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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

leuchtet, den auch der preußische Staatsmann vom Ideal des preußisch-österreichischen
Dualismus im großdeutschen Mitteleuropa zum notwendigen Übel einer klein¬
deutschen Einigung überwinden mußte. Schon im August 1864 hatte Bismarck
gelegentlich mit dem Vertreter Österreichs über einen deutschen Feldzug gegen Frank¬
reich gesprochen. Als er zwei Jahre später nochmals eine Teilung der Herrschaft
zwischen Habsburg und Hohenzollern vorschlug, verband er damit aufs neue die
Aufforderung zu einem Angriffskrieg gegen Napoleon, um die Herausgabe des
Elsaß zu erzwingen. Osterreich sollte dann Straßburg als Bundesfestung erhalten,
Preußen Mainz. Wie Görres und Ernst Moritz Arndt wollte auch Bismarck die
beiden führenden Machte Deutschlands zu Wächtern der deckungslosen Grenze am
Mittel- und Oberrhein bestellen. Wohl schloß dann der Kampf um die Vorherr¬
schaft Osterreich aus dem neuen Deutschland aus. Aber wir wissen, wie der
eiserne Kanzler damals zunächst Bayern die lockende Aufgabe stellte, der süddeutsche
Führerstaat zu werden. Auch im Sommer 1870, noch in den ersten Wochen des
neuentbrannten Krieges, blieb dieser Gedanke zunächst lebendig. In solchem Zu¬
sammenhange erst komm: die bereits erwähnte Tatsache recht zur Geltung, daß
Preußen selbst damals Bayern Gebictserwerbungen am Oberrhein anbot. Staats¬
sekretär Thile wünsche, schrieb Ende Juli 1870 der bayerische Gesandte in Berlin,
"daß die deutschen Waffen das Elsaß zurückerobern, daß dieses Land mit der
Pfalz vereinigt werde und Bayern dort künftig die Vormacht Deutschlands bilde".
Wie die Präsidialinacht des Norddeutschen Bundes am Nieder- und Mittelrhein,
so sollte der Führerstaat des Südens die Grenzwacht am Oberrhein übernehmen!

Nicht Landgewinn schlechthin jedoch bedeutet dieser Vorschlag: es ist der
Gedanke des Reichslandes, der diese Entwicklungsreihe deS Dualismus Österreich--
Preußen zum Dualismus Bayern--Preußen überwölbt. Und von felbst treibt
ihn das eigene Schwergewicht zur Anschauung vorn Gescuntbesitz der verbündeten
Fürsten und Städte, sobald der Dualismus verschwindet, der unitarische Vundes-
staat, Kaiser und Reich an seine Stelle treten. Als Weißenburg, Wörth und
Spichern dank der Tapferkeit der Truppen aller deutschen Stämme Süddeutschland
von französischem Drucke befreit hatten, und das Ausfalltor Straßburg mit
eherner Mauer geschlossen war, konnte Bismarck als Vollstrecker der deutschen
Einheitswünsche endlich auch diese letzte Schranke niederlegen. Wohl wirkten die
Lockungen vom Südbund und von Abtretung des Elsaß, die Bismarck selbst an¬
fangs gebilligt hatte, zunächst stark nach. Geschickt wußte der Kanzler noch monate¬
lang die widerstrebenden Bayern immer aufs neue durch das Angebot von Ent¬
schädigungen im Elsaß auf seinem Wege zur Einheit festzuhalten. ' Noch kurz vor
dem Abschluß des Präliminarfriedens hat Bismarck persönlich, in Gegenwart der
Vertreter anderer süddeutscher Staaten die Notwendigkeit betont, wenigstens
Weißenburg den Bayern zu überlassen, trotzdem innerlich, wie gesagt, diese ganze
Frage damals bereits überwunden war. An Stelle der beiden nebeneinander
stehenden Mächte, Preußen und Bayern, übernahm das neue Reich alle Rechte
und Pflichten, die der Besitz der neu erworbenen Länder mit sich brachte.

Am 13. August 1870 hatte der Bundeskanzler es zum ersten Male offen
und rückhaltlos ausgesprochen: "Elsaß und Lothringen nie wieder herauszugeben".
Wenige Tage darauf bezeichnete er in Pont-a-Moussou dem Kronprinzen Albert
von Sachsen gegenüber die Abtretung von Elsaß und Deutsch-Lothringen als
wichtigste Friedensbedingung. "Die abgetretenen Länder", berichtet der Kronprinz
an seinen Vater über die Unterredung, "sollen im Besitz von Gesamtdeutschland
bleiben; dadurch werde sich ein näheres Verhältnis von Nord und Süd am natür¬
lichsten herstellen lassen." Offensichtlich waren diese Bemerkungen zur Über¬
mittlung an die sächsische Negierung bestimmt, der Bismarck damit die Initiative
zu den nun beginnenden Verhandlungen zuschieben wollte. Wie schon seit 1866
im Rahmen des Norddeutschen Bundes erhielt das Königreich der jüngeren
Wettiner die doppelte Aufgabe, als Wellenbrecher gegen die heranrauschende Flut
der unitarischen Strömung und als Lockmittel für die süddeutschen Staaten zu


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

leuchtet, den auch der preußische Staatsmann vom Ideal des preußisch-österreichischen
Dualismus im großdeutschen Mitteleuropa zum notwendigen Übel einer klein¬
deutschen Einigung überwinden mußte. Schon im August 1864 hatte Bismarck
gelegentlich mit dem Vertreter Österreichs über einen deutschen Feldzug gegen Frank¬
reich gesprochen. Als er zwei Jahre später nochmals eine Teilung der Herrschaft
zwischen Habsburg und Hohenzollern vorschlug, verband er damit aufs neue die
Aufforderung zu einem Angriffskrieg gegen Napoleon, um die Herausgabe des
Elsaß zu erzwingen. Osterreich sollte dann Straßburg als Bundesfestung erhalten,
Preußen Mainz. Wie Görres und Ernst Moritz Arndt wollte auch Bismarck die
beiden führenden Machte Deutschlands zu Wächtern der deckungslosen Grenze am
Mittel- und Oberrhein bestellen. Wohl schloß dann der Kampf um die Vorherr¬
schaft Osterreich aus dem neuen Deutschland aus. Aber wir wissen, wie der
eiserne Kanzler damals zunächst Bayern die lockende Aufgabe stellte, der süddeutsche
Führerstaat zu werden. Auch im Sommer 1870, noch in den ersten Wochen des
neuentbrannten Krieges, blieb dieser Gedanke zunächst lebendig. In solchem Zu¬
sammenhange erst komm: die bereits erwähnte Tatsache recht zur Geltung, daß
Preußen selbst damals Bayern Gebictserwerbungen am Oberrhein anbot. Staats¬
sekretär Thile wünsche, schrieb Ende Juli 1870 der bayerische Gesandte in Berlin,
„daß die deutschen Waffen das Elsaß zurückerobern, daß dieses Land mit der
Pfalz vereinigt werde und Bayern dort künftig die Vormacht Deutschlands bilde".
Wie die Präsidialinacht des Norddeutschen Bundes am Nieder- und Mittelrhein,
so sollte der Führerstaat des Südens die Grenzwacht am Oberrhein übernehmen!

Nicht Landgewinn schlechthin jedoch bedeutet dieser Vorschlag: es ist der
Gedanke des Reichslandes, der diese Entwicklungsreihe deS Dualismus Österreich—
Preußen zum Dualismus Bayern—Preußen überwölbt. Und von felbst treibt
ihn das eigene Schwergewicht zur Anschauung vorn Gescuntbesitz der verbündeten
Fürsten und Städte, sobald der Dualismus verschwindet, der unitarische Vundes-
staat, Kaiser und Reich an seine Stelle treten. Als Weißenburg, Wörth und
Spichern dank der Tapferkeit der Truppen aller deutschen Stämme Süddeutschland
von französischem Drucke befreit hatten, und das Ausfalltor Straßburg mit
eherner Mauer geschlossen war, konnte Bismarck als Vollstrecker der deutschen
Einheitswünsche endlich auch diese letzte Schranke niederlegen. Wohl wirkten die
Lockungen vom Südbund und von Abtretung des Elsaß, die Bismarck selbst an¬
fangs gebilligt hatte, zunächst stark nach. Geschickt wußte der Kanzler noch monate¬
lang die widerstrebenden Bayern immer aufs neue durch das Angebot von Ent¬
schädigungen im Elsaß auf seinem Wege zur Einheit festzuhalten. ' Noch kurz vor
dem Abschluß des Präliminarfriedens hat Bismarck persönlich, in Gegenwart der
Vertreter anderer süddeutscher Staaten die Notwendigkeit betont, wenigstens
Weißenburg den Bayern zu überlassen, trotzdem innerlich, wie gesagt, diese ganze
Frage damals bereits überwunden war. An Stelle der beiden nebeneinander
stehenden Mächte, Preußen und Bayern, übernahm das neue Reich alle Rechte
und Pflichten, die der Besitz der neu erworbenen Länder mit sich brachte.

Am 13. August 1870 hatte der Bundeskanzler es zum ersten Male offen
und rückhaltlos ausgesprochen: „Elsaß und Lothringen nie wieder herauszugeben".
Wenige Tage darauf bezeichnete er in Pont-a-Moussou dem Kronprinzen Albert
von Sachsen gegenüber die Abtretung von Elsaß und Deutsch-Lothringen als
wichtigste Friedensbedingung. „Die abgetretenen Länder", berichtet der Kronprinz
an seinen Vater über die Unterredung, „sollen im Besitz von Gesamtdeutschland
bleiben; dadurch werde sich ein näheres Verhältnis von Nord und Süd am natür¬
lichsten herstellen lassen." Offensichtlich waren diese Bemerkungen zur Über¬
mittlung an die sächsische Negierung bestimmt, der Bismarck damit die Initiative
zu den nun beginnenden Verhandlungen zuschieben wollte. Wie schon seit 1866
im Rahmen des Norddeutschen Bundes erhielt das Königreich der jüngeren
Wettiner die doppelte Aufgabe, als Wellenbrecher gegen die heranrauschende Flut
der unitarischen Strömung und als Lockmittel für die süddeutschen Staaten zu


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[0047] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage leuchtet, den auch der preußische Staatsmann vom Ideal des preußisch-österreichischen Dualismus im großdeutschen Mitteleuropa zum notwendigen Übel einer klein¬ deutschen Einigung überwinden mußte. Schon im August 1864 hatte Bismarck gelegentlich mit dem Vertreter Österreichs über einen deutschen Feldzug gegen Frank¬ reich gesprochen. Als er zwei Jahre später nochmals eine Teilung der Herrschaft zwischen Habsburg und Hohenzollern vorschlug, verband er damit aufs neue die Aufforderung zu einem Angriffskrieg gegen Napoleon, um die Herausgabe des Elsaß zu erzwingen. Osterreich sollte dann Straßburg als Bundesfestung erhalten, Preußen Mainz. Wie Görres und Ernst Moritz Arndt wollte auch Bismarck die beiden führenden Machte Deutschlands zu Wächtern der deckungslosen Grenze am Mittel- und Oberrhein bestellen. Wohl schloß dann der Kampf um die Vorherr¬ schaft Osterreich aus dem neuen Deutschland aus. Aber wir wissen, wie der eiserne Kanzler damals zunächst Bayern die lockende Aufgabe stellte, der süddeutsche Führerstaat zu werden. Auch im Sommer 1870, noch in den ersten Wochen des neuentbrannten Krieges, blieb dieser Gedanke zunächst lebendig. In solchem Zu¬ sammenhange erst komm: die bereits erwähnte Tatsache recht zur Geltung, daß Preußen selbst damals Bayern Gebictserwerbungen am Oberrhein anbot. Staats¬ sekretär Thile wünsche, schrieb Ende Juli 1870 der bayerische Gesandte in Berlin, „daß die deutschen Waffen das Elsaß zurückerobern, daß dieses Land mit der Pfalz vereinigt werde und Bayern dort künftig die Vormacht Deutschlands bilde". Wie die Präsidialinacht des Norddeutschen Bundes am Nieder- und Mittelrhein, so sollte der Führerstaat des Südens die Grenzwacht am Oberrhein übernehmen! Nicht Landgewinn schlechthin jedoch bedeutet dieser Vorschlag: es ist der Gedanke des Reichslandes, der diese Entwicklungsreihe deS Dualismus Österreich— Preußen zum Dualismus Bayern—Preußen überwölbt. Und von felbst treibt ihn das eigene Schwergewicht zur Anschauung vorn Gescuntbesitz der verbündeten Fürsten und Städte, sobald der Dualismus verschwindet, der unitarische Vundes- staat, Kaiser und Reich an seine Stelle treten. Als Weißenburg, Wörth und Spichern dank der Tapferkeit der Truppen aller deutschen Stämme Süddeutschland von französischem Drucke befreit hatten, und das Ausfalltor Straßburg mit eherner Mauer geschlossen war, konnte Bismarck als Vollstrecker der deutschen Einheitswünsche endlich auch diese letzte Schranke niederlegen. Wohl wirkten die Lockungen vom Südbund und von Abtretung des Elsaß, die Bismarck selbst an¬ fangs gebilligt hatte, zunächst stark nach. Geschickt wußte der Kanzler noch monate¬ lang die widerstrebenden Bayern immer aufs neue durch das Angebot von Ent¬ schädigungen im Elsaß auf seinem Wege zur Einheit festzuhalten. ' Noch kurz vor dem Abschluß des Präliminarfriedens hat Bismarck persönlich, in Gegenwart der Vertreter anderer süddeutscher Staaten die Notwendigkeit betont, wenigstens Weißenburg den Bayern zu überlassen, trotzdem innerlich, wie gesagt, diese ganze Frage damals bereits überwunden war. An Stelle der beiden nebeneinander stehenden Mächte, Preußen und Bayern, übernahm das neue Reich alle Rechte und Pflichten, die der Besitz der neu erworbenen Länder mit sich brachte. Am 13. August 1870 hatte der Bundeskanzler es zum ersten Male offen und rückhaltlos ausgesprochen: „Elsaß und Lothringen nie wieder herauszugeben". Wenige Tage darauf bezeichnete er in Pont-a-Moussou dem Kronprinzen Albert von Sachsen gegenüber die Abtretung von Elsaß und Deutsch-Lothringen als wichtigste Friedensbedingung. „Die abgetretenen Länder", berichtet der Kronprinz an seinen Vater über die Unterredung, „sollen im Besitz von Gesamtdeutschland bleiben; dadurch werde sich ein näheres Verhältnis von Nord und Süd am natür¬ lichsten herstellen lassen." Offensichtlich waren diese Bemerkungen zur Über¬ mittlung an die sächsische Negierung bestimmt, der Bismarck damit die Initiative zu den nun beginnenden Verhandlungen zuschieben wollte. Wie schon seit 1866 im Rahmen des Norddeutschen Bundes erhielt das Königreich der jüngeren Wettiner die doppelte Aufgabe, als Wellenbrecher gegen die heranrauschende Flut der unitarischen Strömung und als Lockmittel für die süddeutschen Staaten zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/47>, abgerufen am 23.07.2024.