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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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die wir nur durch eine Revolution abschütteln
können. ,

Die Bolschewisten in Rußland hoffen daß
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G. T. es leinen Frieden geben wird.

"Die Geduld am Kriege!"

Welch mensch¬
liches Hirn möchte sich vermessen, das Urteil
zu sprechen in einem Prozeß, dessen Akten
nach hundert Jahren vielleicht geschlossen er"
scheinen, bei dem aber schon jetzt die Tat¬
fragen so komplizierter Natur sind, daß ein
Mann mit Verantwortungsgefühl, wenn er
von den Dingen redet, im selben Atem hinzu¬
setzen muß: "So, das war ein Faden, den
ich aus dem verwickelten Gewebe zu ge¬
nauerer Betrachtung löste". Trotzdem gibt es
viele Leute, die mit großer Selbstsicherheit ihr
Sprüchlein fällen einfach nach dem Schema
Subjekt--Prädikat--Objekt; auch, was man
nicht für möglich halten sollte, zugunsten des
Feindes.

Die Zeitungen berichteten vor kurzem von
einem Manne, der sich selber aller möglichen
Verfehlungen gegen das Strafgesetz beschul¬
digte. Ähnlich handelt eine gewisse Presse,
die sich hinter dem Rücken der kämpfenden
Front nicht genug "tun kann in leidenschaft¬
lichen Anklagen unserer vergangenen Politik.
Nur darin unterscheidet sie sich von jenem
armen Psychopathen, daß sie die eigene Weiße
Weste sorgsam hütet und ihre Bannflüche allein
den ehemaligen Machthabern gelten, die man
als gefallene Größen nicht nur mit Esels¬
tritten bedenkt, sondern auch als bequeme
Sündenböcke gebraucht. Es besteht eine förm¬
liche Relation zwischen dem Fortgang der
äußeren und inneren Krise auf der einen und
den immer nervöseren Staatsanwaltsallüren
jener Presse auf der anderen Seite. Zuerst
arbeitete man nur mit versteckten Andeutungen
und geheimnisvoll - vagen Allgemeinheiten,
doch von Tag zu Tag wurde die Sprache
klarer, und jetzt ist es beinahe soweit, daß
unsere Feinde ein förmliches System der
deutschen Schuld am und im Weltkriege aus
deutschen Zeugnissen bereit gelegt erhalten.
Einige Beweise.

An der Spitze des modernen Erinnyenchores
steht das "Berliner Tageblatt", dessen Chef¬
redakteur Theodor Wolff aus seiner Pariser Ver¬
gangenheit Boulevardmethoden auf deutsche

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Verhältnisse überträgt. Er schreibt am 10. Ok¬
tober Mr. S18) von der neuen Regierung, sie
habe ihr schweres Werk nur übernommen,
um "das deutsche Volk aus dem Sumpf
heraufzuführen, in den man eS hiveinregiert
und hineingeschwatzt hat". Und am 21.
(Ur. S38) mit aus den: weiteren Zusammen¬
hang erkennbarer Ironie: "Im Juli 1914
zwangen die militärischen Notwendigkeiten zur
Kriegserklärung, nachdem aus politische" Not¬
wendigkeiten das Ultimatum Osterreich - Un¬
garns gebilligt und aus Ehrcngründen der
Konferenzvorschlag Greys abgelehnt worden
war. Die Zivilregierung unterwarf sich den
.militärischen Notwendigkeiten', als sie dem
Einmarsch in Belgien zustimmte und das
Wort des Deutschen Reiches entwerten ließ".
Die unvergeßlichen Julitage 1914 aber stehen
Herrn Wolff folgendermaßen in der Erin¬
nerung: Gewisse "Gestalten", deren "Toben"
später immer wieder den "Frieden verhinderte",
seien in jenem "Wahnsinnsjuli sofort nach dem
Wiener Ultimatum johlend durch die Straßen
gezogen, uni ein friedliebendes Volk in Kriegs¬
stimmung zu versetzen". Eine tendenziöse
Entstellung des Sachverhalts, wie sie sich in
ähnlicher Weise der "Vorwärts" schon am
28. Juli 1918 geleistet hat. Die "Krank-
furter Zeitung" Mr. "83 vom 17. Oktober,
Abendblatt) sagt von dem "alten System":
"Es ist zusammengebrochen in der ungeheuren
Schuld, die es auf sich geladen hatte, vor
dem Kriege und im Kriege, zusammen¬
gebrochen in seinem eigenen tatsächlichen
Bankerott". Diese Zeugnisse lassen sich
auch aus anderen Kreisen vermehren. So
hält es Professor Wilhelm Kaufmann von
der Berliner Universität für richtig, als
Protest gegen die Patriotische Erklärung
seiner Kollegen vom 20. Oktober auch fol¬
gende Worte in die Welt zu senden: "Ganz
anders... verhält es sich, wenn die Gegner
mit ihrer Behauptung recht haben, die Schuld
an diesem schrecklichen Kriege und die, Schuld
in diesem Kriege liege furchtbar überwiegend
auf deutscher Seite. Dann müssen die Schul¬
digen und Mitschuldigen unverzüglich aus un¬
serem öffentlichen Leben völlig ausscheiden
und unsere Negierung muß nicht bloß durch
Erklärungen, sondern auch durch Tathand¬
lungen unseren Gegnern Sicherheiten bieten

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Die Bolschewisten in Rußland hoffen daß
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G. T. es leinen Frieden geben wird.

„Die Geduld am Kriege!"

Welch mensch¬
liches Hirn möchte sich vermessen, das Urteil
zu sprechen in einem Prozeß, dessen Akten
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scheinen, bei dem aber schon jetzt die Tat¬
fragen so komplizierter Natur sind, daß ein
Mann mit Verantwortungsgefühl, wenn er
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setzen muß: „So, das war ein Faden, den
ich aus dem verwickelten Gewebe zu ge¬
nauerer Betrachtung löste". Trotzdem gibt es
viele Leute, die mit großer Selbstsicherheit ihr
Sprüchlein fällen einfach nach dem Schema
Subjekt—Prädikat—Objekt; auch, was man
nicht für möglich halten sollte, zugunsten des
Feindes.

Die Zeitungen berichteten vor kurzem von
einem Manne, der sich selber aller möglichen
Verfehlungen gegen das Strafgesetz beschul¬
digte. Ähnlich handelt eine gewisse Presse,
die sich hinter dem Rücken der kämpfenden
Front nicht genug «tun kann in leidenschaft¬
lichen Anklagen unserer vergangenen Politik.
Nur darin unterscheidet sie sich von jenem
armen Psychopathen, daß sie die eigene Weiße
Weste sorgsam hütet und ihre Bannflüche allein
den ehemaligen Machthabern gelten, die man
als gefallene Größen nicht nur mit Esels¬
tritten bedenkt, sondern auch als bequeme
Sündenböcke gebraucht. Es besteht eine förm¬
liche Relation zwischen dem Fortgang der
äußeren und inneren Krise auf der einen und
den immer nervöseren Staatsanwaltsallüren
jener Presse auf der anderen Seite. Zuerst
arbeitete man nur mit versteckten Andeutungen
und geheimnisvoll - vagen Allgemeinheiten,
doch von Tag zu Tag wurde die Sprache
klarer, und jetzt ist es beinahe soweit, daß
unsere Feinde ein förmliches System der
deutschen Schuld am und im Weltkriege aus
deutschen Zeugnissen bereit gelegt erhalten.
Einige Beweise.

An der Spitze des modernen Erinnyenchores
steht das „Berliner Tageblatt", dessen Chef¬
redakteur Theodor Wolff aus seiner Pariser Ver¬
gangenheit Boulevardmethoden auf deutsche

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Verhältnisse überträgt. Er schreibt am 10. Ok¬
tober Mr. S18) von der neuen Regierung, sie
habe ihr schweres Werk nur übernommen,
um „das deutsche Volk aus dem Sumpf
heraufzuführen, in den man eS hiveinregiert
und hineingeschwatzt hat". Und am 21.
(Ur. S38) mit aus den: weiteren Zusammen¬
hang erkennbarer Ironie: „Im Juli 1914
zwangen die militärischen Notwendigkeiten zur
Kriegserklärung, nachdem aus politische» Not¬
wendigkeiten das Ultimatum Osterreich - Un¬
garns gebilligt und aus Ehrcngründen der
Konferenzvorschlag Greys abgelehnt worden
war. Die Zivilregierung unterwarf sich den
.militärischen Notwendigkeiten', als sie dem
Einmarsch in Belgien zustimmte und das
Wort des Deutschen Reiches entwerten ließ".
Die unvergeßlichen Julitage 1914 aber stehen
Herrn Wolff folgendermaßen in der Erin¬
nerung: Gewisse „Gestalten", deren „Toben"
später immer wieder den „Frieden verhinderte",
seien in jenem „Wahnsinnsjuli sofort nach dem
Wiener Ultimatum johlend durch die Straßen
gezogen, uni ein friedliebendes Volk in Kriegs¬
stimmung zu versetzen". Eine tendenziöse
Entstellung des Sachverhalts, wie sie sich in
ähnlicher Weise der „Vorwärts" schon am
28. Juli 1918 geleistet hat. Die „Krank-
furter Zeitung" Mr. »83 vom 17. Oktober,
Abendblatt) sagt von dem „alten System":
„Es ist zusammengebrochen in der ungeheuren
Schuld, die es auf sich geladen hatte, vor
dem Kriege und im Kriege, zusammen¬
gebrochen in seinem eigenen tatsächlichen
Bankerott". Diese Zeugnisse lassen sich
auch aus anderen Kreisen vermehren. So
hält es Professor Wilhelm Kaufmann von
der Berliner Universität für richtig, als
Protest gegen die Patriotische Erklärung
seiner Kollegen vom 20. Oktober auch fol¬
gende Worte in die Welt zu senden: „Ganz
anders... verhält es sich, wenn die Gegner
mit ihrer Behauptung recht haben, die Schuld
an diesem schrecklichen Kriege und die, Schuld
in diesem Kriege liege furchtbar überwiegend
auf deutscher Seite. Dann müssen die Schul¬
digen und Mitschuldigen unverzüglich aus un¬
serem öffentlichen Leben völlig ausscheiden
und unsere Negierung muß nicht bloß durch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/138>, abgerufen am 24.11.2024.