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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

Am 3. September 1870 schreibt Kronprinz Friedrich Wilhelm in sein Tage¬
buch: "Bismarck besucht mich, wir behalten Elsaß in deutscher Verwaltung für
Bund oder Reich". Zum 12./14. September folgt die Notiz: "Elsaß-Lothringen:
Reichslande ohne Dynastie, Verwaltungsrat aus Eingeborenen, es kommt darauf
an, sie vom französischen Staatskörper loszulösen, sie aber fühlen zu lassen, daß
sie Mitglieder eines großen Staates und nicht verurteilt sind, die Kleinstaaterei
mitzumachen". -- Es ist die liberale und unitarische Wertung des Begriffes des
"Reichslandes", die hinter diesen trockenen Aufzeichnungen steht. Schärfer noch
bewegt sich in diesem Gedankenkreise der Großherzog von Baden. Offen bemerkt
er: "Sei es aus Gründen der europäischen Politik untunlich oder nicht ratsam,
die volle Vereinigung dieser Provinzen mit der preußischen Monarchie in Aussicht
zu nehmen, so möge man sie als reichsunmittelvaren Erlverb behandeln und mit
einer Statthalterschaft unter Kaiser und Reich stellen; dafür gebe es, wenn man
an Traditionelles anknüpfen wolle, in der deutscheu Reichsgeschichte Analogien
genug". Dieser Auffassung kam Bismarck scheinbar entgegen, als er die große
badische Denkschrift beantwortete: "Die definitive Bestimmung über das für
Deutschlands bessere Verteidigung gegen den nächsten Angriff der Franzosen er¬
strebte Vorland wird der gemeinsamen Verständigung der deutschen Fürsten vor¬
behalten bleiben können. Einstweilen wird dasselbe als gemeinsames unmittel¬
bares Reichsland im Namen und zum Vorteil der Gesamtheit der deutschen Ver¬
bündeten zu verwalten sein." Aufs neue tritt hier wie im ganzen Verlauf der
amtlichen Verhandlungen das militärische Interesse ausschlaggebend in den Vorder¬
grund. Nicht mit Unrecht hat man daher wohl sagen können, daß die Erwerbung
von Elsaß und Lothringen für Bismarck zunächst nur eine Fortsetzung des Krieges
mit den Mitteln der Politik bedeutete. Sicherlich ist gerade diese Erwägung in
der Tat auch für die staatsrechtliche Form der Einverleibung mitbestimmend ge¬
wesen. Der neue Gesamtbesitz des deutschen Volkes sollte nicht nur vom preu¬
ßischen Heere gehalten werden. In dem nächsten deutsch-französischen Kriege
sollten an der Verteidigung der wiedererrungeucn Lande möglichst alle deutschen
Kontingente unmittelbares Interesse haben. Wie all diese Verhandlungen aber
mit den deutschen Regierungen im einzelnen Vertiefen, darüber wissen wir nur
wenig. Allzuviel Widerstand wird Bismarck weder im Norddeutschen Bund noch
bei den Südstaaten gefunden haben, als er Anfang September in Reims, der
alten Krönungsstadt der französischen Könige, die "aufgehäuften diplomatischen
Korrespondenzen erledigte. In den Kämpfen um die Reichsgründung war damals
der neue Begriff des "Reichslandes", obwohl in sich selbst noch unsicher und un¬
gefestigt, doch bereits ein Werkzeug der diplomatischen Kunst des .Kanzlers ge¬
worden. Der Abschluß der Bündnisverträge mit Baden und Hessen am 15. No¬
vember 1870 besiegelte auch das staatsrechtliche Schicksal der von Frankreich
abzutretenden Gebiete im neuen Reich. Das entscheidende Wort sprachen hier wie
dort die Dynastien.

Wichtiger für die Zukunft Elsaß. Lothringens nicht nur, sondern des Reiches
insgesamt jedoch war es, in welchem Sinne der Schöpfer der NeiclMerfllssnng
selbst damals den Begriff des "Reichslandes" auffaßte. Ich erinnere vor allem
daran, wie die unitarischen Parteien in dem Worte weit mehr als eine hohle
Form sahen, wie sie die Hoffnung aussprachen, daß aus dem "Reichslande" ein
unitarischer Zua ins "Reich" hinübergehen werde. Und es erhebt sich hier von
selbst die Frage, wie sich der Kanzler persönlich zu diesen Erwägungen stellte.
Sicher scheint doch, daß in Bismarck auch 1870 noch die Eindrücke leise nach¬
wirkten, die die Pläne der Erbkaiserlichen, der Männer um Gagern. in dem
"tätigen und intelligenten Adjutanten" der konservativen Kamarilla von 1848 ge¬
weckt hatten. Schön was die unitarischen Großherzoge von dem Kaisertuel
erwarteten, daß er "den ärgsten aller Partikularismen, den preußischen", töten
werde, hätte den Minister Wilhelms des Ersten von vornherein warnen müssen.
Aber er hatte in diesem Falle bereits dafür gesorgt, daß in alter Größe hinter
dem "Kaiser" der "König von Preußen" stehen blieb. Ohne Gefahr für die


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

Am 3. September 1870 schreibt Kronprinz Friedrich Wilhelm in sein Tage¬
buch: „Bismarck besucht mich, wir behalten Elsaß in deutscher Verwaltung für
Bund oder Reich". Zum 12./14. September folgt die Notiz: „Elsaß-Lothringen:
Reichslande ohne Dynastie, Verwaltungsrat aus Eingeborenen, es kommt darauf
an, sie vom französischen Staatskörper loszulösen, sie aber fühlen zu lassen, daß
sie Mitglieder eines großen Staates und nicht verurteilt sind, die Kleinstaaterei
mitzumachen". — Es ist die liberale und unitarische Wertung des Begriffes des
„Reichslandes", die hinter diesen trockenen Aufzeichnungen steht. Schärfer noch
bewegt sich in diesem Gedankenkreise der Großherzog von Baden. Offen bemerkt
er: „Sei es aus Gründen der europäischen Politik untunlich oder nicht ratsam,
die volle Vereinigung dieser Provinzen mit der preußischen Monarchie in Aussicht
zu nehmen, so möge man sie als reichsunmittelvaren Erlverb behandeln und mit
einer Statthalterschaft unter Kaiser und Reich stellen; dafür gebe es, wenn man
an Traditionelles anknüpfen wolle, in der deutscheu Reichsgeschichte Analogien
genug". Dieser Auffassung kam Bismarck scheinbar entgegen, als er die große
badische Denkschrift beantwortete: „Die definitive Bestimmung über das für
Deutschlands bessere Verteidigung gegen den nächsten Angriff der Franzosen er¬
strebte Vorland wird der gemeinsamen Verständigung der deutschen Fürsten vor¬
behalten bleiben können. Einstweilen wird dasselbe als gemeinsames unmittel¬
bares Reichsland im Namen und zum Vorteil der Gesamtheit der deutschen Ver¬
bündeten zu verwalten sein." Aufs neue tritt hier wie im ganzen Verlauf der
amtlichen Verhandlungen das militärische Interesse ausschlaggebend in den Vorder¬
grund. Nicht mit Unrecht hat man daher wohl sagen können, daß die Erwerbung
von Elsaß und Lothringen für Bismarck zunächst nur eine Fortsetzung des Krieges
mit den Mitteln der Politik bedeutete. Sicherlich ist gerade diese Erwägung in
der Tat auch für die staatsrechtliche Form der Einverleibung mitbestimmend ge¬
wesen. Der neue Gesamtbesitz des deutschen Volkes sollte nicht nur vom preu¬
ßischen Heere gehalten werden. In dem nächsten deutsch-französischen Kriege
sollten an der Verteidigung der wiedererrungeucn Lande möglichst alle deutschen
Kontingente unmittelbares Interesse haben. Wie all diese Verhandlungen aber
mit den deutschen Regierungen im einzelnen Vertiefen, darüber wissen wir nur
wenig. Allzuviel Widerstand wird Bismarck weder im Norddeutschen Bund noch
bei den Südstaaten gefunden haben, als er Anfang September in Reims, der
alten Krönungsstadt der französischen Könige, die "aufgehäuften diplomatischen
Korrespondenzen erledigte. In den Kämpfen um die Reichsgründung war damals
der neue Begriff des „Reichslandes", obwohl in sich selbst noch unsicher und un¬
gefestigt, doch bereits ein Werkzeug der diplomatischen Kunst des .Kanzlers ge¬
worden. Der Abschluß der Bündnisverträge mit Baden und Hessen am 15. No¬
vember 1870 besiegelte auch das staatsrechtliche Schicksal der von Frankreich
abzutretenden Gebiete im neuen Reich. Das entscheidende Wort sprachen hier wie
dort die Dynastien.

Wichtiger für die Zukunft Elsaß. Lothringens nicht nur, sondern des Reiches
insgesamt jedoch war es, in welchem Sinne der Schöpfer der NeiclMerfllssnng
selbst damals den Begriff des „Reichslandes" auffaßte. Ich erinnere vor allem
daran, wie die unitarischen Parteien in dem Worte weit mehr als eine hohle
Form sahen, wie sie die Hoffnung aussprachen, daß aus dem „Reichslande" ein
unitarischer Zua ins „Reich" hinübergehen werde. Und es erhebt sich hier von
selbst die Frage, wie sich der Kanzler persönlich zu diesen Erwägungen stellte.
Sicher scheint doch, daß in Bismarck auch 1870 noch die Eindrücke leise nach¬
wirkten, die die Pläne der Erbkaiserlichen, der Männer um Gagern. in dem
„tätigen und intelligenten Adjutanten" der konservativen Kamarilla von 1848 ge¬
weckt hatten. Schön was die unitarischen Großherzoge von dem Kaisertuel
erwarteten, daß er „den ärgsten aller Partikularismen, den preußischen", töten
werde, hätte den Minister Wilhelms des Ersten von vornherein warnen müssen.
Aber er hatte in diesem Falle bereits dafür gesorgt, daß in alter Größe hinter
dem „Kaiser" der „König von Preußen" stehen blieb. Ohne Gefahr für die


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[0049] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage Am 3. September 1870 schreibt Kronprinz Friedrich Wilhelm in sein Tage¬ buch: „Bismarck besucht mich, wir behalten Elsaß in deutscher Verwaltung für Bund oder Reich". Zum 12./14. September folgt die Notiz: „Elsaß-Lothringen: Reichslande ohne Dynastie, Verwaltungsrat aus Eingeborenen, es kommt darauf an, sie vom französischen Staatskörper loszulösen, sie aber fühlen zu lassen, daß sie Mitglieder eines großen Staates und nicht verurteilt sind, die Kleinstaaterei mitzumachen". — Es ist die liberale und unitarische Wertung des Begriffes des „Reichslandes", die hinter diesen trockenen Aufzeichnungen steht. Schärfer noch bewegt sich in diesem Gedankenkreise der Großherzog von Baden. Offen bemerkt er: „Sei es aus Gründen der europäischen Politik untunlich oder nicht ratsam, die volle Vereinigung dieser Provinzen mit der preußischen Monarchie in Aussicht zu nehmen, so möge man sie als reichsunmittelvaren Erlverb behandeln und mit einer Statthalterschaft unter Kaiser und Reich stellen; dafür gebe es, wenn man an Traditionelles anknüpfen wolle, in der deutscheu Reichsgeschichte Analogien genug". Dieser Auffassung kam Bismarck scheinbar entgegen, als er die große badische Denkschrift beantwortete: „Die definitive Bestimmung über das für Deutschlands bessere Verteidigung gegen den nächsten Angriff der Franzosen er¬ strebte Vorland wird der gemeinsamen Verständigung der deutschen Fürsten vor¬ behalten bleiben können. Einstweilen wird dasselbe als gemeinsames unmittel¬ bares Reichsland im Namen und zum Vorteil der Gesamtheit der deutschen Ver¬ bündeten zu verwalten sein." Aufs neue tritt hier wie im ganzen Verlauf der amtlichen Verhandlungen das militärische Interesse ausschlaggebend in den Vorder¬ grund. Nicht mit Unrecht hat man daher wohl sagen können, daß die Erwerbung von Elsaß und Lothringen für Bismarck zunächst nur eine Fortsetzung des Krieges mit den Mitteln der Politik bedeutete. Sicherlich ist gerade diese Erwägung in der Tat auch für die staatsrechtliche Form der Einverleibung mitbestimmend ge¬ wesen. Der neue Gesamtbesitz des deutschen Volkes sollte nicht nur vom preu¬ ßischen Heere gehalten werden. In dem nächsten deutsch-französischen Kriege sollten an der Verteidigung der wiedererrungeucn Lande möglichst alle deutschen Kontingente unmittelbares Interesse haben. Wie all diese Verhandlungen aber mit den deutschen Regierungen im einzelnen Vertiefen, darüber wissen wir nur wenig. Allzuviel Widerstand wird Bismarck weder im Norddeutschen Bund noch bei den Südstaaten gefunden haben, als er Anfang September in Reims, der alten Krönungsstadt der französischen Könige, die "aufgehäuften diplomatischen Korrespondenzen erledigte. In den Kämpfen um die Reichsgründung war damals der neue Begriff des „Reichslandes", obwohl in sich selbst noch unsicher und un¬ gefestigt, doch bereits ein Werkzeug der diplomatischen Kunst des .Kanzlers ge¬ worden. Der Abschluß der Bündnisverträge mit Baden und Hessen am 15. No¬ vember 1870 besiegelte auch das staatsrechtliche Schicksal der von Frankreich abzutretenden Gebiete im neuen Reich. Das entscheidende Wort sprachen hier wie dort die Dynastien. Wichtiger für die Zukunft Elsaß. Lothringens nicht nur, sondern des Reiches insgesamt jedoch war es, in welchem Sinne der Schöpfer der NeiclMerfllssnng selbst damals den Begriff des „Reichslandes" auffaßte. Ich erinnere vor allem daran, wie die unitarischen Parteien in dem Worte weit mehr als eine hohle Form sahen, wie sie die Hoffnung aussprachen, daß aus dem „Reichslande" ein unitarischer Zua ins „Reich" hinübergehen werde. Und es erhebt sich hier von selbst die Frage, wie sich der Kanzler persönlich zu diesen Erwägungen stellte. Sicher scheint doch, daß in Bismarck auch 1870 noch die Eindrücke leise nach¬ wirkten, die die Pläne der Erbkaiserlichen, der Männer um Gagern. in dem „tätigen und intelligenten Adjutanten" der konservativen Kamarilla von 1848 ge¬ weckt hatten. Schön was die unitarischen Großherzoge von dem Kaisertuel erwarteten, daß er „den ärgsten aller Partikularismen, den preußischen", töten werde, hätte den Minister Wilhelms des Ersten von vornherein warnen müssen. Aber er hatte in diesem Falle bereits dafür gesorgt, daß in alter Größe hinter dem „Kaiser" der „König von Preußen" stehen blieb. Ohne Gefahr für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/49>, abgerufen am 22.07.2024.