Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr."Zu tcmsi'ut Zungen" geworden, daß sie, einst ihre Stärke, nun die Städte in ein Gefühl der Ohnmacht Stellt man dem die "Bodenlosigkeit unendlich vieler unserer heutigen Und nimmt man nun die meisten unserer mittleren und unteren Beamten, „Zu tcmsi'ut Zungen" geworden, daß sie, einst ihre Stärke, nun die Städte in ein Gefühl der Ohnmacht Stellt man dem die „Bodenlosigkeit unendlich vieler unserer heutigen Und nimmt man nun die meisten unserer mittleren und unteren Beamten, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88258"/> <fw type="header" place="top"> „Zu tcmsi'ut Zungen"</fw><lb/> <p xml:id="ID_34" prev="#ID_33"> geworden, daß sie, einst ihre Stärke, nun die Städte in ein Gefühl der Ohnmacht<lb/> versinken ließ. Handel und Gewerbe betreiben, sich geistig in irgendeiner Art<lb/> betätigen, das kann man ja bis zu einem gewissen Grade auch unter anderer<lb/> „Flagge", als unter derjenigen des eigenen Volkes. Ist das Tributzahlen, sind<lb/> die „Steuereintreibüngen" auch nicht angenehm: es ist bewegliches Gut, das man<lb/> hingibt und das infolge seiner Beweglichkeit auch wieder zu einem zurückfließen<lb/> kann. Obendrein aber läßt sich bewegliches Gut verpacken, auf Karren oder als<lb/> Gold und Juwelen in Handtaschen. Man kann dem Feinde ausweichen, wenn<lb/> er naht, oder man kann auswandern, wenn er schon da ist. Rückt aber der Feind<lb/> dem Bauer in den Hof, nimmt er ihm Pferde und Vieh, so bleibt ihm nichts<lb/> mehr, sein Land zu bebauen, seine ganze wirtschaftliche und leibliche Existenz, sein<lb/> in den Boden gepflanztes Wachstum als Familie ist bedroht, und so muß hier der<lb/> Wille lebendig bleiben, mit seiner Kraft der Gefahr zu begegnen. Ein Haus<lb/> in der Stadt, das aussieht, wie hundert andere, das mit seinem kümmerlichen,<lb/> dunkeln Hofe, mit ein paar kränkelnden Grünstauden-oder mit der Efeuwand am<lb/> Nachbarhause kaum das Gefühl aufkommen läßt, es sei bloses ein Stück heimat¬<lb/> licher Erde; das uns mit seiner öden Jämmerlichkeit nur ganz selten zu einem<lb/> wirklichen Heim zu werden vermag — das gibt man auf und geht mit seinen<lb/> Habseligkeiten davon, wenn Gefahr droht, wie man es verkauft, wenn sich ein<lb/> schöneres und besseres oder „rentableres" Objekt bietet. Auf dem Lande des<lb/> Bauern aber steht der Nußbaum, den der Großvater pflanzte; jeder Baum hat<lb/> ein Stück eigenen Lebens, eigener Kraft der Familie genossen und gespendet, und<lb/> jedes Ackerstück hat seine Geschichte, hat Mühe und Arbeit von Geschlechtern in<lb/> sich aufgesogen, bis es den Weizen so herrlich trägt, wie er heute steht. Auf dem<lb/> Lande wird Mensch und Boden eine Einheit, hier wächst das Heinigefühl<lb/> unmittelbar an den Menschen heran und in ihn hinein. In der Stadt bedarf es,<lb/> wenn es dazu kommen soll, der Vermittlungen, und diese sind meist intellektueller,<lb/> verstandesmäßiger, nicht gefühlsmäßiger Art. Ein Landhaus zu'haben, war und<lb/> ist keine erst von der Neuzeit erfundene Sehnsucht der Städter, wie uns die<lb/> „Forenser" im Rheingau und oberhalb Mainz belehren können, sondern es ist<lb/> und bleibt der gesunde Drang des „Eingemauerten", mit dem Lande, mit der<lb/> Natur zusammenzuwachsen, ein Heim zu finden, dem man seine Liebe und Pflege<lb/> zuwenden kann, wofür es selbst wieder mit der Pflege und dem Wohle der<lb/> Familie dankt."</p><lb/> <p xml:id="ID_35"> Stellt man dem die „Bodenlosigkeit unendlich vieler unserer heutigen<lb/> Land- und Volksgenossen gegenüber, so erkennt man die Quelle ihres verstandes¬<lb/> mäßigen „Patriotismus". ,>Sie sollen die Rauferei um den Fetzen Land auf¬<lb/> stecken. Ob das Elsaß hierhin oder dorthin gehört, das kann uns doch einerlei<lb/> sein. Die Menschenopfer ist es nicht wert." — Wörtlich hörte ich dieses Urteil in<lb/> der Elektrischen. So spricht die Heimatlosigkeit, die „Bodenlosigkeit", die nie den<lb/> Wert eines „Fetzen"'Landes an ihrem eigenen Leibe und an dem Wohl ihrer<lb/> Angehörigen empfand.</p><lb/> <p xml:id="ID_36" next="#ID_37"> Und nimmt man nun die meisten unserer mittleren und unteren Beamten,<lb/> unsere Gelehrten, Künstler, Schriftsteller, unsere Techniker, Gewerbetreibenden,<lb/> Kaufleute, kurz, die Mehrzahl derer, die die notwendige Arbeitsteilung und ihr<lb/> eigener innerer Trieb zu irgendeiner geistigen Betätigung führten; nimmt man<lb/> dazu die Millionen der Lohnarbeiter: so sind sie alle, soweit sie oder ihre Vor¬<lb/> fahren nicht „Glücksgüter" errangen, fast bodenlos und heimatlos geworden. DaS<lb/> sitzt nun gedrängt im Innern der Städte zusammen und kultiviert in aufsteigender<lb/> Zeit zum Teil noch einen „übertragenen" Patriotismus: man ist stolz darauf,<lb/> Mainzer, Frankfurter, Kölner zu sein — die Stadt als Ganzes wird da noch<lb/> vielfach unmittelbar als „Heimat" empfunden; man ist auch stolz darauf, Sachse,<lb/> Bayer, Preuße und gar Badenser zu sein, indem man geistigen Anteil nimmt an<lb/> der Geschichte und dem Geschicke des engeren Vaterlandes oder einer Provinz<lb/> desselben; und weiter steigt man an dieser Bewußtseinsleiter auch zum<lb/> deutschen „Nationalgefühl" empor: aber einmal auf dieser Leiter deö<lb/> Bewußtseins, merkt man doch, daß die Sprosse „Deutschland" nicht die höchste</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
„Zu tcmsi'ut Zungen"
geworden, daß sie, einst ihre Stärke, nun die Städte in ein Gefühl der Ohnmacht
versinken ließ. Handel und Gewerbe betreiben, sich geistig in irgendeiner Art
betätigen, das kann man ja bis zu einem gewissen Grade auch unter anderer
„Flagge", als unter derjenigen des eigenen Volkes. Ist das Tributzahlen, sind
die „Steuereintreibüngen" auch nicht angenehm: es ist bewegliches Gut, das man
hingibt und das infolge seiner Beweglichkeit auch wieder zu einem zurückfließen
kann. Obendrein aber läßt sich bewegliches Gut verpacken, auf Karren oder als
Gold und Juwelen in Handtaschen. Man kann dem Feinde ausweichen, wenn
er naht, oder man kann auswandern, wenn er schon da ist. Rückt aber der Feind
dem Bauer in den Hof, nimmt er ihm Pferde und Vieh, so bleibt ihm nichts
mehr, sein Land zu bebauen, seine ganze wirtschaftliche und leibliche Existenz, sein
in den Boden gepflanztes Wachstum als Familie ist bedroht, und so muß hier der
Wille lebendig bleiben, mit seiner Kraft der Gefahr zu begegnen. Ein Haus
in der Stadt, das aussieht, wie hundert andere, das mit seinem kümmerlichen,
dunkeln Hofe, mit ein paar kränkelnden Grünstauden-oder mit der Efeuwand am
Nachbarhause kaum das Gefühl aufkommen läßt, es sei bloses ein Stück heimat¬
licher Erde; das uns mit seiner öden Jämmerlichkeit nur ganz selten zu einem
wirklichen Heim zu werden vermag — das gibt man auf und geht mit seinen
Habseligkeiten davon, wenn Gefahr droht, wie man es verkauft, wenn sich ein
schöneres und besseres oder „rentableres" Objekt bietet. Auf dem Lande des
Bauern aber steht der Nußbaum, den der Großvater pflanzte; jeder Baum hat
ein Stück eigenen Lebens, eigener Kraft der Familie genossen und gespendet, und
jedes Ackerstück hat seine Geschichte, hat Mühe und Arbeit von Geschlechtern in
sich aufgesogen, bis es den Weizen so herrlich trägt, wie er heute steht. Auf dem
Lande wird Mensch und Boden eine Einheit, hier wächst das Heinigefühl
unmittelbar an den Menschen heran und in ihn hinein. In der Stadt bedarf es,
wenn es dazu kommen soll, der Vermittlungen, und diese sind meist intellektueller,
verstandesmäßiger, nicht gefühlsmäßiger Art. Ein Landhaus zu'haben, war und
ist keine erst von der Neuzeit erfundene Sehnsucht der Städter, wie uns die
„Forenser" im Rheingau und oberhalb Mainz belehren können, sondern es ist
und bleibt der gesunde Drang des „Eingemauerten", mit dem Lande, mit der
Natur zusammenzuwachsen, ein Heim zu finden, dem man seine Liebe und Pflege
zuwenden kann, wofür es selbst wieder mit der Pflege und dem Wohle der
Familie dankt."
Stellt man dem die „Bodenlosigkeit unendlich vieler unserer heutigen
Land- und Volksgenossen gegenüber, so erkennt man die Quelle ihres verstandes¬
mäßigen „Patriotismus". ,>Sie sollen die Rauferei um den Fetzen Land auf¬
stecken. Ob das Elsaß hierhin oder dorthin gehört, das kann uns doch einerlei
sein. Die Menschenopfer ist es nicht wert." — Wörtlich hörte ich dieses Urteil in
der Elektrischen. So spricht die Heimatlosigkeit, die „Bodenlosigkeit", die nie den
Wert eines „Fetzen"'Landes an ihrem eigenen Leibe und an dem Wohl ihrer
Angehörigen empfand.
Und nimmt man nun die meisten unserer mittleren und unteren Beamten,
unsere Gelehrten, Künstler, Schriftsteller, unsere Techniker, Gewerbetreibenden,
Kaufleute, kurz, die Mehrzahl derer, die die notwendige Arbeitsteilung und ihr
eigener innerer Trieb zu irgendeiner geistigen Betätigung führten; nimmt man
dazu die Millionen der Lohnarbeiter: so sind sie alle, soweit sie oder ihre Vor¬
fahren nicht „Glücksgüter" errangen, fast bodenlos und heimatlos geworden. DaS
sitzt nun gedrängt im Innern der Städte zusammen und kultiviert in aufsteigender
Zeit zum Teil noch einen „übertragenen" Patriotismus: man ist stolz darauf,
Mainzer, Frankfurter, Kölner zu sein — die Stadt als Ganzes wird da noch
vielfach unmittelbar als „Heimat" empfunden; man ist auch stolz darauf, Sachse,
Bayer, Preuße und gar Badenser zu sein, indem man geistigen Anteil nimmt an
der Geschichte und dem Geschicke des engeren Vaterlandes oder einer Provinz
desselben; und weiter steigt man an dieser Bewußtseinsleiter auch zum
deutschen „Nationalgefühl" empor: aber einmal auf dieser Leiter deö
Bewußtseins, merkt man doch, daß die Sprosse „Deutschland" nicht die höchste
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