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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Einheit unserer Nationalbildung

hinaus, Keime, die zu ihrer Entwicklung eines anderen Bodens bedurften, als er
den Menschen des achtzehnten Jahrhunderts geboten war. Aber noch in weiterer
Hinsicht ist das Werk unserer beiden Dichtelfürsten mehr als die bloße Summe
ihrer Taten und Bestrebungen. Es stellt durch die Ergänzung und Durchdringung
zweier an sich so gegensätzlicher seelischer Beschaffenheiten eine wahrhaft "schöpfe¬
rische Synthese" (im Sinne Wundes) dar, die reicher an Gehalt ist als die in sie
eingehenden Faktoren. Wenn wir also von einem deutschen Kulturideal sprachen,
das. wie ehemals die Antike, aller nationalen Bildung zu Grunde gelegt werden
müsse, so meinten wir eben diese umfassende geistige Welt mit ihrem ganzen idealen,
philosophischen, ethischen wie auch praktischem Bestände/ Wir bezeichnen sie kurz
mit den Namen Goethe und Schiller als ihren wesentlichen Trägern; aber sie
schließt andere Gebiete und Typen des geistigen Lebens wie Antike, Renaissance.
Kantische Philosophie und Romantik ein. Ja. insofern wir, von der persönlichen
Prägung absehend, vornehmlich den sachlichen Inhalt jenes Kulturganzen im
Auge haben, gehört dazu auch das Fortleben der Ideen in der Folgezeit, alle
Umbildungen und Erweiterungen, durch die sie erst später ihre ganze Fruchtbarkeit
entfaltet haben. Wie uns die Antike und die Renaissance, je mehr sie uns ob¬
jektiv historisch werden, als einheitliche Kulturtypen unpersönlicher -- oder, wenn
man will, überpersönlicher Art erscheinen, in denen die großen Einzelpersönlich¬
keiten nur mehr ausstrahlende Kraftpunkte sind, so kann und wird sich auch
unsere klassische Periode als ein einheitliches Ganze von scharf umrissenen
Charakterzügen immer klarer aus der Geschichte des deutschen Geistes Heraus¬
heben.

Dieses Bildungsideal darf nun in doppeltem Sinne, als national bezeichnet
werden. Zunächst ist es imstande, einen viel größeren Teil der Nation zu ergreifen
und innerlich zu durchdringen als die klassisch-humanistische Bildung, die ein
Einleben in eine längst vergangene Kultur verlangte, deren innerste Triebkräfte
uns ganz fremd sind. Es lag in diesem aristokratischen Bildungsbegriff doch etwas
von dem Klassengeist, der nicht mehr in unsere Zeit paßt. Man wird vielleicht
befürchten, daß eine solche demokratische Verbreitung der Bildung notwendig
Verflachung sei. Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß jede Masse, wie in
sozialer Hinsicht so erst recht in geistigen Dingen, das Bedürfnis hat, sich über¬
legenen Führern unterzuordnen. Mit jeder Hebung der Masse ist zugleich die
Entwicklung einer aus ihr herausragenden neuen Führergruppe verknüpft. Tiefere
Bildung, darüber kann sich der Bildungsfanatiker beruhigen, wird stets nur im
Besitz einer Minderheit sein, weil sie verhältnismäßige materielle und geistige
Unabhängigkeit voraussetzt, die immer das Vorrecht weniger ist. Wollen wir aber
eine einheitliche Nationalbildung, so kann es eben nur eine solche sein, die ihrem
deutschen ober sagen wir geradezu volkstümlichen Gehalte nach sich eignet, auch
die mittleren und niederen Schichten der Bevölkerung mit ihrem Geiste wenigstens
unbewußt zu durchtränken. Denn was auf den Höhen der Geisteswelt in be¬
wußter Gedankenarbeit erstrebt und errungen wird, teilt sich durch unzählige und
unbemerkbare Einflüsse auch denjenigen Kreisen mit, denen die Not des Alltags
für geistiges Schaffen keine Zeit und Ruhe läßt.

Das hier umschriebene Vildnngsidcal ist aber auch insofern national, als
es ein Erzeugnis der deutschen Geistesgeschichte ist. Daß in seiner historischen Er¬
scheinung allgemein menschliche und weltbürgerliche Neigungen überwogen, gehört
zu den zenlicheu Bedingtheiten, bedeutet aber, wie erwähnt, durchaus nicht'einen
unüberbrückbaren Gegensatz zu dem nationnlpolitischen Einheitsgedanten. Das eben
ist unsers Zutunftsaufgabe, das kulturelle Bildungsideal mit dein neu errungenen
Nationalgefühle, die deutsche Seele mit der politische". Form der gegenwärtigen
staatlichen Organisation harmonisch zu vereinigen. Überdies hat auch jene große
deutsche Geistesperivde ihre unmittelbare Wirkung ans die Entwicklung unserer
politischen Einheit ausgeübt; denn der Ausschwung von 1813 war ohne den be¬
fruchtenden ethischen Idealismus der Kant-Schillerschen und insbesondere Fichteschen
Weltauffassung unmöglich.


Die Einheit unserer Nationalbildung

hinaus, Keime, die zu ihrer Entwicklung eines anderen Bodens bedurften, als er
den Menschen des achtzehnten Jahrhunderts geboten war. Aber noch in weiterer
Hinsicht ist das Werk unserer beiden Dichtelfürsten mehr als die bloße Summe
ihrer Taten und Bestrebungen. Es stellt durch die Ergänzung und Durchdringung
zweier an sich so gegensätzlicher seelischer Beschaffenheiten eine wahrhaft „schöpfe¬
rische Synthese" (im Sinne Wundes) dar, die reicher an Gehalt ist als die in sie
eingehenden Faktoren. Wenn wir also von einem deutschen Kulturideal sprachen,
das. wie ehemals die Antike, aller nationalen Bildung zu Grunde gelegt werden
müsse, so meinten wir eben diese umfassende geistige Welt mit ihrem ganzen idealen,
philosophischen, ethischen wie auch praktischem Bestände/ Wir bezeichnen sie kurz
mit den Namen Goethe und Schiller als ihren wesentlichen Trägern; aber sie
schließt andere Gebiete und Typen des geistigen Lebens wie Antike, Renaissance.
Kantische Philosophie und Romantik ein. Ja. insofern wir, von der persönlichen
Prägung absehend, vornehmlich den sachlichen Inhalt jenes Kulturganzen im
Auge haben, gehört dazu auch das Fortleben der Ideen in der Folgezeit, alle
Umbildungen und Erweiterungen, durch die sie erst später ihre ganze Fruchtbarkeit
entfaltet haben. Wie uns die Antike und die Renaissance, je mehr sie uns ob¬
jektiv historisch werden, als einheitliche Kulturtypen unpersönlicher — oder, wenn
man will, überpersönlicher Art erscheinen, in denen die großen Einzelpersönlich¬
keiten nur mehr ausstrahlende Kraftpunkte sind, so kann und wird sich auch
unsere klassische Periode als ein einheitliches Ganze von scharf umrissenen
Charakterzügen immer klarer aus der Geschichte des deutschen Geistes Heraus¬
heben.

Dieses Bildungsideal darf nun in doppeltem Sinne, als national bezeichnet
werden. Zunächst ist es imstande, einen viel größeren Teil der Nation zu ergreifen
und innerlich zu durchdringen als die klassisch-humanistische Bildung, die ein
Einleben in eine längst vergangene Kultur verlangte, deren innerste Triebkräfte
uns ganz fremd sind. Es lag in diesem aristokratischen Bildungsbegriff doch etwas
von dem Klassengeist, der nicht mehr in unsere Zeit paßt. Man wird vielleicht
befürchten, daß eine solche demokratische Verbreitung der Bildung notwendig
Verflachung sei. Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß jede Masse, wie in
sozialer Hinsicht so erst recht in geistigen Dingen, das Bedürfnis hat, sich über¬
legenen Führern unterzuordnen. Mit jeder Hebung der Masse ist zugleich die
Entwicklung einer aus ihr herausragenden neuen Führergruppe verknüpft. Tiefere
Bildung, darüber kann sich der Bildungsfanatiker beruhigen, wird stets nur im
Besitz einer Minderheit sein, weil sie verhältnismäßige materielle und geistige
Unabhängigkeit voraussetzt, die immer das Vorrecht weniger ist. Wollen wir aber
eine einheitliche Nationalbildung, so kann es eben nur eine solche sein, die ihrem
deutschen ober sagen wir geradezu volkstümlichen Gehalte nach sich eignet, auch
die mittleren und niederen Schichten der Bevölkerung mit ihrem Geiste wenigstens
unbewußt zu durchtränken. Denn was auf den Höhen der Geisteswelt in be¬
wußter Gedankenarbeit erstrebt und errungen wird, teilt sich durch unzählige und
unbemerkbare Einflüsse auch denjenigen Kreisen mit, denen die Not des Alltags
für geistiges Schaffen keine Zeit und Ruhe läßt.

Das hier umschriebene Vildnngsidcal ist aber auch insofern national, als
es ein Erzeugnis der deutschen Geistesgeschichte ist. Daß in seiner historischen Er¬
scheinung allgemein menschliche und weltbürgerliche Neigungen überwogen, gehört
zu den zenlicheu Bedingtheiten, bedeutet aber, wie erwähnt, durchaus nicht'einen
unüberbrückbaren Gegensatz zu dem nationnlpolitischen Einheitsgedanten. Das eben
ist unsers Zutunftsaufgabe, das kulturelle Bildungsideal mit dein neu errungenen
Nationalgefühle, die deutsche Seele mit der politische». Form der gegenwärtigen
staatlichen Organisation harmonisch zu vereinigen. Überdies hat auch jene große
deutsche Geistesperivde ihre unmittelbare Wirkung ans die Entwicklung unserer
politischen Einheit ausgeübt; denn der Ausschwung von 1813 war ohne den be¬
fruchtenden ethischen Idealismus der Kant-Schillerschen und insbesondere Fichteschen
Weltauffassung unmöglich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/30>, abgerufen am 25.08.2024.