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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

am Nieder- und Mittelrhein neu erworbenen Länder von Anfang an in preußischem
Sinne wirkte, preußische Art und preußische Staatsgesinnung einzuführen suchte,
so konnte auch in Elsaß-Lothringen der neue Oberpräsident die Überleitung des
Landes in eine endgültige staatsrechtliche Form tatkräftig vorbereiten. Daß Eduard
von Moeller, der erste Leiter der reichsländischen Landesverwaltung, hier wie
früher in Hessen-Nassau in diesem Sinne und in dieser Hoffnung eine ausgedehnte,
gesegnete Tätigkeit entfaltete, ist bekannt. Aber ungewiß bleibt zunächst, ob auch
Bismarck, in dessen Reichskanzleramt alle Fäden mündeten, diese preußische Politik
des Oberpräsidenten bewußt billigte, oder ob er ihr stillschweigend und abwartend
zusah, ohne selbst eine bestimmte politische und staatsrechtliche Weiterentwicklung
Elsaß-Lothringens anzustreben. Von vornherein, das ist kaum scharf genug zu
betonen, war eine nationale Politik in der westlichen Grenzmark ja gerade für
ihn niemals Selbstzweck. Nach wie vor blieb das "Reichsland", daS er als
Bollwerk gegen Frankreich erwarb und zum Grundstein seiner Reichsgründung
machte, in der Innenpolitik des Reiches wie dem Ausland gegenüber nur ein
Turm auf dem diplomatischen Schachbrett seiner Staatskunst: ein Turm, der bald
den König seines Spieles, die Außenpolitik, bald die Königin, die staatserhaltenden
Interessen des Bundesstaates, in Angriff oder in Verteidigung decken mußte.
Deutlich zeigte sich diese Aufgabe, als der Wechsel im Kurs des Reichsschiffes, der
in den Jahren 1875 bis 1879 einsetzte, mit Wissen und Willen des Reichskanzlers
auch die Entwicklung des Reichslandes aus der bisher verfolgten Bahn riß. Ob
Bismarck damals wirklich bereits, wie zuletzt Dietrich Schäfer vermutet hat, eine
künftige Autonomie Elsaß und Lothringens vor Augen schwebte, erscheint mir sehr
fraglich. Und ebenso werden neuerdings die persönlichen Beweggründe, die den
Kanzler zur Empfehlung des kaiserlichen Günstlings Edwin von Manteuffel für
die neue Würde eines Statthalters im Reichslande führten, doch wohl allzu scharf
betont. Verständlich wird die Entwicklung vielmehr erst dann, wenn man sie in den
großen Rahmen der inneren und äußeren Politik der ereignisvollen Jahre einfügt,
die dem Sieg der föderativem Parteien im Reiche und dem Abschluß des deutsch-
österreichischen Bündnisses in Mitteleuropa vorausgingen. Nationale und internatio¬
nale Motivenreihen begleiten bestimmend das Schicksal der wiedererrungenen Länder.

Die klassische Blütezeit des deutschen Liberalismus im Zeichen unitarischen
Strebens wurde damals bereits abgelöst von dem überwiegenden Interesse an
Wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen, in deren Erörterung sich unter dem
zwingenden Einfluß der Reichsregierung eine neue Mehrheit zusammenfand. Der
wirtschaftliche Zusammenbruch des Jahres 1873 leitete den Umschwung ein. Die
Reichseisenbahnpläne, in denen die Gedanken Oetkers, vom Reichsland aus die
Jmmediatisierung der Einzelstaaten einzuleiten, auf dem Gebiete der Verkehrs¬
politik durchgeführt werden sollten, scheiterten. Es folgten der Sieg des Schutz¬
zolles und der Steuer- und Wirtschaftsreform über den Freihandel und endlich
der Zwist mit den Nationalliberalen und die offene Verbindung des Kanzlers
mit den föderativem Elementen des Reichstags. Als der 1874 berufene elsa߬
lothringische Landesausschuß durch Gesetz vom 2. Mai 1877 gesetzgebende Körper¬
schaft wurde, war der große Schlag innerlich bereits wohl vorbereitet. Die
Verlegung der Landesverwaltung nach Straßburg im entscheidungsschweren
Jahre 1879 brachte ihn auch äußerlich zum Abschluß. "Die Reichsflut ist rückläufig
geworden: wir gehen einer Ebbe darin entgegen", mußte Bismarck schon am
10. März 1877 gestehen. Aber er selbst ließ sich nicht ungern von dieser zurück¬
flutenden Welle tragen, als ihn der unitarische Golfstrom ins Unbekannte fort¬
zureißen drohteI Als er am 22. Februar 1878 endgültig mit den Nationalliberalen
brach, ließ der Kanzler am gleichen Tage dem bayerischen König befriedigt ver¬
sichern, daß er "nur in dem föderativem Bande des Reichsvertrages die sichere
Grundlage der Einheit erblicke".

Schon die einfache Aneinanderreihung dieser allbekannten Tatsachen zeigt
deutlich, wie eng die versassungsgeschichtliche Entwicklung Elsaß-Lothringens ver-


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

am Nieder- und Mittelrhein neu erworbenen Länder von Anfang an in preußischem
Sinne wirkte, preußische Art und preußische Staatsgesinnung einzuführen suchte,
so konnte auch in Elsaß-Lothringen der neue Oberpräsident die Überleitung des
Landes in eine endgültige staatsrechtliche Form tatkräftig vorbereiten. Daß Eduard
von Moeller, der erste Leiter der reichsländischen Landesverwaltung, hier wie
früher in Hessen-Nassau in diesem Sinne und in dieser Hoffnung eine ausgedehnte,
gesegnete Tätigkeit entfaltete, ist bekannt. Aber ungewiß bleibt zunächst, ob auch
Bismarck, in dessen Reichskanzleramt alle Fäden mündeten, diese preußische Politik
des Oberpräsidenten bewußt billigte, oder ob er ihr stillschweigend und abwartend
zusah, ohne selbst eine bestimmte politische und staatsrechtliche Weiterentwicklung
Elsaß-Lothringens anzustreben. Von vornherein, das ist kaum scharf genug zu
betonen, war eine nationale Politik in der westlichen Grenzmark ja gerade für
ihn niemals Selbstzweck. Nach wie vor blieb das „Reichsland", daS er als
Bollwerk gegen Frankreich erwarb und zum Grundstein seiner Reichsgründung
machte, in der Innenpolitik des Reiches wie dem Ausland gegenüber nur ein
Turm auf dem diplomatischen Schachbrett seiner Staatskunst: ein Turm, der bald
den König seines Spieles, die Außenpolitik, bald die Königin, die staatserhaltenden
Interessen des Bundesstaates, in Angriff oder in Verteidigung decken mußte.
Deutlich zeigte sich diese Aufgabe, als der Wechsel im Kurs des Reichsschiffes, der
in den Jahren 1875 bis 1879 einsetzte, mit Wissen und Willen des Reichskanzlers
auch die Entwicklung des Reichslandes aus der bisher verfolgten Bahn riß. Ob
Bismarck damals wirklich bereits, wie zuletzt Dietrich Schäfer vermutet hat, eine
künftige Autonomie Elsaß und Lothringens vor Augen schwebte, erscheint mir sehr
fraglich. Und ebenso werden neuerdings die persönlichen Beweggründe, die den
Kanzler zur Empfehlung des kaiserlichen Günstlings Edwin von Manteuffel für
die neue Würde eines Statthalters im Reichslande führten, doch wohl allzu scharf
betont. Verständlich wird die Entwicklung vielmehr erst dann, wenn man sie in den
großen Rahmen der inneren und äußeren Politik der ereignisvollen Jahre einfügt,
die dem Sieg der föderativem Parteien im Reiche und dem Abschluß des deutsch-
österreichischen Bündnisses in Mitteleuropa vorausgingen. Nationale und internatio¬
nale Motivenreihen begleiten bestimmend das Schicksal der wiedererrungenen Länder.

Die klassische Blütezeit des deutschen Liberalismus im Zeichen unitarischen
Strebens wurde damals bereits abgelöst von dem überwiegenden Interesse an
Wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen, in deren Erörterung sich unter dem
zwingenden Einfluß der Reichsregierung eine neue Mehrheit zusammenfand. Der
wirtschaftliche Zusammenbruch des Jahres 1873 leitete den Umschwung ein. Die
Reichseisenbahnpläne, in denen die Gedanken Oetkers, vom Reichsland aus die
Jmmediatisierung der Einzelstaaten einzuleiten, auf dem Gebiete der Verkehrs¬
politik durchgeführt werden sollten, scheiterten. Es folgten der Sieg des Schutz¬
zolles und der Steuer- und Wirtschaftsreform über den Freihandel und endlich
der Zwist mit den Nationalliberalen und die offene Verbindung des Kanzlers
mit den föderativem Elementen des Reichstags. Als der 1874 berufene elsa߬
lothringische Landesausschuß durch Gesetz vom 2. Mai 1877 gesetzgebende Körper¬
schaft wurde, war der große Schlag innerlich bereits wohl vorbereitet. Die
Verlegung der Landesverwaltung nach Straßburg im entscheidungsschweren
Jahre 1879 brachte ihn auch äußerlich zum Abschluß. „Die Reichsflut ist rückläufig
geworden: wir gehen einer Ebbe darin entgegen", mußte Bismarck schon am
10. März 1877 gestehen. Aber er selbst ließ sich nicht ungern von dieser zurück¬
flutenden Welle tragen, als ihn der unitarische Golfstrom ins Unbekannte fort¬
zureißen drohteI Als er am 22. Februar 1878 endgültig mit den Nationalliberalen
brach, ließ der Kanzler am gleichen Tage dem bayerischen König befriedigt ver¬
sichern, daß er „nur in dem föderativem Bande des Reichsvertrages die sichere
Grundlage der Einheit erblicke".

Schon die einfache Aneinanderreihung dieser allbekannten Tatsachen zeigt
deutlich, wie eng die versassungsgeschichtliche Entwicklung Elsaß-Lothringens ver-


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[0069] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage am Nieder- und Mittelrhein neu erworbenen Länder von Anfang an in preußischem Sinne wirkte, preußische Art und preußische Staatsgesinnung einzuführen suchte, so konnte auch in Elsaß-Lothringen der neue Oberpräsident die Überleitung des Landes in eine endgültige staatsrechtliche Form tatkräftig vorbereiten. Daß Eduard von Moeller, der erste Leiter der reichsländischen Landesverwaltung, hier wie früher in Hessen-Nassau in diesem Sinne und in dieser Hoffnung eine ausgedehnte, gesegnete Tätigkeit entfaltete, ist bekannt. Aber ungewiß bleibt zunächst, ob auch Bismarck, in dessen Reichskanzleramt alle Fäden mündeten, diese preußische Politik des Oberpräsidenten bewußt billigte, oder ob er ihr stillschweigend und abwartend zusah, ohne selbst eine bestimmte politische und staatsrechtliche Weiterentwicklung Elsaß-Lothringens anzustreben. Von vornherein, das ist kaum scharf genug zu betonen, war eine nationale Politik in der westlichen Grenzmark ja gerade für ihn niemals Selbstzweck. Nach wie vor blieb das „Reichsland", daS er als Bollwerk gegen Frankreich erwarb und zum Grundstein seiner Reichsgründung machte, in der Innenpolitik des Reiches wie dem Ausland gegenüber nur ein Turm auf dem diplomatischen Schachbrett seiner Staatskunst: ein Turm, der bald den König seines Spieles, die Außenpolitik, bald die Königin, die staatserhaltenden Interessen des Bundesstaates, in Angriff oder in Verteidigung decken mußte. Deutlich zeigte sich diese Aufgabe, als der Wechsel im Kurs des Reichsschiffes, der in den Jahren 1875 bis 1879 einsetzte, mit Wissen und Willen des Reichskanzlers auch die Entwicklung des Reichslandes aus der bisher verfolgten Bahn riß. Ob Bismarck damals wirklich bereits, wie zuletzt Dietrich Schäfer vermutet hat, eine künftige Autonomie Elsaß und Lothringens vor Augen schwebte, erscheint mir sehr fraglich. Und ebenso werden neuerdings die persönlichen Beweggründe, die den Kanzler zur Empfehlung des kaiserlichen Günstlings Edwin von Manteuffel für die neue Würde eines Statthalters im Reichslande führten, doch wohl allzu scharf betont. Verständlich wird die Entwicklung vielmehr erst dann, wenn man sie in den großen Rahmen der inneren und äußeren Politik der ereignisvollen Jahre einfügt, die dem Sieg der föderativem Parteien im Reiche und dem Abschluß des deutsch- österreichischen Bündnisses in Mitteleuropa vorausgingen. Nationale und internatio¬ nale Motivenreihen begleiten bestimmend das Schicksal der wiedererrungenen Länder. Die klassische Blütezeit des deutschen Liberalismus im Zeichen unitarischen Strebens wurde damals bereits abgelöst von dem überwiegenden Interesse an Wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen, in deren Erörterung sich unter dem zwingenden Einfluß der Reichsregierung eine neue Mehrheit zusammenfand. Der wirtschaftliche Zusammenbruch des Jahres 1873 leitete den Umschwung ein. Die Reichseisenbahnpläne, in denen die Gedanken Oetkers, vom Reichsland aus die Jmmediatisierung der Einzelstaaten einzuleiten, auf dem Gebiete der Verkehrs¬ politik durchgeführt werden sollten, scheiterten. Es folgten der Sieg des Schutz¬ zolles und der Steuer- und Wirtschaftsreform über den Freihandel und endlich der Zwist mit den Nationalliberalen und die offene Verbindung des Kanzlers mit den föderativem Elementen des Reichstags. Als der 1874 berufene elsa߬ lothringische Landesausschuß durch Gesetz vom 2. Mai 1877 gesetzgebende Körper¬ schaft wurde, war der große Schlag innerlich bereits wohl vorbereitet. Die Verlegung der Landesverwaltung nach Straßburg im entscheidungsschweren Jahre 1879 brachte ihn auch äußerlich zum Abschluß. „Die Reichsflut ist rückläufig geworden: wir gehen einer Ebbe darin entgegen", mußte Bismarck schon am 10. März 1877 gestehen. Aber er selbst ließ sich nicht ungern von dieser zurück¬ flutenden Welle tragen, als ihn der unitarische Golfstrom ins Unbekannte fort¬ zureißen drohteI Als er am 22. Februar 1878 endgültig mit den Nationalliberalen brach, ließ der Kanzler am gleichen Tage dem bayerischen König befriedigt ver¬ sichern, daß er „nur in dem föderativem Bande des Reichsvertrages die sichere Grundlage der Einheit erblicke". Schon die einfache Aneinanderreihung dieser allbekannten Tatsachen zeigt deutlich, wie eng die versassungsgeschichtliche Entwicklung Elsaß-Lothringens ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/69>, abgerufen am 01.07.2024.