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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die nationale Abgrenzung in Böhmen

waltung, einen erklecklichen Teil übernehmen sollen. Diese Art nationaler Ab¬
grenzung ließe sich sogar mit dem Sprachinselschutz verbinden, indem größere oder
volksreichere Inseln einem gleichsprachigen Bezirk und Kreis als Exklaven zuge¬
teilt würden; Unbequemlichkeiten des Verkehrs- und Geschästslebens würden das
allerdings in der Praxis sehr erschweren, manchenorts verhindern. Minderheiten¬
schutz im strengen Wortsinn kann dagegen von der Abgrenzung überhaupt nicht
geschaffen werden; er müßte selbständig neben ihr festgelegt werden. Für die Ab¬
grenzung selbst ist aber die entscheidende Frage die der administrativen Einheiten,
auf denen sie aufgebaut wird. Sie kann um so vollkommener sein, je kleiner diese
sind; denn die höheren werden von der Sprachgrenze des öfteren geschnitten.
Diese Frage ist die entscheidende zur Beurteilung der Verordnung vom 19. Mai 1918,
welche die Kreiseinteilung vorbereitet und die von der Regierung als ein großer
Schritt zur Verwirklichung der deutschen Forderungen bezeichnet wird. Die Un¬
zufriedenheit der Deutschen mit der in ihr versuchten Abgrenzung wächst, je allge¬
meiner sie bekannt wird. Man veröffentlicht Listen von preisgegebenen Minder¬
heiten. Orten und Gemeinden; man spricht davon, daß einzelne noch gerettet
wurden und erörtert Schuld und Verdienst. Aber nicht die einzelnen Willkürlich-
keiten und Mißgriffe, die auch vorkamen, sind die richtige Grundlage zur Beur¬
teilung der Verordnung, die von den Tschechen so stürmisch angegriffen und von
ihnen im heiser gar nicht als so arger Schaden empfunden wird, sondern die
grundsätzliche UnVollständigkeit.

Die kleinste Verwaltungseinheit, die Ortschaft, entspricht nicht der Siedlung,
sondern kann eine oder mehrere Siedlungen umfassen, isle hat geringe Selb¬
ständigkeit. Eine oder mehrere Ortschaften bilden eine Steuer-(Katastral)gemeinte,
eine öder mehrere solche eine politische oder Ortsgemeinde, die sich autonom ver¬
waltet. Es kann also eine zu vierfünftel oder noch mehr tschechische und somit
als reintschechisch behandelte Ortsgemeinde sich gleichwohl aus deutschen und
tschechischen Ortschaften zusammensetzen, ja sie kann von der Sprachgrenze so ge¬
schnitten werden, daß diese nicht Sprachinseln, sondern Teile der geschlossenen
Vvlksgebiete darstellen. Eine größere Anzahl Ortsgemeinden bilden einen Gerichts¬
bezirk. Dieser ist in Böhmen zugleich Straßcnbezirk usw. und Gebiet der Bezirks¬
vertretung, die gleich der Ortsgemeinde Umlagen vorschreiben kann. Ein oder
mehrere Gerichtsbezirke bilden dann den politischen Bezirk oder die Bezirkshaupt¬
mannschaft. Die neue Verordnung faßt dann mehrere Bezirkshauptmannschaften
zu Kreisen oder Kreishauptmannschaften zusammen. Da nun die Beziehungen
des einzelnen zu den Einheiten niedriger Ordnung, deren Sitz ihm auch am
nächsten liegt, die lebhaftesten sind, wird nationaler Druck auch in diesen am
lebhaftesten empfunden. Die Zugehörigkeit zu einer fremdnationalen Ortsgemeinde
oder einem solchen Gerichtsbezirk ist aber auch deshalb fühlbarer, als die'.zu einer
Bezirkshauptmannschaft mit wesentlich anderssprachigem Gebiet, weil in jenen die
autonome Verwaltung zur Geltung kommt, also die nationalen Gegner über den
einzelnen, über die Minderheit oder den eine Minderheit bildenden Ort, un¬
entscheiden, ihn besteuern und bedrängen können. Die politische Bezirksbehörde
dagegen ist eine rein staatliche, grundsätzlich also national unbefangenere, und hat
kein Umlagenrecht. Auch die Verhandlungssprache in der Gemeindekanzlei, bei
Gericht und im Bezirksausschuß ist von unmittelbarerer Bedeutung als die bei
der seltener benötigten Bezirkshauptmannschaft. Eine nationale Abgrenzung, die
durchgreift und das Volk befriedigt, muß also vor allem die gemischten Orts-
gemeinden und GeriÄtsbezirke zerlegen. Die Ortschaften in sprachfreindem Ver¬
band müssen herausgenommen, entweder zu selbständigen Gemeinden gemacht oder
an gleichsprachige benachbarte Ortsgemeinden angeschlossen werden. Die dadurch
einsprachigen OrtSgemeinden aber müssen zu einsprachigen Gerichtsbezirken zu¬
sammengefaßt werden. Dann erst wären durch Umgruppierung der Gerichts¬
bezirke auch die etwa noch bestehenden gemischten Bezirkshauptmannschaften ein¬
sprachig zu machen.

Die Verordnung Hut nun aus formaljuristischen Gründen gerade das, was


Grenzboten III 1913 12
Die nationale Abgrenzung in Böhmen

waltung, einen erklecklichen Teil übernehmen sollen. Diese Art nationaler Ab¬
grenzung ließe sich sogar mit dem Sprachinselschutz verbinden, indem größere oder
volksreichere Inseln einem gleichsprachigen Bezirk und Kreis als Exklaven zuge¬
teilt würden; Unbequemlichkeiten des Verkehrs- und Geschästslebens würden das
allerdings in der Praxis sehr erschweren, manchenorts verhindern. Minderheiten¬
schutz im strengen Wortsinn kann dagegen von der Abgrenzung überhaupt nicht
geschaffen werden; er müßte selbständig neben ihr festgelegt werden. Für die Ab¬
grenzung selbst ist aber die entscheidende Frage die der administrativen Einheiten,
auf denen sie aufgebaut wird. Sie kann um so vollkommener sein, je kleiner diese
sind; denn die höheren werden von der Sprachgrenze des öfteren geschnitten.
Diese Frage ist die entscheidende zur Beurteilung der Verordnung vom 19. Mai 1918,
welche die Kreiseinteilung vorbereitet und die von der Regierung als ein großer
Schritt zur Verwirklichung der deutschen Forderungen bezeichnet wird. Die Un¬
zufriedenheit der Deutschen mit der in ihr versuchten Abgrenzung wächst, je allge¬
meiner sie bekannt wird. Man veröffentlicht Listen von preisgegebenen Minder¬
heiten. Orten und Gemeinden; man spricht davon, daß einzelne noch gerettet
wurden und erörtert Schuld und Verdienst. Aber nicht die einzelnen Willkürlich-
keiten und Mißgriffe, die auch vorkamen, sind die richtige Grundlage zur Beur¬
teilung der Verordnung, die von den Tschechen so stürmisch angegriffen und von
ihnen im heiser gar nicht als so arger Schaden empfunden wird, sondern die
grundsätzliche UnVollständigkeit.

Die kleinste Verwaltungseinheit, die Ortschaft, entspricht nicht der Siedlung,
sondern kann eine oder mehrere Siedlungen umfassen, isle hat geringe Selb¬
ständigkeit. Eine oder mehrere Ortschaften bilden eine Steuer-(Katastral)gemeinte,
eine öder mehrere solche eine politische oder Ortsgemeinde, die sich autonom ver¬
waltet. Es kann also eine zu vierfünftel oder noch mehr tschechische und somit
als reintschechisch behandelte Ortsgemeinde sich gleichwohl aus deutschen und
tschechischen Ortschaften zusammensetzen, ja sie kann von der Sprachgrenze so ge¬
schnitten werden, daß diese nicht Sprachinseln, sondern Teile der geschlossenen
Vvlksgebiete darstellen. Eine größere Anzahl Ortsgemeinden bilden einen Gerichts¬
bezirk. Dieser ist in Böhmen zugleich Straßcnbezirk usw. und Gebiet der Bezirks¬
vertretung, die gleich der Ortsgemeinde Umlagen vorschreiben kann. Ein oder
mehrere Gerichtsbezirke bilden dann den politischen Bezirk oder die Bezirkshaupt¬
mannschaft. Die neue Verordnung faßt dann mehrere Bezirkshauptmannschaften
zu Kreisen oder Kreishauptmannschaften zusammen. Da nun die Beziehungen
des einzelnen zu den Einheiten niedriger Ordnung, deren Sitz ihm auch am
nächsten liegt, die lebhaftesten sind, wird nationaler Druck auch in diesen am
lebhaftesten empfunden. Die Zugehörigkeit zu einer fremdnationalen Ortsgemeinde
oder einem solchen Gerichtsbezirk ist aber auch deshalb fühlbarer, als die'.zu einer
Bezirkshauptmannschaft mit wesentlich anderssprachigem Gebiet, weil in jenen die
autonome Verwaltung zur Geltung kommt, also die nationalen Gegner über den
einzelnen, über die Minderheit oder den eine Minderheit bildenden Ort, un¬
entscheiden, ihn besteuern und bedrängen können. Die politische Bezirksbehörde
dagegen ist eine rein staatliche, grundsätzlich also national unbefangenere, und hat
kein Umlagenrecht. Auch die Verhandlungssprache in der Gemeindekanzlei, bei
Gericht und im Bezirksausschuß ist von unmittelbarerer Bedeutung als die bei
der seltener benötigten Bezirkshauptmannschaft. Eine nationale Abgrenzung, die
durchgreift und das Volk befriedigt, muß also vor allem die gemischten Orts-
gemeinden und GeriÄtsbezirke zerlegen. Die Ortschaften in sprachfreindem Ver¬
band müssen herausgenommen, entweder zu selbständigen Gemeinden gemacht oder
an gleichsprachige benachbarte Ortsgemeinden angeschlossen werden. Die dadurch
einsprachigen OrtSgemeinden aber müssen zu einsprachigen Gerichtsbezirken zu¬
sammengefaßt werden. Dann erst wären durch Umgruppierung der Gerichts¬
bezirke auch die etwa noch bestehenden gemischten Bezirkshauptmannschaften ein¬
sprachig zu machen.

Die Verordnung Hut nun aus formaljuristischen Gründen gerade das, was


Grenzboten III 1913 12
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[0157] Die nationale Abgrenzung in Böhmen waltung, einen erklecklichen Teil übernehmen sollen. Diese Art nationaler Ab¬ grenzung ließe sich sogar mit dem Sprachinselschutz verbinden, indem größere oder volksreichere Inseln einem gleichsprachigen Bezirk und Kreis als Exklaven zuge¬ teilt würden; Unbequemlichkeiten des Verkehrs- und Geschästslebens würden das allerdings in der Praxis sehr erschweren, manchenorts verhindern. Minderheiten¬ schutz im strengen Wortsinn kann dagegen von der Abgrenzung überhaupt nicht geschaffen werden; er müßte selbständig neben ihr festgelegt werden. Für die Ab¬ grenzung selbst ist aber die entscheidende Frage die der administrativen Einheiten, auf denen sie aufgebaut wird. Sie kann um so vollkommener sein, je kleiner diese sind; denn die höheren werden von der Sprachgrenze des öfteren geschnitten. Diese Frage ist die entscheidende zur Beurteilung der Verordnung vom 19. Mai 1918, welche die Kreiseinteilung vorbereitet und die von der Regierung als ein großer Schritt zur Verwirklichung der deutschen Forderungen bezeichnet wird. Die Un¬ zufriedenheit der Deutschen mit der in ihr versuchten Abgrenzung wächst, je allge¬ meiner sie bekannt wird. Man veröffentlicht Listen von preisgegebenen Minder¬ heiten. Orten und Gemeinden; man spricht davon, daß einzelne noch gerettet wurden und erörtert Schuld und Verdienst. Aber nicht die einzelnen Willkürlich- keiten und Mißgriffe, die auch vorkamen, sind die richtige Grundlage zur Beur¬ teilung der Verordnung, die von den Tschechen so stürmisch angegriffen und von ihnen im heiser gar nicht als so arger Schaden empfunden wird, sondern die grundsätzliche UnVollständigkeit. Die kleinste Verwaltungseinheit, die Ortschaft, entspricht nicht der Siedlung, sondern kann eine oder mehrere Siedlungen umfassen, isle hat geringe Selb¬ ständigkeit. Eine oder mehrere Ortschaften bilden eine Steuer-(Katastral)gemeinte, eine öder mehrere solche eine politische oder Ortsgemeinde, die sich autonom ver¬ waltet. Es kann also eine zu vierfünftel oder noch mehr tschechische und somit als reintschechisch behandelte Ortsgemeinde sich gleichwohl aus deutschen und tschechischen Ortschaften zusammensetzen, ja sie kann von der Sprachgrenze so ge¬ schnitten werden, daß diese nicht Sprachinseln, sondern Teile der geschlossenen Vvlksgebiete darstellen. Eine größere Anzahl Ortsgemeinden bilden einen Gerichts¬ bezirk. Dieser ist in Böhmen zugleich Straßcnbezirk usw. und Gebiet der Bezirks¬ vertretung, die gleich der Ortsgemeinde Umlagen vorschreiben kann. Ein oder mehrere Gerichtsbezirke bilden dann den politischen Bezirk oder die Bezirkshaupt¬ mannschaft. Die neue Verordnung faßt dann mehrere Bezirkshauptmannschaften zu Kreisen oder Kreishauptmannschaften zusammen. Da nun die Beziehungen des einzelnen zu den Einheiten niedriger Ordnung, deren Sitz ihm auch am nächsten liegt, die lebhaftesten sind, wird nationaler Druck auch in diesen am lebhaftesten empfunden. Die Zugehörigkeit zu einer fremdnationalen Ortsgemeinde oder einem solchen Gerichtsbezirk ist aber auch deshalb fühlbarer, als die'.zu einer Bezirkshauptmannschaft mit wesentlich anderssprachigem Gebiet, weil in jenen die autonome Verwaltung zur Geltung kommt, also die nationalen Gegner über den einzelnen, über die Minderheit oder den eine Minderheit bildenden Ort, un¬ entscheiden, ihn besteuern und bedrängen können. Die politische Bezirksbehörde dagegen ist eine rein staatliche, grundsätzlich also national unbefangenere, und hat kein Umlagenrecht. Auch die Verhandlungssprache in der Gemeindekanzlei, bei Gericht und im Bezirksausschuß ist von unmittelbarerer Bedeutung als die bei der seltener benötigten Bezirkshauptmannschaft. Eine nationale Abgrenzung, die durchgreift und das Volk befriedigt, muß also vor allem die gemischten Orts- gemeinden und GeriÄtsbezirke zerlegen. Die Ortschaften in sprachfreindem Ver¬ band müssen herausgenommen, entweder zu selbständigen Gemeinden gemacht oder an gleichsprachige benachbarte Ortsgemeinden angeschlossen werden. Die dadurch einsprachigen OrtSgemeinden aber müssen zu einsprachigen Gerichtsbezirken zu¬ sammengefaßt werden. Dann erst wären durch Umgruppierung der Gerichts¬ bezirke auch die etwa noch bestehenden gemischten Bezirkshauptmannschaften ein¬ sprachig zu machen. Die Verordnung Hut nun aus formaljuristischen Gründen gerade das, was Grenzboten III 1913 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/157>, abgerufen am 01.07.2024.