Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.Pariser Welt und Halbwelt zur Zeit der Direktorialregierung Friedens; der Frau wurde die Ehe nicht langweilig, und dem Herrn Gemahl In erster Linie waren aber wie zur Jakobinerzeit, so auch unter dem Zwei Mächte waren es hauptsächlich, die nach der Hölle der Terreur den Pariser Welt und Halbwelt zur Zeit der Direktorialregierung Friedens; der Frau wurde die Ehe nicht langweilig, und dem Herrn Gemahl In erster Linie waren aber wie zur Jakobinerzeit, so auch unter dem Zwei Mächte waren es hauptsächlich, die nach der Hölle der Terreur den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333702"/> <fw type="header" place="top"> Pariser Welt und Halbwelt zur Zeit der Direktorialregierung</fw><lb/> <p xml:id="ID_827" prev="#ID_826"> Friedens; der Frau wurde die Ehe nicht langweilig, und dem Herrn Gemahl<lb/> schmeichelte es, daß seine Auserwählte einen Bewunderer fand.</p><lb/> <p xml:id="ID_828"> In erster Linie waren aber wie zur Jakobinerzeit, so auch unter dem<lb/> Direktorium die geräumigen Baulichkeiten und Gärten des Palais Royal das<lb/> Paradies aller Verliebten. Erotische Beziehungen wurden hier schon bei lichtem<lb/> Tage angesponnen, denn unter den Galerien, die zum „Theater der Republik"<lb/> führten, hielten entgegenkommende Mädchen kaltes Frühstück seil; andere verbürgen<lb/> ihr wahres Gewerbe hinter dem Verkauf von Modewaren, Quasten, Lavendel¬<lb/> wasser, Kettchen. Siegellack und ähnlichen Dingen, und wieder andere, offenherziger<lb/> als ieme, befestigten an ihrer Tür irgendein obszönes Bild als Symbol ihrer<lb/> Reize und ihres Metiers, Besonders in den vornehmen Hotels und Restaurants,<lb/> wo einstige Köche von Herzögen und Erzbischöfen jetzt ihre Kunst in den Dienst<lb/> des großen Publikums stellten und Angehörige derjenigen Kreise verkehrten, die<lb/> sich Trüffeln in Champagner kochen ließen und jährlich dreihundertfünfundsechzigmal<lb/> Erdbeeren ätzen, gab es ^freundliche Bedienung"; daneben aber war noch etwa<lb/> jedes zehnte Haus ein Asyl galanter Weiblichkeit. Im Palais Royal fand man<lb/> so ziemlich alles, was Paris an feineren Kurtisanen aufzuweisen hatte: große<lb/> und kleine, robuste und solche, die zierlich waren wie Puppen, Marien, Annen<lb/> und Mariannen— kurz jedem Geschmacke war Rechnung getragen. In einem<lb/> Keller dinierte man sogar beim Klänge der Hörner einer Damenkapelle, deren<lb/> Mitglieder als Nymphen gekleidet waren. Und im Garten schlenderten, zum<lb/> Opferdienst bereit, die Priesterinnen der Liebe einher; meist ganz in Weiß — die<lb/> Farbe der NnschuldI — gehüllt, nur die Füße mit mattrosafarbenen Schuhen<lb/> bekleidet, erschienen sie wie Töchter der Luft, auf blassen, rot gesäumten Wolken<lb/> einherschwebend. Und durch ihre Reihe» drängt sich — Augenweide anderer,<lb/> lieblicherer Art — ein junges Blumenmädchen, die kleine Marie, die, einst im<lb/> Dienste der Herzogin von Orleans stehend, nun der im Palais Royal wohnenden,<lb/> von ihrer Höhe gestürzten gütigen Gebieterin tagtäglich einen blühenden Strauß<lb/> überbringt. Woh aber sinkende Dämmerung um die prächtigen Alleen diskrete<lb/> Schleier, so vervielfältigten sich die Scharen schöner Frauen, die die promenierenden<lb/> Lebemänner ansprachen und sie baten, mit ihnen glücklich zu sein und das Leben<lb/> zu genießen. Das waren nicht die dürftigen Mädchen, die man auf den Straßen<lb/> und Plätzen der Siade traf, geeignet, zur Enthaltsamkeit zu erziehen, nein,<lb/> moderne Aphroditen mit üppigem Busen und nackten Schultern — Meisterwerks<lb/> einer von Triebkraft überschäumenden Schöpfung und Vollblutdemimondänen,<lb/> deren Lebenssymphonie, begreiflicherweise nichts weniger als eine Pastorale, sich<lb/> vielmehr aufbaute auf dem oft variierten Thema: „Freude, schöner Götterfunken";<lb/> völlig moralinfreie Wesen, die, über engherzige Skrupel erhaben, lebten, um zu<lb/> lieben, und liebten, um zu leben. Und hier und da glückte es vielleicht auch<lb/> einer Häßlichen und Alten, wenn das schwache Zwielicht lauer Sonnnerabende<lb/> ihr günstig war, einem liebeshungrigen Nachtwandler das dichte Boskett ent¬<lb/> legener Winkel zum Venustempel zu gestalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_829"> Zwei Mächte waren es hauptsächlich, die nach der Hölle der Terreur den<lb/> Parisern das Eden der Dircttvrialzeit schenkten: die Jugend und die Liebe.<lb/> Was würde Robespierre gesagt haben, wenn er diesen Wandel hätte schauen<lb/> können, er, der Todfeind j^der Lebensfreude, dem selbst das Lächeln zur Grimasse<lb/> ward, und dessen Züge, nach Mirabeaus Allsspruch, etwas von denjenigen einer<lb/> Essig saufenden Katze hatten? lemxorA mutsntur.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0219]
Pariser Welt und Halbwelt zur Zeit der Direktorialregierung
Friedens; der Frau wurde die Ehe nicht langweilig, und dem Herrn Gemahl
schmeichelte es, daß seine Auserwählte einen Bewunderer fand.
In erster Linie waren aber wie zur Jakobinerzeit, so auch unter dem
Direktorium die geräumigen Baulichkeiten und Gärten des Palais Royal das
Paradies aller Verliebten. Erotische Beziehungen wurden hier schon bei lichtem
Tage angesponnen, denn unter den Galerien, die zum „Theater der Republik"
führten, hielten entgegenkommende Mädchen kaltes Frühstück seil; andere verbürgen
ihr wahres Gewerbe hinter dem Verkauf von Modewaren, Quasten, Lavendel¬
wasser, Kettchen. Siegellack und ähnlichen Dingen, und wieder andere, offenherziger
als ieme, befestigten an ihrer Tür irgendein obszönes Bild als Symbol ihrer
Reize und ihres Metiers, Besonders in den vornehmen Hotels und Restaurants,
wo einstige Köche von Herzögen und Erzbischöfen jetzt ihre Kunst in den Dienst
des großen Publikums stellten und Angehörige derjenigen Kreise verkehrten, die
sich Trüffeln in Champagner kochen ließen und jährlich dreihundertfünfundsechzigmal
Erdbeeren ätzen, gab es ^freundliche Bedienung"; daneben aber war noch etwa
jedes zehnte Haus ein Asyl galanter Weiblichkeit. Im Palais Royal fand man
so ziemlich alles, was Paris an feineren Kurtisanen aufzuweisen hatte: große
und kleine, robuste und solche, die zierlich waren wie Puppen, Marien, Annen
und Mariannen— kurz jedem Geschmacke war Rechnung getragen. In einem
Keller dinierte man sogar beim Klänge der Hörner einer Damenkapelle, deren
Mitglieder als Nymphen gekleidet waren. Und im Garten schlenderten, zum
Opferdienst bereit, die Priesterinnen der Liebe einher; meist ganz in Weiß — die
Farbe der NnschuldI — gehüllt, nur die Füße mit mattrosafarbenen Schuhen
bekleidet, erschienen sie wie Töchter der Luft, auf blassen, rot gesäumten Wolken
einherschwebend. Und durch ihre Reihe» drängt sich — Augenweide anderer,
lieblicherer Art — ein junges Blumenmädchen, die kleine Marie, die, einst im
Dienste der Herzogin von Orleans stehend, nun der im Palais Royal wohnenden,
von ihrer Höhe gestürzten gütigen Gebieterin tagtäglich einen blühenden Strauß
überbringt. Woh aber sinkende Dämmerung um die prächtigen Alleen diskrete
Schleier, so vervielfältigten sich die Scharen schöner Frauen, die die promenierenden
Lebemänner ansprachen und sie baten, mit ihnen glücklich zu sein und das Leben
zu genießen. Das waren nicht die dürftigen Mädchen, die man auf den Straßen
und Plätzen der Siade traf, geeignet, zur Enthaltsamkeit zu erziehen, nein,
moderne Aphroditen mit üppigem Busen und nackten Schultern — Meisterwerks
einer von Triebkraft überschäumenden Schöpfung und Vollblutdemimondänen,
deren Lebenssymphonie, begreiflicherweise nichts weniger als eine Pastorale, sich
vielmehr aufbaute auf dem oft variierten Thema: „Freude, schöner Götterfunken";
völlig moralinfreie Wesen, die, über engherzige Skrupel erhaben, lebten, um zu
lieben, und liebten, um zu leben. Und hier und da glückte es vielleicht auch
einer Häßlichen und Alten, wenn das schwache Zwielicht lauer Sonnnerabende
ihr günstig war, einem liebeshungrigen Nachtwandler das dichte Boskett ent¬
legener Winkel zum Venustempel zu gestalten.
Zwei Mächte waren es hauptsächlich, die nach der Hölle der Terreur den
Parisern das Eden der Dircttvrialzeit schenkten: die Jugend und die Liebe.
Was würde Robespierre gesagt haben, wenn er diesen Wandel hätte schauen
können, er, der Todfeind j^der Lebensfreude, dem selbst das Lächeln zur Grimasse
ward, und dessen Züge, nach Mirabeaus Allsspruch, etwas von denjenigen einer
Essig saufenden Katze hatten? lemxorA mutsntur.
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