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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Friedensoffensive
Georg Lleinow von

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Sinn)n den letzten Tagen hatte ich Gelegenheit, in einem guten Buche
zu blättern, in den ausgewählten Schriften eines bedeutenden
Mannes und in Habsburgs Landen hochgeachteten Feldherrn, des
Erzherzogs Carl von Osterreich. Im sechsten Bande des von den
Erzherzogen Albrecht und Wilhelm angeregten Werkes findet sich
auf Seite 640 folgender Satz: "Um einen ehrenvollen Frieden zu erhalten, biete
man ihn dem Feind nach jedem erfochtenen Sieg an." Der Satz ist vor etwa
hundertfünfundzwanzig Jahren gegen Ende eines erfolgreichen Soldatenlebens
aus einer Fülle reicher Lebenserfahrung in Krieg und Frieden geschrieben. Er
ist so einfach, daß er wahr sein sollteI Aber in den abgelaufenen fünfviertel
Jahrhunderten hat sich das Leben der Völker so kompliziert, und ihre Beziehungen
zueinander sind so verwickelt und unübersichtlich geworden, daß es schwer fällt,
bis auf den Grund zu gelangen, der unerschüttert geblieben ist und seit Jahr¬
tausenden der einzige sichere Träger der Beziehungen der Menschen zueinander
geblieben ist: eben bis zur Wahrheit! Wahrheit ist nicht die subjektive Auffassung
der verschiedenen Menschen von den einzelnen Dingen, -- Wahrheit ist ein von
allen Menschen anerkannter Zustand. Und Krieg ist, weil die Menschen die in
den letzten fünfzig Jahren gewordenen Verhältnisse glaubten nicht mehr anerkennen
zu können. Das ist die einzige Wahrheit über die Schuld am Kriege; alles andere,
was darüber geschrieben und gesprochen worden ist, ist die Wahrheit überwucherndes
Beiwerk. Fort damit I Der Krieg würde uns der Wahrheit wieder näher ge¬
bracht haben, wenn die Parteien gesonnen wären, die Entwicklung als berechtigt
anzuerkennen, die daS Völkerleben vor dein Kriege genommen hatte, wenn es
möglich wäre, Besprechungen und Verhandlungen da aufzunehmen, wo sie 1912,
1913, 1914 abgebrochen wurden, nur mit dem Unterschied gegen früher, daß auch
niemand mehr heimlich den Gedanken hegte, seine Ansprüche unter allen Um¬
ständen und sei es durch die Gewalt der Waffen durchzusetzen, wie es Rußland
und Frankreich wollten, was wieder dazu führte, daß Deutschland und Osterreich.
Ungarn sich für den Gegenstoß rüsten mußten.


Grenzboten III 1918 3


Friedensoffensive
Georg Lleinow von

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Sinn)n den letzten Tagen hatte ich Gelegenheit, in einem guten Buche
zu blättern, in den ausgewählten Schriften eines bedeutenden
Mannes und in Habsburgs Landen hochgeachteten Feldherrn, des
Erzherzogs Carl von Osterreich. Im sechsten Bande des von den
Erzherzogen Albrecht und Wilhelm angeregten Werkes findet sich
auf Seite 640 folgender Satz: „Um einen ehrenvollen Frieden zu erhalten, biete
man ihn dem Feind nach jedem erfochtenen Sieg an." Der Satz ist vor etwa
hundertfünfundzwanzig Jahren gegen Ende eines erfolgreichen Soldatenlebens
aus einer Fülle reicher Lebenserfahrung in Krieg und Frieden geschrieben. Er
ist so einfach, daß er wahr sein sollteI Aber in den abgelaufenen fünfviertel
Jahrhunderten hat sich das Leben der Völker so kompliziert, und ihre Beziehungen
zueinander sind so verwickelt und unübersichtlich geworden, daß es schwer fällt,
bis auf den Grund zu gelangen, der unerschüttert geblieben ist und seit Jahr¬
tausenden der einzige sichere Träger der Beziehungen der Menschen zueinander
geblieben ist: eben bis zur Wahrheit! Wahrheit ist nicht die subjektive Auffassung
der verschiedenen Menschen von den einzelnen Dingen, — Wahrheit ist ein von
allen Menschen anerkannter Zustand. Und Krieg ist, weil die Menschen die in
den letzten fünfzig Jahren gewordenen Verhältnisse glaubten nicht mehr anerkennen
zu können. Das ist die einzige Wahrheit über die Schuld am Kriege; alles andere,
was darüber geschrieben und gesprochen worden ist, ist die Wahrheit überwucherndes
Beiwerk. Fort damit I Der Krieg würde uns der Wahrheit wieder näher ge¬
bracht haben, wenn die Parteien gesonnen wären, die Entwicklung als berechtigt
anzuerkennen, die daS Völkerleben vor dein Kriege genommen hatte, wenn es
möglich wäre, Besprechungen und Verhandlungen da aufzunehmen, wo sie 1912,
1913, 1914 abgebrochen wurden, nur mit dem Unterschied gegen früher, daß auch
niemand mehr heimlich den Gedanken hegte, seine Ansprüche unter allen Um¬
ständen und sei es durch die Gewalt der Waffen durchzusetzen, wie es Rußland
und Frankreich wollten, was wieder dazu führte, daß Deutschland und Osterreich.
Ungarn sich für den Gegenstoß rüsten mußten.


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[0037] [Abbildung] Friedensoffensive Georg Lleinow von (Ä^W > /WM ^ > Sinn)n den letzten Tagen hatte ich Gelegenheit, in einem guten Buche zu blättern, in den ausgewählten Schriften eines bedeutenden Mannes und in Habsburgs Landen hochgeachteten Feldherrn, des Erzherzogs Carl von Osterreich. Im sechsten Bande des von den Erzherzogen Albrecht und Wilhelm angeregten Werkes findet sich auf Seite 640 folgender Satz: „Um einen ehrenvollen Frieden zu erhalten, biete man ihn dem Feind nach jedem erfochtenen Sieg an." Der Satz ist vor etwa hundertfünfundzwanzig Jahren gegen Ende eines erfolgreichen Soldatenlebens aus einer Fülle reicher Lebenserfahrung in Krieg und Frieden geschrieben. Er ist so einfach, daß er wahr sein sollteI Aber in den abgelaufenen fünfviertel Jahrhunderten hat sich das Leben der Völker so kompliziert, und ihre Beziehungen zueinander sind so verwickelt und unübersichtlich geworden, daß es schwer fällt, bis auf den Grund zu gelangen, der unerschüttert geblieben ist und seit Jahr¬ tausenden der einzige sichere Träger der Beziehungen der Menschen zueinander geblieben ist: eben bis zur Wahrheit! Wahrheit ist nicht die subjektive Auffassung der verschiedenen Menschen von den einzelnen Dingen, — Wahrheit ist ein von allen Menschen anerkannter Zustand. Und Krieg ist, weil die Menschen die in den letzten fünfzig Jahren gewordenen Verhältnisse glaubten nicht mehr anerkennen zu können. Das ist die einzige Wahrheit über die Schuld am Kriege; alles andere, was darüber geschrieben und gesprochen worden ist, ist die Wahrheit überwucherndes Beiwerk. Fort damit I Der Krieg würde uns der Wahrheit wieder näher ge¬ bracht haben, wenn die Parteien gesonnen wären, die Entwicklung als berechtigt anzuerkennen, die daS Völkerleben vor dein Kriege genommen hatte, wenn es möglich wäre, Besprechungen und Verhandlungen da aufzunehmen, wo sie 1912, 1913, 1914 abgebrochen wurden, nur mit dem Unterschied gegen früher, daß auch niemand mehr heimlich den Gedanken hegte, seine Ansprüche unter allen Um¬ ständen und sei es durch die Gewalt der Waffen durchzusetzen, wie es Rußland und Frankreich wollten, was wieder dazu führte, daß Deutschland und Osterreich. Ungarn sich für den Gegenstoß rüsten mußten. Grenzboten III 1918 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/37>, abgerufen am 03.07.2024.