Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Frieden zu entfernen. Es empfiehlt sich aber,
wenn es zur Bilanz kommt, möglichst seine
Aktivposten zu retten. Weiter hat der Kriegs¬
minister nichts getan.

Innere Bilanz. Werden wir fähig
sein, den moralischen Zusammenbruch der
Heimat zu verhüten? Es gibt Leute, die
sich scheuen, ihr überflüssiges Kapital in Kriegs¬
anleihe anzulegen. Sie spähen nach einer
anderen sicheren Gelegenheit, ihr Geld unter¬
zubringen, kaufen Jndustrieobligationen, holen
ihr Geld von der Bank ab, und bedenken
nicht, daß, wenn der Staat untergeht, das
alles nachher mit dem Staate den Weg zum
Untergange finden wird. Ich habe einen
guten alten Herrn gesehen, Leser der "Täg¬
lichen Rundschau", der so vorgeht und von
der levöe en masse spricht. Er selbst will
nicht einmal einen Pfennig opfern und er¬
wartet von "der Masse -- der anderen", daß
sie ihr Leben opfert. Solche Gesinnung sollte
jetzt mit allen Mitteln bekämpft werden.

Warum spricht der Reichsschatzsekretär im
Reichstage nicht menschlich und eindringlich
über alles dies zum deutschen Volke?

Auch dieser innere Bilanzposten könnte
gesichert werden. Die kurzen stereotypen
und nicht gerade von Gedankenreichtum
zeugenden Presseäußerungen der einzelnen
Staatssekretäre in den Zeitungen sind nur
für den Autographensammler interessant.

Der Gedanke des Rechtes. Ein
anderer Aktivposten sür uns ist der Gedanke
des Rechtes, an den wir uns hallen müssen
mit der zähesten Energie. Ledebour und
Roste haben im Reichstage bei der Zurück¬
weisung^ der Polnischen Ansprüche gute Bei¬
spiele gegeben. Wir haben uns an Herrn
Wilson gewandt, weil wir glaubten, daß er
ein Repräsentant solcher Rechtsideen ist. Wir
haben den Völkerbund auf unsere Fahne ge¬
schrieben, weil er nur durchzuführen ist, wenn
uns selbst nicht das Recht zum Leben ge¬
nommen wird.

Gegenüber'seiner letzten Note, die unsere
Kapitulation, beinahe unser Harakiri ver¬
langt oder zu verlangen scheint, haben wir
die Befürchtung, daß wir es vielleicht nur
mit schönen Phrasen zu tun haben, daß
wir -- wenn wir uns selbst wehrlos ge¬
macht haben, den Raubtierinstinkten unserer

[Spaltenumbruch]

Feinde ausgeliefert sein werden. Hier ist
die Frage entscheidend, wie stark Wilson ist.

Die Ideenwelt des Sozialismus.
Ich sehe dann nur noch einen Aktivposten
sür uns in der Welt -- die Ideenwelt des
internationalen Sozialismus. Grey hat in
seiner letzten großen Rede in der Central
Hall in London gesagt: "Ich glaube, daß
die Arbeiterschaft (l^hour) unzweifelhaft
einen größeren und ausschlaggebenderen An¬
teil an den Regierungen nehmen wird, als
es früher der Fall war." Grey hält diesen
Anteil gerade wegen der Rückwirkung der
Ideen des Sozialismus auf die inter¬
nationalen Gestaltungen für gut. Eine solche
Rückwirkung kann in der Tat nur gut sein.

Von Frankreich wird uns die Nachricht
über ein Verlangen der Sozialisten nach
einer Zusammenberufung der Inter¬
nationale übermittelt, in England sind
Aussprüche charakteristisch, wie der von
Henderson, daß die irische Frage eine inter¬
nationale Frage sein sollte. Das Wort von
Barres, "Die Vernichtung des deutschen
Volkes, wenn sie möglich wäre, was nicht
der Fall ist, war weder jemals noch ist
sie jetzt ein Kriegiziel der Alliierten", ist
sicher von ihm ehrlich gemeint. Er stellt
uns Friedensbedingungen in Aussicht, "weit
verschieden und weit besser als die, welche
wir Rumänien und Rußland auferlegt haben".
In der "Humanitö" schrieb neulich Marcel
Cachin: "Wenn gewisse bis jetzt verkleidete
Imperialisten den Verteidigungskrieg in einen
Eroberungskrieg umzuwandeln versuchen, so
ist es die Aufgabe der Arbeiter und sozialisti¬
schen Organisationen dieses Landes, auf die
Gefahr aufmerksam zu machen, die daraus
sür Frankreich selbst unfehlbar folgen würde."
Und dann heißt es weiter: "Könige und Kaiser
werden nicht allein fallen. Die Proletarier
aller Länder, vom Kriege befreit, werden
überall ihr Joch abzuschütteln wissen." Aller-
dings ist die Haltung der französischen So"
zialistenpartei bis jetzt schwächlich gewesen.

Es ist sicher, daß wir die Weltrevolution
erleben werden, wenn es jetzt nicht schnell
zum Frieden kommt und wenn unsere Feinde
ihre Bedingungen überspannen, sei es, daß
sie bei uns den Kampf bis aufs Messer her¬
vorrufen oder uns Friedensbedingungen bieten,

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Frieden zu entfernen. Es empfiehlt sich aber,
wenn es zur Bilanz kommt, möglichst seine
Aktivposten zu retten. Weiter hat der Kriegs¬
minister nichts getan.

Innere Bilanz. Werden wir fähig
sein, den moralischen Zusammenbruch der
Heimat zu verhüten? Es gibt Leute, die
sich scheuen, ihr überflüssiges Kapital in Kriegs¬
anleihe anzulegen. Sie spähen nach einer
anderen sicheren Gelegenheit, ihr Geld unter¬
zubringen, kaufen Jndustrieobligationen, holen
ihr Geld von der Bank ab, und bedenken
nicht, daß, wenn der Staat untergeht, das
alles nachher mit dem Staate den Weg zum
Untergange finden wird. Ich habe einen
guten alten Herrn gesehen, Leser der „Täg¬
lichen Rundschau", der so vorgeht und von
der levöe en masse spricht. Er selbst will
nicht einmal einen Pfennig opfern und er¬
wartet von „der Masse — der anderen", daß
sie ihr Leben opfert. Solche Gesinnung sollte
jetzt mit allen Mitteln bekämpft werden.

Warum spricht der Reichsschatzsekretär im
Reichstage nicht menschlich und eindringlich
über alles dies zum deutschen Volke?

Auch dieser innere Bilanzposten könnte
gesichert werden. Die kurzen stereotypen
und nicht gerade von Gedankenreichtum
zeugenden Presseäußerungen der einzelnen
Staatssekretäre in den Zeitungen sind nur
für den Autographensammler interessant.

Der Gedanke des Rechtes. Ein
anderer Aktivposten sür uns ist der Gedanke
des Rechtes, an den wir uns hallen müssen
mit der zähesten Energie. Ledebour und
Roste haben im Reichstage bei der Zurück¬
weisung^ der Polnischen Ansprüche gute Bei¬
spiele gegeben. Wir haben uns an Herrn
Wilson gewandt, weil wir glaubten, daß er
ein Repräsentant solcher Rechtsideen ist. Wir
haben den Völkerbund auf unsere Fahne ge¬
schrieben, weil er nur durchzuführen ist, wenn
uns selbst nicht das Recht zum Leben ge¬
nommen wird.

Gegenüber'seiner letzten Note, die unsere
Kapitulation, beinahe unser Harakiri ver¬
langt oder zu verlangen scheint, haben wir
die Befürchtung, daß wir es vielleicht nur
mit schönen Phrasen zu tun haben, daß
wir — wenn wir uns selbst wehrlos ge¬
macht haben, den Raubtierinstinkten unserer

[Spaltenumbruch]

Feinde ausgeliefert sein werden. Hier ist
die Frage entscheidend, wie stark Wilson ist.

Die Ideenwelt des Sozialismus.
Ich sehe dann nur noch einen Aktivposten
sür uns in der Welt — die Ideenwelt des
internationalen Sozialismus. Grey hat in
seiner letzten großen Rede in der Central
Hall in London gesagt: „Ich glaube, daß
die Arbeiterschaft (l^hour) unzweifelhaft
einen größeren und ausschlaggebenderen An¬
teil an den Regierungen nehmen wird, als
es früher der Fall war." Grey hält diesen
Anteil gerade wegen der Rückwirkung der
Ideen des Sozialismus auf die inter¬
nationalen Gestaltungen für gut. Eine solche
Rückwirkung kann in der Tat nur gut sein.

Von Frankreich wird uns die Nachricht
über ein Verlangen der Sozialisten nach
einer Zusammenberufung der Inter¬
nationale übermittelt, in England sind
Aussprüche charakteristisch, wie der von
Henderson, daß die irische Frage eine inter¬
nationale Frage sein sollte. Das Wort von
Barres, „Die Vernichtung des deutschen
Volkes, wenn sie möglich wäre, was nicht
der Fall ist, war weder jemals noch ist
sie jetzt ein Kriegiziel der Alliierten", ist
sicher von ihm ehrlich gemeint. Er stellt
uns Friedensbedingungen in Aussicht, „weit
verschieden und weit besser als die, welche
wir Rumänien und Rußland auferlegt haben".
In der „Humanitö" schrieb neulich Marcel
Cachin: „Wenn gewisse bis jetzt verkleidete
Imperialisten den Verteidigungskrieg in einen
Eroberungskrieg umzuwandeln versuchen, so
ist es die Aufgabe der Arbeiter und sozialisti¬
schen Organisationen dieses Landes, auf die
Gefahr aufmerksam zu machen, die daraus
sür Frankreich selbst unfehlbar folgen würde."
Und dann heißt es weiter: „Könige und Kaiser
werden nicht allein fallen. Die Proletarier
aller Länder, vom Kriege befreit, werden
überall ihr Joch abzuschütteln wissen." Aller-
dings ist die Haltung der französischen So«
zialistenpartei bis jetzt schwächlich gewesen.

Es ist sicher, daß wir die Weltrevolution
erleben werden, wenn es jetzt nicht schnell
zum Frieden kommt und wenn unsere Feinde
ihre Bedingungen überspannen, sei es, daß
sie bei uns den Kampf bis aufs Messer her¬
vorrufen oder uns Friedensbedingungen bieten,

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88375"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_564" prev="#ID_563"> Frieden zu entfernen. Es empfiehlt sich aber,<lb/>
wenn es zur Bilanz kommt, möglichst seine<lb/>
Aktivposten zu retten. Weiter hat der Kriegs¬<lb/>
minister nichts getan.</p>
            <p xml:id="ID_565"> Innere Bilanz. Werden wir fähig<lb/>
sein, den moralischen Zusammenbruch der<lb/>
Heimat zu verhüten? Es gibt Leute, die<lb/>
sich scheuen, ihr überflüssiges Kapital in Kriegs¬<lb/>
anleihe anzulegen. Sie spähen nach einer<lb/>
anderen sicheren Gelegenheit, ihr Geld unter¬<lb/>
zubringen, kaufen Jndustrieobligationen, holen<lb/>
ihr Geld von der Bank ab, und bedenken<lb/>
nicht, daß, wenn der Staat untergeht, das<lb/>
alles nachher mit dem Staate den Weg zum<lb/>
Untergange finden wird. Ich habe einen<lb/>
guten alten Herrn gesehen, Leser der &#x201E;Täg¬<lb/>
lichen Rundschau", der so vorgeht und von<lb/>
der levöe en masse spricht. Er selbst will<lb/>
nicht einmal einen Pfennig opfern und er¬<lb/>
wartet von &#x201E;der Masse &#x2014; der anderen", daß<lb/>
sie ihr Leben opfert. Solche Gesinnung sollte<lb/>
jetzt mit allen Mitteln bekämpft werden.</p>
            <p xml:id="ID_566"> Warum spricht der Reichsschatzsekretär im<lb/>
Reichstage nicht menschlich und eindringlich<lb/>
über alles dies zum deutschen Volke?</p>
            <p xml:id="ID_567"> Auch dieser innere Bilanzposten könnte<lb/>
gesichert werden. Die kurzen stereotypen<lb/>
und nicht gerade von Gedankenreichtum<lb/>
zeugenden Presseäußerungen der einzelnen<lb/>
Staatssekretäre in den Zeitungen sind nur<lb/>
für den Autographensammler interessant.</p>
            <p xml:id="ID_568"> Der Gedanke des Rechtes. Ein<lb/>
anderer Aktivposten sür uns ist der Gedanke<lb/>
des Rechtes, an den wir uns hallen müssen<lb/>
mit der zähesten Energie. Ledebour und<lb/>
Roste haben im Reichstage bei der Zurück¬<lb/>
weisung^ der Polnischen Ansprüche gute Bei¬<lb/>
spiele gegeben. Wir haben uns an Herrn<lb/>
Wilson gewandt, weil wir glaubten, daß er<lb/>
ein Repräsentant solcher Rechtsideen ist. Wir<lb/>
haben den Völkerbund auf unsere Fahne ge¬<lb/>
schrieben, weil er nur durchzuführen ist, wenn<lb/>
uns selbst nicht das Recht zum Leben ge¬<lb/>
nommen wird.</p>
            <p xml:id="ID_569" next="#ID_570"> Gegenüber'seiner letzten Note, die unsere<lb/>
Kapitulation, beinahe unser Harakiri ver¬<lb/>
langt oder zu verlangen scheint, haben wir<lb/>
die Befürchtung, daß wir es vielleicht nur<lb/>
mit schönen Phrasen zu tun haben, daß<lb/>
wir &#x2014; wenn wir uns selbst wehrlos ge¬<lb/>
macht haben, den Raubtierinstinkten unserer</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_570" prev="#ID_569"> Feinde ausgeliefert sein werden. Hier ist<lb/>
die Frage entscheidend, wie stark Wilson ist.</p>
            <p xml:id="ID_571"> Die Ideenwelt des Sozialismus.<lb/>
Ich sehe dann nur noch einen Aktivposten<lb/>
sür uns in der Welt &#x2014; die Ideenwelt des<lb/>
internationalen Sozialismus. Grey hat in<lb/>
seiner letzten großen Rede in der Central<lb/>
Hall in London gesagt: &#x201E;Ich glaube, daß<lb/>
die Arbeiterschaft (l^hour) unzweifelhaft<lb/>
einen größeren und ausschlaggebenderen An¬<lb/>
teil an den Regierungen nehmen wird, als<lb/>
es früher der Fall war." Grey hält diesen<lb/>
Anteil gerade wegen der Rückwirkung der<lb/>
Ideen des Sozialismus auf die inter¬<lb/>
nationalen Gestaltungen für gut. Eine solche<lb/>
Rückwirkung kann in der Tat nur gut sein.</p>
            <p xml:id="ID_572"> Von Frankreich wird uns die Nachricht<lb/>
über ein Verlangen der Sozialisten nach<lb/>
einer Zusammenberufung der Inter¬<lb/>
nationale übermittelt, in England sind<lb/>
Aussprüche charakteristisch, wie der von<lb/>
Henderson, daß die irische Frage eine inter¬<lb/>
nationale Frage sein sollte. Das Wort von<lb/>
Barres, &#x201E;Die Vernichtung des deutschen<lb/>
Volkes, wenn sie möglich wäre, was nicht<lb/>
der Fall ist, war weder jemals noch ist<lb/>
sie jetzt ein Kriegiziel der Alliierten", ist<lb/>
sicher von ihm ehrlich gemeint. Er stellt<lb/>
uns Friedensbedingungen in Aussicht, &#x201E;weit<lb/>
verschieden und weit besser als die, welche<lb/>
wir Rumänien und Rußland auferlegt haben".<lb/>
In der &#x201E;Humanitö" schrieb neulich Marcel<lb/>
Cachin: &#x201E;Wenn gewisse bis jetzt verkleidete<lb/>
Imperialisten den Verteidigungskrieg in einen<lb/>
Eroberungskrieg umzuwandeln versuchen, so<lb/>
ist es die Aufgabe der Arbeiter und sozialisti¬<lb/>
schen Organisationen dieses Landes, auf die<lb/>
Gefahr aufmerksam zu machen, die daraus<lb/>
sür Frankreich selbst unfehlbar folgen würde."<lb/>
Und dann heißt es weiter: &#x201E;Könige und Kaiser<lb/>
werden nicht allein fallen. Die Proletarier<lb/>
aller Länder, vom Kriege befreit, werden<lb/>
überall ihr Joch abzuschütteln wissen." Aller-<lb/>
dings ist die Haltung der französischen So«<lb/>
zialistenpartei bis jetzt schwächlich gewesen.</p>
            <p xml:id="ID_573" next="#ID_574"> Es ist sicher, daß wir die Weltrevolution<lb/>
erleben werden, wenn es jetzt nicht schnell<lb/>
zum Frieden kommt und wenn unsere Feinde<lb/>
ihre Bedingungen überspannen, sei es, daß<lb/>
sie bei uns den Kampf bis aufs Messer her¬<lb/>
vorrufen oder uns Friedensbedingungen bieten,</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0137] Maßgebliches und Unmaßgebliches Frieden zu entfernen. Es empfiehlt sich aber, wenn es zur Bilanz kommt, möglichst seine Aktivposten zu retten. Weiter hat der Kriegs¬ minister nichts getan. Innere Bilanz. Werden wir fähig sein, den moralischen Zusammenbruch der Heimat zu verhüten? Es gibt Leute, die sich scheuen, ihr überflüssiges Kapital in Kriegs¬ anleihe anzulegen. Sie spähen nach einer anderen sicheren Gelegenheit, ihr Geld unter¬ zubringen, kaufen Jndustrieobligationen, holen ihr Geld von der Bank ab, und bedenken nicht, daß, wenn der Staat untergeht, das alles nachher mit dem Staate den Weg zum Untergange finden wird. Ich habe einen guten alten Herrn gesehen, Leser der „Täg¬ lichen Rundschau", der so vorgeht und von der levöe en masse spricht. Er selbst will nicht einmal einen Pfennig opfern und er¬ wartet von „der Masse — der anderen", daß sie ihr Leben opfert. Solche Gesinnung sollte jetzt mit allen Mitteln bekämpft werden. Warum spricht der Reichsschatzsekretär im Reichstage nicht menschlich und eindringlich über alles dies zum deutschen Volke? Auch dieser innere Bilanzposten könnte gesichert werden. Die kurzen stereotypen und nicht gerade von Gedankenreichtum zeugenden Presseäußerungen der einzelnen Staatssekretäre in den Zeitungen sind nur für den Autographensammler interessant. Der Gedanke des Rechtes. Ein anderer Aktivposten sür uns ist der Gedanke des Rechtes, an den wir uns hallen müssen mit der zähesten Energie. Ledebour und Roste haben im Reichstage bei der Zurück¬ weisung^ der Polnischen Ansprüche gute Bei¬ spiele gegeben. Wir haben uns an Herrn Wilson gewandt, weil wir glaubten, daß er ein Repräsentant solcher Rechtsideen ist. Wir haben den Völkerbund auf unsere Fahne ge¬ schrieben, weil er nur durchzuführen ist, wenn uns selbst nicht das Recht zum Leben ge¬ nommen wird. Gegenüber'seiner letzten Note, die unsere Kapitulation, beinahe unser Harakiri ver¬ langt oder zu verlangen scheint, haben wir die Befürchtung, daß wir es vielleicht nur mit schönen Phrasen zu tun haben, daß wir — wenn wir uns selbst wehrlos ge¬ macht haben, den Raubtierinstinkten unserer Feinde ausgeliefert sein werden. Hier ist die Frage entscheidend, wie stark Wilson ist. Die Ideenwelt des Sozialismus. Ich sehe dann nur noch einen Aktivposten sür uns in der Welt — die Ideenwelt des internationalen Sozialismus. Grey hat in seiner letzten großen Rede in der Central Hall in London gesagt: „Ich glaube, daß die Arbeiterschaft (l^hour) unzweifelhaft einen größeren und ausschlaggebenderen An¬ teil an den Regierungen nehmen wird, als es früher der Fall war." Grey hält diesen Anteil gerade wegen der Rückwirkung der Ideen des Sozialismus auf die inter¬ nationalen Gestaltungen für gut. Eine solche Rückwirkung kann in der Tat nur gut sein. Von Frankreich wird uns die Nachricht über ein Verlangen der Sozialisten nach einer Zusammenberufung der Inter¬ nationale übermittelt, in England sind Aussprüche charakteristisch, wie der von Henderson, daß die irische Frage eine inter¬ nationale Frage sein sollte. Das Wort von Barres, „Die Vernichtung des deutschen Volkes, wenn sie möglich wäre, was nicht der Fall ist, war weder jemals noch ist sie jetzt ein Kriegiziel der Alliierten", ist sicher von ihm ehrlich gemeint. Er stellt uns Friedensbedingungen in Aussicht, „weit verschieden und weit besser als die, welche wir Rumänien und Rußland auferlegt haben". In der „Humanitö" schrieb neulich Marcel Cachin: „Wenn gewisse bis jetzt verkleidete Imperialisten den Verteidigungskrieg in einen Eroberungskrieg umzuwandeln versuchen, so ist es die Aufgabe der Arbeiter und sozialisti¬ schen Organisationen dieses Landes, auf die Gefahr aufmerksam zu machen, die daraus sür Frankreich selbst unfehlbar folgen würde." Und dann heißt es weiter: „Könige und Kaiser werden nicht allein fallen. Die Proletarier aller Länder, vom Kriege befreit, werden überall ihr Joch abzuschütteln wissen." Aller- dings ist die Haltung der französischen So« zialistenpartei bis jetzt schwächlich gewesen. Es ist sicher, daß wir die Weltrevolution erleben werden, wenn es jetzt nicht schnell zum Frieden kommt und wenn unsere Feinde ihre Bedingungen überspannen, sei es, daß sie bei uns den Kampf bis aufs Messer her¬ vorrufen oder uns Friedensbedingungen bieten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/137
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/137>, abgerufen am 24.11.2024.