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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Machtfrage in Preußen
Georg Lleinorv von

er Kampf im Hause der preußischen Abgeordneten, dessen Zeugen
wir sind, mutet an wie das Ringen an der Westfront zur Zeit des
Stellungskrieges. Es ist ein zähes, heißes Ringen! Die Verfassung
ebenso wie die Geschäftsordnung geben dafür den weilen Nahmen,
das Gelände. Jede Position wird mit allen Kunstgriffen der
Parteitechnik angegriffen und verteidigt. In Friedenszeiten würde eine Dauer¬
schlacht im Abgeordnetenhause wie diese von dem Lärm der Presse und der Ver¬
sammlungen im Lande begleitet sein; zum wenigsten würde die Presse die In¬
tensität des Kampfes vor und hinter den Kulissen widerspiegeln. In unserer
Zeit fehlt die Begleitmusik fast vollständig, -- nicht etwa, weil die böse Zensur
oder der Papiermangel den streitbaren Federn Beschränkungen auferlegten --
gewiß, die sind auch vorhanden --, wohl aber in erster Linie deshalb, weil
brennendere Fragen, die ernsten Fragen unserer internationalen und staatlichen
Zukunft alles Denken und Empfinden der Nation beherrschen. Das ist ein ge¬
fährliches Moment für die allgemeine Lage. Auch sehr liberale Kreise wollen
in dem Ringen um die Wahlrechtsänderung in Preußen nicht so sehr einen
Kampf um Lebensfragen der Nation als um Machtfragen der Parteien erkennen. Selbst
ganz nahe der Regierung scheinen solche Auffassungen Boden zu haben. Andernfalls
hätte die "norddeutsche Allgemeine Zeitung" am Donnerstag in ihrer Nummer 297
im Hinblick auf die Stärkung der konservativen Positionen nicht schreiben dürfen,
"die Interessen der konservativen Partei sollten durch geschickte Taktik soweit ge-
wahrt werden, wie es vom Standpunkte einer geschlossenen Gegnerschaft gegen
das gleiche Wahlrecht möglich war. Ob auch die vaterländischen Interessen dabei
voll zur Geltung kommen können, wird die Zukunft lehren". Hieraus kann ge-
folgert werden, daß in Regierungskreisen der tiefere Sinn des Kampfes und die
tiefere Bedeutung seines Ausganges für die Zukunft Preußens und des deutschen
Volkes nicht begriffen wird. Nein, es handelt sich nicht um parteipolitische Macht¬
fragen I Jene liberalen Männer, die sich gegenwärtig hinter Herrn von Heyde-
brand gestellt haben, haben es gewiß nicht getan, um die Macht der konservativen
Partei zu befestigen'. Es handelt sich hier um mehr und um höheres. Nicht nur


Grenzboten II 1913 ^


Die Machtfrage in Preußen
Georg Lleinorv von

er Kampf im Hause der preußischen Abgeordneten, dessen Zeugen
wir sind, mutet an wie das Ringen an der Westfront zur Zeit des
Stellungskrieges. Es ist ein zähes, heißes Ringen! Die Verfassung
ebenso wie die Geschäftsordnung geben dafür den weilen Nahmen,
das Gelände. Jede Position wird mit allen Kunstgriffen der
Parteitechnik angegriffen und verteidigt. In Friedenszeiten würde eine Dauer¬
schlacht im Abgeordnetenhause wie diese von dem Lärm der Presse und der Ver¬
sammlungen im Lande begleitet sein; zum wenigsten würde die Presse die In¬
tensität des Kampfes vor und hinter den Kulissen widerspiegeln. In unserer
Zeit fehlt die Begleitmusik fast vollständig, — nicht etwa, weil die böse Zensur
oder der Papiermangel den streitbaren Federn Beschränkungen auferlegten —
gewiß, die sind auch vorhanden —, wohl aber in erster Linie deshalb, weil
brennendere Fragen, die ernsten Fragen unserer internationalen und staatlichen
Zukunft alles Denken und Empfinden der Nation beherrschen. Das ist ein ge¬
fährliches Moment für die allgemeine Lage. Auch sehr liberale Kreise wollen
in dem Ringen um die Wahlrechtsänderung in Preußen nicht so sehr einen
Kampf um Lebensfragen der Nation als um Machtfragen der Parteien erkennen. Selbst
ganz nahe der Regierung scheinen solche Auffassungen Boden zu haben. Andernfalls
hätte die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" am Donnerstag in ihrer Nummer 297
im Hinblick auf die Stärkung der konservativen Positionen nicht schreiben dürfen,
»die Interessen der konservativen Partei sollten durch geschickte Taktik soweit ge-
wahrt werden, wie es vom Standpunkte einer geschlossenen Gegnerschaft gegen
das gleiche Wahlrecht möglich war. Ob auch die vaterländischen Interessen dabei
voll zur Geltung kommen können, wird die Zukunft lehren". Hieraus kann ge-
folgert werden, daß in Regierungskreisen der tiefere Sinn des Kampfes und die
tiefere Bedeutung seines Ausganges für die Zukunft Preußens und des deutschen
Volkes nicht begriffen wird. Nein, es handelt sich nicht um parteipolitische Macht¬
fragen I Jene liberalen Männer, die sich gegenwärtig hinter Herrn von Heyde-
brand gestellt haben, haben es gewiß nicht getan, um die Macht der konservativen
Partei zu befestigen'. Es handelt sich hier um mehr und um höheres. Nicht nur


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[0301] [Abbildung] Die Machtfrage in Preußen Georg Lleinorv von er Kampf im Hause der preußischen Abgeordneten, dessen Zeugen wir sind, mutet an wie das Ringen an der Westfront zur Zeit des Stellungskrieges. Es ist ein zähes, heißes Ringen! Die Verfassung ebenso wie die Geschäftsordnung geben dafür den weilen Nahmen, das Gelände. Jede Position wird mit allen Kunstgriffen der Parteitechnik angegriffen und verteidigt. In Friedenszeiten würde eine Dauer¬ schlacht im Abgeordnetenhause wie diese von dem Lärm der Presse und der Ver¬ sammlungen im Lande begleitet sein; zum wenigsten würde die Presse die In¬ tensität des Kampfes vor und hinter den Kulissen widerspiegeln. In unserer Zeit fehlt die Begleitmusik fast vollständig, — nicht etwa, weil die böse Zensur oder der Papiermangel den streitbaren Federn Beschränkungen auferlegten — gewiß, die sind auch vorhanden —, wohl aber in erster Linie deshalb, weil brennendere Fragen, die ernsten Fragen unserer internationalen und staatlichen Zukunft alles Denken und Empfinden der Nation beherrschen. Das ist ein ge¬ fährliches Moment für die allgemeine Lage. Auch sehr liberale Kreise wollen in dem Ringen um die Wahlrechtsänderung in Preußen nicht so sehr einen Kampf um Lebensfragen der Nation als um Machtfragen der Parteien erkennen. Selbst ganz nahe der Regierung scheinen solche Auffassungen Boden zu haben. Andernfalls hätte die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" am Donnerstag in ihrer Nummer 297 im Hinblick auf die Stärkung der konservativen Positionen nicht schreiben dürfen, »die Interessen der konservativen Partei sollten durch geschickte Taktik soweit ge- wahrt werden, wie es vom Standpunkte einer geschlossenen Gegnerschaft gegen das gleiche Wahlrecht möglich war. Ob auch die vaterländischen Interessen dabei voll zur Geltung kommen können, wird die Zukunft lehren". Hieraus kann ge- folgert werden, daß in Regierungskreisen der tiefere Sinn des Kampfes und die tiefere Bedeutung seines Ausganges für die Zukunft Preußens und des deutschen Volkes nicht begriffen wird. Nein, es handelt sich nicht um parteipolitische Macht¬ fragen I Jene liberalen Männer, die sich gegenwärtig hinter Herrn von Heyde- brand gestellt haben, haben es gewiß nicht getan, um die Macht der konservativen Partei zu befestigen'. Es handelt sich hier um mehr und um höheres. Nicht nur Grenzboten II 1913 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/301>, abgerufen am 03.07.2024.