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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Einheit unserer Nationalbildung

zusammensetzte, die tieferen sozialen und beruflichen Gegensätze fehlten. Dann
aber gab es auch einen idealen Einigungspunkt, nämlich die Anerkennung und
Verehrung der klassisch-humanistischen Kulturwelt als der einzig vollwertigen Grund¬
lage aller Bildung. Mochte die wirkliche Kenntnis der Antike und ihre Wirkung
auf die geistige Persönlichkeit des einzelnen auch noch so gering sein, der feste
Glaube an ein gemeinsames Bildungsideal lebte damals wie ein Dogma im
Geiste der gebildeten Kreise und begründete in ihnen das Gefühl geistiger Ver¬
wandtschaft. Aber dieser Glaube ist dahin oder doch auf einen verschwindend
kleinen Teil derjenigen beschränkt, die heute auf Bildung Anspruch machen. Die
meisten haben überhaupt keinen Glauben mehr an ein gemeinsames Kulturideal;
sie beten das Idol der naturwissenschaftlichen Weltanschauung an oder schwärmen
von einer die Menschheit beglückenden technischen Kultur. Auch die überzeugtester
Anhänger der klassisch-humanistischen Studien werden wohl die Hoffnung aufge¬
geben haben, dasz auf ihrer.Grundlage eine einheitliche Nationalbildung aufzu¬
bauen sei. Die Anerkennung' mehrerer gleichberechtigter Schulgattungen macht
dies schon unmöglich. Übrigens ist unter den Altphilologen selbst die Ansicht,
dasz die antike Kultur ein allgemein gültiges Kulturvorbild sei, durch die mehr
historische Auffassang erschüttert.

Sollen wir nun daran verzweifeln, je wieder zu einer relativen GeisteSemheit
in unserem Volke zu gelangen? Soll es dabei bleiben, daß der Gelehrte mit
aristokratischem Dünkel den Kaufmann und Praktiker nicht für vollwertig erklärt,
daß umgekehrt der Industrielle sich für den einzig kulturfördernden Menschen hält
und die gelehrten Stände von oben herab ansieht, daß selbst die akademischen
Berufe einander entfremdet sind, der technische Beamte den Juristen und Lehrer
nicht versteht, ja schließlich Alt- und Neuphilologen sich wie feindliche Brüder
gegenüberstehen? Viele werden antworten, daß eben die Einheitsschule das einzige
und zugleich durchgreifende Mittel sei, um die fehlende Einheit allmählich wieder¬
zugewinnen. Aber setzt nicht ihre Einführung schon ein anerkanntes einheitliches
Bildungsideal und auch einen einzigen diesem Ideale angepaßten Bildungsweg
voraus, was wir beides ebeu noch nicht haben? Andererseits wäre es einer kraft¬
vollen Nation unwürdig, die Hände in den Schoß zu legen und sich mit der
Hoffnung zu trösten, daß der Lauf der Dinge wohl durch sich selbst das Getrennte
wieder zusammenführen werde. GeradeweilsichinvielenderbestenGeisterdie Sehnsucht
nach Vereinheitlichung regt und auch deutliche Anzeichen für eine Zusammenfassung
der zersplitterten Elemente bemerkbar sind, dürfen Bestrebungen in dieser Richtung
auf Erfolg hoffen.

Noch einmal sei betont, daß das politische Einheitsgefühl allein nicht genügt.
Unser Volk hat nicht das Glück einer jahrhundertelangen einheitlichen, großen
Geschichte gehabt; und was sich in Frankreich und England auf eine seit dein
Mittelalter fast ununterbrochene politische Überlieferung und staatliche Kultur stützt,
konnte bei uns trotz der gewaltigen Entwicklung der neuesten Zeit nicht in wenigen
Jahrzehnten nachgeholt werden. In Frankreich erscheint die Ausbildung der
nationaltypischen Geisteskultur unterLudwig dem Vierzehnten zugleich als Erzeugnis
der politischen Glanzperiode der Nation; und ebenso eng ist die'Beziehung zwischen
der politischen und der geistigen Kraftentfaltung in der englischen Geschichte, wo
der ungeheure Ausschwung des Elisabethanischen Zeitalters in der Shakespeareschen
Dichtung, besonders in den Königsdramen seinen Ausdruck faud. Bei uns ist
das bekanntlich ganz anders gewesen. Unsere Kulturhöhe fiel mit dem politischen
Tiefstände zusammen; daher war unsere Nationalbildung ihrer Entstehung nach
unpolitischer Art, war "ganz Seele und nur Seele".

Wo aber läßt sich nun diese deutsche Seele in greifbarer Bestimmtheit erfassen?
Denn auch unter den so günstigeren politischen Verhältnissen unserer Tage muß
eine einheitliche deutsche Bildung in den Tiefen der deutschen Seele wurzeln, muß
Geist von unserem Geist sein. Nun offenbart sich deutsche Art gewiß in allem
dauernd Wertvollen, was unsere Kultur je hervorgebracht hat. und unser Gefühl
sagt uns mit ziemlicher Sicherheit, wo wir es mit echt deutschem Gehalt im


Die Einheit unserer Nationalbildung

zusammensetzte, die tieferen sozialen und beruflichen Gegensätze fehlten. Dann
aber gab es auch einen idealen Einigungspunkt, nämlich die Anerkennung und
Verehrung der klassisch-humanistischen Kulturwelt als der einzig vollwertigen Grund¬
lage aller Bildung. Mochte die wirkliche Kenntnis der Antike und ihre Wirkung
auf die geistige Persönlichkeit des einzelnen auch noch so gering sein, der feste
Glaube an ein gemeinsames Bildungsideal lebte damals wie ein Dogma im
Geiste der gebildeten Kreise und begründete in ihnen das Gefühl geistiger Ver¬
wandtschaft. Aber dieser Glaube ist dahin oder doch auf einen verschwindend
kleinen Teil derjenigen beschränkt, die heute auf Bildung Anspruch machen. Die
meisten haben überhaupt keinen Glauben mehr an ein gemeinsames Kulturideal;
sie beten das Idol der naturwissenschaftlichen Weltanschauung an oder schwärmen
von einer die Menschheit beglückenden technischen Kultur. Auch die überzeugtester
Anhänger der klassisch-humanistischen Studien werden wohl die Hoffnung aufge¬
geben haben, dasz auf ihrer.Grundlage eine einheitliche Nationalbildung aufzu¬
bauen sei. Die Anerkennung' mehrerer gleichberechtigter Schulgattungen macht
dies schon unmöglich. Übrigens ist unter den Altphilologen selbst die Ansicht,
dasz die antike Kultur ein allgemein gültiges Kulturvorbild sei, durch die mehr
historische Auffassang erschüttert.

Sollen wir nun daran verzweifeln, je wieder zu einer relativen GeisteSemheit
in unserem Volke zu gelangen? Soll es dabei bleiben, daß der Gelehrte mit
aristokratischem Dünkel den Kaufmann und Praktiker nicht für vollwertig erklärt,
daß umgekehrt der Industrielle sich für den einzig kulturfördernden Menschen hält
und die gelehrten Stände von oben herab ansieht, daß selbst die akademischen
Berufe einander entfremdet sind, der technische Beamte den Juristen und Lehrer
nicht versteht, ja schließlich Alt- und Neuphilologen sich wie feindliche Brüder
gegenüberstehen? Viele werden antworten, daß eben die Einheitsschule das einzige
und zugleich durchgreifende Mittel sei, um die fehlende Einheit allmählich wieder¬
zugewinnen. Aber setzt nicht ihre Einführung schon ein anerkanntes einheitliches
Bildungsideal und auch einen einzigen diesem Ideale angepaßten Bildungsweg
voraus, was wir beides ebeu noch nicht haben? Andererseits wäre es einer kraft¬
vollen Nation unwürdig, die Hände in den Schoß zu legen und sich mit der
Hoffnung zu trösten, daß der Lauf der Dinge wohl durch sich selbst das Getrennte
wieder zusammenführen werde. GeradeweilsichinvielenderbestenGeisterdie Sehnsucht
nach Vereinheitlichung regt und auch deutliche Anzeichen für eine Zusammenfassung
der zersplitterten Elemente bemerkbar sind, dürfen Bestrebungen in dieser Richtung
auf Erfolg hoffen.

Noch einmal sei betont, daß das politische Einheitsgefühl allein nicht genügt.
Unser Volk hat nicht das Glück einer jahrhundertelangen einheitlichen, großen
Geschichte gehabt; und was sich in Frankreich und England auf eine seit dein
Mittelalter fast ununterbrochene politische Überlieferung und staatliche Kultur stützt,
konnte bei uns trotz der gewaltigen Entwicklung der neuesten Zeit nicht in wenigen
Jahrzehnten nachgeholt werden. In Frankreich erscheint die Ausbildung der
nationaltypischen Geisteskultur unterLudwig dem Vierzehnten zugleich als Erzeugnis
der politischen Glanzperiode der Nation; und ebenso eng ist die'Beziehung zwischen
der politischen und der geistigen Kraftentfaltung in der englischen Geschichte, wo
der ungeheure Ausschwung des Elisabethanischen Zeitalters in der Shakespeareschen
Dichtung, besonders in den Königsdramen seinen Ausdruck faud. Bei uns ist
das bekanntlich ganz anders gewesen. Unsere Kulturhöhe fiel mit dem politischen
Tiefstände zusammen; daher war unsere Nationalbildung ihrer Entstehung nach
unpolitischer Art, war „ganz Seele und nur Seele".

Wo aber läßt sich nun diese deutsche Seele in greifbarer Bestimmtheit erfassen?
Denn auch unter den so günstigeren politischen Verhältnissen unserer Tage muß
eine einheitliche deutsche Bildung in den Tiefen der deutschen Seele wurzeln, muß
Geist von unserem Geist sein. Nun offenbart sich deutsche Art gewiß in allem
dauernd Wertvollen, was unsere Kultur je hervorgebracht hat. und unser Gefühl
sagt uns mit ziemlicher Sicherheit, wo wir es mit echt deutschem Gehalt im


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[0028] Die Einheit unserer Nationalbildung zusammensetzte, die tieferen sozialen und beruflichen Gegensätze fehlten. Dann aber gab es auch einen idealen Einigungspunkt, nämlich die Anerkennung und Verehrung der klassisch-humanistischen Kulturwelt als der einzig vollwertigen Grund¬ lage aller Bildung. Mochte die wirkliche Kenntnis der Antike und ihre Wirkung auf die geistige Persönlichkeit des einzelnen auch noch so gering sein, der feste Glaube an ein gemeinsames Bildungsideal lebte damals wie ein Dogma im Geiste der gebildeten Kreise und begründete in ihnen das Gefühl geistiger Ver¬ wandtschaft. Aber dieser Glaube ist dahin oder doch auf einen verschwindend kleinen Teil derjenigen beschränkt, die heute auf Bildung Anspruch machen. Die meisten haben überhaupt keinen Glauben mehr an ein gemeinsames Kulturideal; sie beten das Idol der naturwissenschaftlichen Weltanschauung an oder schwärmen von einer die Menschheit beglückenden technischen Kultur. Auch die überzeugtester Anhänger der klassisch-humanistischen Studien werden wohl die Hoffnung aufge¬ geben haben, dasz auf ihrer.Grundlage eine einheitliche Nationalbildung aufzu¬ bauen sei. Die Anerkennung' mehrerer gleichberechtigter Schulgattungen macht dies schon unmöglich. Übrigens ist unter den Altphilologen selbst die Ansicht, dasz die antike Kultur ein allgemein gültiges Kulturvorbild sei, durch die mehr historische Auffassang erschüttert. Sollen wir nun daran verzweifeln, je wieder zu einer relativen GeisteSemheit in unserem Volke zu gelangen? Soll es dabei bleiben, daß der Gelehrte mit aristokratischem Dünkel den Kaufmann und Praktiker nicht für vollwertig erklärt, daß umgekehrt der Industrielle sich für den einzig kulturfördernden Menschen hält und die gelehrten Stände von oben herab ansieht, daß selbst die akademischen Berufe einander entfremdet sind, der technische Beamte den Juristen und Lehrer nicht versteht, ja schließlich Alt- und Neuphilologen sich wie feindliche Brüder gegenüberstehen? Viele werden antworten, daß eben die Einheitsschule das einzige und zugleich durchgreifende Mittel sei, um die fehlende Einheit allmählich wieder¬ zugewinnen. Aber setzt nicht ihre Einführung schon ein anerkanntes einheitliches Bildungsideal und auch einen einzigen diesem Ideale angepaßten Bildungsweg voraus, was wir beides ebeu noch nicht haben? Andererseits wäre es einer kraft¬ vollen Nation unwürdig, die Hände in den Schoß zu legen und sich mit der Hoffnung zu trösten, daß der Lauf der Dinge wohl durch sich selbst das Getrennte wieder zusammenführen werde. GeradeweilsichinvielenderbestenGeisterdie Sehnsucht nach Vereinheitlichung regt und auch deutliche Anzeichen für eine Zusammenfassung der zersplitterten Elemente bemerkbar sind, dürfen Bestrebungen in dieser Richtung auf Erfolg hoffen. Noch einmal sei betont, daß das politische Einheitsgefühl allein nicht genügt. Unser Volk hat nicht das Glück einer jahrhundertelangen einheitlichen, großen Geschichte gehabt; und was sich in Frankreich und England auf eine seit dein Mittelalter fast ununterbrochene politische Überlieferung und staatliche Kultur stützt, konnte bei uns trotz der gewaltigen Entwicklung der neuesten Zeit nicht in wenigen Jahrzehnten nachgeholt werden. In Frankreich erscheint die Ausbildung der nationaltypischen Geisteskultur unterLudwig dem Vierzehnten zugleich als Erzeugnis der politischen Glanzperiode der Nation; und ebenso eng ist die'Beziehung zwischen der politischen und der geistigen Kraftentfaltung in der englischen Geschichte, wo der ungeheure Ausschwung des Elisabethanischen Zeitalters in der Shakespeareschen Dichtung, besonders in den Königsdramen seinen Ausdruck faud. Bei uns ist das bekanntlich ganz anders gewesen. Unsere Kulturhöhe fiel mit dem politischen Tiefstände zusammen; daher war unsere Nationalbildung ihrer Entstehung nach unpolitischer Art, war „ganz Seele und nur Seele". Wo aber läßt sich nun diese deutsche Seele in greifbarer Bestimmtheit erfassen? Denn auch unter den so günstigeren politischen Verhältnissen unserer Tage muß eine einheitliche deutsche Bildung in den Tiefen der deutschen Seele wurzeln, muß Geist von unserem Geist sein. Nun offenbart sich deutsche Art gewiß in allem dauernd Wertvollen, was unsere Kultur je hervorgebracht hat. und unser Gefühl sagt uns mit ziemlicher Sicherheit, wo wir es mit echt deutschem Gehalt im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/28>, abgerufen am 22.07.2024.