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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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mehr in Ordnung zu bringen, weil sie von der Starrheit der religiösen Vor¬
schriften unterdrückt wurde und eben hierdurch, durch ihr Unterdrücktwerden, den
unbeschränkten Freiheitsgedanken bloßgelegt hat.

Nun aber hatte sich eine konventionell fortgeführte und für die handfeste
Praxis höchst brauchbare Regelung der äußeren Lebensweise eingestellt. Sie
wurde ebenfalls für alle Zweifelsfälle des sittlich-praMschen Handelns, welche die
religiöse Gewohnheit unbeantwortet ließ, zu einem Regulativ. Das Ergebnis war
einerseits, daß die angelsächsische Sittlichkeit vollzählig in festen Normen kursiert.
Sie kennt keine offenen Fragen. Und andererseits war es das Ergebnis, das
eine zwar nicht äußerlich wahrnehmbare, wohl aber innere Zweiheit zwischen
dem reinen Menschen- und dem Konventionswert entstand. Diese innere Zwei"
heit kann allerdings nie ganz empfunden oder bewußt werden. Es fehlt ihr das
Bewußtsein einer ethischen Geltung,. da ihr mit der Kraft zur seelischen Um-
schwinguug das Gefühl ihrer eigenen Problemhaftigkeit fehlt. Das heißt: man
spürt fast bewußtlos ein Berschiedensein zwischen den gegebenen Individualitäten
und den Konventionsmaßstäben, die sie bewerten; doch man bleibt außerstande,
durch ein Erfassen des Kern- oder Drehpunktes in der sittlichen Gespanntheit den
Grund und die tiefere Bedeutung davon zu gewahren. Diese Zweiheit nennt
man im Englischen Laut, der uns als Heuchelei vorkommt, ohne es wirklich zu
sein. Im bewußten subjektiven Empfinden decken sich vielmehr die fest kursierenden
Normen ebenso mit dem privaten Eigennutz, wie mit dem religiösen Gefühl. Sie
erscheinen als ein gemeinsamer Niederschlag in der gegenseitigen Sanktion dieser
beiden daruntergelagerten Kräfte, während sie in Wahrheit ein künstliches Zwangs¬
mittel sind, das ihre gegenseitige Sanktion erst ermöglicht.

Was das angelsächsische Leben dem alteurop Aschen gegenüber an innerer
' Problematik und an seelischem Reichtum einbüßt, das gewinnt es an einer selbst¬
gewisser Sicherheit des Lebensbewußtseins. Denn da es mit dem Versagen der
Fähigkeit zu inneren Umschwingungen das peinigende Gefühl einer nie aus¬
geglichenen Spannung los wird, so verliert es auch den inneren Bruch. Es ent¬
steht die bruchlose Selbstsicherheit des absolut unproblematischen Menschen. Diese
innere Ungebrochenheit hat die überlegenen Leistungen des Engländer- und Angel-
sachsentums möglich gemacht. In erster Linie ihre überlegenen Leistungen in
allem Handeln, das dem Geschäft, der Politik und allenthalben dem handgreif¬
lichen Dasein zugewandt ist. Und sie hat es bewirkt, daß dem angelsächsischen
Menschen trotz dieser ernsthaften Tüchtigkeit und trotz der Bindungen seiner Daseins¬
auffassung stets eine frische und kindhaste Naivität erhalten blieb. Er ist naiv,
da er sich nicht innerlich belastet fühlt; und weil er naiv ist, darum lebt er Som-
, sagen exzentrisch, dem Außen zugekehrt.

Das dein Außen zugekehrte Leben bleibt immer zugleich Ursache und Wirkung.
Es Hut jene ausgebildete und in keinem Punkte zweifelhafte Fertigkeit der Lebens¬
formen entwickelt, von der ich vorhin sagte, daß sie die normative Regelung der
englisch'angelsächsischen Sittlichkeit in entscheidender Weise hervorrief. Diese Fertig¬
keit der Lebensformen ist nicht etwa das Produkt einer alten nationalen Kultur
in dem Sinne, als sie das Produkt einer jeden alten und reifen Kultur sein
könnte oder sein müßte, sondern sie ging hauptsächlich aus folgendem hervor und
wird in ihrer feinen Durchführung allein hieraus klar: mit einer ursprünglichen
Wendung hatte sich der Lebensglaube des Engländers und Angelsachsen ganz und
gar vom Inneren hinweg auf die gestaltende Beherrschung und Unterwerfung
des gegebenen Daseins eingestellt, damit er in seiner Art fromm bleiben könne.
Es ist die einseitige Ausbildung der technisch-praktischen Handlungskraft, die den
Anfang tat, um immer wieder zum Ergebnis zu werden.

Aus ihr kommt aller englische und angelsächsische Machteinfluß auf der Erde.
Infolge dieses Machteinflusses z. B. verwechseln die Asiaten des Ostens die ein¬
seitige Technik mit dem europäischen Geist: da sie die europäische Kultur durch die
englische Vermittlung zuerst und zumeist kennen lernten, so fassen sie eben diese
Kultur als eine rein technisch - praktische auf. Sogar auf Europäer übt die


mehr in Ordnung zu bringen, weil sie von der Starrheit der religiösen Vor¬
schriften unterdrückt wurde und eben hierdurch, durch ihr Unterdrücktwerden, den
unbeschränkten Freiheitsgedanken bloßgelegt hat.

Nun aber hatte sich eine konventionell fortgeführte und für die handfeste
Praxis höchst brauchbare Regelung der äußeren Lebensweise eingestellt. Sie
wurde ebenfalls für alle Zweifelsfälle des sittlich-praMschen Handelns, welche die
religiöse Gewohnheit unbeantwortet ließ, zu einem Regulativ. Das Ergebnis war
einerseits, daß die angelsächsische Sittlichkeit vollzählig in festen Normen kursiert.
Sie kennt keine offenen Fragen. Und andererseits war es das Ergebnis, das
eine zwar nicht äußerlich wahrnehmbare, wohl aber innere Zweiheit zwischen
dem reinen Menschen- und dem Konventionswert entstand. Diese innere Zwei«
heit kann allerdings nie ganz empfunden oder bewußt werden. Es fehlt ihr das
Bewußtsein einer ethischen Geltung,. da ihr mit der Kraft zur seelischen Um-
schwinguug das Gefühl ihrer eigenen Problemhaftigkeit fehlt. Das heißt: man
spürt fast bewußtlos ein Berschiedensein zwischen den gegebenen Individualitäten
und den Konventionsmaßstäben, die sie bewerten; doch man bleibt außerstande,
durch ein Erfassen des Kern- oder Drehpunktes in der sittlichen Gespanntheit den
Grund und die tiefere Bedeutung davon zu gewahren. Diese Zweiheit nennt
man im Englischen Laut, der uns als Heuchelei vorkommt, ohne es wirklich zu
sein. Im bewußten subjektiven Empfinden decken sich vielmehr die fest kursierenden
Normen ebenso mit dem privaten Eigennutz, wie mit dem religiösen Gefühl. Sie
erscheinen als ein gemeinsamer Niederschlag in der gegenseitigen Sanktion dieser
beiden daruntergelagerten Kräfte, während sie in Wahrheit ein künstliches Zwangs¬
mittel sind, das ihre gegenseitige Sanktion erst ermöglicht.

Was das angelsächsische Leben dem alteurop Aschen gegenüber an innerer
' Problematik und an seelischem Reichtum einbüßt, das gewinnt es an einer selbst¬
gewisser Sicherheit des Lebensbewußtseins. Denn da es mit dem Versagen der
Fähigkeit zu inneren Umschwingungen das peinigende Gefühl einer nie aus¬
geglichenen Spannung los wird, so verliert es auch den inneren Bruch. Es ent¬
steht die bruchlose Selbstsicherheit des absolut unproblematischen Menschen. Diese
innere Ungebrochenheit hat die überlegenen Leistungen des Engländer- und Angel-
sachsentums möglich gemacht. In erster Linie ihre überlegenen Leistungen in
allem Handeln, das dem Geschäft, der Politik und allenthalben dem handgreif¬
lichen Dasein zugewandt ist. Und sie hat es bewirkt, daß dem angelsächsischen
Menschen trotz dieser ernsthaften Tüchtigkeit und trotz der Bindungen seiner Daseins¬
auffassung stets eine frische und kindhaste Naivität erhalten blieb. Er ist naiv,
da er sich nicht innerlich belastet fühlt; und weil er naiv ist, darum lebt er Som-
, sagen exzentrisch, dem Außen zugekehrt.

Das dein Außen zugekehrte Leben bleibt immer zugleich Ursache und Wirkung.
Es Hut jene ausgebildete und in keinem Punkte zweifelhafte Fertigkeit der Lebens¬
formen entwickelt, von der ich vorhin sagte, daß sie die normative Regelung der
englisch'angelsächsischen Sittlichkeit in entscheidender Weise hervorrief. Diese Fertig¬
keit der Lebensformen ist nicht etwa das Produkt einer alten nationalen Kultur
in dem Sinne, als sie das Produkt einer jeden alten und reifen Kultur sein
könnte oder sein müßte, sondern sie ging hauptsächlich aus folgendem hervor und
wird in ihrer feinen Durchführung allein hieraus klar: mit einer ursprünglichen
Wendung hatte sich der Lebensglaube des Engländers und Angelsachsen ganz und
gar vom Inneren hinweg auf die gestaltende Beherrschung und Unterwerfung
des gegebenen Daseins eingestellt, damit er in seiner Art fromm bleiben könne.
Es ist die einseitige Ausbildung der technisch-praktischen Handlungskraft, die den
Anfang tat, um immer wieder zum Ergebnis zu werden.

Aus ihr kommt aller englische und angelsächsische Machteinfluß auf der Erde.
Infolge dieses Machteinflusses z. B. verwechseln die Asiaten des Ostens die ein¬
seitige Technik mit dem europäischen Geist: da sie die europäische Kultur durch die
englische Vermittlung zuerst und zumeist kennen lernten, so fassen sie eben diese
Kultur als eine rein technisch - praktische auf. Sogar auf Europäer übt die


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[0152] mehr in Ordnung zu bringen, weil sie von der Starrheit der religiösen Vor¬ schriften unterdrückt wurde und eben hierdurch, durch ihr Unterdrücktwerden, den unbeschränkten Freiheitsgedanken bloßgelegt hat. Nun aber hatte sich eine konventionell fortgeführte und für die handfeste Praxis höchst brauchbare Regelung der äußeren Lebensweise eingestellt. Sie wurde ebenfalls für alle Zweifelsfälle des sittlich-praMschen Handelns, welche die religiöse Gewohnheit unbeantwortet ließ, zu einem Regulativ. Das Ergebnis war einerseits, daß die angelsächsische Sittlichkeit vollzählig in festen Normen kursiert. Sie kennt keine offenen Fragen. Und andererseits war es das Ergebnis, das eine zwar nicht äußerlich wahrnehmbare, wohl aber innere Zweiheit zwischen dem reinen Menschen- und dem Konventionswert entstand. Diese innere Zwei« heit kann allerdings nie ganz empfunden oder bewußt werden. Es fehlt ihr das Bewußtsein einer ethischen Geltung,. da ihr mit der Kraft zur seelischen Um- schwinguug das Gefühl ihrer eigenen Problemhaftigkeit fehlt. Das heißt: man spürt fast bewußtlos ein Berschiedensein zwischen den gegebenen Individualitäten und den Konventionsmaßstäben, die sie bewerten; doch man bleibt außerstande, durch ein Erfassen des Kern- oder Drehpunktes in der sittlichen Gespanntheit den Grund und die tiefere Bedeutung davon zu gewahren. Diese Zweiheit nennt man im Englischen Laut, der uns als Heuchelei vorkommt, ohne es wirklich zu sein. Im bewußten subjektiven Empfinden decken sich vielmehr die fest kursierenden Normen ebenso mit dem privaten Eigennutz, wie mit dem religiösen Gefühl. Sie erscheinen als ein gemeinsamer Niederschlag in der gegenseitigen Sanktion dieser beiden daruntergelagerten Kräfte, während sie in Wahrheit ein künstliches Zwangs¬ mittel sind, das ihre gegenseitige Sanktion erst ermöglicht. Was das angelsächsische Leben dem alteurop Aschen gegenüber an innerer ' Problematik und an seelischem Reichtum einbüßt, das gewinnt es an einer selbst¬ gewisser Sicherheit des Lebensbewußtseins. Denn da es mit dem Versagen der Fähigkeit zu inneren Umschwingungen das peinigende Gefühl einer nie aus¬ geglichenen Spannung los wird, so verliert es auch den inneren Bruch. Es ent¬ steht die bruchlose Selbstsicherheit des absolut unproblematischen Menschen. Diese innere Ungebrochenheit hat die überlegenen Leistungen des Engländer- und Angel- sachsentums möglich gemacht. In erster Linie ihre überlegenen Leistungen in allem Handeln, das dem Geschäft, der Politik und allenthalben dem handgreif¬ lichen Dasein zugewandt ist. Und sie hat es bewirkt, daß dem angelsächsischen Menschen trotz dieser ernsthaften Tüchtigkeit und trotz der Bindungen seiner Daseins¬ auffassung stets eine frische und kindhaste Naivität erhalten blieb. Er ist naiv, da er sich nicht innerlich belastet fühlt; und weil er naiv ist, darum lebt er Som- , sagen exzentrisch, dem Außen zugekehrt. Das dein Außen zugekehrte Leben bleibt immer zugleich Ursache und Wirkung. Es Hut jene ausgebildete und in keinem Punkte zweifelhafte Fertigkeit der Lebens¬ formen entwickelt, von der ich vorhin sagte, daß sie die normative Regelung der englisch'angelsächsischen Sittlichkeit in entscheidender Weise hervorrief. Diese Fertig¬ keit der Lebensformen ist nicht etwa das Produkt einer alten nationalen Kultur in dem Sinne, als sie das Produkt einer jeden alten und reifen Kultur sein könnte oder sein müßte, sondern sie ging hauptsächlich aus folgendem hervor und wird in ihrer feinen Durchführung allein hieraus klar: mit einer ursprünglichen Wendung hatte sich der Lebensglaube des Engländers und Angelsachsen ganz und gar vom Inneren hinweg auf die gestaltende Beherrschung und Unterwerfung des gegebenen Daseins eingestellt, damit er in seiner Art fromm bleiben könne. Es ist die einseitige Ausbildung der technisch-praktischen Handlungskraft, die den Anfang tat, um immer wieder zum Ergebnis zu werden. Aus ihr kommt aller englische und angelsächsische Machteinfluß auf der Erde. Infolge dieses Machteinflusses z. B. verwechseln die Asiaten des Ostens die ein¬ seitige Technik mit dem europäischen Geist: da sie die europäische Kultur durch die englische Vermittlung zuerst und zumeist kennen lernten, so fassen sie eben diese Kultur als eine rein technisch - praktische auf. Sogar auf Europäer übt die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/152>, abgerufen am 03.07.2024.