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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Das preußische Zollgesetz vom 26. Mai I3^S

Musterstück diplomatischer Flickkunst. Am merkwürdigsten aber mutete doch im
Westen die Lage Rheinlands und Westfalens an, die von dem Hauptgebiet völlig
losgelöst waren.

Der politischen Zerrissenheit Deutschlands entsprach die wirtschaftliche. Außer
einigen zu langem Streit Anlaß bietenden Artikeln über die Flußschiffahrt enthielt
die Bundesakte nur den berüchtigten Artikel 19: "Die Bundesglieder behalten sich
vor, bei der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in. Frankfurt wegen
des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten sowie wegen
der Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Kongresse zu Wien angenommenen Grund¬
sätze in Beratung zu treten." Was sollten diese papierener Bestimmungen, hinter
denen keine starke Macht stand! Die Bundesversammlung kam recht oft in Frankfurt
zusammen, ohne daß sie über Handel und Verkehr beraten hätte. Und als schlie߬
lich die Hungersnot 1816/17 die württembergische Negierung veranlaßte, wenigstens
freien Verkehr mit den notwendigen Lebensmitteln zu beantragen, da zögerte man
die Beschlußfassung dank eines bayerischen Antrages auf Einbeziehung ganz "Mittel¬
europas" und vornehmlich dank des schlechten Willens des guten Kaisers Franz
solange hinaus, bis eine reiche Ernte sie überflüssig werden ließ.

Unter diesen Umstünden durfte kein deutscher Staat, der eine ernsthafte
Wirtschaftspolitik treiben wollte, auf Handlungen des Bundestages warten. Nun
hatte ja Osterreich schon längst seine Produktion durch eine recht hohe Zollgrenze
geschützt. Auch die süddeutschen Staaten, Bayern, Württemberg und Baden, waren
unter dem Einflüsse französischen Vorbildes in der Zeit Napoleons zu Grenzzoll-
systemen übergegangen. In Preußen dagegen herrschte - ein durch die Neu¬
erwerbungen sehr vermehrtes Durcheinander. Da bestanden in den alten Landen
für die meisten fremden Waren völlige Einfuhrverbote, außerdem Provinzialzölle,
Stadtakzisen und Privatzölle, in den westlichen Provinzen aber war mit dem Zu-
sammenbruch der französischen Herrschaft meist auch das Zollwesen gefallen. Der
König hatte schon vor 1806 eine Änderung angestrebt, der Kriegswirrwarr aber
ein Beschreiten des grundsätzlich anerkannten Weges nicht gestattet. Nur war
durch die verfügte Gewerbefreiheit das städtische Akzisewesen noch unhaltbarer ge¬
worden. Eine endgültige Regelung erfolgte erst durch das Zollgesetz*), das nach
langen Auseinandersetzungen im Staatsrat am 26. Mai 1818 die Unterschrist
Friedrich Wilhelms des Dritten erhielt. Preußen tat an sich damit nichts anderes,
als was die süddeutschen Staaten schon längst getan hatten, und dennoch kam
dem Gesetze eine ganz besondere Bedeutung zu.

Diese Bedeutung bestand für das Wirtschaftsleben Preußens vornehmlich
in drei Punkten. Das Zollgesetz bildete einen Teil der Steuergesetze, die in den
nächsten Jahren erlassen wurden. Vorzüglich nach finanziellen Gesichtspunkten
war der Tarif ausgearbeitet. Es war eine Hauptsorge Maaßens, des "Vaters"
des Gesetzes, daß die Zollsätze weder zu gering und damit ertraglos, noch zu hoch
waren und so zum Schmuggel reizten. Dadurch und weil jetzt zum ersten Male
die Zolleinnahmen restlos dem Staate zugeführt wurden, trug das Gesetz ganz
wesentlich zu der für die preußischen Staatsmänner wohl selbst überraschend
schnellen Gesundung der Finanzen bei.

Betrachtete man aber den Zoll hauptsächlich als Finanzzoll, so brach man
grundsätzlich mit den alten merkantiliftischen Anschauungen. Die volkswirtschaft¬
lichen Lehren des Schotten Adam Smith hielten in Preußen ihren Einzug.
Gerade das "reaktionäre" Preußen war die erste Großmacht, die freiere Bahnen
einschlug, während England, Frankreich, Holland, Rußland und Osterreich noch
lange an ihren Ein- und Ausfuhrverboten festhielten. Rein äußerlich zeigte sich der



*) Aus der bei Dahlmann-Wald verzeichneten Literatur verweise ich besonders auf
Treitschkes Deutsche Geschichte, auf G. Schmollers Universitätsrede in den Beilagen zur "All¬
gemeinen Zeitung" 1898, Ur. 17S--177, Hera. Freymarks Reform der preußischen Handels¬
und Zollpolitik in "Conrads Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen",
Bd. 17 (1898), außerdem auf meine Arbeit über Nassaus Handelspolitik in den Jahren 1316
bis 1827, von der ein Teil als Dissertation, Marburg 1917, erschienen ist.
Das preußische Zollgesetz vom 26. Mai I3^S

Musterstück diplomatischer Flickkunst. Am merkwürdigsten aber mutete doch im
Westen die Lage Rheinlands und Westfalens an, die von dem Hauptgebiet völlig
losgelöst waren.

Der politischen Zerrissenheit Deutschlands entsprach die wirtschaftliche. Außer
einigen zu langem Streit Anlaß bietenden Artikeln über die Flußschiffahrt enthielt
die Bundesakte nur den berüchtigten Artikel 19: „Die Bundesglieder behalten sich
vor, bei der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in. Frankfurt wegen
des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten sowie wegen
der Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Kongresse zu Wien angenommenen Grund¬
sätze in Beratung zu treten." Was sollten diese papierener Bestimmungen, hinter
denen keine starke Macht stand! Die Bundesversammlung kam recht oft in Frankfurt
zusammen, ohne daß sie über Handel und Verkehr beraten hätte. Und als schlie߬
lich die Hungersnot 1816/17 die württembergische Negierung veranlaßte, wenigstens
freien Verkehr mit den notwendigen Lebensmitteln zu beantragen, da zögerte man
die Beschlußfassung dank eines bayerischen Antrages auf Einbeziehung ganz „Mittel¬
europas" und vornehmlich dank des schlechten Willens des guten Kaisers Franz
solange hinaus, bis eine reiche Ernte sie überflüssig werden ließ.

Unter diesen Umstünden durfte kein deutscher Staat, der eine ernsthafte
Wirtschaftspolitik treiben wollte, auf Handlungen des Bundestages warten. Nun
hatte ja Osterreich schon längst seine Produktion durch eine recht hohe Zollgrenze
geschützt. Auch die süddeutschen Staaten, Bayern, Württemberg und Baden, waren
unter dem Einflüsse französischen Vorbildes in der Zeit Napoleons zu Grenzzoll-
systemen übergegangen. In Preußen dagegen herrschte - ein durch die Neu¬
erwerbungen sehr vermehrtes Durcheinander. Da bestanden in den alten Landen
für die meisten fremden Waren völlige Einfuhrverbote, außerdem Provinzialzölle,
Stadtakzisen und Privatzölle, in den westlichen Provinzen aber war mit dem Zu-
sammenbruch der französischen Herrschaft meist auch das Zollwesen gefallen. Der
König hatte schon vor 1806 eine Änderung angestrebt, der Kriegswirrwarr aber
ein Beschreiten des grundsätzlich anerkannten Weges nicht gestattet. Nur war
durch die verfügte Gewerbefreiheit das städtische Akzisewesen noch unhaltbarer ge¬
worden. Eine endgültige Regelung erfolgte erst durch das Zollgesetz*), das nach
langen Auseinandersetzungen im Staatsrat am 26. Mai 1818 die Unterschrist
Friedrich Wilhelms des Dritten erhielt. Preußen tat an sich damit nichts anderes,
als was die süddeutschen Staaten schon längst getan hatten, und dennoch kam
dem Gesetze eine ganz besondere Bedeutung zu.

Diese Bedeutung bestand für das Wirtschaftsleben Preußens vornehmlich
in drei Punkten. Das Zollgesetz bildete einen Teil der Steuergesetze, die in den
nächsten Jahren erlassen wurden. Vorzüglich nach finanziellen Gesichtspunkten
war der Tarif ausgearbeitet. Es war eine Hauptsorge Maaßens, des „Vaters"
des Gesetzes, daß die Zollsätze weder zu gering und damit ertraglos, noch zu hoch
waren und so zum Schmuggel reizten. Dadurch und weil jetzt zum ersten Male
die Zolleinnahmen restlos dem Staate zugeführt wurden, trug das Gesetz ganz
wesentlich zu der für die preußischen Staatsmänner wohl selbst überraschend
schnellen Gesundung der Finanzen bei.

Betrachtete man aber den Zoll hauptsächlich als Finanzzoll, so brach man
grundsätzlich mit den alten merkantiliftischen Anschauungen. Die volkswirtschaft¬
lichen Lehren des Schotten Adam Smith hielten in Preußen ihren Einzug.
Gerade das „reaktionäre" Preußen war die erste Großmacht, die freiere Bahnen
einschlug, während England, Frankreich, Holland, Rußland und Osterreich noch
lange an ihren Ein- und Ausfuhrverboten festhielten. Rein äußerlich zeigte sich der



*) Aus der bei Dahlmann-Wald verzeichneten Literatur verweise ich besonders auf
Treitschkes Deutsche Geschichte, auf G. Schmollers Universitätsrede in den Beilagen zur „All¬
gemeinen Zeitung" 1898, Ur. 17S—177, Hera. Freymarks Reform der preußischen Handels¬
und Zollpolitik in „Conrads Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen",
Bd. 17 (1898), außerdem auf meine Arbeit über Nassaus Handelspolitik in den Jahren 1316
bis 1827, von der ein Teil als Dissertation, Marburg 1917, erschienen ist.
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[0188] Das preußische Zollgesetz vom 26. Mai I3^S Musterstück diplomatischer Flickkunst. Am merkwürdigsten aber mutete doch im Westen die Lage Rheinlands und Westfalens an, die von dem Hauptgebiet völlig losgelöst waren. Der politischen Zerrissenheit Deutschlands entsprach die wirtschaftliche. Außer einigen zu langem Streit Anlaß bietenden Artikeln über die Flußschiffahrt enthielt die Bundesakte nur den berüchtigten Artikel 19: „Die Bundesglieder behalten sich vor, bei der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in. Frankfurt wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten sowie wegen der Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Kongresse zu Wien angenommenen Grund¬ sätze in Beratung zu treten." Was sollten diese papierener Bestimmungen, hinter denen keine starke Macht stand! Die Bundesversammlung kam recht oft in Frankfurt zusammen, ohne daß sie über Handel und Verkehr beraten hätte. Und als schlie߬ lich die Hungersnot 1816/17 die württembergische Negierung veranlaßte, wenigstens freien Verkehr mit den notwendigen Lebensmitteln zu beantragen, da zögerte man die Beschlußfassung dank eines bayerischen Antrages auf Einbeziehung ganz „Mittel¬ europas" und vornehmlich dank des schlechten Willens des guten Kaisers Franz solange hinaus, bis eine reiche Ernte sie überflüssig werden ließ. Unter diesen Umstünden durfte kein deutscher Staat, der eine ernsthafte Wirtschaftspolitik treiben wollte, auf Handlungen des Bundestages warten. Nun hatte ja Osterreich schon längst seine Produktion durch eine recht hohe Zollgrenze geschützt. Auch die süddeutschen Staaten, Bayern, Württemberg und Baden, waren unter dem Einflüsse französischen Vorbildes in der Zeit Napoleons zu Grenzzoll- systemen übergegangen. In Preußen dagegen herrschte - ein durch die Neu¬ erwerbungen sehr vermehrtes Durcheinander. Da bestanden in den alten Landen für die meisten fremden Waren völlige Einfuhrverbote, außerdem Provinzialzölle, Stadtakzisen und Privatzölle, in den westlichen Provinzen aber war mit dem Zu- sammenbruch der französischen Herrschaft meist auch das Zollwesen gefallen. Der König hatte schon vor 1806 eine Änderung angestrebt, der Kriegswirrwarr aber ein Beschreiten des grundsätzlich anerkannten Weges nicht gestattet. Nur war durch die verfügte Gewerbefreiheit das städtische Akzisewesen noch unhaltbarer ge¬ worden. Eine endgültige Regelung erfolgte erst durch das Zollgesetz*), das nach langen Auseinandersetzungen im Staatsrat am 26. Mai 1818 die Unterschrist Friedrich Wilhelms des Dritten erhielt. Preußen tat an sich damit nichts anderes, als was die süddeutschen Staaten schon längst getan hatten, und dennoch kam dem Gesetze eine ganz besondere Bedeutung zu. Diese Bedeutung bestand für das Wirtschaftsleben Preußens vornehmlich in drei Punkten. Das Zollgesetz bildete einen Teil der Steuergesetze, die in den nächsten Jahren erlassen wurden. Vorzüglich nach finanziellen Gesichtspunkten war der Tarif ausgearbeitet. Es war eine Hauptsorge Maaßens, des „Vaters" des Gesetzes, daß die Zollsätze weder zu gering und damit ertraglos, noch zu hoch waren und so zum Schmuggel reizten. Dadurch und weil jetzt zum ersten Male die Zolleinnahmen restlos dem Staate zugeführt wurden, trug das Gesetz ganz wesentlich zu der für die preußischen Staatsmänner wohl selbst überraschend schnellen Gesundung der Finanzen bei. Betrachtete man aber den Zoll hauptsächlich als Finanzzoll, so brach man grundsätzlich mit den alten merkantiliftischen Anschauungen. Die volkswirtschaft¬ lichen Lehren des Schotten Adam Smith hielten in Preußen ihren Einzug. Gerade das „reaktionäre" Preußen war die erste Großmacht, die freiere Bahnen einschlug, während England, Frankreich, Holland, Rußland und Osterreich noch lange an ihren Ein- und Ausfuhrverboten festhielten. Rein äußerlich zeigte sich der *) Aus der bei Dahlmann-Wald verzeichneten Literatur verweise ich besonders auf Treitschkes Deutsche Geschichte, auf G. Schmollers Universitätsrede in den Beilagen zur „All¬ gemeinen Zeitung" 1898, Ur. 17S—177, Hera. Freymarks Reform der preußischen Handels¬ und Zollpolitik in „Conrads Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen", Bd. 17 (1898), außerdem auf meine Arbeit über Nassaus Handelspolitik in den Jahren 1316 bis 1827, von der ein Teil als Dissertation, Marburg 1917, erschienen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/188>, abgerufen am 29.06.2024.