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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Einheit unserer Nationalbildung

zu den früheren Bildungsbegriffen der individuellen Entwicklung und der Idee
der allgemeinen Humanität, schließt beide vielmehr in gewissem Maße ein oder
vermittelt doch zwischen ihnen. Denn auch die gemeinsamen Aufgaben der Nation
werden immer der höchsten individuellen Krnftentfaltung der einzelnen bedürfen,
und schlimm wäre eS, wenn wir an Stelle der Vielfältigkeit menschlicher Be-
strebungen eine öde Gleichförmigkeit der Gesellschaft erhielten. Was aber jenes
Ideal des Allgemein-Menschlichen angeht, so muß es als höchstes Ziel bestehen
bleiben; aber es kann nicht unmittelbar erstrebt und erreicht werden, sondern nur
auf der festen Grundlage nationaler Gesittung, ohne die es blaß und verschwommen
bleibt und jedenfalls den Ansprüchen des heutigen staatsbürgerlichen Lebens nicht
entspricht.

Der Begriff der einheitlichen Nationalbildung setzt ein der Mehrzahl der
Volksgenossen gemeinsames Bildungsgut, eine gemeinsame Richtung des Denkens,
Wollens und Fühlens, oder doch wenigstens ein allgemein anerkanntes Bildungs¬
ideal voraus, das, wenn auch noch so selten verwirklicht, doch als Ziel dem Volks-
bewußtsein vorschwebt. Daß wir eine solche einheitliche Nationalbildung nicht
besitzen, ist wohl die Überzeugung aller Einsichtigen. Die Ursachen davon liegen
natürlich nicht allein in der Art unserer Schul- und Unterrichtsverhältnisse, sondern
in erster Linie in den inneren Gegensätzen unseres Volkes, die sich im Lause der
letzten Jahrzehnte entwickelt oder verschärft haben. Ja, man kann behaupten, daß
die eigentlichen Bildungsunterschiede zwischen den höheren und niederen Ständen,
sowie auch zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlechte sich schon zu
mildern begannen, als die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und konfessionellen
Gegensätze noch mit der alten Schroffheit fortbestanden. Hier liegt nun ein
wechselseitiges Verhältnis vor. Denn wenn eine einheitliche Nationalbildung eine
gewisse Einheit der Nation, besonders in politischer Beziehung, schon voraussetzt,
so ist sie doch auch wieder ein Mittel, um die geistige Einheit des Volkes zu
festigen und Spaltungen auszugleichen, die aus dem Leben unseres Staates nun
einmal nicht vollständig wegzuschaffen sind. Indem wir über die viel erörterten
Schwächen unseres nationalen und innerpolitischen Lebens hinweggehen, sei kurz
eine Erscheinung hervorgehoben, die mit dem Bildungsproblem in engerem Zu¬
sammenhange steht.

Obwohl sich, wie erwähnt, der Kreis derjenigen, die an den vorhandenen
Vudungsgütern teilnehmen, sehr erweitert hat und die Bildung tatsächlich demo-
rrattsiert ist, so ist doch die Bildung im eigentlichen Sinne -- als harmonische
Formung der Persönlichkeit -- bei weitem nicht in gleichem Maße vervielfältigt,
^ud ferner ist unter den Gebildeten selbst, besonders den Höhergebildeten, eine
Ungleichheit und Entfremdung, ein Mangel an gegenseitigem Verständnis ein¬
treten wie er früher in der aristokratischen Bildnngsminderheit nicht bestand.
Air anderen Worten: die Einheit der Bildung ist sowohl dem einzelnen, der das
stillos der zahllosen Bildungselemente nicht mehr zu beherrschen weiß, wie auch
ver GeMitysit der Gebildeten verloren gegangen. Wir vermissen eine allgemeine
^!'M^""0lphare, eine intellektuell-ethische Grundrichtung in unserem nationalen
Gnstesleben. Die zunehmende Trennung der verschiedenen Berufstntigkeiten mit
ihrer Einengung des Gesichtskreises hat eine gegenseitige Entfremdung der Stände
^ ., -ä^u^", Menschen, eine Atomisierung der Gesellschaft herbeigeführt, unter
der die Menschheit in den letzten Jahrzehnten schwer gelitten hat. Das Gefühl,
daß Leben trefe Einsamkeit sei. ist unserem Geschlechte nur allzu vertraut. Hat
es doch auch in der Literatur seinen Niederschlag gefunden: der Typus des un¬
verstandenen Menschen, besonders der Frau und des Kindes, kehrt in neueren
Romanen und Dramen immer wieder. Auch die Verödung unseres geselligen
Lebens und die Dürftigkeit des brieflichen Verkehres weist auf die gleichen Ur¬
sachen zurück.

Was war es nun, was früheren Generationen das Bewußtsein der Einheit
und Zusammengehörigkeit gab? Zunächst natürlich der Umstand, daß in jener
mehr abgeschlossenen Bildungsaristokratie, die sich fast nur aus "studierten" Leuten


Die Einheit unserer Nationalbildung

zu den früheren Bildungsbegriffen der individuellen Entwicklung und der Idee
der allgemeinen Humanität, schließt beide vielmehr in gewissem Maße ein oder
vermittelt doch zwischen ihnen. Denn auch die gemeinsamen Aufgaben der Nation
werden immer der höchsten individuellen Krnftentfaltung der einzelnen bedürfen,
und schlimm wäre eS, wenn wir an Stelle der Vielfältigkeit menschlicher Be-
strebungen eine öde Gleichförmigkeit der Gesellschaft erhielten. Was aber jenes
Ideal des Allgemein-Menschlichen angeht, so muß es als höchstes Ziel bestehen
bleiben; aber es kann nicht unmittelbar erstrebt und erreicht werden, sondern nur
auf der festen Grundlage nationaler Gesittung, ohne die es blaß und verschwommen
bleibt und jedenfalls den Ansprüchen des heutigen staatsbürgerlichen Lebens nicht
entspricht.

Der Begriff der einheitlichen Nationalbildung setzt ein der Mehrzahl der
Volksgenossen gemeinsames Bildungsgut, eine gemeinsame Richtung des Denkens,
Wollens und Fühlens, oder doch wenigstens ein allgemein anerkanntes Bildungs¬
ideal voraus, das, wenn auch noch so selten verwirklicht, doch als Ziel dem Volks-
bewußtsein vorschwebt. Daß wir eine solche einheitliche Nationalbildung nicht
besitzen, ist wohl die Überzeugung aller Einsichtigen. Die Ursachen davon liegen
natürlich nicht allein in der Art unserer Schul- und Unterrichtsverhältnisse, sondern
in erster Linie in den inneren Gegensätzen unseres Volkes, die sich im Lause der
letzten Jahrzehnte entwickelt oder verschärft haben. Ja, man kann behaupten, daß
die eigentlichen Bildungsunterschiede zwischen den höheren und niederen Ständen,
sowie auch zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlechte sich schon zu
mildern begannen, als die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und konfessionellen
Gegensätze noch mit der alten Schroffheit fortbestanden. Hier liegt nun ein
wechselseitiges Verhältnis vor. Denn wenn eine einheitliche Nationalbildung eine
gewisse Einheit der Nation, besonders in politischer Beziehung, schon voraussetzt,
so ist sie doch auch wieder ein Mittel, um die geistige Einheit des Volkes zu
festigen und Spaltungen auszugleichen, die aus dem Leben unseres Staates nun
einmal nicht vollständig wegzuschaffen sind. Indem wir über die viel erörterten
Schwächen unseres nationalen und innerpolitischen Lebens hinweggehen, sei kurz
eine Erscheinung hervorgehoben, die mit dem Bildungsproblem in engerem Zu¬
sammenhange steht.

Obwohl sich, wie erwähnt, der Kreis derjenigen, die an den vorhandenen
Vudungsgütern teilnehmen, sehr erweitert hat und die Bildung tatsächlich demo-
rrattsiert ist, so ist doch die Bildung im eigentlichen Sinne — als harmonische
Formung der Persönlichkeit — bei weitem nicht in gleichem Maße vervielfältigt,
^ud ferner ist unter den Gebildeten selbst, besonders den Höhergebildeten, eine
Ungleichheit und Entfremdung, ein Mangel an gegenseitigem Verständnis ein¬
treten wie er früher in der aristokratischen Bildnngsminderheit nicht bestand.
Air anderen Worten: die Einheit der Bildung ist sowohl dem einzelnen, der das
stillos der zahllosen Bildungselemente nicht mehr zu beherrschen weiß, wie auch
ver GeMitysit der Gebildeten verloren gegangen. Wir vermissen eine allgemeine
^!'M^""0lphare, eine intellektuell-ethische Grundrichtung in unserem nationalen
Gnstesleben. Die zunehmende Trennung der verschiedenen Berufstntigkeiten mit
ihrer Einengung des Gesichtskreises hat eine gegenseitige Entfremdung der Stände
^ ., -ä^u^", Menschen, eine Atomisierung der Gesellschaft herbeigeführt, unter
der die Menschheit in den letzten Jahrzehnten schwer gelitten hat. Das Gefühl,
daß Leben trefe Einsamkeit sei. ist unserem Geschlechte nur allzu vertraut. Hat
es doch auch in der Literatur seinen Niederschlag gefunden: der Typus des un¬
verstandenen Menschen, besonders der Frau und des Kindes, kehrt in neueren
Romanen und Dramen immer wieder. Auch die Verödung unseres geselligen
Lebens und die Dürftigkeit des brieflichen Verkehres weist auf die gleichen Ur¬
sachen zurück.

Was war es nun, was früheren Generationen das Bewußtsein der Einheit
und Zusammengehörigkeit gab? Zunächst natürlich der Umstand, daß in jener
mehr abgeschlossenen Bildungsaristokratie, die sich fast nur aus „studierten" Leuten


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[0027] Die Einheit unserer Nationalbildung zu den früheren Bildungsbegriffen der individuellen Entwicklung und der Idee der allgemeinen Humanität, schließt beide vielmehr in gewissem Maße ein oder vermittelt doch zwischen ihnen. Denn auch die gemeinsamen Aufgaben der Nation werden immer der höchsten individuellen Krnftentfaltung der einzelnen bedürfen, und schlimm wäre eS, wenn wir an Stelle der Vielfältigkeit menschlicher Be- strebungen eine öde Gleichförmigkeit der Gesellschaft erhielten. Was aber jenes Ideal des Allgemein-Menschlichen angeht, so muß es als höchstes Ziel bestehen bleiben; aber es kann nicht unmittelbar erstrebt und erreicht werden, sondern nur auf der festen Grundlage nationaler Gesittung, ohne die es blaß und verschwommen bleibt und jedenfalls den Ansprüchen des heutigen staatsbürgerlichen Lebens nicht entspricht. Der Begriff der einheitlichen Nationalbildung setzt ein der Mehrzahl der Volksgenossen gemeinsames Bildungsgut, eine gemeinsame Richtung des Denkens, Wollens und Fühlens, oder doch wenigstens ein allgemein anerkanntes Bildungs¬ ideal voraus, das, wenn auch noch so selten verwirklicht, doch als Ziel dem Volks- bewußtsein vorschwebt. Daß wir eine solche einheitliche Nationalbildung nicht besitzen, ist wohl die Überzeugung aller Einsichtigen. Die Ursachen davon liegen natürlich nicht allein in der Art unserer Schul- und Unterrichtsverhältnisse, sondern in erster Linie in den inneren Gegensätzen unseres Volkes, die sich im Lause der letzten Jahrzehnte entwickelt oder verschärft haben. Ja, man kann behaupten, daß die eigentlichen Bildungsunterschiede zwischen den höheren und niederen Ständen, sowie auch zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlechte sich schon zu mildern begannen, als die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und konfessionellen Gegensätze noch mit der alten Schroffheit fortbestanden. Hier liegt nun ein wechselseitiges Verhältnis vor. Denn wenn eine einheitliche Nationalbildung eine gewisse Einheit der Nation, besonders in politischer Beziehung, schon voraussetzt, so ist sie doch auch wieder ein Mittel, um die geistige Einheit des Volkes zu festigen und Spaltungen auszugleichen, die aus dem Leben unseres Staates nun einmal nicht vollständig wegzuschaffen sind. Indem wir über die viel erörterten Schwächen unseres nationalen und innerpolitischen Lebens hinweggehen, sei kurz eine Erscheinung hervorgehoben, die mit dem Bildungsproblem in engerem Zu¬ sammenhange steht. Obwohl sich, wie erwähnt, der Kreis derjenigen, die an den vorhandenen Vudungsgütern teilnehmen, sehr erweitert hat und die Bildung tatsächlich demo- rrattsiert ist, so ist doch die Bildung im eigentlichen Sinne — als harmonische Formung der Persönlichkeit — bei weitem nicht in gleichem Maße vervielfältigt, ^ud ferner ist unter den Gebildeten selbst, besonders den Höhergebildeten, eine Ungleichheit und Entfremdung, ein Mangel an gegenseitigem Verständnis ein¬ treten wie er früher in der aristokratischen Bildnngsminderheit nicht bestand. Air anderen Worten: die Einheit der Bildung ist sowohl dem einzelnen, der das stillos der zahllosen Bildungselemente nicht mehr zu beherrschen weiß, wie auch ver GeMitysit der Gebildeten verloren gegangen. Wir vermissen eine allgemeine ^!'M^""0lphare, eine intellektuell-ethische Grundrichtung in unserem nationalen Gnstesleben. Die zunehmende Trennung der verschiedenen Berufstntigkeiten mit ihrer Einengung des Gesichtskreises hat eine gegenseitige Entfremdung der Stände ^ ., -ä^u^", Menschen, eine Atomisierung der Gesellschaft herbeigeführt, unter der die Menschheit in den letzten Jahrzehnten schwer gelitten hat. Das Gefühl, daß Leben trefe Einsamkeit sei. ist unserem Geschlechte nur allzu vertraut. Hat es doch auch in der Literatur seinen Niederschlag gefunden: der Typus des un¬ verstandenen Menschen, besonders der Frau und des Kindes, kehrt in neueren Romanen und Dramen immer wieder. Auch die Verödung unseres geselligen Lebens und die Dürftigkeit des brieflichen Verkehres weist auf die gleichen Ur¬ sachen zurück. Was war es nun, was früheren Generationen das Bewußtsein der Einheit und Zusammengehörigkeit gab? Zunächst natürlich der Umstand, daß in jener mehr abgeschlossenen Bildungsaristokratie, die sich fast nur aus „studierten" Leuten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/27>, abgerufen am 03.07.2024.