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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

eine Neueinteilung der Provinzen verbunden zu werden, die dem Wechsel der
wirtsckiastlichen Interessengemeinschaft Rechnung trägt. Wie 1848 und wie indem
Jahrzehnt um 1870 spielen die Fragen der Selbstverwaltung und die Forderung
selbständiger Provinzen in das alles beschattende preußisch-deutsche Problem sowie
in die staatsrechtlichen und politischen Beziehungen zwischen Preußen, dem Reich
und dem Reichslande hinüber. Wie in den Jahrzehnten vor der Reichsgründung
darf man die Frage aufwerfen, ob nicht die Durchführung der preußischen Ver¬
fassungsreform das Schwergewicht der eigentlichen Verwaltung von selbst in die
Provinzen verlegen werde. Nur so können, wie es scheint/ in der Tat die wich¬
tigen, auf langfristige Vorbereitung und Durchführung angelegten Aufgaben der
laufenden Verwaltung dem wechselnden Kampf der Parteien um politischen und
wirtschaftlichen Einfluß entzogen werden. Aufs neue werden die Gedanken wach,
die Friedrich Oetker bei der Empfehlung einer Reichsprovinz Elsaß-Lothringen
als Bindeglied zwischen Preußen und dem Reiche leiteten. Nicht nur Preußens
Staatsverfassung weitet sich zur Aufnahme neuer Wählermassen, auch seine Ver¬
waltung schafft' Platz zur Einverleibung neuer Territorien. Der neue Reichs¬
gedanke, der im Gefolge der Weltkrisis von 1914 über Preußen emporgewachsen
ist, muß und wird den JMuscharakter seines Wesens als Erbe eigensüchtiger
brandenburgisch-preußischer Territorialinteressen und als Vormacht Deutschlands
überwinden, wenn es dem Staat der Hohenzollern gelingt, sich auch jetzt wieder
wie in den Tagen von Belle-Alliance .Kräfte dienstbar zu machen, die bislang
ungenützt in den Außenbezirken des Reiches, im Osten und Westen, verdorrten.

Die Forderung von Gerhard Anschütz zwar, "Preußen so zu regieren, als
wäre es Reichsland", und damit den alten unitarischen Wunsch von 1848 restlos
durchzuführen, bleibt vorderhand unerfüllbar. Wir wollen auch im neuen Deutsch¬
land die Kräfte des alten Preußen nicht missen! Vorsichtige "Verkoppelung",
nicht "Vereinödung" muß das Ziel der territorialen und verfassungsrechtlichen
"Flurbereinigung" sein, die ein ernstes Gebot der Zukunft ist. Aber freudig dürfen
wir gerade hier die Anregung wiederholen, in der Anschütz und Friedrich Meinecke
zusammenstimmen: durch Stärkung der verfassungsmäßigen Stellung des Reichs¬
kanzlers in Preußen "eine organische Wiederherstellung der Machtstellung" herbei¬
zuführen, die Bismarck sowohl in Preußen wie im Reiche tatsächlich besaß. Und
nachdrücklich sei darauf hingewiesen, daß ein Grundpfeiler dieses Einflusses die
alle Abhängigkeit des "Reich'Standes" vom Reichskanzleramt in Berlin, der .Haupt¬
stadt und dein Herz des preußischen Staates, war. Von Dauer aber kann dies
engere Verhältnis zwischen Preußen, dem Reich und dem Reichsland nur werden,
wenn in der Tat Wahlreform und Verwaltungsreform in Preußen selbst die Kräfte
entfesseln, die von den Vogesen zur Memel, ja darüber weit hinaus ins baltische
Land alle Volksgenossen aufs innigste verbinden, -- wenn die geschichtliche Entwick¬
lung der deutschen Einheitsbewegung zur endgültigen Lösung auch der neuen Probleme
ühU, die die Stellung Elsaß und Lothringens im Sturm des Weltkrieges bietet.

Allenthalben um uns flutet das Leben, regsamer und lebendiger denn je.
Als "heimlicher König der modernen Kultur" zerbricht es rücksichtslos die Formen,
die sein Wesen beengen, und die den aufschießenden Saft zu ersticken drohen. Es
macht auch vor den Formen der Verfassung nicht Halt, deren System jahrzehnte-,
ja jahrhundertelange Überlieferung zu heiligen schien. Eifrig sind Politiker,
Staatsrechtler und Volkswirte am Werke, dem neuen Mitteleuropa ein neues
Kleid anzupassen, nachdem sich die alte, vom Edelrose nationaler Geschichte ver¬
goldete Rüstung als zu schwerfällig erwiesen hat. Und auch im Kernlande des
neuen Bundes, im Deutschen Reiche, regt sich das politische Interesse mächtig
genug. Allenthalben werden die Probleme wieder aufgenommen, die bereits in
den großen Krisen der deutschen Einheitsbewegung vor demi Forum der Nation
und im Kreise der engeren Heimat eifrig erörtert wurden: aus Idealen und Irr¬
tümern ersteht in den Flammen eines ungeheuren Weltkrieges der realpolitische
Begriff des neuen Reiches, das im Osten und Westen alte, wiedererrungene Ge¬
bete dem bewährten und verjüngten Führerstaat anvertraut.


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

eine Neueinteilung der Provinzen verbunden zu werden, die dem Wechsel der
wirtsckiastlichen Interessengemeinschaft Rechnung trägt. Wie 1848 und wie indem
Jahrzehnt um 1870 spielen die Fragen der Selbstverwaltung und die Forderung
selbständiger Provinzen in das alles beschattende preußisch-deutsche Problem sowie
in die staatsrechtlichen und politischen Beziehungen zwischen Preußen, dem Reich
und dem Reichslande hinüber. Wie in den Jahrzehnten vor der Reichsgründung
darf man die Frage aufwerfen, ob nicht die Durchführung der preußischen Ver¬
fassungsreform das Schwergewicht der eigentlichen Verwaltung von selbst in die
Provinzen verlegen werde. Nur so können, wie es scheint/ in der Tat die wich¬
tigen, auf langfristige Vorbereitung und Durchführung angelegten Aufgaben der
laufenden Verwaltung dem wechselnden Kampf der Parteien um politischen und
wirtschaftlichen Einfluß entzogen werden. Aufs neue werden die Gedanken wach,
die Friedrich Oetker bei der Empfehlung einer Reichsprovinz Elsaß-Lothringen
als Bindeglied zwischen Preußen und dem Reiche leiteten. Nicht nur Preußens
Staatsverfassung weitet sich zur Aufnahme neuer Wählermassen, auch seine Ver¬
waltung schafft' Platz zur Einverleibung neuer Territorien. Der neue Reichs¬
gedanke, der im Gefolge der Weltkrisis von 1914 über Preußen emporgewachsen
ist, muß und wird den JMuscharakter seines Wesens als Erbe eigensüchtiger
brandenburgisch-preußischer Territorialinteressen und als Vormacht Deutschlands
überwinden, wenn es dem Staat der Hohenzollern gelingt, sich auch jetzt wieder
wie in den Tagen von Belle-Alliance .Kräfte dienstbar zu machen, die bislang
ungenützt in den Außenbezirken des Reiches, im Osten und Westen, verdorrten.

Die Forderung von Gerhard Anschütz zwar, „Preußen so zu regieren, als
wäre es Reichsland", und damit den alten unitarischen Wunsch von 1848 restlos
durchzuführen, bleibt vorderhand unerfüllbar. Wir wollen auch im neuen Deutsch¬
land die Kräfte des alten Preußen nicht missen! Vorsichtige „Verkoppelung",
nicht „Vereinödung" muß das Ziel der territorialen und verfassungsrechtlichen
„Flurbereinigung" sein, die ein ernstes Gebot der Zukunft ist. Aber freudig dürfen
wir gerade hier die Anregung wiederholen, in der Anschütz und Friedrich Meinecke
zusammenstimmen: durch Stärkung der verfassungsmäßigen Stellung des Reichs¬
kanzlers in Preußen „eine organische Wiederherstellung der Machtstellung" herbei¬
zuführen, die Bismarck sowohl in Preußen wie im Reiche tatsächlich besaß. Und
nachdrücklich sei darauf hingewiesen, daß ein Grundpfeiler dieses Einflusses die
alle Abhängigkeit des „Reich'Standes" vom Reichskanzleramt in Berlin, der .Haupt¬
stadt und dein Herz des preußischen Staates, war. Von Dauer aber kann dies
engere Verhältnis zwischen Preußen, dem Reich und dem Reichsland nur werden,
wenn in der Tat Wahlreform und Verwaltungsreform in Preußen selbst die Kräfte
entfesseln, die von den Vogesen zur Memel, ja darüber weit hinaus ins baltische
Land alle Volksgenossen aufs innigste verbinden, — wenn die geschichtliche Entwick¬
lung der deutschen Einheitsbewegung zur endgültigen Lösung auch der neuen Probleme
ühU, die die Stellung Elsaß und Lothringens im Sturm des Weltkrieges bietet.

Allenthalben um uns flutet das Leben, regsamer und lebendiger denn je.
Als „heimlicher König der modernen Kultur" zerbricht es rücksichtslos die Formen,
die sein Wesen beengen, und die den aufschießenden Saft zu ersticken drohen. Es
macht auch vor den Formen der Verfassung nicht Halt, deren System jahrzehnte-,
ja jahrhundertelange Überlieferung zu heiligen schien. Eifrig sind Politiker,
Staatsrechtler und Volkswirte am Werke, dem neuen Mitteleuropa ein neues
Kleid anzupassen, nachdem sich die alte, vom Edelrose nationaler Geschichte ver¬
goldete Rüstung als zu schwerfällig erwiesen hat. Und auch im Kernlande des
neuen Bundes, im Deutschen Reiche, regt sich das politische Interesse mächtig
genug. Allenthalben werden die Probleme wieder aufgenommen, die bereits in
den großen Krisen der deutschen Einheitsbewegung vor demi Forum der Nation
und im Kreise der engeren Heimat eifrig erörtert wurden: aus Idealen und Irr¬
tümern ersteht in den Flammen eines ungeheuren Weltkrieges der realpolitische
Begriff des neuen Reiches, das im Osten und Westen alte, wiedererrungene Ge¬
bete dem bewährten und verjüngten Führerstaat anvertraut.


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[0128] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage eine Neueinteilung der Provinzen verbunden zu werden, die dem Wechsel der wirtsckiastlichen Interessengemeinschaft Rechnung trägt. Wie 1848 und wie indem Jahrzehnt um 1870 spielen die Fragen der Selbstverwaltung und die Forderung selbständiger Provinzen in das alles beschattende preußisch-deutsche Problem sowie in die staatsrechtlichen und politischen Beziehungen zwischen Preußen, dem Reich und dem Reichslande hinüber. Wie in den Jahrzehnten vor der Reichsgründung darf man die Frage aufwerfen, ob nicht die Durchführung der preußischen Ver¬ fassungsreform das Schwergewicht der eigentlichen Verwaltung von selbst in die Provinzen verlegen werde. Nur so können, wie es scheint/ in der Tat die wich¬ tigen, auf langfristige Vorbereitung und Durchführung angelegten Aufgaben der laufenden Verwaltung dem wechselnden Kampf der Parteien um politischen und wirtschaftlichen Einfluß entzogen werden. Aufs neue werden die Gedanken wach, die Friedrich Oetker bei der Empfehlung einer Reichsprovinz Elsaß-Lothringen als Bindeglied zwischen Preußen und dem Reiche leiteten. Nicht nur Preußens Staatsverfassung weitet sich zur Aufnahme neuer Wählermassen, auch seine Ver¬ waltung schafft' Platz zur Einverleibung neuer Territorien. Der neue Reichs¬ gedanke, der im Gefolge der Weltkrisis von 1914 über Preußen emporgewachsen ist, muß und wird den JMuscharakter seines Wesens als Erbe eigensüchtiger brandenburgisch-preußischer Territorialinteressen und als Vormacht Deutschlands überwinden, wenn es dem Staat der Hohenzollern gelingt, sich auch jetzt wieder wie in den Tagen von Belle-Alliance .Kräfte dienstbar zu machen, die bislang ungenützt in den Außenbezirken des Reiches, im Osten und Westen, verdorrten. Die Forderung von Gerhard Anschütz zwar, „Preußen so zu regieren, als wäre es Reichsland", und damit den alten unitarischen Wunsch von 1848 restlos durchzuführen, bleibt vorderhand unerfüllbar. Wir wollen auch im neuen Deutsch¬ land die Kräfte des alten Preußen nicht missen! Vorsichtige „Verkoppelung", nicht „Vereinödung" muß das Ziel der territorialen und verfassungsrechtlichen „Flurbereinigung" sein, die ein ernstes Gebot der Zukunft ist. Aber freudig dürfen wir gerade hier die Anregung wiederholen, in der Anschütz und Friedrich Meinecke zusammenstimmen: durch Stärkung der verfassungsmäßigen Stellung des Reichs¬ kanzlers in Preußen „eine organische Wiederherstellung der Machtstellung" herbei¬ zuführen, die Bismarck sowohl in Preußen wie im Reiche tatsächlich besaß. Und nachdrücklich sei darauf hingewiesen, daß ein Grundpfeiler dieses Einflusses die alle Abhängigkeit des „Reich'Standes" vom Reichskanzleramt in Berlin, der .Haupt¬ stadt und dein Herz des preußischen Staates, war. Von Dauer aber kann dies engere Verhältnis zwischen Preußen, dem Reich und dem Reichsland nur werden, wenn in der Tat Wahlreform und Verwaltungsreform in Preußen selbst die Kräfte entfesseln, die von den Vogesen zur Memel, ja darüber weit hinaus ins baltische Land alle Volksgenossen aufs innigste verbinden, — wenn die geschichtliche Entwick¬ lung der deutschen Einheitsbewegung zur endgültigen Lösung auch der neuen Probleme ühU, die die Stellung Elsaß und Lothringens im Sturm des Weltkrieges bietet. Allenthalben um uns flutet das Leben, regsamer und lebendiger denn je. Als „heimlicher König der modernen Kultur" zerbricht es rücksichtslos die Formen, die sein Wesen beengen, und die den aufschießenden Saft zu ersticken drohen. Es macht auch vor den Formen der Verfassung nicht Halt, deren System jahrzehnte-, ja jahrhundertelange Überlieferung zu heiligen schien. Eifrig sind Politiker, Staatsrechtler und Volkswirte am Werke, dem neuen Mitteleuropa ein neues Kleid anzupassen, nachdem sich die alte, vom Edelrose nationaler Geschichte ver¬ goldete Rüstung als zu schwerfällig erwiesen hat. Und auch im Kernlande des neuen Bundes, im Deutschen Reiche, regt sich das politische Interesse mächtig genug. Allenthalben werden die Probleme wieder aufgenommen, die bereits in den großen Krisen der deutschen Einheitsbewegung vor demi Forum der Nation und im Kreise der engeren Heimat eifrig erörtert wurden: aus Idealen und Irr¬ tümern ersteht in den Flammen eines ungeheuren Weltkrieges der realpolitische Begriff des neuen Reiches, das im Osten und Westen alte, wiedererrungene Ge¬ bete dem bewährten und verjüngten Führerstaat anvertraut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/128>, abgerufen am 22.07.2024.