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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Frieden zu entfernen. Es empfiehlt sich aber,
wenn es zur Bilanz kommt, möglichst seine
Aktivposten zu retten. Weiter hat der Kriegs¬
minister nichts getan.

Innere Bilanz. Werden wir fähig
sein, den moralischen Zusammenbruch der
Heimat zu verhüten? Es gibt Leute, die
sich scheuen, ihr überflüssiges Kapital in Kriegs¬
anleihe anzulegen. Sie spähen nach einer
anderen sicheren Gelegenheit, ihr Geld unter¬
zubringen, kaufen Jndustrieobligationen, holen
ihr Geld von der Bank ab, und bedenken
nicht, daß, wenn der Staat untergeht, das
alles nachher mit dem Staate den Weg zum
Untergange finden wird. Ich habe einen
guten alten Herrn gesehen, Leser der "Täg¬
lichen Rundschau", der so vorgeht und von
der levöe en masse spricht. Er selbst will
nicht einmal einen Pfennig opfern und er¬
wartet von "der Masse -- der anderen", daß
sie ihr Leben opfert. Solche Gesinnung sollte
jetzt mit allen Mitteln bekämpft werden.

Warum spricht der Reichsschatzsekretär im
Reichstage nicht menschlich und eindringlich
über alles dies zum deutschen Volke?

Auch dieser innere Bilanzposten könnte
gesichert werden. Die kurzen stereotypen
und nicht gerade von Gedankenreichtum
zeugenden Presseäußerungen der einzelnen
Staatssekretäre in den Zeitungen sind nur
für den Autographensammler interessant.

Der Gedanke des Rechtes. Ein
anderer Aktivposten sür uns ist der Gedanke
des Rechtes, an den wir uns hallen müssen
mit der zähesten Energie. Ledebour und
Roste haben im Reichstage bei der Zurück¬
weisung^ der Polnischen Ansprüche gute Bei¬
spiele gegeben. Wir haben uns an Herrn
Wilson gewandt, weil wir glaubten, daß er
ein Repräsentant solcher Rechtsideen ist. Wir
haben den Völkerbund auf unsere Fahne ge¬
schrieben, weil er nur durchzuführen ist, wenn
uns selbst nicht das Recht zum Leben ge¬
nommen wird.

Gegenüber'seiner letzten Note, die unsere
Kapitulation, beinahe unser Harakiri ver¬
langt oder zu verlangen scheint, haben wir
die Befürchtung, daß wir es vielleicht nur
mit schönen Phrasen zu tun haben, daß
wir -- wenn wir uns selbst wehrlos ge¬
macht haben, den Raubtierinstinkten unserer

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Feinde ausgeliefert sein werden. Hier ist
die Frage entscheidend, wie stark Wilson ist.

Die Ideenwelt des Sozialismus.
Ich sehe dann nur noch einen Aktivposten
sür uns in der Welt -- die Ideenwelt des
internationalen Sozialismus. Grey hat in
seiner letzten großen Rede in der Central
Hall in London gesagt: "Ich glaube, daß
die Arbeiterschaft (l^hour) unzweifelhaft
einen größeren und ausschlaggebenderen An¬
teil an den Regierungen nehmen wird, als
es früher der Fall war." Grey hält diesen
Anteil gerade wegen der Rückwirkung der
Ideen des Sozialismus auf die inter¬
nationalen Gestaltungen für gut. Eine solche
Rückwirkung kann in der Tat nur gut sein.

Von Frankreich wird uns die Nachricht
über ein Verlangen der Sozialisten nach
einer Zusammenberufung der Inter¬
nationale übermittelt, in England sind
Aussprüche charakteristisch, wie der von
Henderson, daß die irische Frage eine inter¬
nationale Frage sein sollte. Das Wort von
Barres, "Die Vernichtung des deutschen
Volkes, wenn sie möglich wäre, was nicht
der Fall ist, war weder jemals noch ist
sie jetzt ein Kriegiziel der Alliierten", ist
sicher von ihm ehrlich gemeint. Er stellt
uns Friedensbedingungen in Aussicht, "weit
verschieden und weit besser als die, welche
wir Rumänien und Rußland auferlegt haben".
In der "Humanitö" schrieb neulich Marcel
Cachin: "Wenn gewisse bis jetzt verkleidete
Imperialisten den Verteidigungskrieg in einen
Eroberungskrieg umzuwandeln versuchen, so
ist es die Aufgabe der Arbeiter und sozialisti¬
schen Organisationen dieses Landes, auf die
Gefahr aufmerksam zu machen, die daraus
sür Frankreich selbst unfehlbar folgen würde."
Und dann heißt es weiter: "Könige und Kaiser
werden nicht allein fallen. Die Proletarier
aller Länder, vom Kriege befreit, werden
überall ihr Joch abzuschütteln wissen." Aller-
dings ist die Haltung der französischen So"
zialistenpartei bis jetzt schwächlich gewesen.

Es ist sicher, daß wir die Weltrevolution
erleben werden, wenn es jetzt nicht schnell
zum Frieden kommt und wenn unsere Feinde
ihre Bedingungen überspannen, sei es, daß
sie bei uns den Kampf bis aufs Messer her¬
vorrufen oder uns Friedensbedingungen bieten,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Frieden zu entfernen. Es empfiehlt sich aber,
wenn es zur Bilanz kommt, möglichst seine
Aktivposten zu retten. Weiter hat der Kriegs¬
minister nichts getan.

Innere Bilanz. Werden wir fähig
sein, den moralischen Zusammenbruch der
Heimat zu verhüten? Es gibt Leute, die
sich scheuen, ihr überflüssiges Kapital in Kriegs¬
anleihe anzulegen. Sie spähen nach einer
anderen sicheren Gelegenheit, ihr Geld unter¬
zubringen, kaufen Jndustrieobligationen, holen
ihr Geld von der Bank ab, und bedenken
nicht, daß, wenn der Staat untergeht, das
alles nachher mit dem Staate den Weg zum
Untergange finden wird. Ich habe einen
guten alten Herrn gesehen, Leser der „Täg¬
lichen Rundschau", der so vorgeht und von
der levöe en masse spricht. Er selbst will
nicht einmal einen Pfennig opfern und er¬
wartet von „der Masse — der anderen", daß
sie ihr Leben opfert. Solche Gesinnung sollte
jetzt mit allen Mitteln bekämpft werden.

Warum spricht der Reichsschatzsekretär im
Reichstage nicht menschlich und eindringlich
über alles dies zum deutschen Volke?

Auch dieser innere Bilanzposten könnte
gesichert werden. Die kurzen stereotypen
und nicht gerade von Gedankenreichtum
zeugenden Presseäußerungen der einzelnen
Staatssekretäre in den Zeitungen sind nur
für den Autographensammler interessant.

Der Gedanke des Rechtes. Ein
anderer Aktivposten sür uns ist der Gedanke
des Rechtes, an den wir uns hallen müssen
mit der zähesten Energie. Ledebour und
Roste haben im Reichstage bei der Zurück¬
weisung^ der Polnischen Ansprüche gute Bei¬
spiele gegeben. Wir haben uns an Herrn
Wilson gewandt, weil wir glaubten, daß er
ein Repräsentant solcher Rechtsideen ist. Wir
haben den Völkerbund auf unsere Fahne ge¬
schrieben, weil er nur durchzuführen ist, wenn
uns selbst nicht das Recht zum Leben ge¬
nommen wird.

Gegenüber'seiner letzten Note, die unsere
Kapitulation, beinahe unser Harakiri ver¬
langt oder zu verlangen scheint, haben wir
die Befürchtung, daß wir es vielleicht nur
mit schönen Phrasen zu tun haben, daß
wir — wenn wir uns selbst wehrlos ge¬
macht haben, den Raubtierinstinkten unserer

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Feinde ausgeliefert sein werden. Hier ist
die Frage entscheidend, wie stark Wilson ist.

Die Ideenwelt des Sozialismus.
Ich sehe dann nur noch einen Aktivposten
sür uns in der Welt — die Ideenwelt des
internationalen Sozialismus. Grey hat in
seiner letzten großen Rede in der Central
Hall in London gesagt: „Ich glaube, daß
die Arbeiterschaft (l^hour) unzweifelhaft
einen größeren und ausschlaggebenderen An¬
teil an den Regierungen nehmen wird, als
es früher der Fall war." Grey hält diesen
Anteil gerade wegen der Rückwirkung der
Ideen des Sozialismus auf die inter¬
nationalen Gestaltungen für gut. Eine solche
Rückwirkung kann in der Tat nur gut sein.

Von Frankreich wird uns die Nachricht
über ein Verlangen der Sozialisten nach
einer Zusammenberufung der Inter¬
nationale übermittelt, in England sind
Aussprüche charakteristisch, wie der von
Henderson, daß die irische Frage eine inter¬
nationale Frage sein sollte. Das Wort von
Barres, „Die Vernichtung des deutschen
Volkes, wenn sie möglich wäre, was nicht
der Fall ist, war weder jemals noch ist
sie jetzt ein Kriegiziel der Alliierten", ist
sicher von ihm ehrlich gemeint. Er stellt
uns Friedensbedingungen in Aussicht, „weit
verschieden und weit besser als die, welche
wir Rumänien und Rußland auferlegt haben".
In der „Humanitö" schrieb neulich Marcel
Cachin: „Wenn gewisse bis jetzt verkleidete
Imperialisten den Verteidigungskrieg in einen
Eroberungskrieg umzuwandeln versuchen, so
ist es die Aufgabe der Arbeiter und sozialisti¬
schen Organisationen dieses Landes, auf die
Gefahr aufmerksam zu machen, die daraus
sür Frankreich selbst unfehlbar folgen würde."
Und dann heißt es weiter: „Könige und Kaiser
werden nicht allein fallen. Die Proletarier
aller Länder, vom Kriege befreit, werden
überall ihr Joch abzuschütteln wissen." Aller-
dings ist die Haltung der französischen So«
zialistenpartei bis jetzt schwächlich gewesen.

Es ist sicher, daß wir die Weltrevolution
erleben werden, wenn es jetzt nicht schnell
zum Frieden kommt und wenn unsere Feinde
ihre Bedingungen überspannen, sei es, daß
sie bei uns den Kampf bis aufs Messer her¬
vorrufen oder uns Friedensbedingungen bieten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/137>, abgerufen am 22.07.2024.