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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Pariser Joell und Halbwelt zur Zeit der Oirektorialregierung

in Tätigkeit trat, war bald nicht mehr ihr Heim, sondern die Arena, und in auto-
medontischen Regungen erstickte jedes hausmütterliche Gefühl. Ja auch in der
massenhaften Nahrungsaufnahme suchte sie es den Männlichen Vorbildern gleich¬
zutun, und so verlor manche Rose ihren Dust. Ältere Damen aber widmeten
sich mit Vorliebe dem Spiel, das seine Anziehungskraft auch jetzt wieder be¬
währte; doch verwendeten sie selbstverständlich republikanische Karten, auf denen
die, Könige Hüte und die Königinnen rote Ireiheitsmützen trugen.

Weit eifriger noch als dem Tanze, dem Sport, den Tafelgenüssen und dem
Spiel huldigte man aber den Freuden der Liebe. Das achtzehnte Jahrhundert
ist ja ausgesprochenermaßen dasjenige des Weibes und trügt, wenigstens soweit
Frankreich in Betracht kommt, ganz entschieden das Parfüm der Frau; daher
spielte man auch in den direktorialen Tagen mit der Liebe kein Verstecken, und
die damals so tolerante Moral gab allem, was weiblich war, eine Art Recht auf
Abwege. Besonders waren -- was ja freilich auch zu anderen Zeiten gewesen
ist und sein wird -- die Heldinnen der Bühne so gefällig wie begehrt; Made¬
moiselle Contat, in den Kreisen der Halbwelt und nicht minder in der Welt der
Kulissen ein helleuchtender Stern, dazu vom Nimbus der großen Dame um¬
strahlt, liefert den Beweis: politisch neutral, erhörte sie, die einst dem Grafen
Artois, dem Bruder Ludwigs des Sechzehnten, nahe gestanden hatte, später den
Fleischer Legendre, den vielgenannten Konventsmami. Manche dieser Theater¬
damen vertauschte aber gern die Bühne mit einem behaglichen Familienheim, so
die schöne Mademoiselle Lange, die ihren früheren Geliebten, den wohlsituierten
Wagenbauer Simon, heiratete und ihn, in der ars am-urZi vielseitig geschult, sehr
glücklich machte; und als bald darauf Simons verwitweter Vater ebenfalls eine
liebreizende Schauspielerin, Mademoiselle Candrille, ehelichte, kursierte das Witzwort :
qus z'^mais pluZ belle-mere n'aom't en plus belle-litte. Allen nach Hymens
Fesseln sich Sehnender kam aber der Citoyen Liardot entgegen, dem es vorbehalten
blieb, das erste Heiratsbureau in Paris zu eröffnen. Der geniale Manager wollte
den Bürgerinnen -- Jungfrauen oder Witwen --, die einen Gatten suchten, aber
fürchteten, durch dahin zielende Offerten die Sittsamkeit. "das Erbteil ihres
Geschlechts", wie er sich höflich genug ausdrückte, zu verletzen, Gelegenheit zur
Erfüllung ihrer Wünsche geben. Diskretion natürlich Ehrensache. Und das Geschäft
entsprach zu genau dem Bedürfnis, als daß es nicht hätte gehen sollen; nur
stellte sich, wie immer in solchen Fällen, bald die leidige Konkurrenz ein. Freilich
bemühte man den Standesbeamten oft ziemlich zwecklos; unzählige Male wurde
das Band, das er geknüpft hatte, schon nach kurzer Zeit mutwillig wieder zerrissen.
Die eheliche Gemeinschaft der Direktorialzeit war oft nur temporär; man
engagierte sich,' als handle es sich um einen Kontertanz, und löste den Bund,
wie man etwa von einem kurzbefristeten Mietskontrakte zurücktritt. Mancher Frau
brach freilich fast das Herz, wenn sie die Scheidungsurkunde unterzeichnen sollte,
wie Julie Carreau, der Gattin des Schauspielers Talma; aber auf eine, die die
Trennung beklagte, kamen hundert Freiheitslüsterne. Denn seit Helena den
Menelaos verlieh, hat eS zu allen Zeiten Frauen gegeben, die die Ehe als
lästige Fessel empfanden. Derartig lockere Anschauungen erzeugten natürlich oft
die wunderbarsten Konstellationen; so heirateten manchmal Frauen im Herbste
Soldaten, wenn diese in die Winterquartiere einrückten, obgleich die unbeständigen
Söhne des Mars von vornherein erklärten, sie würden sich zur Frühlingszeit,
sobald es wieder ins Feld gehe, unter allen Umständen scheiden lassen, und ganz
deutlich spiegelt sich der frivole Geist der Zeit in folgender Erzählung wieder:
Als Therese Cabarrus mit Herrn v. Fontenay in Scheidung lag, bat sie ihn zum
Abschiede um einen Schmuck, der ihr besonders gefiel; er aber antwortete: "Ich
werde ihn aufheben und dir schenken, wenn du erst meine Geliebte sein wirst".
Bei solchen Ansichten über das Verhältnis zwischen Mann und Weib war der
aus Italien importierte "eavAliere servente", ein Ersatz des Gatten auf vielen,
manchmal vielleicht auf allen Gebieten, gewissermaßen eine Bürgschaft häuslichen


Pariser Joell und Halbwelt zur Zeit der Oirektorialregierung

in Tätigkeit trat, war bald nicht mehr ihr Heim, sondern die Arena, und in auto-
medontischen Regungen erstickte jedes hausmütterliche Gefühl. Ja auch in der
massenhaften Nahrungsaufnahme suchte sie es den Männlichen Vorbildern gleich¬
zutun, und so verlor manche Rose ihren Dust. Ältere Damen aber widmeten
sich mit Vorliebe dem Spiel, das seine Anziehungskraft auch jetzt wieder be¬
währte; doch verwendeten sie selbstverständlich republikanische Karten, auf denen
die, Könige Hüte und die Königinnen rote Ireiheitsmützen trugen.

Weit eifriger noch als dem Tanze, dem Sport, den Tafelgenüssen und dem
Spiel huldigte man aber den Freuden der Liebe. Das achtzehnte Jahrhundert
ist ja ausgesprochenermaßen dasjenige des Weibes und trügt, wenigstens soweit
Frankreich in Betracht kommt, ganz entschieden das Parfüm der Frau; daher
spielte man auch in den direktorialen Tagen mit der Liebe kein Verstecken, und
die damals so tolerante Moral gab allem, was weiblich war, eine Art Recht auf
Abwege. Besonders waren — was ja freilich auch zu anderen Zeiten gewesen
ist und sein wird — die Heldinnen der Bühne so gefällig wie begehrt; Made¬
moiselle Contat, in den Kreisen der Halbwelt und nicht minder in der Welt der
Kulissen ein helleuchtender Stern, dazu vom Nimbus der großen Dame um¬
strahlt, liefert den Beweis: politisch neutral, erhörte sie, die einst dem Grafen
Artois, dem Bruder Ludwigs des Sechzehnten, nahe gestanden hatte, später den
Fleischer Legendre, den vielgenannten Konventsmami. Manche dieser Theater¬
damen vertauschte aber gern die Bühne mit einem behaglichen Familienheim, so
die schöne Mademoiselle Lange, die ihren früheren Geliebten, den wohlsituierten
Wagenbauer Simon, heiratete und ihn, in der ars am-urZi vielseitig geschult, sehr
glücklich machte; und als bald darauf Simons verwitweter Vater ebenfalls eine
liebreizende Schauspielerin, Mademoiselle Candrille, ehelichte, kursierte das Witzwort :
qus z'^mais pluZ belle-mere n'aom't en plus belle-litte. Allen nach Hymens
Fesseln sich Sehnender kam aber der Citoyen Liardot entgegen, dem es vorbehalten
blieb, das erste Heiratsbureau in Paris zu eröffnen. Der geniale Manager wollte
den Bürgerinnen — Jungfrauen oder Witwen —, die einen Gatten suchten, aber
fürchteten, durch dahin zielende Offerten die Sittsamkeit. „das Erbteil ihres
Geschlechts", wie er sich höflich genug ausdrückte, zu verletzen, Gelegenheit zur
Erfüllung ihrer Wünsche geben. Diskretion natürlich Ehrensache. Und das Geschäft
entsprach zu genau dem Bedürfnis, als daß es nicht hätte gehen sollen; nur
stellte sich, wie immer in solchen Fällen, bald die leidige Konkurrenz ein. Freilich
bemühte man den Standesbeamten oft ziemlich zwecklos; unzählige Male wurde
das Band, das er geknüpft hatte, schon nach kurzer Zeit mutwillig wieder zerrissen.
Die eheliche Gemeinschaft der Direktorialzeit war oft nur temporär; man
engagierte sich,' als handle es sich um einen Kontertanz, und löste den Bund,
wie man etwa von einem kurzbefristeten Mietskontrakte zurücktritt. Mancher Frau
brach freilich fast das Herz, wenn sie die Scheidungsurkunde unterzeichnen sollte,
wie Julie Carreau, der Gattin des Schauspielers Talma; aber auf eine, die die
Trennung beklagte, kamen hundert Freiheitslüsterne. Denn seit Helena den
Menelaos verlieh, hat eS zu allen Zeiten Frauen gegeben, die die Ehe als
lästige Fessel empfanden. Derartig lockere Anschauungen erzeugten natürlich oft
die wunderbarsten Konstellationen; so heirateten manchmal Frauen im Herbste
Soldaten, wenn diese in die Winterquartiere einrückten, obgleich die unbeständigen
Söhne des Mars von vornherein erklärten, sie würden sich zur Frühlingszeit,
sobald es wieder ins Feld gehe, unter allen Umständen scheiden lassen, und ganz
deutlich spiegelt sich der frivole Geist der Zeit in folgender Erzählung wieder:
Als Therese Cabarrus mit Herrn v. Fontenay in Scheidung lag, bat sie ihn zum
Abschiede um einen Schmuck, der ihr besonders gefiel; er aber antwortete: „Ich
werde ihn aufheben und dir schenken, wenn du erst meine Geliebte sein wirst".
Bei solchen Ansichten über das Verhältnis zwischen Mann und Weib war der
aus Italien importierte „eavAliere servente", ein Ersatz des Gatten auf vielen,
manchmal vielleicht auf allen Gebieten, gewissermaßen eine Bürgschaft häuslichen


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[0218] Pariser Joell und Halbwelt zur Zeit der Oirektorialregierung in Tätigkeit trat, war bald nicht mehr ihr Heim, sondern die Arena, und in auto- medontischen Regungen erstickte jedes hausmütterliche Gefühl. Ja auch in der massenhaften Nahrungsaufnahme suchte sie es den Männlichen Vorbildern gleich¬ zutun, und so verlor manche Rose ihren Dust. Ältere Damen aber widmeten sich mit Vorliebe dem Spiel, das seine Anziehungskraft auch jetzt wieder be¬ währte; doch verwendeten sie selbstverständlich republikanische Karten, auf denen die, Könige Hüte und die Königinnen rote Ireiheitsmützen trugen. Weit eifriger noch als dem Tanze, dem Sport, den Tafelgenüssen und dem Spiel huldigte man aber den Freuden der Liebe. Das achtzehnte Jahrhundert ist ja ausgesprochenermaßen dasjenige des Weibes und trügt, wenigstens soweit Frankreich in Betracht kommt, ganz entschieden das Parfüm der Frau; daher spielte man auch in den direktorialen Tagen mit der Liebe kein Verstecken, und die damals so tolerante Moral gab allem, was weiblich war, eine Art Recht auf Abwege. Besonders waren — was ja freilich auch zu anderen Zeiten gewesen ist und sein wird — die Heldinnen der Bühne so gefällig wie begehrt; Made¬ moiselle Contat, in den Kreisen der Halbwelt und nicht minder in der Welt der Kulissen ein helleuchtender Stern, dazu vom Nimbus der großen Dame um¬ strahlt, liefert den Beweis: politisch neutral, erhörte sie, die einst dem Grafen Artois, dem Bruder Ludwigs des Sechzehnten, nahe gestanden hatte, später den Fleischer Legendre, den vielgenannten Konventsmami. Manche dieser Theater¬ damen vertauschte aber gern die Bühne mit einem behaglichen Familienheim, so die schöne Mademoiselle Lange, die ihren früheren Geliebten, den wohlsituierten Wagenbauer Simon, heiratete und ihn, in der ars am-urZi vielseitig geschult, sehr glücklich machte; und als bald darauf Simons verwitweter Vater ebenfalls eine liebreizende Schauspielerin, Mademoiselle Candrille, ehelichte, kursierte das Witzwort : qus z'^mais pluZ belle-mere n'aom't en plus belle-litte. Allen nach Hymens Fesseln sich Sehnender kam aber der Citoyen Liardot entgegen, dem es vorbehalten blieb, das erste Heiratsbureau in Paris zu eröffnen. Der geniale Manager wollte den Bürgerinnen — Jungfrauen oder Witwen —, die einen Gatten suchten, aber fürchteten, durch dahin zielende Offerten die Sittsamkeit. „das Erbteil ihres Geschlechts", wie er sich höflich genug ausdrückte, zu verletzen, Gelegenheit zur Erfüllung ihrer Wünsche geben. Diskretion natürlich Ehrensache. Und das Geschäft entsprach zu genau dem Bedürfnis, als daß es nicht hätte gehen sollen; nur stellte sich, wie immer in solchen Fällen, bald die leidige Konkurrenz ein. Freilich bemühte man den Standesbeamten oft ziemlich zwecklos; unzählige Male wurde das Band, das er geknüpft hatte, schon nach kurzer Zeit mutwillig wieder zerrissen. Die eheliche Gemeinschaft der Direktorialzeit war oft nur temporär; man engagierte sich,' als handle es sich um einen Kontertanz, und löste den Bund, wie man etwa von einem kurzbefristeten Mietskontrakte zurücktritt. Mancher Frau brach freilich fast das Herz, wenn sie die Scheidungsurkunde unterzeichnen sollte, wie Julie Carreau, der Gattin des Schauspielers Talma; aber auf eine, die die Trennung beklagte, kamen hundert Freiheitslüsterne. Denn seit Helena den Menelaos verlieh, hat eS zu allen Zeiten Frauen gegeben, die die Ehe als lästige Fessel empfanden. Derartig lockere Anschauungen erzeugten natürlich oft die wunderbarsten Konstellationen; so heirateten manchmal Frauen im Herbste Soldaten, wenn diese in die Winterquartiere einrückten, obgleich die unbeständigen Söhne des Mars von vornherein erklärten, sie würden sich zur Frühlingszeit, sobald es wieder ins Feld gehe, unter allen Umständen scheiden lassen, und ganz deutlich spiegelt sich der frivole Geist der Zeit in folgender Erzählung wieder: Als Therese Cabarrus mit Herrn v. Fontenay in Scheidung lag, bat sie ihn zum Abschiede um einen Schmuck, der ihr besonders gefiel; er aber antwortete: „Ich werde ihn aufheben und dir schenken, wenn du erst meine Geliebte sein wirst". Bei solchen Ansichten über das Verhältnis zwischen Mann und Weib war der aus Italien importierte „eavAliere servente", ein Ersatz des Gatten auf vielen, manchmal vielleicht auf allen Gebieten, gewissermaßen eine Bürgschaft häuslichen

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/218>, abgerufen am 02.10.2024.