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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die "östliche Neuorientierung"

Problem Ost oder West feiert damit seine Auferstehung. Daß die Mentalität des
Franzosen den günstigsten Boden für eine fortschwärende Revancheleidenschaft ab¬
gibt, ist Allgemeingut unserer öffentlichen Meinung. Für England und Amerika
verliert die Frage an Bedeutung, weil eine wirklich absolut demütigende Nieder¬
zwingung dieser beiden Staaten nach Lage der Dinge nicht im Bereich des
Wahrscheinlichen liegt, für Amerika noch weniger, als für England. Dagegen
bleibt es für uns eine wichtige Frage, ob in dem von uns besiegten Ru߬
land mit einem politisch ernst zu nehmenden Revanchegedanken zu rechnen
sei. An und für sich legt die passive und fügsame Natur des Slawen einen solchen
Gedanken nicht nahe, um bloßer Prestigefragen willen wird sich der Russe nie in
einen Krieg stürzen lassen, während der außerordentliche nationale Idealismus des
Franzosen dazu sehr wohl sähig ist. Wenn hier der durch die liberalisierende
Ära Stolypin heraufgeführte russische Volksimpermlismus auch nicht übersehen
wird, so darf doch von einem Nevanchegedanten als Massenerregung beim Russen
schon deshalb nicht gesprochen werden, weil dieses unförmliche, pleonektische und
unorganische Niesengebilde des ehemaligen russischen Reiches selbst die namhaften
Amputationen durch den Vrefter Frieden nie und nimmer als solche empfinden
kann, wie etwa Frankreich die Abtrennung Elsaß-Lothringens zugleich an jedem
Punkte seines nationalen Leibes mitempfand. Wenn also auch eine durchgreifende
Nevanchestimmung in Nußland nicht zu erwarten ist, so bleibt die Frage seiner
dauernden UnVersöhnlichkeit doch aufs engste mit der anderen verschwistert, welche
Regierungsform sich dort zur dauernden Geltung durchringen wird. So lange
dort mit dein bolschewistischen Regime die Massenträgheit letztlich den politischen
Ausschlag gibt, ist an kriegerische Energie irgendwelcher Art natürlich nicht zu
denken, ^und die Gefahr, daß eine Diktatur vom Schlage Napoleons diese
Massen an^. ihrer Lethargie wachrüttelte und in kriegerische Abenteuer hiueinrisse,
liegt bon nicht vor. .Alle Augenzeugen dieser maßlosen Desorganisation des
großen russischen Zentralismus sind sich darüber einig, daß eine Disziplinierung
dieser gänzlich verwilderten Massen auf Jahrzehnte hinaus völlig ausgeschlossen
ist. Dagegen ist für eine spätere Zukunft immerhin mit der Möglichkeit zu
rechnen, daß mit der Wiederaufri.chtung eines haltbaren politischen Zentralismus
aus dem Schoße der alsdann herrschenden sozialen Kreise wieder eine politische
Aktivität erstehen könnte, in der die Gebietsverluste des Brester Friedens beachtliche
Revanchestimmungen auslösen könnten. An diese Möglichkeit ist vor allem den¬
jenigen gegenüber zu erinnern, die Rußland durch die augenblicklichen Wirren ein
für allemal als machtpolitisch erledigt ansehen.

Schon das bloße Erwachen und erst recht das politische Bedentsamwerden
einer wirklich durchgreifenden Nevancheleidenschaft in breiteren Schichten des
russischen Volkes ist aber an so viele hypothetische Bedingungen und Voraus¬
setzungen geknüpft, daß dieser Faktor im Augenblick in unseren Berechnungen und.
Erwägungen sehr weit in den Hintergrund treten tann. Ungleich wichtiger als
die subjektiven bleiben allen gegenteiligen Erfahrungen zum Trotz auf die Dauer
doch die objektiven Gegensätze der Staaten, die sich in diesem fürchterlichen Kriege
so unheilvoll ineinander verbissen haben. Neben den weltanschaulichen und inner-
Politischen Gegensätzen sind es Wirtschafts- und machipolitische, die hier die aus¬
schlaggebende Bedeutung für das zukünftige Verhältnis der kriegführenden Staaten
haben. Aber diese Gegensätze sind trotz ihrer Objektivität und Gegebenheit doch
mich wieder abhängig von den Wegen, die der weltpolitische Wille der beteiligten
Völker in Zukunft einschlägt. Ein überseeisches Programm bringt uns in schärferen
Gegensatz zu England als ein kontinentales, ein Desinteressement an einem Punkte
entlastet, ein Engagement belastet uns in einer jeweils vorher bestimmbaren
Richtung. Beides aber ist abhängig von den Zielen, die unser weltpolitischer
Wille sich selber setzt, oder die die allgemeine Weltlage und nicht zuletzt der Aus¬
gang dieses Krieges ihm offen läßt.¬

So zeigt es sich denn, daß die letzte und wichtigste Frage nach den ob
jektiven Jnteressendivergenzen nicht mit der Beschaulichkeit des Forschers und


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Die „östliche Neuorientierung"

Problem Ost oder West feiert damit seine Auferstehung. Daß die Mentalität des
Franzosen den günstigsten Boden für eine fortschwärende Revancheleidenschaft ab¬
gibt, ist Allgemeingut unserer öffentlichen Meinung. Für England und Amerika
verliert die Frage an Bedeutung, weil eine wirklich absolut demütigende Nieder¬
zwingung dieser beiden Staaten nach Lage der Dinge nicht im Bereich des
Wahrscheinlichen liegt, für Amerika noch weniger, als für England. Dagegen
bleibt es für uns eine wichtige Frage, ob in dem von uns besiegten Ru߬
land mit einem politisch ernst zu nehmenden Revanchegedanken zu rechnen
sei. An und für sich legt die passive und fügsame Natur des Slawen einen solchen
Gedanken nicht nahe, um bloßer Prestigefragen willen wird sich der Russe nie in
einen Krieg stürzen lassen, während der außerordentliche nationale Idealismus des
Franzosen dazu sehr wohl sähig ist. Wenn hier der durch die liberalisierende
Ära Stolypin heraufgeführte russische Volksimpermlismus auch nicht übersehen
wird, so darf doch von einem Nevanchegedanten als Massenerregung beim Russen
schon deshalb nicht gesprochen werden, weil dieses unförmliche, pleonektische und
unorganische Niesengebilde des ehemaligen russischen Reiches selbst die namhaften
Amputationen durch den Vrefter Frieden nie und nimmer als solche empfinden
kann, wie etwa Frankreich die Abtrennung Elsaß-Lothringens zugleich an jedem
Punkte seines nationalen Leibes mitempfand. Wenn also auch eine durchgreifende
Nevanchestimmung in Nußland nicht zu erwarten ist, so bleibt die Frage seiner
dauernden UnVersöhnlichkeit doch aufs engste mit der anderen verschwistert, welche
Regierungsform sich dort zur dauernden Geltung durchringen wird. So lange
dort mit dein bolschewistischen Regime die Massenträgheit letztlich den politischen
Ausschlag gibt, ist an kriegerische Energie irgendwelcher Art natürlich nicht zu
denken, ^und die Gefahr, daß eine Diktatur vom Schlage Napoleons diese
Massen an^. ihrer Lethargie wachrüttelte und in kriegerische Abenteuer hiueinrisse,
liegt bon nicht vor. .Alle Augenzeugen dieser maßlosen Desorganisation des
großen russischen Zentralismus sind sich darüber einig, daß eine Disziplinierung
dieser gänzlich verwilderten Massen auf Jahrzehnte hinaus völlig ausgeschlossen
ist. Dagegen ist für eine spätere Zukunft immerhin mit der Möglichkeit zu
rechnen, daß mit der Wiederaufri.chtung eines haltbaren politischen Zentralismus
aus dem Schoße der alsdann herrschenden sozialen Kreise wieder eine politische
Aktivität erstehen könnte, in der die Gebietsverluste des Brester Friedens beachtliche
Revanchestimmungen auslösen könnten. An diese Möglichkeit ist vor allem den¬
jenigen gegenüber zu erinnern, die Rußland durch die augenblicklichen Wirren ein
für allemal als machtpolitisch erledigt ansehen.

Schon das bloße Erwachen und erst recht das politische Bedentsamwerden
einer wirklich durchgreifenden Nevancheleidenschaft in breiteren Schichten des
russischen Volkes ist aber an so viele hypothetische Bedingungen und Voraus¬
setzungen geknüpft, daß dieser Faktor im Augenblick in unseren Berechnungen und.
Erwägungen sehr weit in den Hintergrund treten tann. Ungleich wichtiger als
die subjektiven bleiben allen gegenteiligen Erfahrungen zum Trotz auf die Dauer
doch die objektiven Gegensätze der Staaten, die sich in diesem fürchterlichen Kriege
so unheilvoll ineinander verbissen haben. Neben den weltanschaulichen und inner-
Politischen Gegensätzen sind es Wirtschafts- und machipolitische, die hier die aus¬
schlaggebende Bedeutung für das zukünftige Verhältnis der kriegführenden Staaten
haben. Aber diese Gegensätze sind trotz ihrer Objektivität und Gegebenheit doch
mich wieder abhängig von den Wegen, die der weltpolitische Wille der beteiligten
Völker in Zukunft einschlägt. Ein überseeisches Programm bringt uns in schärferen
Gegensatz zu England als ein kontinentales, ein Desinteressement an einem Punkte
entlastet, ein Engagement belastet uns in einer jeweils vorher bestimmbaren
Richtung. Beides aber ist abhängig von den Zielen, die unser weltpolitischer
Wille sich selber setzt, oder die die allgemeine Weltlage und nicht zuletzt der Aus¬
gang dieses Krieges ihm offen läßt.¬

So zeigt es sich denn, daß die letzte und wichtigste Frage nach den ob
jektiven Jnteressendivergenzen nicht mit der Beschaulichkeit des Forschers und


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[0223] Die „östliche Neuorientierung" Problem Ost oder West feiert damit seine Auferstehung. Daß die Mentalität des Franzosen den günstigsten Boden für eine fortschwärende Revancheleidenschaft ab¬ gibt, ist Allgemeingut unserer öffentlichen Meinung. Für England und Amerika verliert die Frage an Bedeutung, weil eine wirklich absolut demütigende Nieder¬ zwingung dieser beiden Staaten nach Lage der Dinge nicht im Bereich des Wahrscheinlichen liegt, für Amerika noch weniger, als für England. Dagegen bleibt es für uns eine wichtige Frage, ob in dem von uns besiegten Ru߬ land mit einem politisch ernst zu nehmenden Revanchegedanken zu rechnen sei. An und für sich legt die passive und fügsame Natur des Slawen einen solchen Gedanken nicht nahe, um bloßer Prestigefragen willen wird sich der Russe nie in einen Krieg stürzen lassen, während der außerordentliche nationale Idealismus des Franzosen dazu sehr wohl sähig ist. Wenn hier der durch die liberalisierende Ära Stolypin heraufgeführte russische Volksimpermlismus auch nicht übersehen wird, so darf doch von einem Nevanchegedanten als Massenerregung beim Russen schon deshalb nicht gesprochen werden, weil dieses unförmliche, pleonektische und unorganische Niesengebilde des ehemaligen russischen Reiches selbst die namhaften Amputationen durch den Vrefter Frieden nie und nimmer als solche empfinden kann, wie etwa Frankreich die Abtrennung Elsaß-Lothringens zugleich an jedem Punkte seines nationalen Leibes mitempfand. Wenn also auch eine durchgreifende Nevanchestimmung in Nußland nicht zu erwarten ist, so bleibt die Frage seiner dauernden UnVersöhnlichkeit doch aufs engste mit der anderen verschwistert, welche Regierungsform sich dort zur dauernden Geltung durchringen wird. So lange dort mit dein bolschewistischen Regime die Massenträgheit letztlich den politischen Ausschlag gibt, ist an kriegerische Energie irgendwelcher Art natürlich nicht zu denken, ^und die Gefahr, daß eine Diktatur vom Schlage Napoleons diese Massen an^. ihrer Lethargie wachrüttelte und in kriegerische Abenteuer hiueinrisse, liegt bon nicht vor. .Alle Augenzeugen dieser maßlosen Desorganisation des großen russischen Zentralismus sind sich darüber einig, daß eine Disziplinierung dieser gänzlich verwilderten Massen auf Jahrzehnte hinaus völlig ausgeschlossen ist. Dagegen ist für eine spätere Zukunft immerhin mit der Möglichkeit zu rechnen, daß mit der Wiederaufri.chtung eines haltbaren politischen Zentralismus aus dem Schoße der alsdann herrschenden sozialen Kreise wieder eine politische Aktivität erstehen könnte, in der die Gebietsverluste des Brester Friedens beachtliche Revanchestimmungen auslösen könnten. An diese Möglichkeit ist vor allem den¬ jenigen gegenüber zu erinnern, die Rußland durch die augenblicklichen Wirren ein für allemal als machtpolitisch erledigt ansehen. Schon das bloße Erwachen und erst recht das politische Bedentsamwerden einer wirklich durchgreifenden Nevancheleidenschaft in breiteren Schichten des russischen Volkes ist aber an so viele hypothetische Bedingungen und Voraus¬ setzungen geknüpft, daß dieser Faktor im Augenblick in unseren Berechnungen und. Erwägungen sehr weit in den Hintergrund treten tann. Ungleich wichtiger als die subjektiven bleiben allen gegenteiligen Erfahrungen zum Trotz auf die Dauer doch die objektiven Gegensätze der Staaten, die sich in diesem fürchterlichen Kriege so unheilvoll ineinander verbissen haben. Neben den weltanschaulichen und inner- Politischen Gegensätzen sind es Wirtschafts- und machipolitische, die hier die aus¬ schlaggebende Bedeutung für das zukünftige Verhältnis der kriegführenden Staaten haben. Aber diese Gegensätze sind trotz ihrer Objektivität und Gegebenheit doch mich wieder abhängig von den Wegen, die der weltpolitische Wille der beteiligten Völker in Zukunft einschlägt. Ein überseeisches Programm bringt uns in schärferen Gegensatz zu England als ein kontinentales, ein Desinteressement an einem Punkte entlastet, ein Engagement belastet uns in einer jeweils vorher bestimmbaren Richtung. Beides aber ist abhängig von den Zielen, die unser weltpolitischer Wille sich selber setzt, oder die die allgemeine Weltlage und nicht zuletzt der Aus¬ gang dieses Krieges ihm offen läßt.¬ So zeigt es sich denn, daß die letzte und wichtigste Frage nach den ob jektiven Jnteressendivergenzen nicht mit der Beschaulichkeit des Forschers und 17"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/223>, abgerufen am 22.07.2024.