Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entwicklung des sozialdemokratischen Programms

Ferner findet sich dort die -wichtige Forderung der Schaffung gewerblicher
Korporationen. Im dritten Absatz erscheinen eine Reihe wichtiger Programm-
Punkte, die dem heutigen sozialdemokratischen Programm näher stehen, als das
ungefähr gleichzeitig erschienene Kommunistische Manifest, so die Festsetzung von
Arbeitslohn und Arbeitszeit durch gemischte Kommissionen, Assoziationsrecht für
ti" Arbeiter zur Durchsetzung von Lohnforderungen, Abschaffung der indirekten
Steuern, unentgeltlicher Unterricht, Herabsetzung der Wählbarkeit aus das
24. Fahr, Arbeitslosen- und Jnvalidenfürforge, Freizügigkeit u. a. Auf Grund
dieses Programmes wurde ein Arbeiterkongreß zum 23. August 1848 nach Berlin
einberufen. Wir finden hier die ersten Ansätze einer planmäßigen zentralisierten
Arbeiterorganisation. Noch weiter greift ein Sendschreiben an alle arbeitenden
Stände Deutschlands zur Einberufung -eines sozialen Vorparlaments vom
22. August 1848 in Frankfurt. Dieses soziale Vorparlament sollte aus Arbeit¬
nehmern und Arbeitgebern zusammentreten und Schutz und Regelung der Arbeit
durch den Staat durchsetzen. Unter -anderem wurde in diesem Sendschreiben die
Errichtung einer sozialen neben der politischen Kammer, eine gemeinschaftliche
Sozialgefetzgebun-g für ganz Deutschland, die Schaffung 'eines sozialen
Ministeriums, das sich in Kultus- und Jndustrieminifterium teilen sollte, Ver¬
äußerung aller dem Staat gehörigen Fabriken (vgl. dagegen Komm. Man.
Punkt 7) und Landgüter, aber Ankauf sämtlicher Eisenbahnen (vgl. Komm. Man.
Punkt 6)/ neue Innungsverfassung bei Freizügigkeit und Abschaffung der Kon¬
zessionen, Schaffung einer Realkreditbank als 'Grundlage eines groß angelegten
Banksystems, Arbeitslosen-, Kranken-, Invaliden- und Hinter-bliebenenfursorge,
kostenloser Unterricht und Erweiterung der Bildungs-möglichkeiten gefordert.

Es ist nicht die Aufgabe dieser gedrängten Übersicht, die Entwicklung der
deutschen Arbeiterbewegung als solche darzustellen. Die kommunistische
Bewegung kam namentlich infolge des Kölner Kommunistenprozesses im Laufe
des nächsten Jahrzehnts ins Stocken, dagegen erhielt die deutsche Arbeiter¬
bewegung um die 60er Jahre einen neuen Antrieb durch die Wirksamkeit
Ferdinand Lassalles, der seine Agitation mit realpolitischem Geschick auf bestimmte
nächsterreichbare Programmpunkte einschränkte: die Schaffung von Produktiv¬
genossenschaften und die Gewinnung von Staatskredit zu ihrer Hebung als vor¬
läufiges Ziel, -als Mittel dazu die Durchsetzung des -allgemeinen und direkten
Wahlrechts. Lassalles nationale Gesinnung im Gegensatz zu Marx' Inter¬
nationalismus wird vielfach übertrieben, dagegen ist -ein gut hegelischer Glaube
an den Staat und der Drang zur unmittelbaren Wirksamkeit auch innerhalb der
bestehenden Verhältnisse allerdings für ihn bezeichnend. Kurz vor seinem plötz¬
lichen Tode -gründete er 1863 auf Antrag des Leipziger Zentralkomitees den
Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, dessen erster Vorsitzender er wurde. Dieser
Verein war Lassalles organisatorische Hauptleistung, sein früher Tod im Sommer
1864 entriß ihn einer umfassenden agitatorischen Tätigkeit.

Während sich so die deutsche Arbeiterbewegung organisatorisch verfestigte,
brachte die Weltausstellung in London 1862 einen erstmaligen Zusammenschluß
der Internationale. Ihr erster Kongreß fand 1866 in Genf statt und beschäftigte
sich besonders mit der Frage der Arbeiterschutzgef-etzgebung und der Ge-Werkvereine.
Die deutsche Sozialdemokratie zersplitterte sich nach Lass-alles Tode in inneren
Gegensätzen, hauptsächlich in taktischen Fragen. Trotzd-em machte die Entwicklung
Fortschritte. Der Verein eroberte sich im Norddeutschen Reichstage Herbst 1867
erstmals zwei Sitz-e. Um dieselbe Zeit erschien der erste Band von Marx'
"Kapital" und gab damit der sozialistischen Bewegung ihre feste wissenschaftliche
Grundlage, namentlich durch die Mehrwerttheorie. Um dieselbe Zeit gelangten
die ursprünglich von der radikalliberalen Demokratie herkommenden Gewerk¬
schaften ins sozialdemokratische Fahrwasser, obgleich Lassalle und seine Schule kein
Interesse für sie aufbrachten. Der Nürnberger Vereinstag der deutschen Arbeiter¬
vereine vom 5. September 1368 vollzog den Anschluß der deutschen Arbeiterschaft
an die Internationale Arbeiterassoziation. Er überwand den bürgerlichen
Charakter und entschied das proletarische Gepräge der deutschen Arbeiterbewegung,


Die Entwicklung des sozialdemokratischen Programms

Ferner findet sich dort die -wichtige Forderung der Schaffung gewerblicher
Korporationen. Im dritten Absatz erscheinen eine Reihe wichtiger Programm-
Punkte, die dem heutigen sozialdemokratischen Programm näher stehen, als das
ungefähr gleichzeitig erschienene Kommunistische Manifest, so die Festsetzung von
Arbeitslohn und Arbeitszeit durch gemischte Kommissionen, Assoziationsrecht für
ti« Arbeiter zur Durchsetzung von Lohnforderungen, Abschaffung der indirekten
Steuern, unentgeltlicher Unterricht, Herabsetzung der Wählbarkeit aus das
24. Fahr, Arbeitslosen- und Jnvalidenfürforge, Freizügigkeit u. a. Auf Grund
dieses Programmes wurde ein Arbeiterkongreß zum 23. August 1848 nach Berlin
einberufen. Wir finden hier die ersten Ansätze einer planmäßigen zentralisierten
Arbeiterorganisation. Noch weiter greift ein Sendschreiben an alle arbeitenden
Stände Deutschlands zur Einberufung -eines sozialen Vorparlaments vom
22. August 1848 in Frankfurt. Dieses soziale Vorparlament sollte aus Arbeit¬
nehmern und Arbeitgebern zusammentreten und Schutz und Regelung der Arbeit
durch den Staat durchsetzen. Unter -anderem wurde in diesem Sendschreiben die
Errichtung einer sozialen neben der politischen Kammer, eine gemeinschaftliche
Sozialgefetzgebun-g für ganz Deutschland, die Schaffung 'eines sozialen
Ministeriums, das sich in Kultus- und Jndustrieminifterium teilen sollte, Ver¬
äußerung aller dem Staat gehörigen Fabriken (vgl. dagegen Komm. Man.
Punkt 7) und Landgüter, aber Ankauf sämtlicher Eisenbahnen (vgl. Komm. Man.
Punkt 6)/ neue Innungsverfassung bei Freizügigkeit und Abschaffung der Kon¬
zessionen, Schaffung einer Realkreditbank als 'Grundlage eines groß angelegten
Banksystems, Arbeitslosen-, Kranken-, Invaliden- und Hinter-bliebenenfursorge,
kostenloser Unterricht und Erweiterung der Bildungs-möglichkeiten gefordert.

Es ist nicht die Aufgabe dieser gedrängten Übersicht, die Entwicklung der
deutschen Arbeiterbewegung als solche darzustellen. Die kommunistische
Bewegung kam namentlich infolge des Kölner Kommunistenprozesses im Laufe
des nächsten Jahrzehnts ins Stocken, dagegen erhielt die deutsche Arbeiter¬
bewegung um die 60er Jahre einen neuen Antrieb durch die Wirksamkeit
Ferdinand Lassalles, der seine Agitation mit realpolitischem Geschick auf bestimmte
nächsterreichbare Programmpunkte einschränkte: die Schaffung von Produktiv¬
genossenschaften und die Gewinnung von Staatskredit zu ihrer Hebung als vor¬
läufiges Ziel, -als Mittel dazu die Durchsetzung des -allgemeinen und direkten
Wahlrechts. Lassalles nationale Gesinnung im Gegensatz zu Marx' Inter¬
nationalismus wird vielfach übertrieben, dagegen ist -ein gut hegelischer Glaube
an den Staat und der Drang zur unmittelbaren Wirksamkeit auch innerhalb der
bestehenden Verhältnisse allerdings für ihn bezeichnend. Kurz vor seinem plötz¬
lichen Tode -gründete er 1863 auf Antrag des Leipziger Zentralkomitees den
Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, dessen erster Vorsitzender er wurde. Dieser
Verein war Lassalles organisatorische Hauptleistung, sein früher Tod im Sommer
1864 entriß ihn einer umfassenden agitatorischen Tätigkeit.

Während sich so die deutsche Arbeiterbewegung organisatorisch verfestigte,
brachte die Weltausstellung in London 1862 einen erstmaligen Zusammenschluß
der Internationale. Ihr erster Kongreß fand 1866 in Genf statt und beschäftigte
sich besonders mit der Frage der Arbeiterschutzgef-etzgebung und der Ge-Werkvereine.
Die deutsche Sozialdemokratie zersplitterte sich nach Lass-alles Tode in inneren
Gegensätzen, hauptsächlich in taktischen Fragen. Trotzd-em machte die Entwicklung
Fortschritte. Der Verein eroberte sich im Norddeutschen Reichstage Herbst 1867
erstmals zwei Sitz-e. Um dieselbe Zeit erschien der erste Band von Marx'
„Kapital" und gab damit der sozialistischen Bewegung ihre feste wissenschaftliche
Grundlage, namentlich durch die Mehrwerttheorie. Um dieselbe Zeit gelangten
die ursprünglich von der radikalliberalen Demokratie herkommenden Gewerk¬
schaften ins sozialdemokratische Fahrwasser, obgleich Lassalle und seine Schule kein
Interesse für sie aufbrachten. Der Nürnberger Vereinstag der deutschen Arbeiter¬
vereine vom 5. September 1368 vollzog den Anschluß der deutschen Arbeiterschaft
an die Internationale Arbeiterassoziation. Er überwand den bürgerlichen
Charakter und entschied das proletarische Gepräge der deutschen Arbeiterbewegung,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88431"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Entwicklung des sozialdemokratischen Programms</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_792" prev="#ID_791"> Ferner findet sich dort die -wichtige Forderung der Schaffung gewerblicher<lb/>
Korporationen. Im dritten Absatz erscheinen eine Reihe wichtiger Programm-<lb/>
Punkte, die dem heutigen sozialdemokratischen Programm näher stehen, als das<lb/>
ungefähr gleichzeitig erschienene Kommunistische Manifest, so die Festsetzung von<lb/>
Arbeitslohn und Arbeitszeit durch gemischte Kommissionen, Assoziationsrecht für<lb/>
ti« Arbeiter zur Durchsetzung von Lohnforderungen, Abschaffung der indirekten<lb/>
Steuern, unentgeltlicher Unterricht, Herabsetzung der Wählbarkeit aus das<lb/>
24. Fahr, Arbeitslosen- und Jnvalidenfürforge, Freizügigkeit u. a. Auf Grund<lb/>
dieses Programmes wurde ein Arbeiterkongreß zum 23. August 1848 nach Berlin<lb/>
einberufen. Wir finden hier die ersten Ansätze einer planmäßigen zentralisierten<lb/>
Arbeiterorganisation. Noch weiter greift ein Sendschreiben an alle arbeitenden<lb/>
Stände Deutschlands zur Einberufung -eines sozialen Vorparlaments vom<lb/>
22. August 1848 in Frankfurt. Dieses soziale Vorparlament sollte aus Arbeit¬<lb/>
nehmern und Arbeitgebern zusammentreten und Schutz und Regelung der Arbeit<lb/>
durch den Staat durchsetzen. Unter -anderem wurde in diesem Sendschreiben die<lb/>
Errichtung einer sozialen neben der politischen Kammer, eine gemeinschaftliche<lb/>
Sozialgefetzgebun-g für ganz Deutschland, die Schaffung 'eines sozialen<lb/>
Ministeriums, das sich in Kultus- und Jndustrieminifterium teilen sollte, Ver¬<lb/>
äußerung aller dem Staat gehörigen Fabriken (vgl. dagegen Komm. Man.<lb/>
Punkt 7) und Landgüter, aber Ankauf sämtlicher Eisenbahnen (vgl. Komm. Man.<lb/>
Punkt 6)/ neue Innungsverfassung bei Freizügigkeit und Abschaffung der Kon¬<lb/>
zessionen, Schaffung einer Realkreditbank als 'Grundlage eines groß angelegten<lb/>
Banksystems, Arbeitslosen-, Kranken-, Invaliden- und Hinter-bliebenenfursorge,<lb/>
kostenloser Unterricht und Erweiterung der Bildungs-möglichkeiten gefordert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_793"> Es ist nicht die Aufgabe dieser gedrängten Übersicht, die Entwicklung der<lb/>
deutschen Arbeiterbewegung als solche darzustellen. Die kommunistische<lb/>
Bewegung kam namentlich infolge des Kölner Kommunistenprozesses im Laufe<lb/>
des nächsten Jahrzehnts ins Stocken, dagegen erhielt die deutsche Arbeiter¬<lb/>
bewegung um die 60er Jahre einen neuen Antrieb durch die Wirksamkeit<lb/>
Ferdinand Lassalles, der seine Agitation mit realpolitischem Geschick auf bestimmte<lb/>
nächsterreichbare Programmpunkte einschränkte: die Schaffung von Produktiv¬<lb/>
genossenschaften und die Gewinnung von Staatskredit zu ihrer Hebung als vor¬<lb/>
läufiges Ziel, -als Mittel dazu die Durchsetzung des -allgemeinen und direkten<lb/>
Wahlrechts. Lassalles nationale Gesinnung im Gegensatz zu Marx' Inter¬<lb/>
nationalismus wird vielfach übertrieben, dagegen ist -ein gut hegelischer Glaube<lb/>
an den Staat und der Drang zur unmittelbaren Wirksamkeit auch innerhalb der<lb/>
bestehenden Verhältnisse allerdings für ihn bezeichnend. Kurz vor seinem plötz¬<lb/>
lichen Tode -gründete er 1863 auf Antrag des Leipziger Zentralkomitees den<lb/>
Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, dessen erster Vorsitzender er wurde. Dieser<lb/>
Verein war Lassalles organisatorische Hauptleistung, sein früher Tod im Sommer<lb/>
1864 entriß ihn einer umfassenden agitatorischen Tätigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_794" next="#ID_795"> Während sich so die deutsche Arbeiterbewegung organisatorisch verfestigte,<lb/>
brachte die Weltausstellung in London 1862 einen erstmaligen Zusammenschluß<lb/>
der Internationale. Ihr erster Kongreß fand 1866 in Genf statt und beschäftigte<lb/>
sich besonders mit der Frage der Arbeiterschutzgef-etzgebung und der Ge-Werkvereine.<lb/>
Die deutsche Sozialdemokratie zersplitterte sich nach Lass-alles Tode in inneren<lb/>
Gegensätzen, hauptsächlich in taktischen Fragen. Trotzd-em machte die Entwicklung<lb/>
Fortschritte. Der Verein eroberte sich im Norddeutschen Reichstage Herbst 1867<lb/>
erstmals zwei Sitz-e. Um dieselbe Zeit erschien der erste Band von Marx'<lb/>
&#x201E;Kapital" und gab damit der sozialistischen Bewegung ihre feste wissenschaftliche<lb/>
Grundlage, namentlich durch die Mehrwerttheorie. Um dieselbe Zeit gelangten<lb/>
die ursprünglich von der radikalliberalen Demokratie herkommenden Gewerk¬<lb/>
schaften ins sozialdemokratische Fahrwasser, obgleich Lassalle und seine Schule kein<lb/>
Interesse für sie aufbrachten. Der Nürnberger Vereinstag der deutschen Arbeiter¬<lb/>
vereine vom 5. September 1368 vollzog den Anschluß der deutschen Arbeiterschaft<lb/>
an die Internationale Arbeiterassoziation. Er überwand den bürgerlichen<lb/>
Charakter und entschied das proletarische Gepräge der deutschen Arbeiterbewegung,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0193] Die Entwicklung des sozialdemokratischen Programms Ferner findet sich dort die -wichtige Forderung der Schaffung gewerblicher Korporationen. Im dritten Absatz erscheinen eine Reihe wichtiger Programm- Punkte, die dem heutigen sozialdemokratischen Programm näher stehen, als das ungefähr gleichzeitig erschienene Kommunistische Manifest, so die Festsetzung von Arbeitslohn und Arbeitszeit durch gemischte Kommissionen, Assoziationsrecht für ti« Arbeiter zur Durchsetzung von Lohnforderungen, Abschaffung der indirekten Steuern, unentgeltlicher Unterricht, Herabsetzung der Wählbarkeit aus das 24. Fahr, Arbeitslosen- und Jnvalidenfürforge, Freizügigkeit u. a. Auf Grund dieses Programmes wurde ein Arbeiterkongreß zum 23. August 1848 nach Berlin einberufen. Wir finden hier die ersten Ansätze einer planmäßigen zentralisierten Arbeiterorganisation. Noch weiter greift ein Sendschreiben an alle arbeitenden Stände Deutschlands zur Einberufung -eines sozialen Vorparlaments vom 22. August 1848 in Frankfurt. Dieses soziale Vorparlament sollte aus Arbeit¬ nehmern und Arbeitgebern zusammentreten und Schutz und Regelung der Arbeit durch den Staat durchsetzen. Unter -anderem wurde in diesem Sendschreiben die Errichtung einer sozialen neben der politischen Kammer, eine gemeinschaftliche Sozialgefetzgebun-g für ganz Deutschland, die Schaffung 'eines sozialen Ministeriums, das sich in Kultus- und Jndustrieminifterium teilen sollte, Ver¬ äußerung aller dem Staat gehörigen Fabriken (vgl. dagegen Komm. Man. Punkt 7) und Landgüter, aber Ankauf sämtlicher Eisenbahnen (vgl. Komm. Man. Punkt 6)/ neue Innungsverfassung bei Freizügigkeit und Abschaffung der Kon¬ zessionen, Schaffung einer Realkreditbank als 'Grundlage eines groß angelegten Banksystems, Arbeitslosen-, Kranken-, Invaliden- und Hinter-bliebenenfursorge, kostenloser Unterricht und Erweiterung der Bildungs-möglichkeiten gefordert. Es ist nicht die Aufgabe dieser gedrängten Übersicht, die Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung als solche darzustellen. Die kommunistische Bewegung kam namentlich infolge des Kölner Kommunistenprozesses im Laufe des nächsten Jahrzehnts ins Stocken, dagegen erhielt die deutsche Arbeiter¬ bewegung um die 60er Jahre einen neuen Antrieb durch die Wirksamkeit Ferdinand Lassalles, der seine Agitation mit realpolitischem Geschick auf bestimmte nächsterreichbare Programmpunkte einschränkte: die Schaffung von Produktiv¬ genossenschaften und die Gewinnung von Staatskredit zu ihrer Hebung als vor¬ läufiges Ziel, -als Mittel dazu die Durchsetzung des -allgemeinen und direkten Wahlrechts. Lassalles nationale Gesinnung im Gegensatz zu Marx' Inter¬ nationalismus wird vielfach übertrieben, dagegen ist -ein gut hegelischer Glaube an den Staat und der Drang zur unmittelbaren Wirksamkeit auch innerhalb der bestehenden Verhältnisse allerdings für ihn bezeichnend. Kurz vor seinem plötz¬ lichen Tode -gründete er 1863 auf Antrag des Leipziger Zentralkomitees den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, dessen erster Vorsitzender er wurde. Dieser Verein war Lassalles organisatorische Hauptleistung, sein früher Tod im Sommer 1864 entriß ihn einer umfassenden agitatorischen Tätigkeit. Während sich so die deutsche Arbeiterbewegung organisatorisch verfestigte, brachte die Weltausstellung in London 1862 einen erstmaligen Zusammenschluß der Internationale. Ihr erster Kongreß fand 1866 in Genf statt und beschäftigte sich besonders mit der Frage der Arbeiterschutzgef-etzgebung und der Ge-Werkvereine. Die deutsche Sozialdemokratie zersplitterte sich nach Lass-alles Tode in inneren Gegensätzen, hauptsächlich in taktischen Fragen. Trotzd-em machte die Entwicklung Fortschritte. Der Verein eroberte sich im Norddeutschen Reichstage Herbst 1867 erstmals zwei Sitz-e. Um dieselbe Zeit erschien der erste Band von Marx' „Kapital" und gab damit der sozialistischen Bewegung ihre feste wissenschaftliche Grundlage, namentlich durch die Mehrwerttheorie. Um dieselbe Zeit gelangten die ursprünglich von der radikalliberalen Demokratie herkommenden Gewerk¬ schaften ins sozialdemokratische Fahrwasser, obgleich Lassalle und seine Schule kein Interesse für sie aufbrachten. Der Nürnberger Vereinstag der deutschen Arbeiter¬ vereine vom 5. September 1368 vollzog den Anschluß der deutschen Arbeiterschaft an die Internationale Arbeiterassoziation. Er überwand den bürgerlichen Charakter und entschied das proletarische Gepräge der deutschen Arbeiterbewegung,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/193
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/193>, abgerufen am 28.09.2024.