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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Einheit unserer Nationalbildung

Damit aber berühren wir ein weiteres Moment, durch das sich dieses deutsch¬
moderne Kulturideal vor dem der klassischen Antike auszeichnet: der sittliche Gehalt,
der doch in der antiken Welt, wenigstens soweit die Schule sie in ihren Bereich
zieht, sehr zurücktritt. Und zwar meinen wir die christlich-sittliche Idee. Es ist
wohl nicht zu befürchten, daß man uns die besondere Stellung Goethes und
Schillers zum sogenannten positiven Christentum oder zur kirchlichen Lehre entgegen¬
halten werde. Jenseits aller konfessionellen Scheidung besteht doch eine rein
christliche Idee, die unsere klassische Dichtung von Klopstock an bis zu den Roman¬
tikern beseelt; ja es entwickelt sich in ihr ein christliches Ethos von eigenartig
deutscher Prägung! und dieses sollte unser Leben wie vor allem auch den Geist
unseres höheren Unterrichts viel stärker durchfluten, als es bisher der Fall war.
Daß unser gesamtes Bildungswesen der Aufklärung entsprossen ist, klingt noch
vernehmbar in der unsichere" oder doch gleichgültigen Haltung gegenüber der
christlichen Idee nach. Es ist im Grunde immer noch jener weltgeschichtliche
Gegensatz von Antike und Christentum, der wie ein Alpdruck auf vielen Gemütern
lastet und der auch die Einheit unserer Schulbildung zerreißt. "Es hat", so sagt
Ernst Troeltsch in einem tiefgreifenden Aufsatze über "die alte Kirche", (Logos VI,
314), "nie an solchen gefehlt, welche die Antike allein anerkennen und aus ihr die
Zeit erneuern wollen-, freilich sind sie in einer völlig aristokratischen Minderheit
und haben sie den christlichen Einschlag nie ganz tilgen können, von den Gedanken¬
losen abgesehen, die hier überhaupt kein Problem sehen und denen die Antike
einfach ein Schulgegenstand ist. Hier hat Nietzsche daS große Weckungszeichen
aufgerichtet. Aber für diesen Standpunkt gibt es nur die rückwärtsgewandte Weh¬
mut oder die schonungslose Revolution gegen Christus, deren Konsequenzen so
unermeßlich wie möglich sind. Es ist nicht anders möglich, als den Schwerpunkt
des Verhältnisses in der christlichen Ideenwelt zu sehen und es von ihr aus zu
ordnen." Dem ist mit allem Nachdruck beizustimmen, eben wegen der tieferen
ethischen Kräfte, die der christlichen Idee innewohnen. Und daß diese in der Welt
zu stärkerer Geltung gelangen, ist wohl heute ein so dringendes Verlangen, eine
so heiße Sehnsucht der Völker und Menschen, daß wir ohne solche Hoffnung an
der Zukunft der Menschheit verzweifeln müßten. Sittliche Erneuerung aber vor¬
zugsweise an das politische Leben anknüpfen zu "vollen, ist kurzsichtig; denn die
staatliche Kultur als solche bleibt allen seineren Formen der Sittlichkeit unzugänglich.
Wenn daher (z. B. von Ferdinand Jakob Schmidt) als Grundlage der einheitlichen
Volkserziehung die "müionalethische Persönlichkeusbildung" aufgestellt worden ist,
so darf dabei das Wort "national" nicht in zu engem Sinne gefaßt werden,
jedenfalls nicht im Gegensatze zu einer "humanen" Ethik des Christentums.

Ist um die Schule der Aufgabe gewachsen, ihre Zöglinge in den Geist dieser
deutschen Nationalbildung einzuführen? Wenn sie sich das Ziel so hoch steckte,
jugendlichen Geistern das Verständnis der antiken Kultur zu übermitteln, so kann
und muß sie auch imstande sein, ihnen eine Gedankenwelt zu erschließen, die uns
so viel näher liegt. Der methodische Weg wäre im allgemeinen gekennzeichnet
durch die Stufen: Dichtung, Leben, Persönlichkeit, Welt- und Lebensanschauung,
allgemeiner geistiger Gehalt, wobei zunächst Schiller der Vortritt zu gönnen ist.
während später Goethe in den Vordergrund treten müßte und zuletzt eben jenes
gemeinsame Bildungsganze zu gewinnen wäre, wie es oben angedeutet worden ist.
Dieser Weg, den die höhere Schule ganz zu durchmessen hätte, könnte in seinem
Beginne auch von der Volksschule beschritten. von der Fortbildungsschule und
sonstigen Volksbildungsanstalten weiter verfolgt werden. Damit wäre eine Art
nationaler Bildungseinheit gegeben, die neben und über aller Trennung durch
Stand, Beruf, Partei, Konfession eine gewisse innere Übereinstimmung verbürgen
und frei von aller Starrheit mit der Volksentwicklung selbst wachsen würde.

Der Schwerpunkt der ganzen Aufgabe aber liegt natürlich in der höheren
Schule, weil aus ihr die berufenen Führer der Volksbildung hervorgehen. Klassisch¬
humanistische wie modern-realistische Anstalten würden neben ihrer besonderen
Eigenart in diesem deutsch-nationalen und zugleich wahrhaft humanistischen, d. h.


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Die Einheit unserer Nationalbildung

Damit aber berühren wir ein weiteres Moment, durch das sich dieses deutsch¬
moderne Kulturideal vor dem der klassischen Antike auszeichnet: der sittliche Gehalt,
der doch in der antiken Welt, wenigstens soweit die Schule sie in ihren Bereich
zieht, sehr zurücktritt. Und zwar meinen wir die christlich-sittliche Idee. Es ist
wohl nicht zu befürchten, daß man uns die besondere Stellung Goethes und
Schillers zum sogenannten positiven Christentum oder zur kirchlichen Lehre entgegen¬
halten werde. Jenseits aller konfessionellen Scheidung besteht doch eine rein
christliche Idee, die unsere klassische Dichtung von Klopstock an bis zu den Roman¬
tikern beseelt; ja es entwickelt sich in ihr ein christliches Ethos von eigenartig
deutscher Prägung! und dieses sollte unser Leben wie vor allem auch den Geist
unseres höheren Unterrichts viel stärker durchfluten, als es bisher der Fall war.
Daß unser gesamtes Bildungswesen der Aufklärung entsprossen ist, klingt noch
vernehmbar in der unsichere« oder doch gleichgültigen Haltung gegenüber der
christlichen Idee nach. Es ist im Grunde immer noch jener weltgeschichtliche
Gegensatz von Antike und Christentum, der wie ein Alpdruck auf vielen Gemütern
lastet und der auch die Einheit unserer Schulbildung zerreißt. „Es hat", so sagt
Ernst Troeltsch in einem tiefgreifenden Aufsatze über „die alte Kirche", (Logos VI,
314), „nie an solchen gefehlt, welche die Antike allein anerkennen und aus ihr die
Zeit erneuern wollen-, freilich sind sie in einer völlig aristokratischen Minderheit
und haben sie den christlichen Einschlag nie ganz tilgen können, von den Gedanken¬
losen abgesehen, die hier überhaupt kein Problem sehen und denen die Antike
einfach ein Schulgegenstand ist. Hier hat Nietzsche daS große Weckungszeichen
aufgerichtet. Aber für diesen Standpunkt gibt es nur die rückwärtsgewandte Weh¬
mut oder die schonungslose Revolution gegen Christus, deren Konsequenzen so
unermeßlich wie möglich sind. Es ist nicht anders möglich, als den Schwerpunkt
des Verhältnisses in der christlichen Ideenwelt zu sehen und es von ihr aus zu
ordnen." Dem ist mit allem Nachdruck beizustimmen, eben wegen der tieferen
ethischen Kräfte, die der christlichen Idee innewohnen. Und daß diese in der Welt
zu stärkerer Geltung gelangen, ist wohl heute ein so dringendes Verlangen, eine
so heiße Sehnsucht der Völker und Menschen, daß wir ohne solche Hoffnung an
der Zukunft der Menschheit verzweifeln müßten. Sittliche Erneuerung aber vor¬
zugsweise an das politische Leben anknüpfen zu «vollen, ist kurzsichtig; denn die
staatliche Kultur als solche bleibt allen seineren Formen der Sittlichkeit unzugänglich.
Wenn daher (z. B. von Ferdinand Jakob Schmidt) als Grundlage der einheitlichen
Volkserziehung die „müionalethische Persönlichkeusbildung" aufgestellt worden ist,
so darf dabei das Wort „national" nicht in zu engem Sinne gefaßt werden,
jedenfalls nicht im Gegensatze zu einer „humanen" Ethik des Christentums.

Ist um die Schule der Aufgabe gewachsen, ihre Zöglinge in den Geist dieser
deutschen Nationalbildung einzuführen? Wenn sie sich das Ziel so hoch steckte,
jugendlichen Geistern das Verständnis der antiken Kultur zu übermitteln, so kann
und muß sie auch imstande sein, ihnen eine Gedankenwelt zu erschließen, die uns
so viel näher liegt. Der methodische Weg wäre im allgemeinen gekennzeichnet
durch die Stufen: Dichtung, Leben, Persönlichkeit, Welt- und Lebensanschauung,
allgemeiner geistiger Gehalt, wobei zunächst Schiller der Vortritt zu gönnen ist.
während später Goethe in den Vordergrund treten müßte und zuletzt eben jenes
gemeinsame Bildungsganze zu gewinnen wäre, wie es oben angedeutet worden ist.
Dieser Weg, den die höhere Schule ganz zu durchmessen hätte, könnte in seinem
Beginne auch von der Volksschule beschritten. von der Fortbildungsschule und
sonstigen Volksbildungsanstalten weiter verfolgt werden. Damit wäre eine Art
nationaler Bildungseinheit gegeben, die neben und über aller Trennung durch
Stand, Beruf, Partei, Konfession eine gewisse innere Übereinstimmung verbürgen
und frei von aller Starrheit mit der Volksentwicklung selbst wachsen würde.

Der Schwerpunkt der ganzen Aufgabe aber liegt natürlich in der höheren
Schule, weil aus ihr die berufenen Führer der Volksbildung hervorgehen. Klassisch¬
humanistische wie modern-realistische Anstalten würden neben ihrer besonderen
Eigenart in diesem deutsch-nationalen und zugleich wahrhaft humanistischen, d. h.


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[0031] Die Einheit unserer Nationalbildung Damit aber berühren wir ein weiteres Moment, durch das sich dieses deutsch¬ moderne Kulturideal vor dem der klassischen Antike auszeichnet: der sittliche Gehalt, der doch in der antiken Welt, wenigstens soweit die Schule sie in ihren Bereich zieht, sehr zurücktritt. Und zwar meinen wir die christlich-sittliche Idee. Es ist wohl nicht zu befürchten, daß man uns die besondere Stellung Goethes und Schillers zum sogenannten positiven Christentum oder zur kirchlichen Lehre entgegen¬ halten werde. Jenseits aller konfessionellen Scheidung besteht doch eine rein christliche Idee, die unsere klassische Dichtung von Klopstock an bis zu den Roman¬ tikern beseelt; ja es entwickelt sich in ihr ein christliches Ethos von eigenartig deutscher Prägung! und dieses sollte unser Leben wie vor allem auch den Geist unseres höheren Unterrichts viel stärker durchfluten, als es bisher der Fall war. Daß unser gesamtes Bildungswesen der Aufklärung entsprossen ist, klingt noch vernehmbar in der unsichere« oder doch gleichgültigen Haltung gegenüber der christlichen Idee nach. Es ist im Grunde immer noch jener weltgeschichtliche Gegensatz von Antike und Christentum, der wie ein Alpdruck auf vielen Gemütern lastet und der auch die Einheit unserer Schulbildung zerreißt. „Es hat", so sagt Ernst Troeltsch in einem tiefgreifenden Aufsatze über „die alte Kirche", (Logos VI, 314), „nie an solchen gefehlt, welche die Antike allein anerkennen und aus ihr die Zeit erneuern wollen-, freilich sind sie in einer völlig aristokratischen Minderheit und haben sie den christlichen Einschlag nie ganz tilgen können, von den Gedanken¬ losen abgesehen, die hier überhaupt kein Problem sehen und denen die Antike einfach ein Schulgegenstand ist. Hier hat Nietzsche daS große Weckungszeichen aufgerichtet. Aber für diesen Standpunkt gibt es nur die rückwärtsgewandte Weh¬ mut oder die schonungslose Revolution gegen Christus, deren Konsequenzen so unermeßlich wie möglich sind. Es ist nicht anders möglich, als den Schwerpunkt des Verhältnisses in der christlichen Ideenwelt zu sehen und es von ihr aus zu ordnen." Dem ist mit allem Nachdruck beizustimmen, eben wegen der tieferen ethischen Kräfte, die der christlichen Idee innewohnen. Und daß diese in der Welt zu stärkerer Geltung gelangen, ist wohl heute ein so dringendes Verlangen, eine so heiße Sehnsucht der Völker und Menschen, daß wir ohne solche Hoffnung an der Zukunft der Menschheit verzweifeln müßten. Sittliche Erneuerung aber vor¬ zugsweise an das politische Leben anknüpfen zu «vollen, ist kurzsichtig; denn die staatliche Kultur als solche bleibt allen seineren Formen der Sittlichkeit unzugänglich. Wenn daher (z. B. von Ferdinand Jakob Schmidt) als Grundlage der einheitlichen Volkserziehung die „müionalethische Persönlichkeusbildung" aufgestellt worden ist, so darf dabei das Wort „national" nicht in zu engem Sinne gefaßt werden, jedenfalls nicht im Gegensatze zu einer „humanen" Ethik des Christentums. Ist um die Schule der Aufgabe gewachsen, ihre Zöglinge in den Geist dieser deutschen Nationalbildung einzuführen? Wenn sie sich das Ziel so hoch steckte, jugendlichen Geistern das Verständnis der antiken Kultur zu übermitteln, so kann und muß sie auch imstande sein, ihnen eine Gedankenwelt zu erschließen, die uns so viel näher liegt. Der methodische Weg wäre im allgemeinen gekennzeichnet durch die Stufen: Dichtung, Leben, Persönlichkeit, Welt- und Lebensanschauung, allgemeiner geistiger Gehalt, wobei zunächst Schiller der Vortritt zu gönnen ist. während später Goethe in den Vordergrund treten müßte und zuletzt eben jenes gemeinsame Bildungsganze zu gewinnen wäre, wie es oben angedeutet worden ist. Dieser Weg, den die höhere Schule ganz zu durchmessen hätte, könnte in seinem Beginne auch von der Volksschule beschritten. von der Fortbildungsschule und sonstigen Volksbildungsanstalten weiter verfolgt werden. Damit wäre eine Art nationaler Bildungseinheit gegeben, die neben und über aller Trennung durch Stand, Beruf, Partei, Konfession eine gewisse innere Übereinstimmung verbürgen und frei von aller Starrheit mit der Volksentwicklung selbst wachsen würde. Der Schwerpunkt der ganzen Aufgabe aber liegt natürlich in der höheren Schule, weil aus ihr die berufenen Führer der Volksbildung hervorgehen. Klassisch¬ humanistische wie modern-realistische Anstalten würden neben ihrer besonderen Eigenart in diesem deutsch-nationalen und zugleich wahrhaft humanistischen, d. h. 2*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/31>, abgerufen am 22.07.2024.