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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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!>in englische Umklammerung Europas

Lage der Inselwelt als ein vorgeschobener Posten im Nordwesten des Erbteiles
ist ein Außendruck undenkbar; er kann nur von der inneren Linie aus erfolgen,
der Angriffspunkt kann nur am "Kanal" liegen. Hier einzugreifen wäre nach
seiner Lage am ehesten Frankreich berufen. Aber seine weltpolitischen Ziele haben
es, seit es durch England bereits Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit dem
Verlust Kanadas aus dem Bereich des nordatlantischen Ozeans stark hinaus¬
gedrängt wurde, nach anderen Richtungen gewiesen: es hofft heute und in Zukunft
eine weltpolitische Sendung an den Gestaden des Mittelmeeres und in Westafrika
zu erfüllen. Überdies hat es am Atlantischen Ozean seine Westküste, die eine
unmittelbare Abhängigkeit von Englands Sperre nicht erleidet. Ein" gegen England
gerichtete französische Politik würde viel lieber die Aufhebung der Mittelmeersperre
bei Gibraltar betreiben müssen, als irgendetwas zu unternehmen, das die englische
Machtstellung am "Kanal" treffen würde, Es sei denn, daß England die günstige
Gelegenheit seiner gegenwärtigen Vundesfreundschaft benutzte, sich in Calais auch
über das Kriegsende hinaus festzusetzen. Aber selbst dann würde, so schmerzlich
Frankreich den Verlust zweifelsohne empfinden müßte, eine stärkere politische
Schädigung der Republik in ihrer atlantischen und Kanalstellung nicht eintreten,
als sie ohnehin bereits durch die der Normandie vorgelagerten normannischen
Inseln in Verbindung mit dem Flankenposten des Krie'gshafens von Plymouth
erreicht ist. Die Steigerung der englischen Vormachtstellung Dover--Calais würde
nur die Mittel- und nordeuropäischen Staaten diesseits jener Sperrlinie treffen.
'

Die Verankerung der britischen Jnselmacht auf dem gegenüberliegenden
Festlande bei Calais, dessen Besitznahme erstmalig Ende 1916 völlig unverblümt
von der "Morning Post", der "Daily Mail" u. a. als unerläßliche englische
Friedensbedingung gefordert wurde, wäre ein gewaltiger befestigter Brückenkops,
ein willkommener Ersatz für das verlorene belgische ,,Sprungbrett" gegen das
Herz Europas. Er wäre bei einem Wassergang mit Frankreich oder mit sonst
einer Festlundsmacht nicht nur ein- dauernd drohendes britisches Ausfallstor,
sondern das Inselreich hätte mit seiner Hilfe eine ungleich wirksamere Sperre
errichtet, als es bei den gegenwärtigen Territorialverhältnissen möglich ist.

England, das sich schon heute auf dem Festlande fest verankert wähnt, reckt
von hier aus seine Doppelklammer um Europa.

Die südliche hatte bis zum Kriegsbeginn ihre Festpunkte in Gibraltar, Malta,
Cypern und Ägypten. Die Wirkung dieser Stützpunkte als Mittel einer Deckung des
Hauptweges nach Indien durch Mittelmeer und Suezkanal ist bekannt; in Verbindung
mit Englands politischem Einfluß in einzelnen Gestadeländern des Mittelmeeres
vermochten sie jedes stärkere politische Hervortreten anderer europäischer Staaten als
"Mittelmeermacht" zu behindern. Das gilt insonderheit von Frankreich und Italien.

Der Krieg hat nun aber in diesen mittelmeerischen Machtverhältnissen eine
bedeutsame Verschiebung veranlaßt. Das durch den langen und überaus starken
Aderlaß entkräftete Frankreich wird in Zukunft nicht imstande sein, seine hervor¬
ragende Machtstellung im Westmittelmeer von neuem zu gewinnen, die es trotz
der Gibraltar- und Malta-Umklammerung vermöge seiner Beherrschung der Nord-
uud Südküsten besaß. Italiens Wünsche nach Befriedigung seiner nationalen
Eitelkeiten im Alpengebiet und an der dalmatinischen und albanischen Küste sind
seit dem Einbruch in die Poebene zunichte geworden. Auch hier wird, wie in der
romanischen Nachbarrepublik, infolge der allgemeinen wirtschaftlichen und mili¬
tärischen Entkräftung eine Wendung nicht wieder zu erwarten sein. Sie wird
zwar in beiden Ländern erhofft von der amerikanischen Hilfe. Aber sowohl in
Paris wie in Rom hieße es doch Vogelstraußpolitik treiben, wenn man des
Glaubens wäre, daß die amerikanische oder angelsächsische Mithilfe selbstlos geschähe.
Die angelsächsische Erwartung, beide Verbündete gerade durch das weitere Hinein¬
hetzen in den Krieg noch mehr zu entkräften und sie politisch wie wirtschaftlich
noch mehr von britischer Politik und amerikanischem Golde abhängig zu machen,
wird die Hoffnungen Englands nach einer festen Südumklammerung Europas in
weitem Maße stärken.


!>in englische Umklammerung Europas

Lage der Inselwelt als ein vorgeschobener Posten im Nordwesten des Erbteiles
ist ein Außendruck undenkbar; er kann nur von der inneren Linie aus erfolgen,
der Angriffspunkt kann nur am „Kanal" liegen. Hier einzugreifen wäre nach
seiner Lage am ehesten Frankreich berufen. Aber seine weltpolitischen Ziele haben
es, seit es durch England bereits Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit dem
Verlust Kanadas aus dem Bereich des nordatlantischen Ozeans stark hinaus¬
gedrängt wurde, nach anderen Richtungen gewiesen: es hofft heute und in Zukunft
eine weltpolitische Sendung an den Gestaden des Mittelmeeres und in Westafrika
zu erfüllen. Überdies hat es am Atlantischen Ozean seine Westküste, die eine
unmittelbare Abhängigkeit von Englands Sperre nicht erleidet. Ein« gegen England
gerichtete französische Politik würde viel lieber die Aufhebung der Mittelmeersperre
bei Gibraltar betreiben müssen, als irgendetwas zu unternehmen, das die englische
Machtstellung am „Kanal" treffen würde, Es sei denn, daß England die günstige
Gelegenheit seiner gegenwärtigen Vundesfreundschaft benutzte, sich in Calais auch
über das Kriegsende hinaus festzusetzen. Aber selbst dann würde, so schmerzlich
Frankreich den Verlust zweifelsohne empfinden müßte, eine stärkere politische
Schädigung der Republik in ihrer atlantischen und Kanalstellung nicht eintreten,
als sie ohnehin bereits durch die der Normandie vorgelagerten normannischen
Inseln in Verbindung mit dem Flankenposten des Krie'gshafens von Plymouth
erreicht ist. Die Steigerung der englischen Vormachtstellung Dover—Calais würde
nur die Mittel- und nordeuropäischen Staaten diesseits jener Sperrlinie treffen.
'

Die Verankerung der britischen Jnselmacht auf dem gegenüberliegenden
Festlande bei Calais, dessen Besitznahme erstmalig Ende 1916 völlig unverblümt
von der „Morning Post", der „Daily Mail" u. a. als unerläßliche englische
Friedensbedingung gefordert wurde, wäre ein gewaltiger befestigter Brückenkops,
ein willkommener Ersatz für das verlorene belgische ,,Sprungbrett" gegen das
Herz Europas. Er wäre bei einem Wassergang mit Frankreich oder mit sonst
einer Festlundsmacht nicht nur ein- dauernd drohendes britisches Ausfallstor,
sondern das Inselreich hätte mit seiner Hilfe eine ungleich wirksamere Sperre
errichtet, als es bei den gegenwärtigen Territorialverhältnissen möglich ist.

England, das sich schon heute auf dem Festlande fest verankert wähnt, reckt
von hier aus seine Doppelklammer um Europa.

Die südliche hatte bis zum Kriegsbeginn ihre Festpunkte in Gibraltar, Malta,
Cypern und Ägypten. Die Wirkung dieser Stützpunkte als Mittel einer Deckung des
Hauptweges nach Indien durch Mittelmeer und Suezkanal ist bekannt; in Verbindung
mit Englands politischem Einfluß in einzelnen Gestadeländern des Mittelmeeres
vermochten sie jedes stärkere politische Hervortreten anderer europäischer Staaten als
„Mittelmeermacht" zu behindern. Das gilt insonderheit von Frankreich und Italien.

Der Krieg hat nun aber in diesen mittelmeerischen Machtverhältnissen eine
bedeutsame Verschiebung veranlaßt. Das durch den langen und überaus starken
Aderlaß entkräftete Frankreich wird in Zukunft nicht imstande sein, seine hervor¬
ragende Machtstellung im Westmittelmeer von neuem zu gewinnen, die es trotz
der Gibraltar- und Malta-Umklammerung vermöge seiner Beherrschung der Nord-
uud Südküsten besaß. Italiens Wünsche nach Befriedigung seiner nationalen
Eitelkeiten im Alpengebiet und an der dalmatinischen und albanischen Küste sind
seit dem Einbruch in die Poebene zunichte geworden. Auch hier wird, wie in der
romanischen Nachbarrepublik, infolge der allgemeinen wirtschaftlichen und mili¬
tärischen Entkräftung eine Wendung nicht wieder zu erwarten sein. Sie wird
zwar in beiden Ländern erhofft von der amerikanischen Hilfe. Aber sowohl in
Paris wie in Rom hieße es doch Vogelstraußpolitik treiben, wenn man des
Glaubens wäre, daß die amerikanische oder angelsächsische Mithilfe selbstlos geschähe.
Die angelsächsische Erwartung, beide Verbündete gerade durch das weitere Hinein¬
hetzen in den Krieg noch mehr zu entkräften und sie politisch wie wirtschaftlich
noch mehr von britischer Politik und amerikanischem Golde abhängig zu machen,
wird die Hoffnungen Englands nach einer festen Südumklammerung Europas in
weitem Maße stärken.


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[0172] !>in englische Umklammerung Europas Lage der Inselwelt als ein vorgeschobener Posten im Nordwesten des Erbteiles ist ein Außendruck undenkbar; er kann nur von der inneren Linie aus erfolgen, der Angriffspunkt kann nur am „Kanal" liegen. Hier einzugreifen wäre nach seiner Lage am ehesten Frankreich berufen. Aber seine weltpolitischen Ziele haben es, seit es durch England bereits Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Verlust Kanadas aus dem Bereich des nordatlantischen Ozeans stark hinaus¬ gedrängt wurde, nach anderen Richtungen gewiesen: es hofft heute und in Zukunft eine weltpolitische Sendung an den Gestaden des Mittelmeeres und in Westafrika zu erfüllen. Überdies hat es am Atlantischen Ozean seine Westküste, die eine unmittelbare Abhängigkeit von Englands Sperre nicht erleidet. Ein« gegen England gerichtete französische Politik würde viel lieber die Aufhebung der Mittelmeersperre bei Gibraltar betreiben müssen, als irgendetwas zu unternehmen, das die englische Machtstellung am „Kanal" treffen würde, Es sei denn, daß England die günstige Gelegenheit seiner gegenwärtigen Vundesfreundschaft benutzte, sich in Calais auch über das Kriegsende hinaus festzusetzen. Aber selbst dann würde, so schmerzlich Frankreich den Verlust zweifelsohne empfinden müßte, eine stärkere politische Schädigung der Republik in ihrer atlantischen und Kanalstellung nicht eintreten, als sie ohnehin bereits durch die der Normandie vorgelagerten normannischen Inseln in Verbindung mit dem Flankenposten des Krie'gshafens von Plymouth erreicht ist. Die Steigerung der englischen Vormachtstellung Dover—Calais würde nur die Mittel- und nordeuropäischen Staaten diesseits jener Sperrlinie treffen. ' Die Verankerung der britischen Jnselmacht auf dem gegenüberliegenden Festlande bei Calais, dessen Besitznahme erstmalig Ende 1916 völlig unverblümt von der „Morning Post", der „Daily Mail" u. a. als unerläßliche englische Friedensbedingung gefordert wurde, wäre ein gewaltiger befestigter Brückenkops, ein willkommener Ersatz für das verlorene belgische ,,Sprungbrett" gegen das Herz Europas. Er wäre bei einem Wassergang mit Frankreich oder mit sonst einer Festlundsmacht nicht nur ein- dauernd drohendes britisches Ausfallstor, sondern das Inselreich hätte mit seiner Hilfe eine ungleich wirksamere Sperre errichtet, als es bei den gegenwärtigen Territorialverhältnissen möglich ist. England, das sich schon heute auf dem Festlande fest verankert wähnt, reckt von hier aus seine Doppelklammer um Europa. Die südliche hatte bis zum Kriegsbeginn ihre Festpunkte in Gibraltar, Malta, Cypern und Ägypten. Die Wirkung dieser Stützpunkte als Mittel einer Deckung des Hauptweges nach Indien durch Mittelmeer und Suezkanal ist bekannt; in Verbindung mit Englands politischem Einfluß in einzelnen Gestadeländern des Mittelmeeres vermochten sie jedes stärkere politische Hervortreten anderer europäischer Staaten als „Mittelmeermacht" zu behindern. Das gilt insonderheit von Frankreich und Italien. Der Krieg hat nun aber in diesen mittelmeerischen Machtverhältnissen eine bedeutsame Verschiebung veranlaßt. Das durch den langen und überaus starken Aderlaß entkräftete Frankreich wird in Zukunft nicht imstande sein, seine hervor¬ ragende Machtstellung im Westmittelmeer von neuem zu gewinnen, die es trotz der Gibraltar- und Malta-Umklammerung vermöge seiner Beherrschung der Nord- uud Südküsten besaß. Italiens Wünsche nach Befriedigung seiner nationalen Eitelkeiten im Alpengebiet und an der dalmatinischen und albanischen Küste sind seit dem Einbruch in die Poebene zunichte geworden. Auch hier wird, wie in der romanischen Nachbarrepublik, infolge der allgemeinen wirtschaftlichen und mili¬ tärischen Entkräftung eine Wendung nicht wieder zu erwarten sein. Sie wird zwar in beiden Ländern erhofft von der amerikanischen Hilfe. Aber sowohl in Paris wie in Rom hieße es doch Vogelstraußpolitik treiben, wenn man des Glaubens wäre, daß die amerikanische oder angelsächsische Mithilfe selbstlos geschähe. Die angelsächsische Erwartung, beide Verbündete gerade durch das weitere Hinein¬ hetzen in den Krieg noch mehr zu entkräften und sie politisch wie wirtschaftlich noch mehr von britischer Politik und amerikanischem Golde abhängig zu machen, wird die Hoffnungen Englands nach einer festen Südumklammerung Europas in weitem Maße stärken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/172>, abgerufen am 22.07.2024.