Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.Lin Blick auf Finnland Die Kundgebung der tschechischen Pairs im Herrenhause (4. Mai 1918) und die Wie alle Maßlosigkeit wird auch der Radikalismus der tschechisch-staatsrecht¬ Gin Blick auf Finnland Hauptmann "Lrnst Liljedahl, Mitglied des schwedischen Reichstages von le bei der Beendigung des Weltkrieges bevorstehenden großen Ver¬ Selten hat ein Mensch das erlangt, was er selbst am heißesten ersehnt hat. Lin Blick auf Finnland Die Kundgebung der tschechischen Pairs im Herrenhause (4. Mai 1918) und die Wie alle Maßlosigkeit wird auch der Radikalismus der tschechisch-staatsrecht¬ Gin Blick auf Finnland Hauptmann «Lrnst Liljedahl, Mitglied des schwedischen Reichstages von le bei der Beendigung des Weltkrieges bevorstehenden großen Ver¬ Selten hat ein Mensch das erlangt, was er selbst am heißesten ersehnt hat. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333865"/> <fw type="header" place="top"> Lin Blick auf Finnland</fw><lb/> <p xml:id="ID_40" prev="#ID_39"> Die Kundgebung der tschechischen Pairs im Herrenhause (4. Mai 1918) und die<lb/> Stimme des Bischofs von Königgrätz, Dr. Doubrava, in der „Reichspost" zeigen<lb/> trotz mancher Unausgeglichenheit dieser Kundgebungen diesen Gegensatz sehr deutlich.<lb/> Es zeigt sich, daß die heute im Hintergrund stehenden anhero'slawischen Elemente,<lb/> zu denen auch einige wenige Ausläufer der höchsten tschechischen Jntelligenzschicht<lb/> gehören, die zweite Garnitur bilden, die zur Übernahme der politischen Führung<lb/> bereitsteht, wenn die staatsrechtlich-demokratische Garnitur abgekämpft sein wird.<lb/> Ob schließlich der sich immer mehr überspitzende Radikalismus auf die Dauer auf<lb/> die Gefolgschaft der politisch sehr kühl rechnenden Polen wird bauen können, ist<lb/> zweifelhaft. Polen und Tschechen, deren inneres Verhältnis trotz aller Ver-<lb/> brüderungsversuche des Panslawismus.immer kühl war, scheidet, wie jüngst eine<lb/> hitzige Polemik gezeigt hat, trotz der Übereinstimmungen der beiderseitigen radi¬<lb/> kalen Gruppen, stark die Frage Ostschlesiens, auf das beide Anspruch erheben, und<lb/> das seinerzeitige Verhältnis der Tschechen zum zaristischen Rußland.</p><lb/> <p xml:id="ID_41"> Wie alle Maßlosigkeit wird auch der Radikalismus der tschechisch-staatsrecht¬<lb/> lichen Demokratie an sich selbst zerschellen. Er hat, indem er die tschechische<lb/> Frage als Kampfmittel gegen die Monarchie verwendet, die Erfüllung des Kriegs¬<lb/> zieles der Entente zur notwendigen Voraussetzung der Verwirklichung seiner Pläne<lb/> gemacht. Andererseits ist an der tschechischen Politik, die mit naturgegebenen,<lb/> kleinräumigen Verhältnissen zu rechnen gewohnt ist, eine sehr wichtige Kriegslehre<lb/> vorbeigegangen: daß in der kommenden Epoche der Menschheitsgeschichte auch<lb/> Großstaaten im alten Sinne keine selbständige Wirkung mehr üben werden,<lb/> geschweige denn Staaten von Sechs- oder selbst Zehnmillionenvölkern, sondern<lb/> einzig größere und größte Gruppen. Es scheint sich in unseren Tagen die Tragik<lb/> der tschechischen Geschichte zu wiederholen, daß ein begabtes und in seiner mate¬<lb/> riellen wie geistigen Arbeit rüstig aufstrebendes, aber seine Bedeutung wie seine<lb/> Ziele maßlos überhebendes Volk an dem Gegensatz zwischen Tatsächlichkeit und<lb/> Wollen zu scheitern droht.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Gin Blick auf Finnland<lb/><note type="byline"> Hauptmann «Lrnst Liljedahl, Mitglied des schwedischen Reichstages</note> von </head><lb/> <p xml:id="ID_42"> le bei der Beendigung des Weltkrieges bevorstehenden großen Ver¬<lb/> änderungen werden die zerrissene Menschheit wohl zu der Selbst¬<lb/> besinnung bringen, die in einem gefügigeren Sichanschließen an den<lb/> Willen der Weltgeschichte und dem Verlassen der Wege, die zu der<lb/> Uneinigkeit und dem Kriege geführt haben, liegt. Auf dem Grunde<lb/> des geschichtlichen Geschehens liegen größere Geheimnisse verborgen,<lb/> als die Männer des Tages gewöhnlich ahnen. Dort finden wir die Ideen der<lb/> Jahrhunderte und nicht die Einfälle des Tages. Dort ruht das Generationen<lb/> hindurch weiterlebende Unsterblichkeitsbewußtsein der Völker, das sich weder durch<lb/> Unglück noch durch Unterdrückung, weder durch sibirische Verbannungsorte noch<lb/> durch politischen Untergang ersticken läßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_43" next="#ID_44"> Selten hat ein Mensch das erlangt, was er selbst am heißesten ersehnt hat.<lb/> Selten ist auch ein Volk zu Aufgaben berufen worden, die ihm selber verlockend<lb/> und vielversprechend erschienen. Anstatt dessen wurden ihm andere gestellt, die<lb/> es niemals freiwillig übernommen haben würde und mit denen es sich erst be¬<lb/> faßt hat, als die harte Notwendigkeit es dazu zwang. Unter Gustav Adolf kam<lb/> es auf diese Weise zu Schwedens und Finnlands größter Leistung, gleichwie<lb/> Deutschlands Sieg in dem jetzt vorsichgehenden Kriege eine europäische Soli-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Lin Blick auf Finnland
Die Kundgebung der tschechischen Pairs im Herrenhause (4. Mai 1918) und die
Stimme des Bischofs von Königgrätz, Dr. Doubrava, in der „Reichspost" zeigen
trotz mancher Unausgeglichenheit dieser Kundgebungen diesen Gegensatz sehr deutlich.
Es zeigt sich, daß die heute im Hintergrund stehenden anhero'slawischen Elemente,
zu denen auch einige wenige Ausläufer der höchsten tschechischen Jntelligenzschicht
gehören, die zweite Garnitur bilden, die zur Übernahme der politischen Führung
bereitsteht, wenn die staatsrechtlich-demokratische Garnitur abgekämpft sein wird.
Ob schließlich der sich immer mehr überspitzende Radikalismus auf die Dauer auf
die Gefolgschaft der politisch sehr kühl rechnenden Polen wird bauen können, ist
zweifelhaft. Polen und Tschechen, deren inneres Verhältnis trotz aller Ver-
brüderungsversuche des Panslawismus.immer kühl war, scheidet, wie jüngst eine
hitzige Polemik gezeigt hat, trotz der Übereinstimmungen der beiderseitigen radi¬
kalen Gruppen, stark die Frage Ostschlesiens, auf das beide Anspruch erheben, und
das seinerzeitige Verhältnis der Tschechen zum zaristischen Rußland.
Wie alle Maßlosigkeit wird auch der Radikalismus der tschechisch-staatsrecht¬
lichen Demokratie an sich selbst zerschellen. Er hat, indem er die tschechische
Frage als Kampfmittel gegen die Monarchie verwendet, die Erfüllung des Kriegs¬
zieles der Entente zur notwendigen Voraussetzung der Verwirklichung seiner Pläne
gemacht. Andererseits ist an der tschechischen Politik, die mit naturgegebenen,
kleinräumigen Verhältnissen zu rechnen gewohnt ist, eine sehr wichtige Kriegslehre
vorbeigegangen: daß in der kommenden Epoche der Menschheitsgeschichte auch
Großstaaten im alten Sinne keine selbständige Wirkung mehr üben werden,
geschweige denn Staaten von Sechs- oder selbst Zehnmillionenvölkern, sondern
einzig größere und größte Gruppen. Es scheint sich in unseren Tagen die Tragik
der tschechischen Geschichte zu wiederholen, daß ein begabtes und in seiner mate¬
riellen wie geistigen Arbeit rüstig aufstrebendes, aber seine Bedeutung wie seine
Ziele maßlos überhebendes Volk an dem Gegensatz zwischen Tatsächlichkeit und
Wollen zu scheitern droht.
Gin Blick auf Finnland
Hauptmann «Lrnst Liljedahl, Mitglied des schwedischen Reichstages von
le bei der Beendigung des Weltkrieges bevorstehenden großen Ver¬
änderungen werden die zerrissene Menschheit wohl zu der Selbst¬
besinnung bringen, die in einem gefügigeren Sichanschließen an den
Willen der Weltgeschichte und dem Verlassen der Wege, die zu der
Uneinigkeit und dem Kriege geführt haben, liegt. Auf dem Grunde
des geschichtlichen Geschehens liegen größere Geheimnisse verborgen,
als die Männer des Tages gewöhnlich ahnen. Dort finden wir die Ideen der
Jahrhunderte und nicht die Einfälle des Tages. Dort ruht das Generationen
hindurch weiterlebende Unsterblichkeitsbewußtsein der Völker, das sich weder durch
Unglück noch durch Unterdrückung, weder durch sibirische Verbannungsorte noch
durch politischen Untergang ersticken läßt.
Selten hat ein Mensch das erlangt, was er selbst am heißesten ersehnt hat.
Selten ist auch ein Volk zu Aufgaben berufen worden, die ihm selber verlockend
und vielversprechend erschienen. Anstatt dessen wurden ihm andere gestellt, die
es niemals freiwillig übernommen haben würde und mit denen es sich erst be¬
faßt hat, als die harte Notwendigkeit es dazu zwang. Unter Gustav Adolf kam
es auf diese Weise zu Schwedens und Finnlands größter Leistung, gleichwie
Deutschlands Sieg in dem jetzt vorsichgehenden Kriege eine europäische Soli-
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