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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die schwedische Gemeindcwahlreform

lebensfähige Selbstverwaltung entwickelt haben, so fällt das nicht ins Gewicht.
Die Hauptsache ist, daß nach dem demokratischen Standpunkte immer Persönlich-
keitsprinzipien die Grundlage der politischen Berechtigung bilden müssen. Auch
die Gefährdung des Zweikammersystems durch Aufhebung der Wesensverschieden¬
heit der beiden Kammern kommt nicht in Betracht. Denn das Zweikammersystem
bildet nach dem demokratischen Prinzip nur eine Gewähr für eine mehrfache gründ¬
liche Behandlung der Vorlagen. Die erste Kammer soll die mehr stetige, die
zweite die mehr wechselnde Volksmeinung vertreten, wobei es allerdings ein Rätsel
bleibt, wie eine Volksmeinung gleichzeitig stetig und wechselnd sein kann, aber
keineswegs die erste Kammer andere Volkselemente als die zweite.

Ein solcher Ausschußantrag geht nun in Schweden beiden Kammern gleich¬
zeitig zu, damit jede Kammer, unbeeinflußt von der anderen, über die Vorlage
beraten und beschließen kann. So geschah es auch hier. Am 8. Juni 1918 wurde
in beiden Kammern gleichzeitig über die Reform des Gemeindewahlrechtes ein¬
schließlich des Wahlrechtes zum Landsthing beraten und beschlossen.

Bei den Verhandlungen wies die Rechte besonders auf den entscheidenden
Punkt hin, die Zerstörung der bisherigen Stellung der ersten Kammer, womit ein
wirkliches Zweikammersystem untergraben werde. Libcralerseits suchte man diese
Tatsache des Kampfes um die politische Macht in der ersten Kammer und damit
im Staate überhaupt zu vertuschen und sich dabei mit politischen Schlagworten
wie dem bekannten Persönlichkeitsprinzip zu decken. Die Sozialdemokraten waren
wie immer offenherziger. Der Sozialdemokrat Ström verstieg sich dabei sogar
schon zu der Forderung, L^rtlrsginsm esLö cislencwm, die erste Kammer müsse
zermalmt werden, was übrigens der sozialdemokratische Führer Hjalmar Brämung
schon früher verlangt hatte.

Auf die Erhaltung des vierzig stufigen Gemeindestimmrechtes versteifte sich
die Rechte keineswegs, nur das gleiche Stimmrecht lehnte sie ab. Der Minister
des Innern glaubte daraus schon Hoffnungen schöpfen zu können. Er könne das¬
selbe sagen, wie der deutsche Feldherr zum Kaiser nach der ersten Märzoffensive,
man könne zufrieden sein mit dem ersten Vorgehen -- ohne im übrigen einen
Vergleich zu ziehen zwischen der schwedischen Demokratie und dem deutschen Heere!
Ein solcher Vergleich wäre kränkend -- für die schwedische Demokratie oder für
das deutsche Heer?

Aber an einem abgestuften Stimmrecht, daS der höheren Leistung und
Tüchtigkeit auch ein größeres Stimmgewicht gab, glaubte die Rechte festhalten zu
müssen. Dem entgegnete allerdings in der ersten Kammer der sozialdemokratische
Vertreter Olsson von Göteborg, weder kluge noch einfältige Leute könnten ver¬
stehen, weshalb, wenn es wirklich die klügeren wären, die mehrere Stimmen
halten, sie außer der Gabe ihrer Klugheit auch noch den Vorteil mehrerer Stimmen
haben müßten. Also würde sich nach dieser sozialdemokratischen Weisheit vielleicht
ein Mehrstimmenrecht der Dummen empfehlen, um sie für ihre Dummheit wenigstens
einigermaßen zu entschädigen.

Die Quintessenz der Weisheit bildete schließlich die Drohung, die Vorlage
werde, diesmal abgelehnt, nächstens in verschärfter Form, also doch wohl als das-
sozialdemokratische allgemeine Stimmrecht ohne Zensus, wiederkehren. Namentlich
der Sozialdemokrat Branting erklärte in der zweiten Kammer, die Halsstarrigkeit
der Rechten müsse doch manche Liberale überzeugen, daß sie lieber den Sozial¬
demokraten zu folgen hätten, Vielleicht war aber die politische Lehre für die
Liberalen gerade die entgegengesetzte, daß nämlich die Reform ohne die Konser¬
vativen nicht durchzusetzen sei.

. Das Ergebnis der Beschlußfassung war nach den Parteiverhältnissen in
beiden Kammern vorauszusehen. Die zweite Kammer nahm die Negierungs¬
und Ausschußvorlage mit dem gleichen Gemeindewahlrecht aller Steuerzahler
unter Abschaffung des Wahlrechtes der Unmündigen und der Gesellschaften
mit 122 gegen 60 Stimmen an. Die erste Kammer lehnte sie mit 70 gegen
50 Stimmen ab.


Die schwedische Gemeindcwahlreform

lebensfähige Selbstverwaltung entwickelt haben, so fällt das nicht ins Gewicht.
Die Hauptsache ist, daß nach dem demokratischen Standpunkte immer Persönlich-
keitsprinzipien die Grundlage der politischen Berechtigung bilden müssen. Auch
die Gefährdung des Zweikammersystems durch Aufhebung der Wesensverschieden¬
heit der beiden Kammern kommt nicht in Betracht. Denn das Zweikammersystem
bildet nach dem demokratischen Prinzip nur eine Gewähr für eine mehrfache gründ¬
liche Behandlung der Vorlagen. Die erste Kammer soll die mehr stetige, die
zweite die mehr wechselnde Volksmeinung vertreten, wobei es allerdings ein Rätsel
bleibt, wie eine Volksmeinung gleichzeitig stetig und wechselnd sein kann, aber
keineswegs die erste Kammer andere Volkselemente als die zweite.

Ein solcher Ausschußantrag geht nun in Schweden beiden Kammern gleich¬
zeitig zu, damit jede Kammer, unbeeinflußt von der anderen, über die Vorlage
beraten und beschließen kann. So geschah es auch hier. Am 8. Juni 1918 wurde
in beiden Kammern gleichzeitig über die Reform des Gemeindewahlrechtes ein¬
schließlich des Wahlrechtes zum Landsthing beraten und beschlossen.

Bei den Verhandlungen wies die Rechte besonders auf den entscheidenden
Punkt hin, die Zerstörung der bisherigen Stellung der ersten Kammer, womit ein
wirkliches Zweikammersystem untergraben werde. Libcralerseits suchte man diese
Tatsache des Kampfes um die politische Macht in der ersten Kammer und damit
im Staate überhaupt zu vertuschen und sich dabei mit politischen Schlagworten
wie dem bekannten Persönlichkeitsprinzip zu decken. Die Sozialdemokraten waren
wie immer offenherziger. Der Sozialdemokrat Ström verstieg sich dabei sogar
schon zu der Forderung, L^rtlrsginsm esLö cislencwm, die erste Kammer müsse
zermalmt werden, was übrigens der sozialdemokratische Führer Hjalmar Brämung
schon früher verlangt hatte.

Auf die Erhaltung des vierzig stufigen Gemeindestimmrechtes versteifte sich
die Rechte keineswegs, nur das gleiche Stimmrecht lehnte sie ab. Der Minister
des Innern glaubte daraus schon Hoffnungen schöpfen zu können. Er könne das¬
selbe sagen, wie der deutsche Feldherr zum Kaiser nach der ersten Märzoffensive,
man könne zufrieden sein mit dem ersten Vorgehen — ohne im übrigen einen
Vergleich zu ziehen zwischen der schwedischen Demokratie und dem deutschen Heere!
Ein solcher Vergleich wäre kränkend — für die schwedische Demokratie oder für
das deutsche Heer?

Aber an einem abgestuften Stimmrecht, daS der höheren Leistung und
Tüchtigkeit auch ein größeres Stimmgewicht gab, glaubte die Rechte festhalten zu
müssen. Dem entgegnete allerdings in der ersten Kammer der sozialdemokratische
Vertreter Olsson von Göteborg, weder kluge noch einfältige Leute könnten ver¬
stehen, weshalb, wenn es wirklich die klügeren wären, die mehrere Stimmen
halten, sie außer der Gabe ihrer Klugheit auch noch den Vorteil mehrerer Stimmen
haben müßten. Also würde sich nach dieser sozialdemokratischen Weisheit vielleicht
ein Mehrstimmenrecht der Dummen empfehlen, um sie für ihre Dummheit wenigstens
einigermaßen zu entschädigen.

Die Quintessenz der Weisheit bildete schließlich die Drohung, die Vorlage
werde, diesmal abgelehnt, nächstens in verschärfter Form, also doch wohl als das-
sozialdemokratische allgemeine Stimmrecht ohne Zensus, wiederkehren. Namentlich
der Sozialdemokrat Branting erklärte in der zweiten Kammer, die Halsstarrigkeit
der Rechten müsse doch manche Liberale überzeugen, daß sie lieber den Sozial¬
demokraten zu folgen hätten, Vielleicht war aber die politische Lehre für die
Liberalen gerade die entgegengesetzte, daß nämlich die Reform ohne die Konser¬
vativen nicht durchzusetzen sei.

. Das Ergebnis der Beschlußfassung war nach den Parteiverhältnissen in
beiden Kammern vorauszusehen. Die zweite Kammer nahm die Negierungs¬
und Ausschußvorlage mit dem gleichen Gemeindewahlrecht aller Steuerzahler
unter Abschaffung des Wahlrechtes der Unmündigen und der Gesellschaften
mit 122 gegen 60 Stimmen an. Die erste Kammer lehnte sie mit 70 gegen
50 Stimmen ab.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/132>, abgerufen am 01.07.2024.