besitzt, die es sich zuerkennt, indem es die
letzten Reste der Bevormundung durch den dualistischen Staat gewaltsrm ab¬
schüttelt, die große Frage der deutschen Zukunft den Händen jenes bureaukratisch-
militaristischen "Hauptausschusses", seiner bisherigen Negierung einschließlich
der bisherigen verfassungsmäßigen Volksvertretung, entreißet und sie dem
"Plenum" der ganzen deutschen Nation selbst über die bisherigen Neichsgrenzen
hinaus vorlegt. Droste nicht dauernd am Horizont < das Gespenst des roten
Terrors: auch die Kreise, die nicht auf dem Boden der sozialistischen Parteidoktrin
stehen und die durch tiefgewurzelte Gefühle mit dem gestürzten monarchisch-
autoritären Staatssystem verwachsen sind -- auch sie empfinden hente etwas von
jenem Kraftgefühl, wie es den ganzen Leib durchströmt, wenn man aus dem
engen GeWinkel der Stadt in die lichte Weite von Wiese und Feld hinaustritt.
Man fühlt Raum um sich, Spielraum und Blickfeld des politischen Wollens. Die
Krücken politischer Vorzugsrechte sind uns Bürgerlichen recht unsanft aus der
Hand gerissen, das zahlenmäßige Übergewicht der Massen macht uns die Selbst¬
behauptung nicht leicht. Wir sollten nicht zu laut lamentieren, daß dieser
Mechanismus gegen uns aufsteht: den kapitalistischen Mechanismus, der auf
"veiter Strecke für uns arbeitete, haben wir uns gut und gerne gefallen lassen,
obgleich er für jene, die andern, die heute das Heft in den Händen haben, das
böse Weltprinzip schlechthin bedeutete, für sie, die von jenem grauenhaften
Mechanismus zermürbt und entmenscht werden.

Es ist -güt, daß die Stunde es uns nicht leicht macht. Denn nun muß es
sich zeigen, ob es tatsächlich nur die Schlafwagen und Polsterwaggons des Privi¬
legienstaates waren, die uns gemächlich und mühelos von der 'Stelle brachten,
oder ob wir, wie die Besten unter uns -- sie waren nicht immer die mächtigsten
im Wilhelminifchen Deutschland -- zuversichtlich glauben und vertrauen, noch
selber kräftige Beine haben, die sich getrost auch dann zum Wettlauf stellen
können, wenn ihnen nicht ein Vorsprung von beträchtlichem Ausmaße von vorn¬
herein gewiß ist. Aber auch ohne roten Wahlterror von selten der deutschen Ab¬
leger des Bolschewismus: leicht ist die Aufgabe nicht, die dem Bürgertum bevor¬
steht. Und es gilt deshalb, sehr ernsthaft und rechtzeitig die Frage zu erwägen,
wie weit die bestehenden politischen Organisationen methodisch geeignet und aus-


GrenzbotmIV 19 ig17


Nationalversammlung und Parteien
Dr. Max Hildebert Bochen von

le große deutsche Nationalversammlung, deren Zusammentritt alle
MHZ^lT^W bürgerlichen Parteien und zugleich auch die Mehrheit der Sozia»
iisdem fordern, wird die weltgeschichtliche Probe auf das Exempel
l der deutschen Revolution von 1818 zu liefern haben. Denn in
erst wird sich entscheiden, ob das deutsche Volk diejenige
politische Reife tatsächlich besitzt, die es sich zuerkennt, indem es die
letzten Reste der Bevormundung durch den dualistischen Staat gewaltsrm ab¬
schüttelt, die große Frage der deutschen Zukunft den Händen jenes bureaukratisch-
militaristischen „Hauptausschusses", seiner bisherigen Negierung einschließlich
der bisherigen verfassungsmäßigen Volksvertretung, entreißet und sie dem
„Plenum" der ganzen deutschen Nation selbst über die bisherigen Neichsgrenzen
hinaus vorlegt. Droste nicht dauernd am Horizont < das Gespenst des roten
Terrors: auch die Kreise, die nicht auf dem Boden der sozialistischen Parteidoktrin
stehen und die durch tiefgewurzelte Gefühle mit dem gestürzten monarchisch-
autoritären Staatssystem verwachsen sind — auch sie empfinden hente etwas von
jenem Kraftgefühl, wie es den ganzen Leib durchströmt, wenn man aus dem
engen GeWinkel der Stadt in die lichte Weite von Wiese und Feld hinaustritt.
Man fühlt Raum um sich, Spielraum und Blickfeld des politischen Wollens. Die
Krücken politischer Vorzugsrechte sind uns Bürgerlichen recht unsanft aus der
Hand gerissen, das zahlenmäßige Übergewicht der Massen macht uns die Selbst¬
behauptung nicht leicht. Wir sollten nicht zu laut lamentieren, daß dieser
Mechanismus gegen uns aufsteht: den kapitalistischen Mechanismus, der auf
»veiter Strecke für uns arbeitete, haben wir uns gut und gerne gefallen lassen,
obgleich er für jene, die andern, die heute das Heft in den Händen haben, das
böse Weltprinzip schlechthin bedeutete, für sie, die von jenem grauenhaften
Mechanismus zermürbt und entmenscht werden.

Es ist -güt, daß die Stunde es uns nicht leicht macht. Denn nun muß es
sich zeigen, ob es tatsächlich nur die Schlafwagen und Polsterwaggons des Privi¬
legienstaates waren, die uns gemächlich und mühelos von der 'Stelle brachten,
oder ob wir, wie die Besten unter uns — sie waren nicht immer die mächtigsten
im Wilhelminifchen Deutschland — zuversichtlich glauben und vertrauen, noch
selber kräftige Beine haben, die sich getrost auch dann zum Wettlauf stellen
können, wenn ihnen nicht ein Vorsprung von beträchtlichem Ausmaße von vorn¬
herein gewiß ist. Aber auch ohne roten Wahlterror von selten der deutschen Ab¬
leger des Bolschewismus: leicht ist die Aufgabe nicht, die dem Bürgertum bevor¬
steht. Und es gilt deshalb, sehr ernsthaft und rechtzeitig die Frage zu erwägen,
wie weit die bestehenden politischen Organisationen methodisch geeignet und aus-


GrenzbotmIV 19 ig17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/209>, abgerufen am 24.11.2024.