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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Die Entwicklung des sozialdemokratischen Programms

in der jetzt August Bebel eine führende Rolle spielte. Einige Jahre darauf (1874)
löste sich allmählich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein und dieLassalleanische
Gruppe überhaupt in die sozialdemokratische Arbeiterpartei auf, die sich auf dem
Eisenacher Kongreß 1869 auf ein neu formuliertes Programm geeinigt hatte, dem
wir nunmehr unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Wir fassen dieses mit
dem Programm des Parteitages zu Gotha im Mai 1375 zusammen, der die Ver¬
einigung mit den Lassallsanern offiziell durchführte und daher die spezifisch
Lassalleanischen Doktrinen besonders betonte.

Auch hier gilt die Arbeit als eine Angelegenheit der Gesellschaft, das
gesamte Arbeitsprodukt gehört also der Gesellschaft, d. h. allen ihren Mitgliedern
nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen. Das
Gothaische Programm betont dabei ausdrücklich die allgemeine Arbeitspflicht
(vgl. Punkt 8 des Kommunistischen Manifestes). Die Befreiung der Arbeit, die
nur durch die Arbeiterklasse selbst erfolgen kann, erfordert die Verwandlung der
Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und die genossenschaftliche Regelung
der Gesamtarbeit. Ausdrücklich wird um Eisenacher, wie auch späterhin wieder
im Erfurter Programm betont, daß der Kampf um die Befreiung der arbeitenden
Klassen nicht ein Kampf für neue Klassenvorrechte, sondern ein Kanipf für gleiche
Rechte und Pflichten und für Abschaffung jeglicher Klassenherrschaft sei. Das
Ziel ist die Beseitigung des Lohnsystems und seine Ersetzung durch genossenschaft¬
liche Arbeit. Als Weg dazu werden im Gothaischen Programm besonders die
Lassalleschen sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter
demokratischer Kontrolle des arbeitenden- Volkes erwähnt. Ferner wird wieder
ausdrücklich festgestellt, daß die Lösung dieser sozialen Frage die Erringung
politischer Freiheit und Macht voraussetzt, und daß der Kampf um die neue
Ordnung zwar im nationalen Rahmen ausgefochten wird, dennoch aber eine
internationale Aufgabe bleibt. In beiden Programmen wird die Taktik auf
gesetzliche Mittel eingeschränkt, unter dem Eindruck des Sozialistengesetzes wurde
aber diese Wendung im August 1880 auf dem Kongreß zu Wyder in der Schweiz
gestrichen.

Auch in diesem Programm werden, wie im Kommunistischen Manifest, den
allgemeinen grundsätzlichen Zielen konkrete Forderungen angereiht, wie sie sich
aus der augenblicklichen politischen Lage ergeben. In dem genannten Programm
werden folgende Punkte unterschieden:

1. Allgemeines gleiches direktes und geheimes Wahlrecht vom 20. Lebens¬
jahr ab sür alle Vertretungskörper. Das Eisenacher Programm
beschränkt das Wahlrecht aus Männer und fordert ausdrücklich Diäten
für die Abgeordneten, das Gothaer spricht von Staatsangehörigen
überhaupt und verlangt außerdem Wahlzwang.
2. Direkte Gesetzgebung durch das Volk. Das Gothaische Programm will
insbesondere die Entscheidung über Krieg und Frieden in die Hände
des Volkes legen.
3. Aufhebung -aller Vorrechte von Stand, Besitz, Geburt und Konfession, '
möglichste Ausdehnung der politischen Rechte und Freiheiten.
4. Errichtung der Volkswehr an Stelle der stehenden Heere, allgemeine
Wehrhaftigkeit.
5. Trennung von Kirche und Staat und von Schule und Kirche. Das
Gothaische Programm erklärt die Religion zur Privatsache.
6. Allgemeine Schulpflicht, unentgeltlicher Unterricht in Mer Bildungs-
anstalten.
7. Unabhängigkeit der Gerichte, Rechtsprechung durch das Volk
(Geschworenengerichte), unentgeltliche Rechtspflege.
8. Abschaffung der Beschränkung der Preß-, Vereins- und Koalitions¬
freiheit. Einführung des Normalarbeitstages. Einschränkung der
Frauen- und Verbot der Kinderarbeit. Das Gothaische Programm
verlangt allgemeine Schutzgesetze für Loben und Gesundheit der Arbeit

Die Entwicklung des sozialdemokratischen Programms

in der jetzt August Bebel eine führende Rolle spielte. Einige Jahre darauf (1874)
löste sich allmählich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein und dieLassalleanische
Gruppe überhaupt in die sozialdemokratische Arbeiterpartei auf, die sich auf dem
Eisenacher Kongreß 1869 auf ein neu formuliertes Programm geeinigt hatte, dem
wir nunmehr unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Wir fassen dieses mit
dem Programm des Parteitages zu Gotha im Mai 1375 zusammen, der die Ver¬
einigung mit den Lassallsanern offiziell durchführte und daher die spezifisch
Lassalleanischen Doktrinen besonders betonte.

Auch hier gilt die Arbeit als eine Angelegenheit der Gesellschaft, das
gesamte Arbeitsprodukt gehört also der Gesellschaft, d. h. allen ihren Mitgliedern
nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen. Das
Gothaische Programm betont dabei ausdrücklich die allgemeine Arbeitspflicht
(vgl. Punkt 8 des Kommunistischen Manifestes). Die Befreiung der Arbeit, die
nur durch die Arbeiterklasse selbst erfolgen kann, erfordert die Verwandlung der
Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und die genossenschaftliche Regelung
der Gesamtarbeit. Ausdrücklich wird um Eisenacher, wie auch späterhin wieder
im Erfurter Programm betont, daß der Kampf um die Befreiung der arbeitenden
Klassen nicht ein Kampf für neue Klassenvorrechte, sondern ein Kanipf für gleiche
Rechte und Pflichten und für Abschaffung jeglicher Klassenherrschaft sei. Das
Ziel ist die Beseitigung des Lohnsystems und seine Ersetzung durch genossenschaft¬
liche Arbeit. Als Weg dazu werden im Gothaischen Programm besonders die
Lassalleschen sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter
demokratischer Kontrolle des arbeitenden- Volkes erwähnt. Ferner wird wieder
ausdrücklich festgestellt, daß die Lösung dieser sozialen Frage die Erringung
politischer Freiheit und Macht voraussetzt, und daß der Kampf um die neue
Ordnung zwar im nationalen Rahmen ausgefochten wird, dennoch aber eine
internationale Aufgabe bleibt. In beiden Programmen wird die Taktik auf
gesetzliche Mittel eingeschränkt, unter dem Eindruck des Sozialistengesetzes wurde
aber diese Wendung im August 1880 auf dem Kongreß zu Wyder in der Schweiz
gestrichen.

Auch in diesem Programm werden, wie im Kommunistischen Manifest, den
allgemeinen grundsätzlichen Zielen konkrete Forderungen angereiht, wie sie sich
aus der augenblicklichen politischen Lage ergeben. In dem genannten Programm
werden folgende Punkte unterschieden:

1. Allgemeines gleiches direktes und geheimes Wahlrecht vom 20. Lebens¬
jahr ab sür alle Vertretungskörper. Das Eisenacher Programm
beschränkt das Wahlrecht aus Männer und fordert ausdrücklich Diäten
für die Abgeordneten, das Gothaer spricht von Staatsangehörigen
überhaupt und verlangt außerdem Wahlzwang.
2. Direkte Gesetzgebung durch das Volk. Das Gothaische Programm will
insbesondere die Entscheidung über Krieg und Frieden in die Hände
des Volkes legen.
3. Aufhebung -aller Vorrechte von Stand, Besitz, Geburt und Konfession, '
möglichste Ausdehnung der politischen Rechte und Freiheiten.
4. Errichtung der Volkswehr an Stelle der stehenden Heere, allgemeine
Wehrhaftigkeit.
5. Trennung von Kirche und Staat und von Schule und Kirche. Das
Gothaische Programm erklärt die Religion zur Privatsache.
6. Allgemeine Schulpflicht, unentgeltlicher Unterricht in Mer Bildungs-
anstalten.
7. Unabhängigkeit der Gerichte, Rechtsprechung durch das Volk
(Geschworenengerichte), unentgeltliche Rechtspflege.
8. Abschaffung der Beschränkung der Preß-, Vereins- und Koalitions¬
freiheit. Einführung des Normalarbeitstages. Einschränkung der
Frauen- und Verbot der Kinderarbeit. Das Gothaische Programm
verlangt allgemeine Schutzgesetze für Loben und Gesundheit der Arbeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/194>, abgerufen am 24.11.2024.