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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

daß es besser sei, Elsaß und Lothringen weiter in der Stellung als Reichsland zu be¬
lassen, "wenn die Einverleibung in Preußen nicht ohne Verstimmung möglich ist."

Das ist nicht Bismarcks Erbel Unsere Wanderung durch die Geschichte der
deutschen Einheitsbewegung und durch die mit ihr aufs engste verbundene Jdeen-
geschichte des "Reichslandes" hat gezeigt, daß die Stellung Elsaß und Lothringens
im Rahmen der Reichsgründung nicht einseitig durch die Interessen der Dynastien
bedingt wurde. Auch die Stämme und die Parteien, deren Meinungen sich in
der nationalen Sehnsucht trafen, hatten ihren voll gerüttelten Anteil. Und ebenso
reicht die Berufung auf Bismarcks Wort von der Wichtigkeit der Dynastien für
den Zusammenhalt der Nation nicht aus, auch überlebte verfassungs- und staats¬
rechtliche Institutionen zu schonen. Die Grundzüge der Politik, die der Weise
von Friedrichsruh nach 1890 mahnend und warnend als Richtschnur wies, sind
doch stets und allein nur aus der Zeit ihrer Entstehung zu erklären. Gerade den
Anhängern der Staatskunst des großen Kanzlers darf vielmehr hier ein zweites
Wort aus der berühmten Auseinandersetzung über "Dynastien und Stämme"
entgegengehalten werden, das besser als jedes andere den Standpunkt kennzeichnet,
den Bismarck im Widerstreit beider Faktoren der Reichsgründung stets festgehalten
hat, ein Wort, das Georg Cleinow mit Recht auch seiner letzten Warnung vor
übereilter Entscheidung der polnischen Frage vorangesetzt hat (,,Die Polenfrage
vor der Entscheidung": "Grenzboten" vom 10, Mai 1918 und Sonderabdruck):
"Dynastische Interessen haben in Deutschland (nur) insoweit Berechtigung, als sie
sich dem allgemeinen nationalen Neichsinteresse anpassen. Soweit aber die
dynastischen Interessen uns mit neuer Zersplitterung und Ohnmacht der Nation
bedrohen sollten, müßten sie auf ihr richtiges Maß zurückgeführt werden. Das
deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht unter fürstlichen Privatbesitz
verteilt werden." Mit den internationalen Bedenken mußten und müssen auch
dynastische Einwendungen gegen die Einverleibung des Neichslcmdes in Preußen
schwinden, sobald das Wohl des Reiches diesen Schritt erheischt.

Weit tiefer jedoch als solche Gründe hat das preußisch-deutsche Problem,
das die innere Geschichte unserer Reichsgründung durchzieht, die Entwicklung des
"Neichslcmdes" beeinflußt. Schärfer und unversöhnlicher als jeder andere politische
und wirtschaftliche Gegensatz schied, wie bereits erwähnt, das konstitutionelle Leben
des "dritten Deutschland" bis ^1848 die Länder südlich des Mains vom Norden
uno insbesondere von Preußen. Die deutsche Revolution legte diese Mauer zeit¬
weise völlig nieder, aber die Reaktion in Berlin, vor allem die Einführung des
Dreiklassenwahlrechts, richtete nur zu bald eine neue Schranke auf, die ein innigeres
politisches Jneinandereinleben ausschloß. Wir hörten, daß 1870 süddeutsche und
norddeutsche Führer der liberalen Parteien gerade- in diesem verfassungsrechtlichen
Zwiespalt das schwerste, ja das einzige Hindernis der Einverleibung Elsaß und
Lothringens in Preußen sahen. Und auch im Streit der Meinungen um die
Verfassungsreform von 1911 sind zahlreiche ähnliche Stimmen laut geworden.
Wenn daher heute die leitenden Staatsmänner des Reiches und Preußens nach
schweren inneren Kämpfen zu dem Entschluß gekommen sind, im größten deutschen
Bundesstaat das allgemeine gleiche Stimmrecht zur Grundlage des Staates zu
machen, so räumen sie damit auch das letzte Hindernis weg, das dem deutschen
Liberalismus -- im weitesten Sinne genommen -- bisher das Verständnis für
die Notwendigkeit der Vereinigung des bisherigen "Reichslandes" mit Preußen
erschwerte. Die neue Willensbildung, die uns aus Kampf und Not erwachsen
ist, greift tief hinein auch in Staatsrecht und Staatsverfassung.
"

Zugleich nutz neben der "Verfassungsreform die preußische "Verwaltungs¬
reform" das große Werk fortsetzen, das die Leiter des Staates in den Jahren
nach 1815, nach 1866 und 1870 begonnen haben. Wohl soll sie zunächst nur
alle Kräfte des Beamtentums restlos dem Allgemeinwohl dienstbar machen und
die Reibungen des allzu schwerfälligen, unübersichtlichen Räderwerkes mindern.
Aber unmittelbar scheint damit die Aufhebung überflüssiger Zwischenstellen und


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

daß es besser sei, Elsaß und Lothringen weiter in der Stellung als Reichsland zu be¬
lassen, „wenn die Einverleibung in Preußen nicht ohne Verstimmung möglich ist."

Das ist nicht Bismarcks Erbel Unsere Wanderung durch die Geschichte der
deutschen Einheitsbewegung und durch die mit ihr aufs engste verbundene Jdeen-
geschichte des „Reichslandes" hat gezeigt, daß die Stellung Elsaß und Lothringens
im Rahmen der Reichsgründung nicht einseitig durch die Interessen der Dynastien
bedingt wurde. Auch die Stämme und die Parteien, deren Meinungen sich in
der nationalen Sehnsucht trafen, hatten ihren voll gerüttelten Anteil. Und ebenso
reicht die Berufung auf Bismarcks Wort von der Wichtigkeit der Dynastien für
den Zusammenhalt der Nation nicht aus, auch überlebte verfassungs- und staats¬
rechtliche Institutionen zu schonen. Die Grundzüge der Politik, die der Weise
von Friedrichsruh nach 1890 mahnend und warnend als Richtschnur wies, sind
doch stets und allein nur aus der Zeit ihrer Entstehung zu erklären. Gerade den
Anhängern der Staatskunst des großen Kanzlers darf vielmehr hier ein zweites
Wort aus der berühmten Auseinandersetzung über „Dynastien und Stämme"
entgegengehalten werden, das besser als jedes andere den Standpunkt kennzeichnet,
den Bismarck im Widerstreit beider Faktoren der Reichsgründung stets festgehalten
hat, ein Wort, das Georg Cleinow mit Recht auch seiner letzten Warnung vor
übereilter Entscheidung der polnischen Frage vorangesetzt hat (,,Die Polenfrage
vor der Entscheidung": „Grenzboten" vom 10, Mai 1918 und Sonderabdruck):
„Dynastische Interessen haben in Deutschland (nur) insoweit Berechtigung, als sie
sich dem allgemeinen nationalen Neichsinteresse anpassen. Soweit aber die
dynastischen Interessen uns mit neuer Zersplitterung und Ohnmacht der Nation
bedrohen sollten, müßten sie auf ihr richtiges Maß zurückgeführt werden. Das
deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht unter fürstlichen Privatbesitz
verteilt werden." Mit den internationalen Bedenken mußten und müssen auch
dynastische Einwendungen gegen die Einverleibung des Neichslcmdes in Preußen
schwinden, sobald das Wohl des Reiches diesen Schritt erheischt.

Weit tiefer jedoch als solche Gründe hat das preußisch-deutsche Problem,
das die innere Geschichte unserer Reichsgründung durchzieht, die Entwicklung des
„Neichslcmdes" beeinflußt. Schärfer und unversöhnlicher als jeder andere politische
und wirtschaftliche Gegensatz schied, wie bereits erwähnt, das konstitutionelle Leben
des „dritten Deutschland" bis ^1848 die Länder südlich des Mains vom Norden
uno insbesondere von Preußen. Die deutsche Revolution legte diese Mauer zeit¬
weise völlig nieder, aber die Reaktion in Berlin, vor allem die Einführung des
Dreiklassenwahlrechts, richtete nur zu bald eine neue Schranke auf, die ein innigeres
politisches Jneinandereinleben ausschloß. Wir hörten, daß 1870 süddeutsche und
norddeutsche Führer der liberalen Parteien gerade- in diesem verfassungsrechtlichen
Zwiespalt das schwerste, ja das einzige Hindernis der Einverleibung Elsaß und
Lothringens in Preußen sahen. Und auch im Streit der Meinungen um die
Verfassungsreform von 1911 sind zahlreiche ähnliche Stimmen laut geworden.
Wenn daher heute die leitenden Staatsmänner des Reiches und Preußens nach
schweren inneren Kämpfen zu dem Entschluß gekommen sind, im größten deutschen
Bundesstaat das allgemeine gleiche Stimmrecht zur Grundlage des Staates zu
machen, so räumen sie damit auch das letzte Hindernis weg, das dem deutschen
Liberalismus — im weitesten Sinne genommen — bisher das Verständnis für
die Notwendigkeit der Vereinigung des bisherigen „Reichslandes" mit Preußen
erschwerte. Die neue Willensbildung, die uns aus Kampf und Not erwachsen
ist, greift tief hinein auch in Staatsrecht und Staatsverfassung.
"

Zugleich nutz neben der „Verfassungsreform die preußische „Verwaltungs¬
reform" das große Werk fortsetzen, das die Leiter des Staates in den Jahren
nach 1815, nach 1866 und 1870 begonnen haben. Wohl soll sie zunächst nur
alle Kräfte des Beamtentums restlos dem Allgemeinwohl dienstbar machen und
die Reibungen des allzu schwerfälligen, unübersichtlichen Räderwerkes mindern.
Aber unmittelbar scheint damit die Aufhebung überflüssiger Zwischenstellen und


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[0127] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage daß es besser sei, Elsaß und Lothringen weiter in der Stellung als Reichsland zu be¬ lassen, „wenn die Einverleibung in Preußen nicht ohne Verstimmung möglich ist." Das ist nicht Bismarcks Erbel Unsere Wanderung durch die Geschichte der deutschen Einheitsbewegung und durch die mit ihr aufs engste verbundene Jdeen- geschichte des „Reichslandes" hat gezeigt, daß die Stellung Elsaß und Lothringens im Rahmen der Reichsgründung nicht einseitig durch die Interessen der Dynastien bedingt wurde. Auch die Stämme und die Parteien, deren Meinungen sich in der nationalen Sehnsucht trafen, hatten ihren voll gerüttelten Anteil. Und ebenso reicht die Berufung auf Bismarcks Wort von der Wichtigkeit der Dynastien für den Zusammenhalt der Nation nicht aus, auch überlebte verfassungs- und staats¬ rechtliche Institutionen zu schonen. Die Grundzüge der Politik, die der Weise von Friedrichsruh nach 1890 mahnend und warnend als Richtschnur wies, sind doch stets und allein nur aus der Zeit ihrer Entstehung zu erklären. Gerade den Anhängern der Staatskunst des großen Kanzlers darf vielmehr hier ein zweites Wort aus der berühmten Auseinandersetzung über „Dynastien und Stämme" entgegengehalten werden, das besser als jedes andere den Standpunkt kennzeichnet, den Bismarck im Widerstreit beider Faktoren der Reichsgründung stets festgehalten hat, ein Wort, das Georg Cleinow mit Recht auch seiner letzten Warnung vor übereilter Entscheidung der polnischen Frage vorangesetzt hat (,,Die Polenfrage vor der Entscheidung": „Grenzboten" vom 10, Mai 1918 und Sonderabdruck): „Dynastische Interessen haben in Deutschland (nur) insoweit Berechtigung, als sie sich dem allgemeinen nationalen Neichsinteresse anpassen. Soweit aber die dynastischen Interessen uns mit neuer Zersplitterung und Ohnmacht der Nation bedrohen sollten, müßten sie auf ihr richtiges Maß zurückgeführt werden. Das deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht unter fürstlichen Privatbesitz verteilt werden." Mit den internationalen Bedenken mußten und müssen auch dynastische Einwendungen gegen die Einverleibung des Neichslcmdes in Preußen schwinden, sobald das Wohl des Reiches diesen Schritt erheischt. Weit tiefer jedoch als solche Gründe hat das preußisch-deutsche Problem, das die innere Geschichte unserer Reichsgründung durchzieht, die Entwicklung des „Neichslcmdes" beeinflußt. Schärfer und unversöhnlicher als jeder andere politische und wirtschaftliche Gegensatz schied, wie bereits erwähnt, das konstitutionelle Leben des „dritten Deutschland" bis ^1848 die Länder südlich des Mains vom Norden uno insbesondere von Preußen. Die deutsche Revolution legte diese Mauer zeit¬ weise völlig nieder, aber die Reaktion in Berlin, vor allem die Einführung des Dreiklassenwahlrechts, richtete nur zu bald eine neue Schranke auf, die ein innigeres politisches Jneinandereinleben ausschloß. Wir hörten, daß 1870 süddeutsche und norddeutsche Führer der liberalen Parteien gerade- in diesem verfassungsrechtlichen Zwiespalt das schwerste, ja das einzige Hindernis der Einverleibung Elsaß und Lothringens in Preußen sahen. Und auch im Streit der Meinungen um die Verfassungsreform von 1911 sind zahlreiche ähnliche Stimmen laut geworden. Wenn daher heute die leitenden Staatsmänner des Reiches und Preußens nach schweren inneren Kämpfen zu dem Entschluß gekommen sind, im größten deutschen Bundesstaat das allgemeine gleiche Stimmrecht zur Grundlage des Staates zu machen, so räumen sie damit auch das letzte Hindernis weg, das dem deutschen Liberalismus — im weitesten Sinne genommen — bisher das Verständnis für die Notwendigkeit der Vereinigung des bisherigen „Reichslandes" mit Preußen erschwerte. Die neue Willensbildung, die uns aus Kampf und Not erwachsen ist, greift tief hinein auch in Staatsrecht und Staatsverfassung. " Zugleich nutz neben der „Verfassungsreform die preußische „Verwaltungs¬ reform" das große Werk fortsetzen, das die Leiter des Staates in den Jahren nach 1815, nach 1866 und 1870 begonnen haben. Wohl soll sie zunächst nur alle Kräfte des Beamtentums restlos dem Allgemeinwohl dienstbar machen und die Reibungen des allzu schwerfälligen, unübersichtlichen Räderwerkes mindern. Aber unmittelbar scheint damit die Aufhebung überflüssiger Zwischenstellen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/127>, abgerufen am 22.07.2024.