Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das politische ZVeltgleichgewicht als Ziel des Weltkrieges

Maßregel war die Verschärfung des U-Bootkrieges, die auf die zweite der Sieg
am Skcigerrak, der auch die deutsche Überlegenheit zur See aller Welt deutlich vor
Augen rückte.

So wuchs in der Tat der Krieg, zumal mit seiner längeren Dauer bei den
verbündeten gegnerischen Großmächten deutliche Spuren der Ermattung sichtbar
wurden, sich allmählich zu einem Duelle zwischen England und Deutschland aus.
Und dieses Duell hätte sich, trotzdem bei uus im Innern die Not der Entbehrung
ständig stieg, längst bereits zu unserem Vorteil entschieden, wenn nicht gerade in
der Zeit, wo sich die Wage zu unseren Gunsten senkte, eine neue Weltmacht,
Amerika, als Gegnerin auf dem Kampfplatz erschienen wäre. Das geschah im
Frühjahr 1917, und dieses Kriegsjahr wird daher insofern in Zukunft ein Haupt¬
interesse beanspruchen können, als sich in ihm die planetarische Eigenart des
ganzen Krieges am deutlichsten geoffenbart hat. Die bestimmende Triebkraft aber
dieser weiteren Entwickelung bildet der Zusammenbruch Rußlands. Das
Slawenreich scheidet in jenem Jahr als erste erledigte Großmacht aus dem
Ringen aus, seine Maschine, aus zum Teil sich wesensfremden, zum Teil schad¬
haften Stücken seelenlos zusammengeschweißt, vermag den ungeheuren Druck der
inneren Spannung nicht mehr auszuhalten, sie zerspringt, und an Stelle seines
unförmigen, riesenhaften Staatsmechanismus tritt ein ebenso riesenhaftes Chaos.
Ein gewaltiger Erfolg für die Mittemächte, deren gesamte Ostfront nunmehr von
dem wuchtenden Drucke befreit wird, aber ein Erfolg, zum mindesten eine starke
Zukuuftsentlastung, auch für England. Rußland, der langjährige slawische
Rivale, der unentwegte Bedroher Indiens, zusammengebrochen -- zerschmettert,
o Ironie der Weltgeschichte! von Deutschland, dem andern, dem germanischen
Rivalen des britischen Reiches! Wenn tatsächlich einmal die Verwirklichung der
englischen Zukunftsträume von einem unumschränkten britischen Weltimperium
erreicht werden sollte, fo schien jetzt der Augenblick dafür gekommen zu sein; das
eine europäische Hemmnis, Rußland, war ohne eigenes Zutun aus dem Wege
geräumt, es blieb nur uoch das zweite Hemmnis, Deutschland, zu beseitigen.
Unter diesem Gesichtspunkte versteht man die Leichtigkeit, mit der die englische
Diplomatie über den Sturz Rußlands hinwegging, versteht man die Zielstrebig¬
keit, mit der sie unter Verwerfung jeder Friedensanbahnung unentwegt an der
Vernichtung Deutschlands festhielt. War man allein zu schwach, das grandiose
Ziel zu erreichen, nun, so war man nicht abgeneigt, die stammverwandte Welt¬
macht jenseits des Ozeans, die gleiche weltumfassende Ziele im Herzen trug und
mit der man sich doch einmal dieserhalb auseinandersetzen mußte, am Siege Und
an der Weltherrschaft teilnehmen zu lassen. In kluger Voraussicht hatte man sich
ihrer bereits vor dem völligen Zusammenbruch Rußlands versichert. Sie war
willig. Im Mai 1917 erklärte auch die zweite angelsächsische Weltmacht, indem
sie den am 1. Februar neu begonnenen verschärften U-Bootkrieg als Vorwand
benutze, Deutschland den Krieg und nahm acht lange darauf gleichfalls die Last
der allgemeinen Wehrpflicht auf ihre starken Schultern.

Man hat lange und oft gefragt und die Fragen sind noch immer nicht ver¬
stummt, welche Gründe die Union, die bis dahin nur durch sehr umfangreiche
Kriegslieferungen ihre Anteilnahme an der Entente bekundet hatte, zum Eintritt
in den Krieg und zumal zur Übernahme der durchaus nicht beliebten Wehrpflicht
veranlaßt haben. - Klar dürfte es ohne weiteres fein, daß nicht vermeintlich
ethische Beweggründe, wie sie Präsident Wilson in seinen verschiedenen Erlassen
als treibende Ursache bezeichnet hat, die Veranlassung gewesen sein können. Mag
ein einzelner Mensch Jdeologe sein, mag auch Präsident Wilson in einem Winkel
seines Herzens phantastischen Anschauungen huldigen, mag entlud eine urteils¬
lose Masse sich eitle Zeitlang durch Schlagworte betören lassen, nie wird eine
gesetzgebende Körperschaft wie der amerikanische, aus harten Tatmenschen be¬
stehende Kongreß sich durch bloße Gefühlsregungen zu einer solchen opferreichen
und weitschaüenden Politik bestimmen lassen. Einer realistischen Politik müssen
unbedingt reale Ziele, müssen Tatsächlichkeiten entsprechen Diese Tatsächlich,
leiten lagen einmal in dem schreienden Widerspruch, der zwischen den hohen poli-


Das politische ZVeltgleichgewicht als Ziel des Weltkrieges

Maßregel war die Verschärfung des U-Bootkrieges, die auf die zweite der Sieg
am Skcigerrak, der auch die deutsche Überlegenheit zur See aller Welt deutlich vor
Augen rückte.

So wuchs in der Tat der Krieg, zumal mit seiner längeren Dauer bei den
verbündeten gegnerischen Großmächten deutliche Spuren der Ermattung sichtbar
wurden, sich allmählich zu einem Duelle zwischen England und Deutschland aus.
Und dieses Duell hätte sich, trotzdem bei uus im Innern die Not der Entbehrung
ständig stieg, längst bereits zu unserem Vorteil entschieden, wenn nicht gerade in
der Zeit, wo sich die Wage zu unseren Gunsten senkte, eine neue Weltmacht,
Amerika, als Gegnerin auf dem Kampfplatz erschienen wäre. Das geschah im
Frühjahr 1917, und dieses Kriegsjahr wird daher insofern in Zukunft ein Haupt¬
interesse beanspruchen können, als sich in ihm die planetarische Eigenart des
ganzen Krieges am deutlichsten geoffenbart hat. Die bestimmende Triebkraft aber
dieser weiteren Entwickelung bildet der Zusammenbruch Rußlands. Das
Slawenreich scheidet in jenem Jahr als erste erledigte Großmacht aus dem
Ringen aus, seine Maschine, aus zum Teil sich wesensfremden, zum Teil schad¬
haften Stücken seelenlos zusammengeschweißt, vermag den ungeheuren Druck der
inneren Spannung nicht mehr auszuhalten, sie zerspringt, und an Stelle seines
unförmigen, riesenhaften Staatsmechanismus tritt ein ebenso riesenhaftes Chaos.
Ein gewaltiger Erfolg für die Mittemächte, deren gesamte Ostfront nunmehr von
dem wuchtenden Drucke befreit wird, aber ein Erfolg, zum mindesten eine starke
Zukuuftsentlastung, auch für England. Rußland, der langjährige slawische
Rivale, der unentwegte Bedroher Indiens, zusammengebrochen — zerschmettert,
o Ironie der Weltgeschichte! von Deutschland, dem andern, dem germanischen
Rivalen des britischen Reiches! Wenn tatsächlich einmal die Verwirklichung der
englischen Zukunftsträume von einem unumschränkten britischen Weltimperium
erreicht werden sollte, fo schien jetzt der Augenblick dafür gekommen zu sein; das
eine europäische Hemmnis, Rußland, war ohne eigenes Zutun aus dem Wege
geräumt, es blieb nur uoch das zweite Hemmnis, Deutschland, zu beseitigen.
Unter diesem Gesichtspunkte versteht man die Leichtigkeit, mit der die englische
Diplomatie über den Sturz Rußlands hinwegging, versteht man die Zielstrebig¬
keit, mit der sie unter Verwerfung jeder Friedensanbahnung unentwegt an der
Vernichtung Deutschlands festhielt. War man allein zu schwach, das grandiose
Ziel zu erreichen, nun, so war man nicht abgeneigt, die stammverwandte Welt¬
macht jenseits des Ozeans, die gleiche weltumfassende Ziele im Herzen trug und
mit der man sich doch einmal dieserhalb auseinandersetzen mußte, am Siege Und
an der Weltherrschaft teilnehmen zu lassen. In kluger Voraussicht hatte man sich
ihrer bereits vor dem völligen Zusammenbruch Rußlands versichert. Sie war
willig. Im Mai 1917 erklärte auch die zweite angelsächsische Weltmacht, indem
sie den am 1. Februar neu begonnenen verschärften U-Bootkrieg als Vorwand
benutze, Deutschland den Krieg und nahm acht lange darauf gleichfalls die Last
der allgemeinen Wehrpflicht auf ihre starken Schultern.

Man hat lange und oft gefragt und die Fragen sind noch immer nicht ver¬
stummt, welche Gründe die Union, die bis dahin nur durch sehr umfangreiche
Kriegslieferungen ihre Anteilnahme an der Entente bekundet hatte, zum Eintritt
in den Krieg und zumal zur Übernahme der durchaus nicht beliebten Wehrpflicht
veranlaßt haben. - Klar dürfte es ohne weiteres fein, daß nicht vermeintlich
ethische Beweggründe, wie sie Präsident Wilson in seinen verschiedenen Erlassen
als treibende Ursache bezeichnet hat, die Veranlassung gewesen sein können. Mag
ein einzelner Mensch Jdeologe sein, mag auch Präsident Wilson in einem Winkel
seines Herzens phantastischen Anschauungen huldigen, mag entlud eine urteils¬
lose Masse sich eitle Zeitlang durch Schlagworte betören lassen, nie wird eine
gesetzgebende Körperschaft wie der amerikanische, aus harten Tatmenschen be¬
stehende Kongreß sich durch bloße Gefühlsregungen zu einer solchen opferreichen
und weitschaüenden Politik bestimmen lassen. Einer realistischen Politik müssen
unbedingt reale Ziele, müssen Tatsächlichkeiten entsprechen Diese Tatsächlich,
leiten lagen einmal in dem schreienden Widerspruch, der zwischen den hohen poli-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/334166"/>
          <fw type="header" place="top"> Das politische ZVeltgleichgewicht als Ziel des Weltkrieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1305" prev="#ID_1304"> Maßregel war die Verschärfung des U-Bootkrieges, die auf die zweite der Sieg<lb/>
am Skcigerrak, der auch die deutsche Überlegenheit zur See aller Welt deutlich vor<lb/>
Augen rückte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1306"> So wuchs in der Tat der Krieg, zumal mit seiner längeren Dauer bei den<lb/>
verbündeten gegnerischen Großmächten deutliche Spuren der Ermattung sichtbar<lb/>
wurden, sich allmählich zu einem Duelle zwischen England und Deutschland aus.<lb/>
Und dieses Duell hätte sich, trotzdem bei uus im Innern die Not der Entbehrung<lb/>
ständig stieg, längst bereits zu unserem Vorteil entschieden, wenn nicht gerade in<lb/>
der Zeit,  wo sich die Wage zu unseren Gunsten senkte, eine neue Weltmacht,<lb/>
Amerika, als Gegnerin auf dem Kampfplatz erschienen wäre.  Das geschah im<lb/>
Frühjahr 1917, und dieses Kriegsjahr wird daher insofern in Zukunft ein Haupt¬<lb/>
interesse beanspruchen können,  als sich in ihm die planetarische Eigenart des<lb/>
ganzen Krieges am deutlichsten geoffenbart hat. Die bestimmende Triebkraft aber<lb/>
dieser weiteren Entwickelung bildet der Zusammenbruch Rußlands. Das<lb/>
Slawenreich scheidet in jenem Jahr als erste erledigte Großmacht aus dem<lb/>
Ringen aus, seine Maschine, aus zum Teil sich wesensfremden, zum Teil schad¬<lb/>
haften Stücken seelenlos zusammengeschweißt, vermag den ungeheuren Druck der<lb/>
inneren Spannung nicht mehr auszuhalten, sie zerspringt, und an Stelle seines<lb/>
unförmigen, riesenhaften Staatsmechanismus tritt ein ebenso riesenhaftes Chaos.<lb/>
Ein gewaltiger Erfolg für die Mittemächte, deren gesamte Ostfront nunmehr von<lb/>
dem wuchtenden Drucke befreit wird, aber ein Erfolg, zum mindesten eine starke<lb/>
Zukuuftsentlastung, auch für England.  Rußland, der  langjährige slawische<lb/>
Rivale, der unentwegte Bedroher Indiens, zusammengebrochen &#x2014; zerschmettert,<lb/>
o Ironie der Weltgeschichte! von Deutschland,  dem andern, dem germanischen<lb/>
Rivalen des britischen Reiches! Wenn tatsächlich einmal die Verwirklichung der<lb/>
englischen Zukunftsträume von einem unumschränkten britischen Weltimperium<lb/>
erreicht werden sollte, fo schien jetzt der Augenblick dafür gekommen zu sein; das<lb/>
eine europäische Hemmnis, Rußland, war ohne eigenes Zutun aus dem Wege<lb/>
geräumt, es blieb nur uoch das zweite Hemmnis,  Deutschland, zu beseitigen.<lb/>
Unter diesem Gesichtspunkte versteht man die Leichtigkeit, mit der die englische<lb/>
Diplomatie über den Sturz Rußlands hinwegging, versteht man die Zielstrebig¬<lb/>
keit, mit der sie unter Verwerfung jeder Friedensanbahnung unentwegt an der<lb/>
Vernichtung Deutschlands festhielt. War man allein zu schwach, das grandiose<lb/>
Ziel zu erreichen, nun, so war man nicht abgeneigt, die stammverwandte Welt¬<lb/>
macht jenseits des Ozeans, die gleiche weltumfassende Ziele im Herzen trug und<lb/>
mit der man sich doch einmal dieserhalb auseinandersetzen mußte, am Siege Und<lb/>
an der Weltherrschaft teilnehmen zu lassen. In kluger Voraussicht hatte man sich<lb/>
ihrer bereits vor dem völligen Zusammenbruch Rußlands versichert.  Sie war<lb/>
willig. Im Mai 1917 erklärte auch die zweite angelsächsische Weltmacht, indem<lb/>
sie den am 1. Februar neu begonnenen verschärften U-Bootkrieg als Vorwand<lb/>
benutze, Deutschland den Krieg und nahm acht lange darauf gleichfalls die Last<lb/>
der allgemeinen Wehrpflicht auf ihre starken Schultern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1307" next="#ID_1308"> Man hat lange und oft gefragt und die Fragen sind noch immer nicht ver¬<lb/>
stummt, welche Gründe die Union, die bis dahin nur durch sehr umfangreiche<lb/>
Kriegslieferungen ihre Anteilnahme an der Entente bekundet hatte, zum Eintritt<lb/>
in den Krieg und zumal zur Übernahme der durchaus nicht beliebten Wehrpflicht<lb/>
veranlaßt haben. - Klar dürfte es ohne weiteres fein, daß nicht vermeintlich<lb/>
ethische Beweggründe, wie sie Präsident Wilson in seinen verschiedenen Erlassen<lb/>
als treibende Ursache bezeichnet hat, die Veranlassung gewesen sein können. Mag<lb/>
ein einzelner Mensch Jdeologe sein, mag auch Präsident Wilson in einem Winkel<lb/>
seines Herzens phantastischen Anschauungen huldigen, mag entlud eine urteils¬<lb/>
lose Masse sich eitle Zeitlang durch Schlagworte betören lassen, nie wird eine<lb/>
gesetzgebende Körperschaft wie der amerikanische, aus harten Tatmenschen be¬<lb/>
stehende Kongreß sich durch bloße Gefühlsregungen zu einer solchen opferreichen<lb/>
und weitschaüenden Politik bestimmen lassen. Einer realistischen Politik müssen<lb/>
unbedingt reale Ziele, müssen Tatsächlichkeiten entsprechen Diese Tatsächlich,<lb/>
leiten lagen einmal in dem schreienden Widerspruch, der zwischen den hohen poli-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] Das politische ZVeltgleichgewicht als Ziel des Weltkrieges Maßregel war die Verschärfung des U-Bootkrieges, die auf die zweite der Sieg am Skcigerrak, der auch die deutsche Überlegenheit zur See aller Welt deutlich vor Augen rückte. So wuchs in der Tat der Krieg, zumal mit seiner längeren Dauer bei den verbündeten gegnerischen Großmächten deutliche Spuren der Ermattung sichtbar wurden, sich allmählich zu einem Duelle zwischen England und Deutschland aus. Und dieses Duell hätte sich, trotzdem bei uus im Innern die Not der Entbehrung ständig stieg, längst bereits zu unserem Vorteil entschieden, wenn nicht gerade in der Zeit, wo sich die Wage zu unseren Gunsten senkte, eine neue Weltmacht, Amerika, als Gegnerin auf dem Kampfplatz erschienen wäre. Das geschah im Frühjahr 1917, und dieses Kriegsjahr wird daher insofern in Zukunft ein Haupt¬ interesse beanspruchen können, als sich in ihm die planetarische Eigenart des ganzen Krieges am deutlichsten geoffenbart hat. Die bestimmende Triebkraft aber dieser weiteren Entwickelung bildet der Zusammenbruch Rußlands. Das Slawenreich scheidet in jenem Jahr als erste erledigte Großmacht aus dem Ringen aus, seine Maschine, aus zum Teil sich wesensfremden, zum Teil schad¬ haften Stücken seelenlos zusammengeschweißt, vermag den ungeheuren Druck der inneren Spannung nicht mehr auszuhalten, sie zerspringt, und an Stelle seines unförmigen, riesenhaften Staatsmechanismus tritt ein ebenso riesenhaftes Chaos. Ein gewaltiger Erfolg für die Mittemächte, deren gesamte Ostfront nunmehr von dem wuchtenden Drucke befreit wird, aber ein Erfolg, zum mindesten eine starke Zukuuftsentlastung, auch für England. Rußland, der langjährige slawische Rivale, der unentwegte Bedroher Indiens, zusammengebrochen — zerschmettert, o Ironie der Weltgeschichte! von Deutschland, dem andern, dem germanischen Rivalen des britischen Reiches! Wenn tatsächlich einmal die Verwirklichung der englischen Zukunftsträume von einem unumschränkten britischen Weltimperium erreicht werden sollte, fo schien jetzt der Augenblick dafür gekommen zu sein; das eine europäische Hemmnis, Rußland, war ohne eigenes Zutun aus dem Wege geräumt, es blieb nur uoch das zweite Hemmnis, Deutschland, zu beseitigen. Unter diesem Gesichtspunkte versteht man die Leichtigkeit, mit der die englische Diplomatie über den Sturz Rußlands hinwegging, versteht man die Zielstrebig¬ keit, mit der sie unter Verwerfung jeder Friedensanbahnung unentwegt an der Vernichtung Deutschlands festhielt. War man allein zu schwach, das grandiose Ziel zu erreichen, nun, so war man nicht abgeneigt, die stammverwandte Welt¬ macht jenseits des Ozeans, die gleiche weltumfassende Ziele im Herzen trug und mit der man sich doch einmal dieserhalb auseinandersetzen mußte, am Siege Und an der Weltherrschaft teilnehmen zu lassen. In kluger Voraussicht hatte man sich ihrer bereits vor dem völligen Zusammenbruch Rußlands versichert. Sie war willig. Im Mai 1917 erklärte auch die zweite angelsächsische Weltmacht, indem sie den am 1. Februar neu begonnenen verschärften U-Bootkrieg als Vorwand benutze, Deutschland den Krieg und nahm acht lange darauf gleichfalls die Last der allgemeinen Wehrpflicht auf ihre starken Schultern. Man hat lange und oft gefragt und die Fragen sind noch immer nicht ver¬ stummt, welche Gründe die Union, die bis dahin nur durch sehr umfangreiche Kriegslieferungen ihre Anteilnahme an der Entente bekundet hatte, zum Eintritt in den Krieg und zumal zur Übernahme der durchaus nicht beliebten Wehrpflicht veranlaßt haben. - Klar dürfte es ohne weiteres fein, daß nicht vermeintlich ethische Beweggründe, wie sie Präsident Wilson in seinen verschiedenen Erlassen als treibende Ursache bezeichnet hat, die Veranlassung gewesen sein können. Mag ein einzelner Mensch Jdeologe sein, mag auch Präsident Wilson in einem Winkel seines Herzens phantastischen Anschauungen huldigen, mag entlud eine urteils¬ lose Masse sich eitle Zeitlang durch Schlagworte betören lassen, nie wird eine gesetzgebende Körperschaft wie der amerikanische, aus harten Tatmenschen be¬ stehende Kongreß sich durch bloße Gefühlsregungen zu einer solchen opferreichen und weitschaüenden Politik bestimmen lassen. Einer realistischen Politik müssen unbedingt reale Ziele, müssen Tatsächlichkeiten entsprechen Diese Tatsächlich, leiten lagen einmal in dem schreienden Widerspruch, der zwischen den hohen poli-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/321>, abgerufen am 22.07.2024.