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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

Wirken. Und Schlag auf Schlag fast folgte dieser ersten diplomatischen Ankündi¬
gung in der Tat die amtliche Feststellung der Friedensbedingungen, die der bereits
erwähnte Artikel der "Norddeutschen Allgemeinen" aller Welt kundtat. Gleichzeitig
wurde Rudolf von Delbrück beauftragt, in Dresden "die Zukunft der von uns
eroberten und in dem künftigen Frieden festzuhaltenden französischen Landesteile
zu besprechen". Daß Preußen sie nicht sür sich begehre, durfte Delbrück dabei
ausdrücklich erklären und hervorheben. Es ist einer der feinsten Züge der
Vismarckschen Diplomatie, wie der Kanzler hier von der rein materiellen Frage
der Nutznießung des Siegespreises aus die überragende Verhandlung über die
Reichsverfassung selbst aufrollte und damit den Übergang von internationalen
Abmachungen zwischen selbständigen verbündeten Mächten zur Besprechung rein
nationaler Schicksalsfragen fand. "Wenn wir Elsaß und Lothringen nicht nehmen
wollen", warf Graf Fritz Eulenburg ein, als ihm Delbrück den Inhalt seines
Auftrages mitteilte, "und da Baden sie nicht nehmen kann, was sollen sie dann
werden?" -- "Reichsland", erwiderte Delbrück. -- "Ein Reichsland ohne Reich?"
war die Gegenfrage. -- "Vielleicht", meinte Delbrück, "erwächst aus dem Reichs¬
land das Reich".

Ganz den Anweisungen des Meisters folgend, führte in der Tat Delbrück
die Sachsen in Dresden von der Erörterung des Anschlusses der süddeutschen
Staaten auf die zunächst wichtigste Frage, "was mit Elsaß und Lothringen werden,
solle". Er wiederholte: "Preußen wolle unter keinen Umständen neue Erwer¬
bungen machen, eine Annexion der abzutretenden Länder von Baden oder Bayern
werde von beiden (I) Staaten voraussichtlich abgelehnt werden, die Bildung eines
besonderen Staates aus denselben werde aber auch große Schwierigkeiten dar¬
bieten usw." Der sächsische Minister führte darauf den angeschlagenen Gedanken¬
gang fort: "Wenn der König von Preußen jetzt erkläre, er wolle neue Erwerbungen
nicht für Preußen machen, sondern für Deutschland, so sei das gewiß sehr edel
und hoher Anerkennung wert, erhalte aber eine praktische Bedeutung doch erst
dann, wenn festgestellt sei, in welchem Umfange und in welcher Verfassung
Deutschland künftig bestehen werde." Was der Bundeskanzler beabsichtigte, war
mit dieser theoretischen Fragestellung schon halb erreicht. Mit Genugtuung konnte
Delbrück als die Meinung der sächsischen Regierung berichten, "daß die eroberten
Landesteile nicht mit einem einzelnen deutschen Staate, sondern mit der Gesamt¬
heit der deutscheu Staaten zu vereinigen sein würden, als ein eigenes, in Gesetz¬
gebung und Verwaltung von dieser Gesamtheit abhängiges Staatswesen. Die
Ausdehnung des Norddeutschen Bundes auf die süddeutschen Staaten erschien als
die notwendige Voraussetzung für die Regelung des Verhältnisses der eroberten
Gebiete." Mit schnellen, geschickten Griffen hatte damit Bismarck das Schicksal
von Elsaß und Lothringen' mit dem Schicksal der Reichsverfassung überhaupt ver¬
koppelt. Den allgemeinen Verhandlungen, die jetzt ernsthaft begannen,' hatte er
gleichzeitig einen festen Weg gewiesen, von dem sie im wesentlichen nicht abweichen
konnten. Das "Reichsland" aber, wie es Bismarck so von vornherein als politische
Notwendigkeit hinstellte, bildete nicht nur den Anknüpfungspunkt der Verhandlungen.
Vor allem den bayerischen Bevollmächtigten und ihrem Könige half schon der
Kaisertitel über so manche Beklemmungen hinweg. Ähnlich mag doch auch der
Anteil am Gesamtgebiet, als der Gedanke des Ländertausches aufgegeben werden
mußte, als Lockmittel zum Eintritt in die Jnhabergemeinschaft gedient haben.
Auf der anderen Seite war den Staatsmännern, die von der streng festgehaltenen
Einheitsidee herkamen, der Gedanke eines "Reichslandes" von vornherein ver¬
heißungsvoll für die Weiterentwicklung der Reichsverfassung selbst. Was ein
Münchener Brief des "Schwäbischen Merkur" schon am 10. August 1870 in
nationaler Sehnsucht verkündet hatte, wurde in der Tat zum Angelpunkt auch der
nüchternen Verhandlungen der Diplomaten: "Der, welcher diesen Krieg siegreich
zu Ende führt und Elsaß-Lothringen wieder zu Deutschland bringt, soll Deutscher
Kaiser sein."


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

Wirken. Und Schlag auf Schlag fast folgte dieser ersten diplomatischen Ankündi¬
gung in der Tat die amtliche Feststellung der Friedensbedingungen, die der bereits
erwähnte Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen" aller Welt kundtat. Gleichzeitig
wurde Rudolf von Delbrück beauftragt, in Dresden „die Zukunft der von uns
eroberten und in dem künftigen Frieden festzuhaltenden französischen Landesteile
zu besprechen". Daß Preußen sie nicht sür sich begehre, durfte Delbrück dabei
ausdrücklich erklären und hervorheben. Es ist einer der feinsten Züge der
Vismarckschen Diplomatie, wie der Kanzler hier von der rein materiellen Frage
der Nutznießung des Siegespreises aus die überragende Verhandlung über die
Reichsverfassung selbst aufrollte und damit den Übergang von internationalen
Abmachungen zwischen selbständigen verbündeten Mächten zur Besprechung rein
nationaler Schicksalsfragen fand. „Wenn wir Elsaß und Lothringen nicht nehmen
wollen", warf Graf Fritz Eulenburg ein, als ihm Delbrück den Inhalt seines
Auftrages mitteilte, „und da Baden sie nicht nehmen kann, was sollen sie dann
werden?" — „Reichsland", erwiderte Delbrück. — „Ein Reichsland ohne Reich?"
war die Gegenfrage. — „Vielleicht", meinte Delbrück, „erwächst aus dem Reichs¬
land das Reich".

Ganz den Anweisungen des Meisters folgend, führte in der Tat Delbrück
die Sachsen in Dresden von der Erörterung des Anschlusses der süddeutschen
Staaten auf die zunächst wichtigste Frage, „was mit Elsaß und Lothringen werden,
solle". Er wiederholte: „Preußen wolle unter keinen Umständen neue Erwer¬
bungen machen, eine Annexion der abzutretenden Länder von Baden oder Bayern
werde von beiden (I) Staaten voraussichtlich abgelehnt werden, die Bildung eines
besonderen Staates aus denselben werde aber auch große Schwierigkeiten dar¬
bieten usw." Der sächsische Minister führte darauf den angeschlagenen Gedanken¬
gang fort: „Wenn der König von Preußen jetzt erkläre, er wolle neue Erwerbungen
nicht für Preußen machen, sondern für Deutschland, so sei das gewiß sehr edel
und hoher Anerkennung wert, erhalte aber eine praktische Bedeutung doch erst
dann, wenn festgestellt sei, in welchem Umfange und in welcher Verfassung
Deutschland künftig bestehen werde." Was der Bundeskanzler beabsichtigte, war
mit dieser theoretischen Fragestellung schon halb erreicht. Mit Genugtuung konnte
Delbrück als die Meinung der sächsischen Regierung berichten, „daß die eroberten
Landesteile nicht mit einem einzelnen deutschen Staate, sondern mit der Gesamt¬
heit der deutscheu Staaten zu vereinigen sein würden, als ein eigenes, in Gesetz¬
gebung und Verwaltung von dieser Gesamtheit abhängiges Staatswesen. Die
Ausdehnung des Norddeutschen Bundes auf die süddeutschen Staaten erschien als
die notwendige Voraussetzung für die Regelung des Verhältnisses der eroberten
Gebiete." Mit schnellen, geschickten Griffen hatte damit Bismarck das Schicksal
von Elsaß und Lothringen' mit dem Schicksal der Reichsverfassung überhaupt ver¬
koppelt. Den allgemeinen Verhandlungen, die jetzt ernsthaft begannen,' hatte er
gleichzeitig einen festen Weg gewiesen, von dem sie im wesentlichen nicht abweichen
konnten. Das „Reichsland" aber, wie es Bismarck so von vornherein als politische
Notwendigkeit hinstellte, bildete nicht nur den Anknüpfungspunkt der Verhandlungen.
Vor allem den bayerischen Bevollmächtigten und ihrem Könige half schon der
Kaisertitel über so manche Beklemmungen hinweg. Ähnlich mag doch auch der
Anteil am Gesamtgebiet, als der Gedanke des Ländertausches aufgegeben werden
mußte, als Lockmittel zum Eintritt in die Jnhabergemeinschaft gedient haben.
Auf der anderen Seite war den Staatsmännern, die von der streng festgehaltenen
Einheitsidee herkamen, der Gedanke eines „Reichslandes" von vornherein ver¬
heißungsvoll für die Weiterentwicklung der Reichsverfassung selbst. Was ein
Münchener Brief des „Schwäbischen Merkur" schon am 10. August 1870 in
nationaler Sehnsucht verkündet hatte, wurde in der Tat zum Angelpunkt auch der
nüchternen Verhandlungen der Diplomaten: „Der, welcher diesen Krieg siegreich
zu Ende führt und Elsaß-Lothringen wieder zu Deutschland bringt, soll Deutscher
Kaiser sein."


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[0048] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage Wirken. Und Schlag auf Schlag fast folgte dieser ersten diplomatischen Ankündi¬ gung in der Tat die amtliche Feststellung der Friedensbedingungen, die der bereits erwähnte Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen" aller Welt kundtat. Gleichzeitig wurde Rudolf von Delbrück beauftragt, in Dresden „die Zukunft der von uns eroberten und in dem künftigen Frieden festzuhaltenden französischen Landesteile zu besprechen". Daß Preußen sie nicht sür sich begehre, durfte Delbrück dabei ausdrücklich erklären und hervorheben. Es ist einer der feinsten Züge der Vismarckschen Diplomatie, wie der Kanzler hier von der rein materiellen Frage der Nutznießung des Siegespreises aus die überragende Verhandlung über die Reichsverfassung selbst aufrollte und damit den Übergang von internationalen Abmachungen zwischen selbständigen verbündeten Mächten zur Besprechung rein nationaler Schicksalsfragen fand. „Wenn wir Elsaß und Lothringen nicht nehmen wollen", warf Graf Fritz Eulenburg ein, als ihm Delbrück den Inhalt seines Auftrages mitteilte, „und da Baden sie nicht nehmen kann, was sollen sie dann werden?" — „Reichsland", erwiderte Delbrück. — „Ein Reichsland ohne Reich?" war die Gegenfrage. — „Vielleicht", meinte Delbrück, „erwächst aus dem Reichs¬ land das Reich". Ganz den Anweisungen des Meisters folgend, führte in der Tat Delbrück die Sachsen in Dresden von der Erörterung des Anschlusses der süddeutschen Staaten auf die zunächst wichtigste Frage, „was mit Elsaß und Lothringen werden, solle". Er wiederholte: „Preußen wolle unter keinen Umständen neue Erwer¬ bungen machen, eine Annexion der abzutretenden Länder von Baden oder Bayern werde von beiden (I) Staaten voraussichtlich abgelehnt werden, die Bildung eines besonderen Staates aus denselben werde aber auch große Schwierigkeiten dar¬ bieten usw." Der sächsische Minister führte darauf den angeschlagenen Gedanken¬ gang fort: „Wenn der König von Preußen jetzt erkläre, er wolle neue Erwerbungen nicht für Preußen machen, sondern für Deutschland, so sei das gewiß sehr edel und hoher Anerkennung wert, erhalte aber eine praktische Bedeutung doch erst dann, wenn festgestellt sei, in welchem Umfange und in welcher Verfassung Deutschland künftig bestehen werde." Was der Bundeskanzler beabsichtigte, war mit dieser theoretischen Fragestellung schon halb erreicht. Mit Genugtuung konnte Delbrück als die Meinung der sächsischen Regierung berichten, „daß die eroberten Landesteile nicht mit einem einzelnen deutschen Staate, sondern mit der Gesamt¬ heit der deutscheu Staaten zu vereinigen sein würden, als ein eigenes, in Gesetz¬ gebung und Verwaltung von dieser Gesamtheit abhängiges Staatswesen. Die Ausdehnung des Norddeutschen Bundes auf die süddeutschen Staaten erschien als die notwendige Voraussetzung für die Regelung des Verhältnisses der eroberten Gebiete." Mit schnellen, geschickten Griffen hatte damit Bismarck das Schicksal von Elsaß und Lothringen' mit dem Schicksal der Reichsverfassung überhaupt ver¬ koppelt. Den allgemeinen Verhandlungen, die jetzt ernsthaft begannen,' hatte er gleichzeitig einen festen Weg gewiesen, von dem sie im wesentlichen nicht abweichen konnten. Das „Reichsland" aber, wie es Bismarck so von vornherein als politische Notwendigkeit hinstellte, bildete nicht nur den Anknüpfungspunkt der Verhandlungen. Vor allem den bayerischen Bevollmächtigten und ihrem Könige half schon der Kaisertitel über so manche Beklemmungen hinweg. Ähnlich mag doch auch der Anteil am Gesamtgebiet, als der Gedanke des Ländertausches aufgegeben werden mußte, als Lockmittel zum Eintritt in die Jnhabergemeinschaft gedient haben. Auf der anderen Seite war den Staatsmännern, die von der streng festgehaltenen Einheitsidee herkamen, der Gedanke eines „Reichslandes" von vornherein ver¬ heißungsvoll für die Weiterentwicklung der Reichsverfassung selbst. Was ein Münchener Brief des „Schwäbischen Merkur" schon am 10. August 1870 in nationaler Sehnsucht verkündet hatte, wurde in der Tat zum Angelpunkt auch der nüchternen Verhandlungen der Diplomaten: „Der, welcher diesen Krieg siegreich zu Ende führt und Elsaß-Lothringen wieder zu Deutschland bringt, soll Deutscher Kaiser sein."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/48>, abgerufen am 22.07.2024.