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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die "östliche Neuorientierung"

Analytikers, sondern nur mit der Entschlossenheit und Zielbewußtheit des aktiven
Staatsmannes oder des politischen Programmatikers zu lösen ist. Hier fußt jede
Lösung auf einem System von Forderungen. Verhängnisvoll bleibt aber auch
hier der Gesichtswinkel des Pazifisten, der Reibungen überhaupt für vermeidbar
hält, weil ihm die Stagnation der vertraglich festgelegten Machtverhältnisse das
politische Ideal ist. Wer den Willen zur Machterweiterung von der Gesundheit des
Staates für unabtrennlich hält, muß diesem Willen auch die Freiheit zuerkennen,
sich selber die Richtung zu suchen. Und' eben in der Anerkennung dieser Freiheit liegt
zugleich der Verzicht auf die Möglichkeit objektiver Vorherberechnung der Parallelis¬
men und der Divergenzen dieser einzelstaatlichen Willensrichtungen einbeschlossen.
"

Die Frage nach dem "eigentlichen Feind entzieht sich also bei näherem
Zusehen der eindeutigen und frischfröhlichen Lösung, die mancher schnellfertige
Politikaster mit Händen zu-greifen glaubt. Und es ist sehr begreiflich, daß auch
heute nach Abschluß des Friedens mit Rußland die Frage Ost oder West noch
eine sichtliche Scheidung der Geister bewirkt und daß die einen mit dem Aus¬
scheiden Rußlands den Krieg gewissermaßen erst , zu sich selbst gekommen glauben,
während die anderen in seinem Fortdauern ein jederzeit durch "Verständigung"
aus der Welt zu schaffendes Mißverständnis sehen. Aus dieser fortbestehenden
Problemlage ist jene politische Richtung bei uns zu begreifen, die sich unter dem
Leitziel der östlichen Neuorientierung vereinigt hat und die in mannigfachen Or¬
ganen wie der "Vossischen Zeitung" und einigen Zeitschriften, wie der "Euro-
päischen Staats- und Wirtschaftszeitung", zu beredtem Ausdruck kommt. Dieses
politische Programm sieht den eigentlichen gefährlichen und fortdauernden Feind
im Angelsachsentum und zieht daraus die Folgerung, daß wir zu Nußland ein
möglichst gutes Verhältnis mit allen Mitteln anzubahnen haben, um nicht nur
den Rücken für den entscheidenden Kampf im Westen freizubekommen, sondern
darüber hinaus für die folgende Epoche eines Wirtschaftskampfes mit der Entente
uns mit dein nahen und vielleicht sogar mit dem fernen Osten zu einer inter¬
essensolidarischen Wirtschaftsgemeinschaft zusammenzuschließen.

In den Kreisen, die diese Anschauungen vertreten, wird man nicht selten
auf die Meinung stoßen, der Sturz des Zarismus habe den Boden für ein
besseres Verhältnis zum neuen Nußland geschaffen. Insbesondere in sozialistischen
Kreisen, in denen diese östliche Neuorientierung auch stellenweise Fuß gefaßt hat,
wirkt gewiß eine stimmungsmäßige Sympathie mit dein jungen sozialistischen
Rußland bei diesen Versöhn>mgstendenzen mit. Deistgegenüber verlohnt es wohl
daran zu erinnern, daß gerade im Zeichen des Zarismus in den Zeiten der
heiligen Alliance und von dort aus noch lange nachklingend ein warmes Ver¬
hältnis zwischen Preußen-Deutschland und Rußland bestanden hat, und daß
Bismarck gerade in den dynastischen Beziehungen die beste Gewähr eines fort¬
dauernden guten Verhältnisses beider Staaten sah. Nicht sowohl der Zarismus
war der Friedensstörer, als vielmehr jene liberalen nationalistischen Bourgcois-
kreise der russischen Kadettenpartei, die bei einem etwaigen Umschwunge in Ru߬
land am ehesten Aussicht haben, auf längere Zeitstrecke das Erbe des Bolsche¬
wismus anzutreten, dessen Tage über kurz oder lang doch gezählt sind. Ebenso¬
wenig wie wir in der Randvölkerfrage auf die Dauer einzig die Befreiungsidevlvgie
Bethmannschen Angedenkens festhalten werden, sondern uns daneben ehrlich zu
einen! Programm der deutschen Machterweiterung nach Osten bekennen müssen,
das den Tatsachen entspricht und aus / ihnen leicht genug abzulesen ist, ebenso¬
wenig sollten wir uns durch innerpolitische Solidaritäten oder Antipathien in
unseren Beziehungen zum revolutionären Rußland leiten, sondern uns von jenen
politischen Richtlinien den Weg bezeichnen lassen, die an der Möglichkeit gedeih¬
lichen wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeitens mit dem gesamten
slawischen Osten orientiert sind. In diesem allgemeinen Sinne begrüßen und be¬
jahen wir die "östliche Neuorientierung", ohne uns damit auf die Mittel festlegen
zu wollen, die in weiten Kreisen ihrer Vertreter für die allein richtigen und erfolg-
verheißenden angesehen werden.


Die „östliche Neuorientierung"

Analytikers, sondern nur mit der Entschlossenheit und Zielbewußtheit des aktiven
Staatsmannes oder des politischen Programmatikers zu lösen ist. Hier fußt jede
Lösung auf einem System von Forderungen. Verhängnisvoll bleibt aber auch
hier der Gesichtswinkel des Pazifisten, der Reibungen überhaupt für vermeidbar
hält, weil ihm die Stagnation der vertraglich festgelegten Machtverhältnisse das
politische Ideal ist. Wer den Willen zur Machterweiterung von der Gesundheit des
Staates für unabtrennlich hält, muß diesem Willen auch die Freiheit zuerkennen,
sich selber die Richtung zu suchen. Und' eben in der Anerkennung dieser Freiheit liegt
zugleich der Verzicht auf die Möglichkeit objektiver Vorherberechnung der Parallelis¬
men und der Divergenzen dieser einzelstaatlichen Willensrichtungen einbeschlossen.
"

Die Frage nach dem „eigentlichen Feind entzieht sich also bei näherem
Zusehen der eindeutigen und frischfröhlichen Lösung, die mancher schnellfertige
Politikaster mit Händen zu-greifen glaubt. Und es ist sehr begreiflich, daß auch
heute nach Abschluß des Friedens mit Rußland die Frage Ost oder West noch
eine sichtliche Scheidung der Geister bewirkt und daß die einen mit dem Aus¬
scheiden Rußlands den Krieg gewissermaßen erst , zu sich selbst gekommen glauben,
während die anderen in seinem Fortdauern ein jederzeit durch „Verständigung"
aus der Welt zu schaffendes Mißverständnis sehen. Aus dieser fortbestehenden
Problemlage ist jene politische Richtung bei uns zu begreifen, die sich unter dem
Leitziel der östlichen Neuorientierung vereinigt hat und die in mannigfachen Or¬
ganen wie der „Vossischen Zeitung" und einigen Zeitschriften, wie der „Euro-
päischen Staats- und Wirtschaftszeitung", zu beredtem Ausdruck kommt. Dieses
politische Programm sieht den eigentlichen gefährlichen und fortdauernden Feind
im Angelsachsentum und zieht daraus die Folgerung, daß wir zu Nußland ein
möglichst gutes Verhältnis mit allen Mitteln anzubahnen haben, um nicht nur
den Rücken für den entscheidenden Kampf im Westen freizubekommen, sondern
darüber hinaus für die folgende Epoche eines Wirtschaftskampfes mit der Entente
uns mit dein nahen und vielleicht sogar mit dem fernen Osten zu einer inter¬
essensolidarischen Wirtschaftsgemeinschaft zusammenzuschließen.

In den Kreisen, die diese Anschauungen vertreten, wird man nicht selten
auf die Meinung stoßen, der Sturz des Zarismus habe den Boden für ein
besseres Verhältnis zum neuen Nußland geschaffen. Insbesondere in sozialistischen
Kreisen, in denen diese östliche Neuorientierung auch stellenweise Fuß gefaßt hat,
wirkt gewiß eine stimmungsmäßige Sympathie mit dein jungen sozialistischen
Rußland bei diesen Versöhn>mgstendenzen mit. Deistgegenüber verlohnt es wohl
daran zu erinnern, daß gerade im Zeichen des Zarismus in den Zeiten der
heiligen Alliance und von dort aus noch lange nachklingend ein warmes Ver¬
hältnis zwischen Preußen-Deutschland und Rußland bestanden hat, und daß
Bismarck gerade in den dynastischen Beziehungen die beste Gewähr eines fort¬
dauernden guten Verhältnisses beider Staaten sah. Nicht sowohl der Zarismus
war der Friedensstörer, als vielmehr jene liberalen nationalistischen Bourgcois-
kreise der russischen Kadettenpartei, die bei einem etwaigen Umschwunge in Ru߬
land am ehesten Aussicht haben, auf längere Zeitstrecke das Erbe des Bolsche¬
wismus anzutreten, dessen Tage über kurz oder lang doch gezählt sind. Ebenso¬
wenig wie wir in der Randvölkerfrage auf die Dauer einzig die Befreiungsidevlvgie
Bethmannschen Angedenkens festhalten werden, sondern uns daneben ehrlich zu
einen! Programm der deutschen Machterweiterung nach Osten bekennen müssen,
das den Tatsachen entspricht und aus / ihnen leicht genug abzulesen ist, ebenso¬
wenig sollten wir uns durch innerpolitische Solidaritäten oder Antipathien in
unseren Beziehungen zum revolutionären Rußland leiten, sondern uns von jenen
politischen Richtlinien den Weg bezeichnen lassen, die an der Möglichkeit gedeih¬
lichen wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeitens mit dem gesamten
slawischen Osten orientiert sind. In diesem allgemeinen Sinne begrüßen und be¬
jahen wir die „östliche Neuorientierung", ohne uns damit auf die Mittel festlegen
zu wollen, die in weiten Kreisen ihrer Vertreter für die allein richtigen und erfolg-
verheißenden angesehen werden.


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[0224] Die „östliche Neuorientierung" Analytikers, sondern nur mit der Entschlossenheit und Zielbewußtheit des aktiven Staatsmannes oder des politischen Programmatikers zu lösen ist. Hier fußt jede Lösung auf einem System von Forderungen. Verhängnisvoll bleibt aber auch hier der Gesichtswinkel des Pazifisten, der Reibungen überhaupt für vermeidbar hält, weil ihm die Stagnation der vertraglich festgelegten Machtverhältnisse das politische Ideal ist. Wer den Willen zur Machterweiterung von der Gesundheit des Staates für unabtrennlich hält, muß diesem Willen auch die Freiheit zuerkennen, sich selber die Richtung zu suchen. Und' eben in der Anerkennung dieser Freiheit liegt zugleich der Verzicht auf die Möglichkeit objektiver Vorherberechnung der Parallelis¬ men und der Divergenzen dieser einzelstaatlichen Willensrichtungen einbeschlossen. " Die Frage nach dem „eigentlichen Feind entzieht sich also bei näherem Zusehen der eindeutigen und frischfröhlichen Lösung, die mancher schnellfertige Politikaster mit Händen zu-greifen glaubt. Und es ist sehr begreiflich, daß auch heute nach Abschluß des Friedens mit Rußland die Frage Ost oder West noch eine sichtliche Scheidung der Geister bewirkt und daß die einen mit dem Aus¬ scheiden Rußlands den Krieg gewissermaßen erst , zu sich selbst gekommen glauben, während die anderen in seinem Fortdauern ein jederzeit durch „Verständigung" aus der Welt zu schaffendes Mißverständnis sehen. Aus dieser fortbestehenden Problemlage ist jene politische Richtung bei uns zu begreifen, die sich unter dem Leitziel der östlichen Neuorientierung vereinigt hat und die in mannigfachen Or¬ ganen wie der „Vossischen Zeitung" und einigen Zeitschriften, wie der „Euro- päischen Staats- und Wirtschaftszeitung", zu beredtem Ausdruck kommt. Dieses politische Programm sieht den eigentlichen gefährlichen und fortdauernden Feind im Angelsachsentum und zieht daraus die Folgerung, daß wir zu Nußland ein möglichst gutes Verhältnis mit allen Mitteln anzubahnen haben, um nicht nur den Rücken für den entscheidenden Kampf im Westen freizubekommen, sondern darüber hinaus für die folgende Epoche eines Wirtschaftskampfes mit der Entente uns mit dein nahen und vielleicht sogar mit dem fernen Osten zu einer inter¬ essensolidarischen Wirtschaftsgemeinschaft zusammenzuschließen. In den Kreisen, die diese Anschauungen vertreten, wird man nicht selten auf die Meinung stoßen, der Sturz des Zarismus habe den Boden für ein besseres Verhältnis zum neuen Nußland geschaffen. Insbesondere in sozialistischen Kreisen, in denen diese östliche Neuorientierung auch stellenweise Fuß gefaßt hat, wirkt gewiß eine stimmungsmäßige Sympathie mit dein jungen sozialistischen Rußland bei diesen Versöhn>mgstendenzen mit. Deistgegenüber verlohnt es wohl daran zu erinnern, daß gerade im Zeichen des Zarismus in den Zeiten der heiligen Alliance und von dort aus noch lange nachklingend ein warmes Ver¬ hältnis zwischen Preußen-Deutschland und Rußland bestanden hat, und daß Bismarck gerade in den dynastischen Beziehungen die beste Gewähr eines fort¬ dauernden guten Verhältnisses beider Staaten sah. Nicht sowohl der Zarismus war der Friedensstörer, als vielmehr jene liberalen nationalistischen Bourgcois- kreise der russischen Kadettenpartei, die bei einem etwaigen Umschwunge in Ru߬ land am ehesten Aussicht haben, auf längere Zeitstrecke das Erbe des Bolsche¬ wismus anzutreten, dessen Tage über kurz oder lang doch gezählt sind. Ebenso¬ wenig wie wir in der Randvölkerfrage auf die Dauer einzig die Befreiungsidevlvgie Bethmannschen Angedenkens festhalten werden, sondern uns daneben ehrlich zu einen! Programm der deutschen Machterweiterung nach Osten bekennen müssen, das den Tatsachen entspricht und aus / ihnen leicht genug abzulesen ist, ebenso¬ wenig sollten wir uns durch innerpolitische Solidaritäten oder Antipathien in unseren Beziehungen zum revolutionären Rußland leiten, sondern uns von jenen politischen Richtlinien den Weg bezeichnen lassen, die an der Möglichkeit gedeih¬ lichen wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeitens mit dem gesamten slawischen Osten orientiert sind. In diesem allgemeinen Sinne begrüßen und be¬ jahen wir die „östliche Neuorientierung", ohne uns damit auf die Mittel festlegen zu wollen, die in weiten Kreisen ihrer Vertreter für die allein richtigen und erfolg- verheißenden angesehen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/224>, abgerufen am 22.07.2024.