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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Das angelsächsische Knltnrgefühl

Für die blutmäßige Entstehung der Nation Englands in den früheren Jahr¬
hunderten ist eine auffallende Jneinanderwirkung von Kreuzung und Inzucht
bezeichnend. Es geschah eine starke Mischung charakterlich sehr verschiedenartiger
Elemente, die sich aber doch nicht vollkommen blutsfremd und zum Teil sogar
einander blutsverwandt waren, mit einem merklichen Übergewicht der besonders
unternehmungslustig veranlagten Art. Es vermengte sich der verschlagene und
hurtige Sinn keltischer Stämme mit der nüchternen Zähigkeit niederdeutscher Ein-
Wanderer, die dem Volke und Lands ihren Namen gaben: beides vermengte sich
sodann mit dem rohen abenteuernden Geist feindseliger Wikinger, die man Dänen
nannte, und in alles dieses zusammen drang endlich der phantastische Erobererstolz
des französisch gewordenen Normcmnentums ein. Dieser stufenweise Prozeß hat sich
in der Kürze eines halben Jahrtausends entwickelt und schloß verhältnismäßig
früh ab. Von da an zwang die insulare Lage des Landes die mannigfaltigen
Volkselemente, sich gegenseitig so völlig zu durchwachsen und zu durchtränken,
daß ein ganz neuer und in seinem Charakter zu metallischer Einheit verfestigter
Rassentypus das Ergebnis sein mußte. Und nun setzte im siebzehnten Jahr¬
hundert der Puritanismus mit seinen Wirkungen ein. Der englische Rassentypus
nahm diese Wirkungen des Puritanismus ohne Widerstand auf, indem er dafür
irgendwie empfänglich gewesen sein mag. Er sog sie geradezu in sich hinein. Aber
er verarbeitete sie mit der Abgeschlossenheit seines Charakters, so daß wieder aus
der innigen Wechselbeziehung zwischen beiden Faktoren ein neuer und besonderer
Puritanismus entstand. Es entstand gleichsam ein neuer biologischer Religions¬
typus, der aus sich heraus ein besonderes Kulturideal entwickelt hat. Ein Kultur¬
ideal, das sich gegenwärtig mit dem angelsächsisch-rassemüßigen Menschheitsideal deckt.

Wendet man den Puritanismus auf die Struktur der europäischen Seelen¬
haltung an, so ergibt sich dieses Verhältnis. Der Puritanismus läßt grundsätz¬
lich nur den religiösen Wert gellen und verbietet es, andere Werterlebnisse zu
haben. Er verurteilt alle Werterlebnisse, die. ästhetisch oder bloß ethisch oder rein
geistig und nicht religiös sind. Damit reduziert er die seelische Umschwmgung
auf das doktrinäre religiöse Gefühl, er läßt das innere Leben verarmen. Ver-
bindungslvs stellt er der überbildeten Steigerung im Religiösen die nackte Tätig¬
keitsenergie gegenüber. Aber er tötet diese keineswegs ab, weil er ihr auf der
anderen Seite, eben durch die allgemeine Verarmung des inneren Lebens, einen
um so größeren Vewcgnngsraum läßt. Es ist eine oft gemachte Beobachtung,
daß es zwischen dem alttestamentarischen Puritanismus der Calvinicmer und einer
hervorragenden Tüchtigkeit des geschäftlichen Sinnes Zusammenhänge gibt. Trotz
dieser Zusammenhänge wird jedoch das Leben in eine Zweiheit getrennt. Es
bleibt nur die Lösung: entweder das eine dem anderen unterzuordnen, die Selbst-
bewsrtung der Persönlichkeit danach zu richten und so in dem einen von beiden
Lebensbezirken unsicher oder unaufrichtig zu sein, oder aber diese Trennung bereit¬
willig in das Bewußtsein zu heben. Im letzteren Falle würde gewissermaßen
ein asketischer Geschäftstypus entstehen, der Wohl denkbar ist, den es gegeben hat
und vielleicht immer noch gibt. So war z. B. Sören Kierkegaards Vater" tags¬
über betrieb er rüstig und mit klugen Gelderfolgen sein bürgerliches Geschäft, und
des Abends tat er Buße in heißen Gebeten voll quälender Verzehrung, um sich
beim lieben Gott dafür zu entschuldigen. Er war ein ehrlicher Mann, der nie
Freude am Leben gehabt hat.

Aber für einen gerade gewachsenen, produktiv veranlagten Volks- und
Menschenschlag ist, dieses Bewußtsein einer unüberbrückbaren Trennung nicht zu
ertragen. Solche Naturen sehen sich auf das Rücksichtsloseste vor den Zwiespalt
gestellt: entweder eine reine und ganze Askese der Lebensgesimmng bis zur Selbst¬
vernichtung des handelnden Daseins auf sich zu nehmen oder zwischen beiden
Tendenzen krampfhaft eine Synthese zu erzwingen. Eine Synthese, die alle
übrigen, eigentlich verbindenden Seelenprovinzen gewalttätig ausläßt. Bei einem
Volk, in dem Wikinger und Pirateninstinkte fortlebten, wäre die absolute Asketik
auf die Dauer unmöglich gewesen. Die Heftigkeit seiner Tätigkeitsenergie hätte


Das angelsächsische Knltnrgefühl

Für die blutmäßige Entstehung der Nation Englands in den früheren Jahr¬
hunderten ist eine auffallende Jneinanderwirkung von Kreuzung und Inzucht
bezeichnend. Es geschah eine starke Mischung charakterlich sehr verschiedenartiger
Elemente, die sich aber doch nicht vollkommen blutsfremd und zum Teil sogar
einander blutsverwandt waren, mit einem merklichen Übergewicht der besonders
unternehmungslustig veranlagten Art. Es vermengte sich der verschlagene und
hurtige Sinn keltischer Stämme mit der nüchternen Zähigkeit niederdeutscher Ein-
Wanderer, die dem Volke und Lands ihren Namen gaben: beides vermengte sich
sodann mit dem rohen abenteuernden Geist feindseliger Wikinger, die man Dänen
nannte, und in alles dieses zusammen drang endlich der phantastische Erobererstolz
des französisch gewordenen Normcmnentums ein. Dieser stufenweise Prozeß hat sich
in der Kürze eines halben Jahrtausends entwickelt und schloß verhältnismäßig
früh ab. Von da an zwang die insulare Lage des Landes die mannigfaltigen
Volkselemente, sich gegenseitig so völlig zu durchwachsen und zu durchtränken,
daß ein ganz neuer und in seinem Charakter zu metallischer Einheit verfestigter
Rassentypus das Ergebnis sein mußte. Und nun setzte im siebzehnten Jahr¬
hundert der Puritanismus mit seinen Wirkungen ein. Der englische Rassentypus
nahm diese Wirkungen des Puritanismus ohne Widerstand auf, indem er dafür
irgendwie empfänglich gewesen sein mag. Er sog sie geradezu in sich hinein. Aber
er verarbeitete sie mit der Abgeschlossenheit seines Charakters, so daß wieder aus
der innigen Wechselbeziehung zwischen beiden Faktoren ein neuer und besonderer
Puritanismus entstand. Es entstand gleichsam ein neuer biologischer Religions¬
typus, der aus sich heraus ein besonderes Kulturideal entwickelt hat. Ein Kultur¬
ideal, das sich gegenwärtig mit dem angelsächsisch-rassemüßigen Menschheitsideal deckt.

Wendet man den Puritanismus auf die Struktur der europäischen Seelen¬
haltung an, so ergibt sich dieses Verhältnis. Der Puritanismus läßt grundsätz¬
lich nur den religiösen Wert gellen und verbietet es, andere Werterlebnisse zu
haben. Er verurteilt alle Werterlebnisse, die. ästhetisch oder bloß ethisch oder rein
geistig und nicht religiös sind. Damit reduziert er die seelische Umschwmgung
auf das doktrinäre religiöse Gefühl, er läßt das innere Leben verarmen. Ver-
bindungslvs stellt er der überbildeten Steigerung im Religiösen die nackte Tätig¬
keitsenergie gegenüber. Aber er tötet diese keineswegs ab, weil er ihr auf der
anderen Seite, eben durch die allgemeine Verarmung des inneren Lebens, einen
um so größeren Vewcgnngsraum läßt. Es ist eine oft gemachte Beobachtung,
daß es zwischen dem alttestamentarischen Puritanismus der Calvinicmer und einer
hervorragenden Tüchtigkeit des geschäftlichen Sinnes Zusammenhänge gibt. Trotz
dieser Zusammenhänge wird jedoch das Leben in eine Zweiheit getrennt. Es
bleibt nur die Lösung: entweder das eine dem anderen unterzuordnen, die Selbst-
bewsrtung der Persönlichkeit danach zu richten und so in dem einen von beiden
Lebensbezirken unsicher oder unaufrichtig zu sein, oder aber diese Trennung bereit¬
willig in das Bewußtsein zu heben. Im letzteren Falle würde gewissermaßen
ein asketischer Geschäftstypus entstehen, der Wohl denkbar ist, den es gegeben hat
und vielleicht immer noch gibt. So war z. B. Sören Kierkegaards Vater" tags¬
über betrieb er rüstig und mit klugen Gelderfolgen sein bürgerliches Geschäft, und
des Abends tat er Buße in heißen Gebeten voll quälender Verzehrung, um sich
beim lieben Gott dafür zu entschuldigen. Er war ein ehrlicher Mann, der nie
Freude am Leben gehabt hat.

Aber für einen gerade gewachsenen, produktiv veranlagten Volks- und
Menschenschlag ist, dieses Bewußtsein einer unüberbrückbaren Trennung nicht zu
ertragen. Solche Naturen sehen sich auf das Rücksichtsloseste vor den Zwiespalt
gestellt: entweder eine reine und ganze Askese der Lebensgesimmng bis zur Selbst¬
vernichtung des handelnden Daseins auf sich zu nehmen oder zwischen beiden
Tendenzen krampfhaft eine Synthese zu erzwingen. Eine Synthese, die alle
übrigen, eigentlich verbindenden Seelenprovinzen gewalttätig ausläßt. Bei einem
Volk, in dem Wikinger und Pirateninstinkte fortlebten, wäre die absolute Asketik
auf die Dauer unmöglich gewesen. Die Heftigkeit seiner Tätigkeitsenergie hätte


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[0150] Das angelsächsische Knltnrgefühl Für die blutmäßige Entstehung der Nation Englands in den früheren Jahr¬ hunderten ist eine auffallende Jneinanderwirkung von Kreuzung und Inzucht bezeichnend. Es geschah eine starke Mischung charakterlich sehr verschiedenartiger Elemente, die sich aber doch nicht vollkommen blutsfremd und zum Teil sogar einander blutsverwandt waren, mit einem merklichen Übergewicht der besonders unternehmungslustig veranlagten Art. Es vermengte sich der verschlagene und hurtige Sinn keltischer Stämme mit der nüchternen Zähigkeit niederdeutscher Ein- Wanderer, die dem Volke und Lands ihren Namen gaben: beides vermengte sich sodann mit dem rohen abenteuernden Geist feindseliger Wikinger, die man Dänen nannte, und in alles dieses zusammen drang endlich der phantastische Erobererstolz des französisch gewordenen Normcmnentums ein. Dieser stufenweise Prozeß hat sich in der Kürze eines halben Jahrtausends entwickelt und schloß verhältnismäßig früh ab. Von da an zwang die insulare Lage des Landes die mannigfaltigen Volkselemente, sich gegenseitig so völlig zu durchwachsen und zu durchtränken, daß ein ganz neuer und in seinem Charakter zu metallischer Einheit verfestigter Rassentypus das Ergebnis sein mußte. Und nun setzte im siebzehnten Jahr¬ hundert der Puritanismus mit seinen Wirkungen ein. Der englische Rassentypus nahm diese Wirkungen des Puritanismus ohne Widerstand auf, indem er dafür irgendwie empfänglich gewesen sein mag. Er sog sie geradezu in sich hinein. Aber er verarbeitete sie mit der Abgeschlossenheit seines Charakters, so daß wieder aus der innigen Wechselbeziehung zwischen beiden Faktoren ein neuer und besonderer Puritanismus entstand. Es entstand gleichsam ein neuer biologischer Religions¬ typus, der aus sich heraus ein besonderes Kulturideal entwickelt hat. Ein Kultur¬ ideal, das sich gegenwärtig mit dem angelsächsisch-rassemüßigen Menschheitsideal deckt. Wendet man den Puritanismus auf die Struktur der europäischen Seelen¬ haltung an, so ergibt sich dieses Verhältnis. Der Puritanismus läßt grundsätz¬ lich nur den religiösen Wert gellen und verbietet es, andere Werterlebnisse zu haben. Er verurteilt alle Werterlebnisse, die. ästhetisch oder bloß ethisch oder rein geistig und nicht religiös sind. Damit reduziert er die seelische Umschwmgung auf das doktrinäre religiöse Gefühl, er läßt das innere Leben verarmen. Ver- bindungslvs stellt er der überbildeten Steigerung im Religiösen die nackte Tätig¬ keitsenergie gegenüber. Aber er tötet diese keineswegs ab, weil er ihr auf der anderen Seite, eben durch die allgemeine Verarmung des inneren Lebens, einen um so größeren Vewcgnngsraum läßt. Es ist eine oft gemachte Beobachtung, daß es zwischen dem alttestamentarischen Puritanismus der Calvinicmer und einer hervorragenden Tüchtigkeit des geschäftlichen Sinnes Zusammenhänge gibt. Trotz dieser Zusammenhänge wird jedoch das Leben in eine Zweiheit getrennt. Es bleibt nur die Lösung: entweder das eine dem anderen unterzuordnen, die Selbst- bewsrtung der Persönlichkeit danach zu richten und so in dem einen von beiden Lebensbezirken unsicher oder unaufrichtig zu sein, oder aber diese Trennung bereit¬ willig in das Bewußtsein zu heben. Im letzteren Falle würde gewissermaßen ein asketischer Geschäftstypus entstehen, der Wohl denkbar ist, den es gegeben hat und vielleicht immer noch gibt. So war z. B. Sören Kierkegaards Vater" tags¬ über betrieb er rüstig und mit klugen Gelderfolgen sein bürgerliches Geschäft, und des Abends tat er Buße in heißen Gebeten voll quälender Verzehrung, um sich beim lieben Gott dafür zu entschuldigen. Er war ein ehrlicher Mann, der nie Freude am Leben gehabt hat. Aber für einen gerade gewachsenen, produktiv veranlagten Volks- und Menschenschlag ist, dieses Bewußtsein einer unüberbrückbaren Trennung nicht zu ertragen. Solche Naturen sehen sich auf das Rücksichtsloseste vor den Zwiespalt gestellt: entweder eine reine und ganze Askese der Lebensgesimmng bis zur Selbst¬ vernichtung des handelnden Daseins auf sich zu nehmen oder zwischen beiden Tendenzen krampfhaft eine Synthese zu erzwingen. Eine Synthese, die alle übrigen, eigentlich verbindenden Seelenprovinzen gewalttätig ausläßt. Bei einem Volk, in dem Wikinger und Pirateninstinkte fortlebten, wäre die absolute Asketik auf die Dauer unmöglich gewesen. Die Heftigkeit seiner Tätigkeitsenergie hätte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/150>, abgerufen am 25.08.2024.